Einfach nur verjährt? Eine persönliche Betrachtung von Heiko Reinhold

Es blieb bisher merkwürdig ruhig in der sächsischen Landeskirche. Noch bevor „Der Sonntag“ im Advent 2021 eine Kurzmeldung veröffentlichte, hatte die Chemnitzer „Freie Presse“ Anfang Dezember ausführlich über Missbrauchsfälle im Rahmen der evangelischen Jugendarbeit in den 1960er und 1970er Jahren berichtet. „Der lange Schatten des Jugendwarts“ benennt den 2013 verstorbenen ehemaligen Karl-Marx-Städter Jugendwart Kurt Ströer als Täter.

Offensichtlich war diese Nachricht ein großer Schock für viele, die Kurt Ströer kannten und ihn in dankbarer Erinnerung haben. So gab es sofort Reaktionen, in denen seine vielen Verdienste benannt wurden und gleichzeitig Zweifel an den Vorwürfen ausgesprochen wurden. Aber es gab auch innerkirchliche Stimmen, die verlauten ließen „das haben wir schon lange gewusst“.

Mittlerweile sind mehr als 20 Betroffene bekannt – und wieder war es die „Freie Presse“, die darüber am 14. März 2022 ausführlich berichtete. Seitens der Landeskirche wird auf die wissenschaftliche Aufarbeitung des Forschungsverbunds „ForuM“ verwiesen, das auch den Fall Kurt Ströer mit aufgenommen hat. Ergebnisse sollen allerdings erst Ende 2023 vorliegen.

Die persönliche Verantwortung und Schuld des Täters steht außer Frage. Deshalb ist es schwer verständlich, wenn davon gesprochen wird, dass Ströers verdienstvoller Einsatz „ausgeblendet“ würde. Er dürfe nicht „in eine Ecke gestellt“ werden. Eine merkwürdige Ansicht zu strafrechtlich relevanten Handlungen. Nebenbei: Bei der innerkirchlichen Debatte um homosexuelle Mitarbeiter waren deren „Verdienste“ uninteressant. Ein Coming-out reichte mancherorts für Diskriminierung und ein faktisches Arbeitsverbot.

Es ist anzuerkennen, dass die Landeskirche eine „transparente und umfassende Aufarbeitung“ verspricht, auch wenn diese weitgehend externalisiert geschehen soll. Und beispielsweise gibt es seit 2011 den Verhaltenskodex der Evangelischen Jugend in Sachsen, der auch der Sensibilisierung dient. So ließe sich leicht argumentieren, dass die jetzt bekannt gewordenen Taten schon 50, 60 Jahre her sind und mittlerweile ein anderes Bewusstsein herrscht.

Unabhängig vom konkreten Fall stellt sich mir aber auch die Frage nach den zweifellos begünstigenden innerkirchlichen Rahmenbedingungen. Ich kenne die Jugendarbeit seit den 80er Jahren – sie hat mich wesentlich geprägt. Junge Gemeinde, Offene Abende, Rüstzeiten, Evangelisationen – all das war für viele Jugendliche mehr als Freizeitbeschäftigung – es war Identifikation, Freiraum, Sinn. Hier wurden Weichen für das Leben gestellt, Wege zum Glauben aufgezeigt, Kompetenzen vermittelt, musikalische und kreative Fähigkeiten entwickelt. Unzählige Freundschaften und Partnerschaften entstanden. Diese Arbeit war ohne Zweifel segensreich.

 

Mit dem Abstand einiger Jahrzehnte sehe ich aber rückblickend auch einige andere Seiten:

Oft waren es wenige „Autoritäten“ in der Jugendarbeit, die meinungsbildend waren und dabei kaum differenzierend vorgingen. Biblische „Klarheit“ und angebliche Eindeutigkeit ließen Pluralismus kaum zu. Die theologischen Aussagen entsprachen schon damals nicht immer dem allgemeinen Erkenntnisstand – so verkämpften wir uns noch immer am „Konflikt“ mit der Evolutionslehre und teilten die Menschen säuberlich ein in „Außenstehende“ und die, „die schon so weit sind“. Seelsorgerliche Kompetenz war nur bei wenigen Mitarbeitern wirklich vorhanden. Doch durch die Fixierung auf diese Einzelpersonen wurde vieles einfach als „richtig“ betrachtet, was aus heutiger Sicht teilweise sogar als gefährlich und seelischer Missbrauch eingeordnet werden muss – bis hin zu „schwarzer Pädagogik“ mit dem Schüren von Angst.

Diese Jugendarbeit war der innerkirchliche Mainstream – und für viele Heimat und Wohlfühlzone. Aber für viele andere Überzeugungen und Themen hatte sie keinen Platz. Und neben vielen positiven Erinnerungen erlebe ich bis heute im Bekanntenkreis die „anderen“ Nachwirkungen: Im Nachdenken über Himmel und Hölle – was entweder zu überhöhter Selbstgewissheit oder zu Versagens-Ängsten führen kann. Im Pflegen eines idealisierten Familienbildes, das der Realität selten standhält und keinen Platz lässt für abweichende Empfindungen. Im Bibelverständnis, in dem wenige Verse zur Begründung eigener Überzeugungen ausreichen. Und immer wieder auch im Hören auf wenige, meinungsbildende Personen mit eingeengtem Weltbild.

Ich frage mich, ob das in unserer Landeskirche wirklich so bewusst und unkritisch wahrgenommen wurde und wird. Ob erst nach Verjährung eine Aufarbeitung begonnen wird. Ob es damals schon eine Art Supervision gab. Ob die wichtige Freiheit der Verkündigung dazu führen darf, dass statt der frohen Botschaft mehr Angst verbreitet wird. Ob sich jemand für diese Fragen interessiert.

In der Erziehungswissenschaft hat es vor vielen Jahren einen Paradigmenwechsel hin zu den Erziehungszielen Mündigkeit und Emanzipation gegeben. Auch in unserer Landeskirche hat sich die Vermittlung von Glaubensinhalten entsprechend weiterentwickelt. Leider ist das in manchen Gemeinden noch nicht angekommen.

Damit stehen Glaubwürdigkeit und Akzeptanz – die für den Gemeindeaufbau unerlässlich sind – auf dem Spiel.

Ich wünsche mir eine Kirche als Ort geistlichen Wachstums, als Ort der Geborgenheit, der Vielfalt, der Offenheit. Ich wünsche mir eine Kirche, die Verantwortung übernimmt.

 

Heiko Reinhold

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Huch, ich habe meine apokalyptische Hoffnung verloren …

»Mit Impfungen zurück zur Normalität« - so stand es kürzlich auf zeit-online zu lesen. Ich bin heftig über diesen Beitrag gestolpert. Um welche Normalität ging es denn da? Und wollen wir wirklich zu dieser Normalität zurück? Zu einer Normalität, in der die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht und in der Kinder immer noch ein Armutsrisiko sind. Eine Normalität, in der die Zerstörung der Lebensgrundlagen nach wie vor subventioniert wird und wir menschliches Leiden an den Grenzen Europas (und an vielen anderen Orten der Welt) schulterzuckend hinnehmen und es Politiker:innen durchgehen lassen, wenn diese sagen: Wir können nicht allen helfen.

 

Apokalypse - das ist ein verhüllter theologischer Begriff. Wahrscheinlich verbinden die meisten Zeitgenoss:innen damit die Katastrophe, aus der die Welt und die Menschheit gerettet werden müssen. Aber eigentlich ist sie die Katastrophe, durch die die Welt und die Menschheit gerettet wird - als Ende der »Normalität«. Oder wie Walter Benjamin es formuliert: "Der Begriff des Fortschritts ist in der Idee der Katastrophe zu fundieren. Und: "Daß es »so weiter« geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene.“ Die Apokalypse ist das Ende des Fortschritts.

 

Den Begriff »Apokalypse« zu enthüllen und die radikal hoffnungsstiftenden Momente herauszuarbeiten - das ist das Anliegen dieses Textes. Und damit werden wir uns im Forum für Gemeinschaft und Theologie in diesem Jahr intensiver beschäftigen.

Historisches:

Die Apokalyptik als Literaturgattung und als Denkungsart entsteht zu einer Zeit, in der die »Normalität« unerträglich für diejenigen war, die eben durch dieses Denken versuchten, ihr Leben zu bewältigen. In biblischen Texten findet sich der Niederschlag - prominent im Danielbuch, aber auch in anderen Texten. Die Erfahrung einer umfassenden Ungerechtigkeit und die Erfahrung, dass Menschen nicht trotz, sondern wegen ihrer Treue zu Gott und ihrem Festhalten an Gerechtigkeit leiden, erforderte eine neue Reflexion auf Gott, Welt und Leben. Konnten bis dahin Leid, Verfolgung und die Erfahrung von Ungerechtigkeit als Folge der eigenen Untreue (Tun-Ergehen-Zusammenhang) oder als Prüfung (Hiob) verstanden werden, wurden Leid und Tod nun geradezu Folgen der Treue

zu Gott. Und gab es in der Prophetie Israels die Hoffnung und Verheißung, dass sich alles zum Guten wenden werde, lebt die Apokalyptik nun von einem radikalen Abbruch. Das Alte muss vergehen, damit das Neue kommen kann. Es lässt sich auch nichts aus dem Alten ins Neue retten - außer meiner Seele.

Nicht die Erneuerung des Reiches ist das Thema, sondern der Anbruch einer Neuen Welt.

 

Im Neuen Testament findet sich mit der Offenbarung des Johannes ein apokalyptisches Buch. Es gab aber sehr viele Apokalypsen in dieser Zeit - offensichtlich wurde die Normalität von vielen als so katastrophal empfunden, dass weder aus ihr heraus noch für sie Rettung möglich schien - Rettung nicht für das vergehende Alte, sondern vielmehr in das kommende Neue.

Wesentliches Grundmotiv der Apokalyptik war dabei: Hoffnung für die, die angesichts des Gegebenen hoffnungslos waren - und die Motivation durchzuhalten. Es ist nur eine kurze Frist. Haltet durch! Lasst Euch vom Bösen nicht korrumpieren! Kooperiert nicht mit dem Antigöttlichen! Nehmt seine Zeichen nicht an und macht Euch nicht mit ihm gemein.

In der Apokalyptik gewinnen die Opfer der Zeitenläufte die Deutungshoheit über ihr Leben, ihr Leiden und über die vermeintlichen Sieger:innen der Geschichte zurück. Der Preis dafür ist hoch - die Welt gerät in einem nicht zu überbrückenden Gegensatz zu Gott. Aber dadurch öffnet sich ihr Blick über ihre Zeit hinaus und damit auch für ihre Zeit. Weil sie sich nicht mit den Gegebenheiten arrangieren müssen, müssen sie auch keine falsche Rücksicht mehr nehmen. Schonungslos können sie die Perversionen und Ungerechtigkeiten des Zeitalters formulieren und diesen die Gegenwart des Kommenden entgegenstellen.

 

Diese Vorstellungen finden sich nicht nur in der Offenbarung des Johannes. Auch bei Jesus und bei Paulus lassen sich Elemente davon aufzeigen: Die Frage nach der größeren Gerechtigkeit, die Zurückweisung staatlicher Praxis (Steuergroschen); die Frage nach Ehe und Ehelosigkeit; nach Besitz und Freiheit (Sklaverei) und der Aufhebung aller Unterscheidungskriterien (Frau/ Mann; Frei/ Sklav:in; Jüdisch/ Nichtjüdisch; …).

Neben der Apokalyptik gibt es natürlich auch andere Traditionen, die ebenfalls im Neuen Testament schon eine Rolle spielen - die im Laufe der Zeit die Oberhand gewinnen werden. Die Folgen sind gravierend. Um das begrifflich zu fassen: Aus der eschatologischen Heilsgemeinschaft der Jesus-Nachfolger:innen wird die frühbürgerliche Christenheit, die sich als Kirche organisiert. Deutlichstes Zeichen dafür sind die Pastoralbriefe; etwa 1. Timotheusbrief: "So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, …"

Kirchengeschichtlich wird sich diese Haltung durchsetzen. Und von den apokalyptischen Vorstellungen werden vor allem die Schreckensvisionen mit ihrem Drohpotential weitergegeben, während die Trost- und Hoffnungsmotive und der freie Blick auf Zeit und Gesellschaft nur noch ein Schattendasein führen. (Damit gewinnt die Kirche allerdings auch - und das halte ich für einen eminent wichtigen und evangelischen Moment - ein positives Verhältnis zur »Welt«, die eben nicht mehr in diesem unüberwindbaren Gegensatz zu Gott steht.)

Ein erstaunliches Zeugnis dieser Haltung findet sich in Tertullians Apologeticum - einer Verteidigung des Christentums gegenüber den Anklagen des Römischen Reichs aus dem Jahr 197 nach Christus. In diesem Werk widerlegt Tertullian nicht nur alle Anklagen gegenüber den Christ:innen als falsch. Er “beweist“ zugleich, dass all das, was die Heid:innen den Christ:inne vorwerfen, von diesen selbst verübt wird. In einem polemischen Feuerwerk prangert er die Ungerechtigkeiten und die Widergöttlichkeit des Heid:innentums im Römischen Reich an. Dann aber macht er überraschend deutlich, warum die Christ:innen im Eigentlichen die besseren Bürger:innen des Reiches seien - wir lügen nicht, zahlen ehrlich unsere Steuern und pflegen ein moralisches Leben in Gehorsam gegenüber staatlicher Gewalt. Und er führt einen wesentlichen Punkt auf, warum die Christ:innen um das Wohlergehen des Römischen Reiches besorgt seien: »Es gibt für uns auch eine andere, noch größere Nötigung, für die Kaiser, ja, sogar für den Bestand des Reiches überhaupt und den römischen Staat zu beten. Wir wissen nämlich,

daß die dem ganzen Erdkreis bevorstehende gewaltsame Erschütterung und das mit schrecklichen Trübsalen drohende Ende der Zeiten nur durch die dem römischen Reiche eingeräumte Frist aufgehalten wird. Daher wünschen wir es nicht zu erleben und, indem wir um Aufschub dieser Dinge beten, befördern wir die Fortdauer Roms.«

Neben der Verbürgerlichung des Christentums tritt jetzt an die Stelle der apokalyptischen Hoffnung auf das Neue Jerusalem die Angst vor der Schreckenszeit - und das in der Schreckenszeit der Martyrien, die Tertullian in seinem Buch ja beklagt. Stattdessen zeigt sich hier die unheilvolle Verbindung zwischen Kirche und Rom, die paradigmatisch für den weiteren Verlauf der abendländischen Kirche sein wird. Das Christentum bietet sich als Legitimation für das Römische Reich an, das auf Gewalt und Terror gegründet war - und vollendet wird das ganze dann bei Konstantin und seinen Nachfolgern. Seitdem führt die apokalyptische Praxis nur noch ein Schattendasein in Theologie und Kirche.

Und obwohl sowohl die mittelalterliche Kirche als auch Luther die apokalyptischen Vorstellungen sehr präsent hatten und geradezu davon besessen waren, war der Sitz im Leben der Apokalyptik verloren gegangen.

In der Neuzeit entdeckte zuerst der Pietismus innerkirchlich die Zukunft als Ort des Fortschritts. In der geschenkten Zeit könne es besser werden, und es sei Aufgabe der Christ:innen, sich für diese Zukunft einzusetzen - in Kirche und Staat und den Institutionen. Diese Vorstellungen werden vor allem in der Pädagogik fruchtbar - aber auch an vielen anderen Stellen. Interessant wäre etwa zu betrachten, wie im Zuge der Säkularisierung staatliche Institutionen zu Verwalterinnen immanenter Heilserwartungen werden.

Optimistische Erwartungen an die bessere Zukunft verbanden sich mit einer geradezu theologisch-heilsgeschichtlich aufgeladenen Anbindung an die jeweils aktuelle Gesellschaftsordnung/ Herrschaftsform und - im Protestantismus an die Nation (das ist ein Grund für die Anfälligkeit der protestantischen Kirchen für den Nationalismus). Kirche im Kaiserreich; Kirche im Dritten Reich; Kirche im Sozialismus; Kirche im Kapitalismus und der Demokratie - all das war und ist für die Kirche nicht spannungsfrei, aber doch im Großen und Ganzen problemlos möglich. Der Umsturz oder die radikale Infragestellung oder selbst der Abbruch dagegen standen und stehen unter einem permanenten Vorbehalt. Ganz besonders gilt das natürlich für eine gesellschaftliche Situation, in der Kirche im hohen Maße Nutznießerin der Verhältnisse ist.

Der Blick der Apokalyptik dagegen ist der des Abbruchs. Das Bestehende ist nicht zu retten und nicht das zu Rettende. Wie schon angedeutet, entstehen aus diesem Blick auf die Welt auch Probleme - die in dem prinzipiellen Gegensatz von Gott und Welt wurzeln. Geschichtlich zeigt sich das vor allem in den Gruppen, die apokalyptische Gedanken mit einem politischen Programm verbanden und mit Aktionen - auch gewaltsamen - den Anbruch der Heilszeit erzwingen oder herbeiführen wollten. Vor allem auch diese Bewegungen haben das Verhältnis sowohl der Katholischen als auch der Protestantischen Kirchen zur Apokalyptik bestimmt.

Gegenwärtig empfinden wir stärker die Grenzen unserer Möglichkeiten. Der Fortschritt als Ideologie hat Kratzer bekommen. Wir sehen die Folgen unserer Art zu leben und zu wirtschaften. Die Normalität, nach der wir uns zurücksehnen, ist eine verhüllte Dystopie. Und die Zukunft nicht unbedingt Ort der Erwartungen und Träume. Aus dem Spruch der vorangegangenen Generation: "Euch soll es einmal besser gehen.", wurde der Wunsch für unsere Kinder: "Hoffentlich wird es Euch nicht viel schlechter gehen." Das Ende der Zukunft ist eine realistische Option für eine Welt, die zurück will zu ihrer Normalität.

Ist das die Zeit der Apokalyptik? Nicht die der Schreckensvisionen, sondern die der Erkenntnis, dass ein radikaler Abbruch und Umsturz eine Verheißung trägt? Könnten wir dadurch frei werden für die apokalyptische Dimension unserer Gegenwart, um zu einer veränderten Praxis zu kommen? Apokalyptik spricht nicht vom Ende, sondern vom Anfang. Sie droht nicht mit dem, was ist. Sie ermuntert zum dem, was kommen soll.

Es ist Zeit, der Apokalyptik in Theologie und kirchlicher Praxis einen neuen Raum zu geben.

 

Paul Martin

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Am Tisch der Geschwisterlichkeit

Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. (Lk 13,29)

 

Kommen Sie aus dem Osten?

Wurde Ihnen diese Frage schon einmal gestellt? Mit welchem Gefühl haben Sie diese Frage gehört? Hatten Sie den Eindruck, Ihre Antwort täte etwas zur Sache?

Haben Sie selber diese Frage schon einmal gestellt? Was sollte die erwartete Antwort bezwecken? Ist es hilfreich, geographische Koordinaten zu verwenden, um Menschen zu akzeptieren oder auszuschließen? Was soll die Zuordnung bringen zwischen „Wir“ und „Die“?

 

“I have a dream”, sagte Martin Luther King in seiner berühmten Rede in Washington, “that one day on the red hills of Georgia, the sons of former slaves and the sons of former slave owners will be able to sit down together at the table of brotherhood.”

 

Ist es nur ein Traum, miteinander am Tisch der Geschwisterlichkeit zu sitzen? Das Reich Gottes als Utopie in weiter Ferne? Wohl kaum! Sicher erinnern Sie sich an schöne Momente, als Freundinnen und Freunde, Bekannte und Verwandte zu Besuch kamen, die von nebenan und die von weiter weg. Und wir miteinander an der großen Tafel saßen. Wie wir gemeinsam feierten. Fröhlich und unbeschwert haben wir miteinander gegessen und getrunken. Geschichten wurden erzählt von dem, was Einzelne gelebt haben. Und alle nahmen daran Anteil, hörten zu und ergänzten die jeweils eigene Perspektive.

 

Es ist diese Erinnerung, die nach Zukunft verlangt! Wieder miteinander feiern, wieder miteinander reden, sich einander umarmen, sich wieder unverkrampft begegnen, mit freudigem Gesicht und offenen Armen und Händen. Wieder empfangen, wonach wir uns sehnen. Ja, so hoffen wir! So hoffen Menschen in Sachsen, die durch Corona eingeschränkt sind. So hoffen Menschen in Asien, die für einen Hungerlohn von 9 Cent pro Stunde Kleidung für den Export produzieren. So hoffen Menschen in Lateinamerika, deren Kinder in Bergwerken Lithium für Handy-Akkus und Elektroautos abbauen. So hoffen Menschen am Horn von Afrika, wo sich die Wüste ausbreitet und die raren Wasservorräte noch von Megakonzernen wie Nestlé abgepumpt werden.

 

Wenn doch Zukunft möglich wäre! Frieden und Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Ich glaube: Diese Zukunft ist möglich, weil wir die Erinnerung daran schon in uns tragen. Die Erinnerung an Gottes Reich, wo Leben Freude macht. Nach diesem Reich Gottes sehne ich mich, dafür setze ich mich ein. Denn das Reich Gottes wird Realität, wenn wir aufeinander achten und füreinander sorgen, damit alle Menschen haben, was sie zum Leben brauchen – im Osten und im Westen, im Norden und im Süden. Gemeinsam sitzen wir am Tisch unseres Gottes, schon jetzt und in Ewigkeit.

 

Pfrn. Dr. Mandy Rabe (Auerbach)

 

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Wem gehört Bonhoeffer

Vermutlich hat Donald Trump noch nie etwas von Dietrich Bonhoeffer gehört. Trotzdem hängt seit diesem Jahr eine bronzene Tafel zu Ehren des von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers in der Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz, die den Namen des US-Präsidenten trägt. Sein Statthalter in Berlin, der umstrittene Botschafter Richard Grenell, hatte sich dafür eingesetzt und sie in einer Feierstunde enthüllt. In seiner Rede wählte er Bonhoeffer-Zitate, deren Bedeutung plötzlich in einem befremdlichen Kontext erklangen: „Wer seine Überzeugungen lebt, erwartet keinen Beifall.“ Oder: „Nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist Freiheit.“

 

Hochrangige Vertreter der Evangelischen Kirche waren der Gedenkfeier ferngeblieben. Allzu offensichtlich war das Bemühen, Bonhoeffer politisch auf der Seiten der äußersten Rechten zu vereinnahmen.

Denn neben Grenell zeigt sich auch Vizepräsident Mike Pence schon lange als Anhänger des protestantischen Widerstandskämpfers. Pence twitterte dann auch aus dem fernen Washington: „Ich wünschte, ich könnte dabei sein“ – um im selben Tweet seinen Botschafter dafür zu loben, dass er jeden Tag dafür einstehe, „dass POTUS‘ America-First Agenda in Deutschland erfolgreich ist.“

 

Bonhoeffer und „America First“ in einem Tweet: Das muss man erst einmal hinkriegen! Doch Amerikas „Religiöse Rechte“, zu der Pence und Grenell gehören, hat Bonhoeffer schon lange als einen der ihren entdeckt und verein-nahmt. Und so fremd einem der Gedanke ist: Für sie verkörpert ausgerechnet Donald Trump den furchtlosen Widerstandskämpfer gegen einen liberalen Zeitgeist, gegen den angeblich schon Bonhoeffer gekämpft habe.

 

Diese Umdeutung ist nicht vom Himmel gefallen. Bis vor ein paar Jahren war Bonhoeffer auch in den USA vor allem unter sozial engagierten Christen populär – bei denen, die sich in der Bürgerrechtsbewegung, für Geflüchtete und gegen Atomwaffen engagiert haben. Nur wenige werden sich dabei intensiv mit der Biografie und den Texten des Theologen beschäftigt haben. Bonhoeffers Schicksal war, dass er zum Heiligen verklärt und seine oft komplexen Gedanken zum Steinbruch für Kalendersprüche, Flugblätter oder Predigten wurden. Ob es das Rad war, dem man in die Speichen greifen musste oder die guten Mächte, von man denen man wunderbar geborgen wurde: An die Stelle der Auseinandersetzung trat triviale Verehrung und eine zeit- und inhaltslose Verfügbarkeit.

 

„Bonhoeffer-Moment“

In dieses Vakuum stieß vor zehn Jahren eine Bonhoeffer-Biografie, die im protestantischen Mainstream auf eine Mischung aus Ablehnung und Desinteresse stieß, in der „Religiösen Rechten“ aber ein Bestseller wurde. Eric Metaxas inszeniert den Theologen in seinem Buch Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet als einen gottesfürchtigen Außenseiter, der in der Krise bereit war, die ultimative Konfrontation mit dem Bösen zu suchen und dafür sein Leben zu opfern (vergleiche zz 2/2012). Der Schlüsselbegriff dafür ist bei Metaxas der „Bonhoeffer-Moment“. Die Biografie selbst beschränkt sich dabei noch weitgehend darauf, Bonhoeffer als konservativen Evangelikalen zu beschreiben. Sie unterschlägt deshalb Vieles, was dieser Vereinnahmung widerspricht, vermeidet aber noch allzu offensichtliche Bezüge in die Gegenwart.

 

Die tagespolitischen Aktualisierungen findet man dagegen vor allem in den öffentlichen Auftritten des Autors: als Redner auf evangelikalen Kongressen und vor allem als ständiger Gast bei Fox News bezog Metaxas den „Bonhoeffer-Moment“ zunächst immer wieder polemisch auf die Obama-Regierung und versuchte damit, die „Religiöse Rechte“ zum Widerstand gegen den angeblichen Verfall von Sitte und Moral in den USA zu mobilisieren.

 

Ob „Ehe für Alle“, Schulgebete oder Gesundheitsreform: Von nun an war alles, was im Kulturkampf gegen die „liberalen Eliten“ gerade aktuell war, ein „Bonhoeffer-Moment“. Und beim Thema Abtreibung waren die aggressiv-rhetorischen Rückgriffe auf den Holocaust bereits so eingeübt, dass Bonhoeffers Eintreten für die Juden rhetorisch mühelos als Vorbild für den Kampf gegen die Regierung und den Obersten Gerichtshof ins Feld geführt werden konnte. Eric Metaxas gehörte im US-Wahlkampf 2016 zu den ersten, die ihr Unbehagen über den wenig christlichen Lebensstil des Kandidaten Donald Trump überwanden und die Wahl zu einem „Bonhoeffer-Moment“ überhöhten. Trump wurde als Werkzeug gegen das ultimative Böse stilisiert – seine Gegenkandidatin Hillary Clinton von Metaxas als „Hitlery Clinton“ verteufelt.

 

Das alles ist nicht nur infam, sondern hoch gefährlich. Denn Bonhoeffer wird nicht durch seine theologischen Überzeugungen, sondern durch seinen Weg in den (bewaffneten) Widerstand zum heroischen Vorbild für die „Religiöse Rechte“.

 

Wenn Botschafter Grenell in Flossenbürg die „Freiheit der Tat“ gegen die „Flucht der Gedanken“ hervorhebt, dann folgt das dem gleichen Muster wie Metaxas, der bei jeder Gelegenheit ein (vermeintliches) Bonhoeffer-Zitat hervorhebt: „Schweigen im Angesicht des Bösen ist selbst böse. Nicht zu sprechen ist sprechen. Nicht zu handeln ist handeln.“

 

Man muss sich bei all dem bewusst machen, dass sich dieses Widerstands-Pathos in einem Milieu entfaltet, in dem auch der Anspruch auf den uneingeschränkten Waffenbesitz eine pseudoreligiöse Aufladung erfährt. Die „Religiöse Rechte“ ist eine hoch militarisierte und tendenziell gewaltaffine Szene. Anschläge auf Abtreibungskliniken werden in diesen Kreisen zum Beispiel seit Jahren verharmlost und gerechtfertigt.

 

Das aber macht die gegenwärtige politische Debatte um das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump so explosiv. Denn auch die Ukraine-Affäre wird längst wieder als „Bonhoeffer-Moment“ gedeutet: als Stunde des Widerstands gegen einen vermeintlichen Staatsstreich, mit dem die verhassten Demokraten den rechtmäßig gewählten Präsidenten stürzen wollen. Man sollte es deshalb sehr ernst nehmen, wenn mit Robert Jeffress einer der prominentesten Vertreter der „Religiösen Rechten“ bei Fox News offen mit dem Bürgerkrieg droht: „Ich habe die evangelikalen Christen nie wütender erlebt als bei diesem Versuch, die Wahl von 2016 auszuhebeln und die Stimmen von Millionen Evangelikalen zu negieren. Die Demokraten wissen, dass das einzige Verbrechen Trumps darin besteht, Hillary Clinton geschlagen zu haben. Das ist seine unverzeihliche Sünde. Sollten die Demokraten Erfolg haben (was nicht geschehen wird) wird es einen Bürgerkrieg auslösen, einen Riss in unserer Nation, von dem sich das Land nicht mehr erholen wird.” Über den offizielle Twitter-Account des Präsidenten mit seinen 65 Millionen Followern fand diese Kampfansage maximale Verbreitung.

 

Auch in Deutschland hat die radikale Rechte Dietrich Bonhoeffer längst für sich entdeckt. Die AfD versucht dabei, den Theologen gleich doppelt für sich nutzbar zu machen: Zum einen passt er zur bürgerlichen Fassade, mit der die Partei ihre strategische Selbstverharmlosung inszeniert. Um sich gegen das Nazi-Image zu immunisieren, reklamiert die AfD den konservativen Widerstand gegen Hitler für ihre Zwecke: Stauffenberg, Sophie Scholl oder eben Bonhoeffer – den man dazu als Konservativen vereinnahmt. Auf Facebookseiten der AfD oder nahestehender Gruppen werden zu diesem Zwecke schon mal Bonhoeffer-Texte gepostet, die entweder wie das Gedicht „Von guten Mächten“ allgemein konsensfähig sind oder die an Ressentiments appellieren, die auch über die rechte Szene hinaus anschlussfähig erscheinen. Ein Beispiel: Bonhoeffers berühmter Text „Von der Dummheit“ wird als Tafel mit Foto gepostet und hundertfach geteilt – auch von evangelischen Pfarrern, die entweder gar nicht merken oder denen es nichts ausmacht, auf wen Bonhoeffers Hinweis hier bezogen wird: „Warum muss ich bei diesem Text ständig an unsere Bundesregierung und die vielen kriminellen Einzelfälle denken?“, fragt der rechte Verfasser des Posts polemisch.

 

Die Vereinnahmung Bonhoeffers dient dabei noch einem zweiten Kalkül: Die AfD will gezielt die Spaltung der Evangelischen Kirche und sagt das auch ganz offen. Mit dem Pamphlet „Unheilige Allianz“, erschienen direkt nach dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in diesem Sommer in Dortmund, entwirft der rechtsextreme „Flügel“ um Björn Höcke ein perfides Narrativ, das jegliche historische Unterscheidung außer Kraft setzt: „Vom Bündnis mit den Thronen des Kaiserreichs über den Nationalsozialismus über die DDR-Diktatur bis zum Doktrinismus der linksgrünen Landes- und der Bundesregierungen unserer Tage – immer wieder hat sich die offizielle Kirche (keineswegs alle ihre Gläubigen) – mit der Macht verbrüdert.“ Die AfD stellt sich dagegen in die Tradition derer, die diesem „Pakt der evangelischen Kirche mit den Mächtigen und dem Zeitgeist“ widerstanden haben: der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit, kirchlichen Dissidenten wie dem durch Selbstverbrennung ums Leben gekommenen Pfarrer Oskar Brüsewitz in der DDR – und denen, die heute dem „rotgrünen Zeitgeist“ widerstehen.

 

Dass die AfD dabei gar nicht erst den Versuch macht, die qualitativen Unterschiede zwischen einem demokratischen Rechtsstaat, der DDR und dem NS-Regime zu würdigen, ist dabei ebenso infam, wie die Behauptung einer direkten Linie zwischen den „Deutschen Christen“ und der heutigen EKD. Als das Pamphlet Mitte Juni in Berlin vorgestellt wurde, rief Björn Höcke ausdrücklich zum „Widerstand“ der Christen gegen die Kirchenleitungen auf – etwa bei anstehenden Kirchenvorstands- und Presbyteriumswahlen.

 

Spätestens nach den Wahlerfolgen der AfD in ihren ostdeutschen Hochburgen sollte klar sein: Die Rechtsextremen meinen es ernst mit ihrem Versuch, die von Björn Höcke angedrohte „180-Gradwende in der Erinnerungspolitik“ zu vollziehen. In den zurückliegenden Wahlkämpfen zielte die völkisch-nationalistische Partei äußerst erfolgreich auf das Erbe der friedlichen Revolution von 1989. Im nächsten Schritt – und vor allem in Westdeutschland – wird sie auch das Erbe des Widerstands gegen Hitler noch aggressiver für sich beanspruchen und als Munition gegen die behauptete „Merkel-Diktatur“ ins Feld führen.

 

Wer dem entgegentreten will, sollte mit dem Eingeständnis beginnen, dass die viel beschworene Erinnerungskultur in der Evangelischen Kirche sehr viel brüchiger ist, als es in Sonntagsreden immer wieder behauptet wird. Die Geschichte der Bekennende Kirche wurde schon in den ersten Nachkriegsjahren verklärt, Widersprüche wurden geglättet. Das toxische Erbe des Deutschnationalen und Antidemokratischen in den frühen Jahren der Bundesrepublik wird bis heute weitgehend verdrängt. Unter den Bischöfen und Kirchenpräsidenten der ersten Nachkriegsjahrzehnte wird die AfD aus dem Vollen schöpfen können, wenn sie Kronzeugen für ihre völkische, nationalistische und autoritäre Ideologie sucht – zumal sie schon in ihrer Kampfschrift „Unheilige Allianz“ hemmungslos Zitate aus dem Zusammenhang reißt und sie gegen die die heutige Kirche in Stellung bringt.

 

Vor allem bei Dietrich Bonhoeffer ist der Missbrauch durch die extreme Rechte offensichtlich. Seinen Widerstandsbegriff von der Parteinahme für die Opfer systematischer staatlicher Gewalt zu entkoppeln, ist ebenso perfide wie das Ausblenden seiner ökumenischen Offenheit, die er immer auch als Antithese zu jeglichem völkischen und nationalistischen Denken verstanden hat. Wer es, wie US-Vizepräsident Pence, schafft, Bonhoeffer und „Make America Great Again“ in einem Tweet unterzubringen, pervertiert alles, wofür der Theologe gestritten hat. Wer sich, wie die „Religiöse Rechte“, wie eine Wand hinter einen Präsidenten stellt, der Familien von Migranten auseinander reißt und interniert, die Axt an die Gewaltenteilung der US-Verfassung legt, die gesellschaftliche Spaltung des Landes brachial voran treibt, muss Bonhoeffers Biografie und Denken schon brutal verbiegen, um sich auf ihn berufen zu können!

 

Diffuses Widerstandspathos

Leicht gemacht wird es diesen Kräften freilich durch die Trivialisierung Bon-hoeffers im protestantischen Mainstream, die diesen komplexen Pfarrer, Theologen und Widerstandskämpfer zum Steinbruch für fromme Sprüche und ein diffuses Widerstandspathos entwertet hat. Wer seinen Namen googelt, findet seitenlange Zitatsammlungen für alle denkbaren Lebenslagen – ohne Kontext und oft ohne Quellenangabe. Da darf es nicht wundern, wenn sich auch die „Religiöse Rechte“ aus dieser Wundertüte bedient und sich einen von jeglichen Inhalten und historischem Zusammenhang entkernten Widerstandsbegriff herausholt.

 

Zum 75. Jahrestag der Ermordung am 9. April kommenden Jahres ist zu befürchten, dass viele Verlage der kommerziellen Versuchung nicht widerstehen können, die Trivialisierung Bonhoeffers mit leicht verdaulichen Spruchsammlungen weiter zu befeuern. Pfarrerinnen und Pfarrer werden ihre Predigten mit Zitaten aus den Gefängnisbriefen veredeln und Festreden werden den „protes-tantischen Märtyrer“ heilig sprechen. Die Sorge, dass man mit all dem die bleibende Bedeutung dieses großen Protestanten nicht vergegenwärtigen, sondern ihn der allgemein verfügbaren Beliebigkeit noch weiter ausliefern wird, erscheint berechtigt.

 

Es wird auch nicht ausreichen, der Rechten den Anspruch auf das Erbe Bonhoeffers zu bestreiten, solange die Frage nicht beantwortet wird, worin seine bleibende Bedeutung für die heutige Situation und Zukunft besteht. Diese Frage gehört nicht nur in akademische Echokammern, sondern in die Breite der Gemeinden und darüber hinaus in die zivilgesellschaftliche Debatte. Und immer geht es dabei um die gesellschaftliche Verantwortung der Kirche in der realen Welt mit all ihren konkreten Herausforderungen. Denn wenn den großen Theologen eines auszeichnet, dann die Bereitschaft, immer wieder danach zu fragen, was Christsein in der konkreten Realität bedeutet und sich deshalb auf einen ständigen Lernprozess einzulassen. Wolfgang Huber hat das in seinem Buch "Auf dem Weg zur Freiheit" eindrucksvoll heraus gearbeitet.

 

Es geht deswegen darum, Dietrich Bonhoeffer vom kitschigen Zuckerguss zu befreien, ihn als Zumutung und nicht als Besitzstand oder gar als Waffe in den ethischen Auseinandersetzungen der Gegenwart zu entdecken. So – und nur so – wird man den plumpen Vereinnahmungsversuchen der „Religiösen Rechten“ widersprechen können!

 

Übrigens: Es gibt ernstzunehmende Gerüchte, US-Vizepräsident Mike Pence wolle im kommenden April persönlich nach Flossenbürg in der Oberpfalz kommen um Bonhoeffer zu ehren. Die USA werden dann im wohl schmutzigsten Wahlkampf ihrer Geschichte sein. Pences Auftritt wäre deshalb vor allem ein Signal an die evangelikalen Wähler in seiner Heimat. Wo wäre dann der Platz der EKD? Dem Kampf um das Erbe Dietrich Bonhoeffers wird die Evangelische Kirche nicht ausweichen können. Wir müssen die Herausforderung annehmen!

 

Arnd Henze

(mit freundlicher Genehmigung von Zeitzeichen)

 
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Zum Tod Gerhard Lindemanns

Mit Bestürzung und Trauer haben wir – zuerst hier aus dem Schreibgespräch – vom plötzlichen Tod von Professor Lindemann erfahren.

Eine wichtige Stimme im Gespräch wird uns fehlen – hier im Forum und in der sächsischen Landeskirche.

Er hat sich an jeder Stelle mit großer Energie und Gründlichkeit am Diskurs beteiligt und für Klarheit und für die Perspektive der Benachteiligten gekämpft. Wir sind traurig, dass seine Stimme für uns verstummt ist. Einen Nachruf der Fakultät für Professor Lindemann finden Sie hier

Professor Klinghardt teilt weiter mit:

„Am Mittwoch, 10. Juni 2020, wird um 12 Uhr in der Martin-Luther-Kirche Dresden-Neustadt eine Trauerfeier für Herrn Prof. Gerhard Lindemann stattfinden. Sie sind herzlich eingeladen, sich auf diese Weise von ihm zu verabschieden.

 

Die Lutherkirche bietet auch unter Corona-Bedingungen ausreichend Raum für alle, die kommen möchten. Bitte vergessen Sie nicht, Mund- und Nasenschutz mitzubringen.

 

Das Institut für Evangelische Theologie, an dem Herr Lindemann gearbeitet hat, hat ein „digitales Kondolenzbuch“ eingerichtet und lädt alle ein, hier mit einem Beitrag ihrer Trauer Ausdruck zu geben und Erinnerungen zu teilen.“

 

Im Vertrauen auf die Geistkraft, die lebendig macht, erwarten wir die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt – für Gerhard Lindemann und für uns.

 

Barbara Zeitler und Kathrin Mette

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Gedanken einer Physikerin (1) und einer Theologin (2) zur Coronakrise

(1)

Eigentlich ist es ein ganz normaler Vorgang der Evolution – hat vermutlich Milliarden Male schon so stattgefunden. Da wird eine Spezies von einem Virus getroffen, das sehr ansteckend ist und gegen das keinerlei Immunität besteht, und es stirbt ein Teil der Individuen an den Folgen der Infektion.

Forschende könnten in ein paar Hundert Jahren wahrscheinlich gar nicht feststellen, dass sich die Anzahl der Individuen in der Population überhaupt geändert hat. Und vermutlich hätten sie auch keine Ahnung davon, dass die Spezies darunter litt, dass plötzlich viele ältere und kranke Individuen starben.

Doch wir haben ein Bewusstsein. Solange wir uns erinnern können, hat uns die Frage nach Gott begleitet. Wir haben uns in Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gebildet und wollen unser Zusammenleben nicht dem Prinzip „Survival of the Fittest“ unterwerfen. Dass derzeit alle von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Länder versuchen, die Risikogruppen in der Bevölkerung zu schützen und die Funktionstüchtigkeit ihrer Gesundheitssysteme aufrechtzuerhalten, und wir alle dafür nun erhebliche Einschränkungen unserer persönlichen Freiheit und manche von uns sogar existenzbedrohende Arbeitsbeschränkungen hinnehmen, ist für mich ein klarer Ausdruck unserer Menschlichkeit und unserer Nächstenliebe. Und deshalb weckt die tiefgreifende Krisensituation, in der wir uns alle gegenwärtig befinden, bei mir neben all der Unsicherheit und Sorge auch Hoffnungen.

 

Hoffnung darauf, dass wir als Menschheit weiser und gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, dass sie einen Wendepunkt in unserem Zusammenleben markiert. Die Spezies Mensch hat bisher unseren Planeten Erde einfach so bevölkert. Wir haben Kontinente erobert, Kriege geführt, sind Allianzen eingegangen, haben Technologien entwickelt: Wir beeinflussen das Ökosystem Erde erheblich und vielfältig, ohne uns über das „wie“ große Gedanken zu machen – erst seit Kurzem ist diese Frage überhaupt in unser Blickfeld gerückt. Dass wir dennoch nur ein Teil dieses riesigen Ökosystems sind, und nicht etwa seine Beherrscher, lässt uns die Ausbreitung des Coronavirus unmittelbar erfahren.

 

Daneben gibt es noch andere Dinge, die wir derzeit unmittelbar erfahren können. Wir erfahren, dass uns Menschen am anderen Ende der Welt via Telefon oder Internet ganz nah sein können. Wir erfahren, dass uns ein Gottesdienst auch am Bildschirm berühren kann. Wir erfahren, dass es unsere Lebensqualität kaum einschränkt, wenn nicht alle Waren ununterbrochen im Überfluss verfügbar sind. Wir erfahren, dass wir nicht immer in die Ferne fliegen müssen, um etwas Neues und Spannendes zu entdecken. Wir stellen fest, dass es ein Glücksumstand war, nicht einer Studie der Bertelsmann-Stiftung (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/eine-bessere-versorgung-ist-nur-mit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich) gefolgt zu sein, die erst kürzlich die drastische Reduzierung der Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland empfahl. Wir erleben, dass ökonomische Prinzipien auf Dauer nicht der (einzige) Maßstab sein können, nach dem wir unser Zusammenleben ausrichten. Wir empfinden tiefe Dankbarkeit gegenüber Ärztinnen und Ärzten, den Angehörigen aller Pflegeberufe und allen anderen Menschen, die mit ihrer Arbeit unsere Grundversorgung sicherstellen. Wir erleben Wertschätzung, Solidarität und Mitgefühl neu, weil wir solches jetzt viel stärker mit anderen teilen oder uns solches wiederfährt. So könnten sich die Globalisierung der Wirtschaft und die Globalisierung des zwischenmenschlichen Lebens einander angleichen: weniger von Gewinnmaximierung getriebene Globalisierung in der Wirtschaft, dafür aber ein gewachsenes globales Verantwortungsgefühl und Verständnis bei jedem Einzelnen.

 

Vieles, was wir jetzt erfahren, steht im Widerspruch zu dem, was wir bisher für gut und richtig hielten. Vieles von dem, was uns bisher wichtig erschien, tritt in den Hintergrund. Unser Blick schärft sich neu, ohne dass wir über den Wolken schweben oder die Erde vom Weltraum aus betrachten müssen. Hier und jetzt können wir unser Leben neu erfahren und überdenken.

 

Dass nach der überstandenen Krise nichts so sein wird wie bisher, scheint jedem klar. Es stehen viele Wege offen. Welchen Weg wir einschlagen, können wir schon jetzt durch unser Denken und Handeln mitbestimmen. Wird es ein Weg der Nächstenliebe sein, auf dem wir tatsächlich anfangen, uns für das Wohlergehen aller Menschen, insbesondere auch der Geflüchteten und Armen dieser Welt, einzusetzen, anstatt wegzusehen? Wird es ein Weg sein, auf dem wir uns gezielt mit unserer Rolle im Ökosystem Erde auseinandersetzen, um so unseren Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung viel bewusster wahrzunehmen? Oder wird es ein Weg sein, der von Schuldzuweisungen, noch stärkerem Nationalismus und innerer Feindseligkeit geprägt ist? Bis vor einigen Wochen konnten wir nur abstrakt über Alternativen diskutieren. Häufig wurden sie verworfen mit dem Argument, dass ein alternativer Weg nur eine unrealisierbare Utopie sei. Das Coronavirus hat diese Behauptung widerlegt. Es geht vieles anders. Das erfahren wir jetzt.

 

Gott hat uns das Coronavirus nicht als Plage oder als Besserungsmaßnahme geschickt. Ich glaube nicht an einen strafenden Gott. Genauso wenig wird aber Gott das Virus einfach so auslöschen oder es anders für uns aus dem Weg räumen, um uns die Verantwortung für unseren Weg abzunehmen. Medikamente, Impfstoffe und Pandemiepläne müssen wir selbst finden, Kranke versorgen und heilen, Verstorbene betrauern. Auch die Bibel kann kein Heilmittel gegen das Virus sein. Doch was sie uns von Gott und Jesus erzählt, hilft uns Wege zu finden, wie wir mit dieser extremen Situation umgehen können. Im Gebet und im Vertrauen auf ihn können wir in unserer Unsicherheit Stärkung erfahren. So kann uns Gott in den notwendigen Entscheidungen beistehen und unsere Hoffnung auf ihn kann uns über die besonders schweren Stunden sogar hinwegtragen. Gott lässt uns nicht allein, wenn wir wach bleiben, seine Spuren in unserem Leben auch in der Krise zu entdecken.

 

Micaela Krieger-Hauwede

 

(2)

Wir sind gerade dazwischen: zwischen „normal vor Corona“ und „normal nach Corona“, also wieder in ruhigen, normalen Bahnen lebend. Dieses „Dazwischen“ ist verunsichernd, weckt Angst und belebt Hoffnung, beschäftigt uns alle als eine kollektive Erfahrung, weltweit – wenn auch sehr unterschiedlich.

 

Ich bringe zwei Erfahrungen aus diesem „Dazwischen-Sein“ mit Gott in Verbindung und frage, was das für uns als Kirche in Sachsen bedeuten kann.

 

1. Eine Erfahrung, die wir gerade machen: „Weniger“ ist schmerzhaft, aber möglich. An manchen Stellen ist es sogar wohltuend und macht bewusst, wie wichtig manches scheinbar Selbstverständliche ist. Es verändert das eigene Leben, macht wacher, bewusster, vielleicht dankbarer. Und es verändert die Erde, z. B. den Smog, den CO2-Ausstoß, den Himmel.

 

„Weniger“ bedeutet für viele aber auch Angst um die Existenz: Wie lange wird das Einkommen gekürzt oder wegfallen? Woher kommt Hilfe? Genug? Wie geht es weiter?

 

Wenn ich diese Erfahrung mit Gott in Verbindung bringe, dann denke ich an Jesus, der bei der Einsetzung des Abendmahls am Gründonnerstag zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sagte: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“ (Mt 26, 29). Jesus verzichtet auf den geteilten Kelch. Er ist anders gegenwärtig in Brot und Wein – aber nicht sichtbar. Wie anders ist es, jemanden leibhaftig zu erleben als in einer geistlichen Gemeinschaft, auf Abstand und Entfernung. Wir anders und wie notwendig ist es, wirklich zu essen und zu trinken und zu teilen – und nicht nur im Geist oder virtuell. Und trotzdem: Wie wirksam, wie stark, wie gut ist auch diese Erfahrung! Wie gut und wichtig ist es, eine Aussicht, eine Hoffnung, ein Vertrauen zu haben, dass das – in einer anderen Wirklichkeit – wieder anders wird.

 

Für uns als Kirche in Sachsen bin ich froh über die ruhige Klarheit, mit der wir auch in dieser Zeit auf Gott hören und mit ihm und miteinander im Gespräch sind – auch wenn persönliche Begegnungen drastisch reduziert und öffentliche Gottesdienste verboten sind. Alltagsfrömmigkeit bleibt und wächst sogar, und neue Ideen entstehen. Der Gottesdienst mit Landesbischof Bilz am 15.3. war ein schönes Beispiel dafür. Mittags um 12 Uhr den Psalm 121 beten, wie eine Freundin es mir von einem Hauskreis erzählt hat – tut gut. Inzwischen entwickeln viele Gemeinden Ideen und Möglichkeiten.

 

Das „Weniger“ im materiellen Sinn, die Sorge und die Ungerechtigkeit, die dadurch entstehen, lässt mich fragen: Wie wäre es, wenn wir in Deutschland das „bedingungslose Grundeinkommen“ hätten? Sind wir als Kirche „dran“, im Sinne der Gerechtigkeit als Gemeinschaftstreue dafür einzutreten, dass wir so teilen, dass genug für alle da ist?

 

Können wir noch viel deutlicher dafür eintreten, dass sich etwas wandelt in der Einschätzung und Bezahlung „lebensnotwendiger“ Dienste?

 

2. Angst, Trauer, Wut – das sind die Gefühle, die in der aktuellen Veränderung immer wieder auftauchen. Micaelas erster Absatz hat mich beschäftigt: „Es stirbt ein Teil der Individuen.“ Ja, so ist es schon und so wird es in den nächsten Wochen und Monaten vermehrt sein. Dabei werden auch Menschen sein, die ich kenne und liebe. Sie werden fehlen. Und auch ich selbst bin sterblich – das wird mir in so einer Zeit bewusst. Der Gedanke tut weh und macht Angst. Die Ohnmacht gegenüber einer unkontrollierbaren Situation macht wütend.

 

Wenn ich das mit Gott in Verbindung bringe, denke ich an die Feiertage, die wir vor uns haben: Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. Dann Ostern.

 

Erinnern an das Leiden und Sterben von Jesus: Die Angst vor dem, was kommt, im Garten Gethsemane (Mt 26, 36ff), das inständige Gebet von Jesus, dass das vorüber gehen möge, ihm nicht geschehen möge, und die Zuwendung zu Gott hin im Vertrauen; Schmerz, Leid, Ungerechtigkeit und der Ruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27, 46). Tiefste Anklage an Gott, auch Wut? und tiefer Schmerz mit den Worten des 22. Psalms.

 

Karsamstag: Stille und Gottferne. Zeit für Trauer. Aushalten. Zweifeln. Verzweifeln.

 

Wir sind oft so schnell bei Ostern, bei der Auferstehung – auch jetzt sehen wir ganz rasch das Gute darin und das Gute danach… Dürfen auch der Schmerz, die Angst, die Ohnmacht, die Trauer da sein und ihre Zeiten haben?

 

Auch „Ostern“ ist ja kein „Auf-einmal-ist-alles-gut“-Moment. Es ist die Begegnung mit dem, was vorher nicht zu denken oder zu glauben war: Mit Christus, dem Auferstandenen. Vorher waren die Jüngerinnen und Jünger zeitweise begeistert, in Sorge, in Angst, voller Fragen, manche auch selbstsicher und überheblich, wie Petrus. Hinterher waren sie erschrocken, bewegt, voll Hoffnung, noch unsicher, was das jetzt bedeutet, wie es weitergeht. Von Jesus, dem Auferstandenen, hören sie: „Verkündigt meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen.“ (Mt 28, 10). Galiläa, das ist die Landschaft westlich des Sees Genezareth. Dort war für die Jüngerinnen und Jünger der Alltag, das normale Leben. Aber etwas wird nach Ostern anders: „Dort werden sie mich sehen.“ sagt Jesus, der Lebendige. Es gibt im „Nachher“ wieder ein „normales“ Leben, aber mit einem veränderten Weltbild, mit einer neuen Erfahrung. Die Ostererfahrung öffnet Menschen die Augen für die Gegenwart des Auferstandenen, des lebendigen Gottes. Mit dieser Erfahrung wird – Schritt für Schritt – etwas Neues möglich und das sollen wir weitersagen.

 

Ich möchte nicht nur zuversichtlich von Ostern reden, ich will auch wahrnehmen, was Menschen gerade (23. März 2020) erleben und fühlen: Hier bei uns, allein zuhause; mit Besuchsverbot in Heimen; in Sorge im Gesundheitswesen; in Unsicherheit und Angst um das eigene Auskommen. Auch in Italien. Auch in Ländern mit einer viel schlechteren Gesundheitsversorgung, wie z. B. Albanien. Auch in den Flüchtlingslagern in Griechenland, in der Türkei, in Syrien… Überall kann ich gar nicht hinschauen. Ich glaube, dass Gott in Christus überall dort mitleidet, mit bangt, mit schreit – und Hilfe braucht, auch meine: In der Fürbitte, in einem Anruf oder einem Brief, mit einer Spende, einer Blutspende, mit politischem und kirchlichem Engagement…

 

Ich möchte meiner eigenen Angst, meiner Trauer, meinen Fragen Raum geben und sie nicht wegdrücken. Sie brauchen Zeit und meine Kraft und Liebe. Sie gehören zu mir – und das dürfen sie auch. Ich bin ein Mensch – und Menschen fühlen. Trauer, Angst, Wut werden mich nicht festhalten und verhärten. Sie sind Teil meines Lebens und dürfen es sein, weil ich sie nicht allein aushalten muss. Gottes Geistkraft, der „Tröster“ (Joh 14, 15ff), ist da und trägt im Glauben und im Fragen.

 

Für uns als Kirche in Sachsen wünsche ich mir,

  • … dass wir in der Gesellschaft dafür eintreten, dass Sterben und Tod vorkommen dürfen, begleitet und betrauert werden.
  • … dass wir unsere Feste und den Wechsel von Woche und Alltag, von Beten und Arbeiten offen leben und teilen. Darin lässt sich das „vorher – dazwischen – danach“ erleben und tröstlich einüben.

 Teilen Sie mit uns Erfahrungen aus dem „dazwischen“ und beschreiben Sie Ihre Hoffnungen, Ihre Visionen für das „danach“.

 

1. Zur Erfahrung:

a. Wie geht es Ihnen mit dem „Weniger“ im „Dazwischen“?

 

b. Wie erleben und bewältigen Sie Angst, Trauer, Wut?

 

c. Was bedeutet Ihr Glauben oder Nicht-Glauben in dieser Zeit? Als Christin? Als Gemeinde und Landeskirche?

 

2. Was ist Ihre Vision für das „Danach“? Wohin könnte, wohin sollte es für Sie persönlich, für uns miteinander gehen?

a. Bedingungsloses Grundeinkommen?

 

b. Glauben teilen?

 

c. …

 

Barbara Zeitler

 

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Wertkonservatives Christentum

Der sächsischen Landeskirche steht nach Aussage des Präsidenten der Landessynode eine Klärung bevor - nämlich zu bestimmen, wo die Grenze zwischen rechtsradikal und wertkonservativem Christentum liegt.

 

Der Begriff “rechtsradikal“ macht mir dabei keine Schwierigkeiten.

Es wird ja täglich auf den Straßen Sachsens und Deutschlands und in den Parlamenten durch die AfD demonstriert, was darunter zu verstehen ist. “Wertkonservatives Christentum“ - da ist die Bestimmung ungleich schwieriger. Wenn es ein wertkonservatives Christentum sein solle, so müsste es sich - so scheint es - nicht an den Traditionen der Kirche orientieren, sondern vielmehr an Jesus Christus selbst und seinem Evangelium.

So hat - bei allem, was noch zu ihm zu sagen ist - Martin Luther ein  wertkonservatives Christentum verstanden. Und das ganz im Sinne eines  päpstlichen Wortes: “Christus spricht: Ich bin die Wahrheit. - nicht: Ich bin die Gewohnheit!“ Wertkonservativ im Sinne Jesu  Christi & seines Evangeliums - was heißt das etwa im Blick auf  Migrationspolitik?

 

Es ist die Überzeugung der Kirche gewesen, dass in allen Fremdlingen Jesus Christus selbst zu uns kommt. “Ich bin ein Fremdling gewesen &  ihr habt mich aufgenommen.“ Und wenn es auch erbärmlich und jämmerlich wäre, Menschen nur aufzunehmen, weil wir glauben, dass Jesus in ihnen zu uns kommt (In der Erzählung Jesu wissen es die Gerechten nicht, dass es Christus selbst ist.), wäre es doch christlich wertkonservativ, der CDU in Sachsen ihre unbarmherzige und unchristliche Flüchtlingspolitik permanent vorzuhalten.

 

Wertkonservativ im Sinne Jesu Christi und seines Evangeliums - was heisst das etwa im Blick auf Heimat, Patriotismus und Nationalismus?  Ein einfacher Blick in die Bibel zeigt, dass die Entwurzelung und Heimatlosigkeit des wandernden Gottesvolkes der Normalzustand ist. Jesus Christus selbst ist ein Fremder geworden. Und “wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Unsere Heimat ist im Himmel - dies ist die christlich wertkonservative Haltung. Und die steht gegen jeden Patriotismus und gegen jede Vaterlandsliebe. “Wer Vater und Mutter nicht verlässt um meinetwillen ist mein nicht wert“ - wieviel mehr gilt dies für ein Vaterland. Christlich  wertkonservativ hieße dann aber: No border, no nation. Und es gäbe dann überhaupt keine Fremden mehr, sondern nur noch Schwestern* und Brüder*, mit denen wir eins in Christus sind oder Menschen, an die wir gewiesen sind, um mit ihnen eins zu werden in Christus.

Denn unser Bürgerrecht und unsere Heimat - so die christlich wertkonservative Haltung - ist nicht auf der Erde, sondern im Himmel. Und dieses Bürger- und Heimatrecht verleihen nicht wir - und nicht wir wissen, wer es verliehen bekommen hat oder wird. Das weiß allein Gott - und deshalb sind wir an alle Menschen gewiesen.

 

Wertkonservativ im Sinne Jesu Christi und seines Evangeliums - was heißt das etwa im Blick auf Macht und Besitz? Wenn wir das Evangelium ernst nehmen und also christlich wertkonservativ argumentieren, werden wir Besitz nicht über Menschlichkeit stellen.  “Wer 2 Mäntel hat, gebe dem, der keinen hat und wer Essen zu viel hat, teile!“ - so der Täufer. Was bedeuten diese Worte für christlich wertkonservative Christen_innen - in einer Gesellschaft, in der Menschen bestraft werden, die Lebensmittel aus dem Müll “retten“ oder in der Menschen umziehen müssen, weil willkürlich Mieten erhöht werden?
Was bedeuten für christlich wertkonservative Christen_innen die Worte der Jungfrau Maria: “Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Armen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“?

Wertkonservativ im Sinne Jesu Christi und seines Evangeliums - was heißt das etwa im Blick auf das Verhältnis von Gesetz und Ordnung und Menschen? Konservativ scheint "Law and Order" - aber ist das auch  christlich wertkonservativ?

Hat nicht Jesus selbst immer wieder das Gesetz infrage gestellt, wenn es um Menschen & um ihr Leben ging? Und während seine Gegner - die nur konservativ waren - sagten: “Wir haben ein Gesetz, und nach dem muss er sterben!“ - sagt Jesus: “Das Gesetz ist um des Menschen willen da.“

Was bedeutet das für ein christlich wertkonservatives Christentum etwa im Blick auf die ungerechten Asylgesetze als nur ein Beispiel von vielen?

Wertkonservativ im Sinne Jesu Christi und seines Evangeliums - was heißt das etwa im Blick auf … - diese Reihe ließe sich fortsetzen. Aber es soll ja ein gemeinsamer Klärungsprozess sein.

 

Als Zwischenfazit für mich jedoch: Ich verstehe nach dieser Betrachtung die Gegenüberstellung rechtsradikal und wertkonservativ in einem christlichen Sinne immer weniger.

Aber das merke ich jetzt - ich wäre es gern - christlich wertkonservativ im Sinne Jesu und des Evangeliums.

 

Frank Martin

 

 

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Zwischenzeit

Gerade fühle ich mich in einer doppelten Zwischenzeit:

  1.  Zeit nach einem Bischofsrücktritt, vor einer Bischofswahl
  2. Zeit nach dem Ende des Kirchenjahres, vor Weihnachten.

Das zweite ist einfach und tröstlich. Das kommt „alle Jahre wieder“ – Gott sei Dank – unabhängig von den Details kirchlichen und persönlichen Lebens. Dafür bin ich dankbar. Das trägt und stärkt mich – und wahrscheinlich viele, auch wenn wir auf Punkt „1.“ unterschiedlich schauen. Wir warten auf Christus, der kommt – ein Gerechter und ein Helfer. Das verbindet uns.

 

Das erste ist… wichtig und für mich nicht mit zwei Worten zu fassen. Der Rücktritt von Dr. Carsten Rentzing als Landesbischof liegt hinter uns. Auf diesen Rücktritt gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen. Es ist wie nach einem Schock-Ereignis: Es scheint, jede und jeder hat etwas anderes erlebt und gesehen – obwohl eigentlich alle das Gleiche erlebt haben. So werden wir uns noch viel erzählen und zuhören müssen, um das, was passiert ist, zu verstehen und damit zu leben.

Ich bin froh und Dr. Rentzing dankbar, dass er zurück getreten ist, weil ich denke, dass er mit dem Bischofsamt in der aktuellen Situation überfordert war. Als im September Zeitungen bei ihm nachfragten, hatte er Zeit, sich im Kollegium oder bei den Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit Rat zu holen und mit ihnen über seine Studienzeit, die damaligen Veröffentlichungen und seine Sicht auf die Dinge jetzt, zu sprechen. Das hat er nicht getan. Er wollte oder konnte nicht über seine Vergangenheit reden, sich dazu erklären oder öffentlich um eine Zeit zum Nachdenken bitten. Es wäre ein schwerer Weg gewesen, aber ein möglicher. Eine fruchtbringende Auseinandersetzung ist er damit uns als Kirche und der Öffentlichkeit, in der er als Bischof auch stand, schuldig geblieben. Damit hat er dem Amt und der Kirche geschadet. Er selbst sieht das anders, wenn ich ihn recht verstehe. Die Einsicht in diesen eigenen Fehler vermisse ich schmerzlich in seiner Rede. Was er erlebt hat, hat ihn sehr verletzt – das ist in seinen Worten im zweiten Teil deutIich zu spüren. So erkläre ich mir die Anschuldigung, dass Menschen in der Kirche illoyal mit ihm umgegangen sind und sich damit exkommuniziert hätten. Beides trifft aus meiner Sicht nicht zu.

Ich bin froh, dass Frank Martin hier auf der Seite nochmal aufzeigt, wie die Petition zu Stande kam. Es gehört zum kirchlichen Miteinander, einander auch kritisch zu begleiten. Der Ton der Petition „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ ist scharf. Ich habe sie deshalb nicht unterzeichnet. Es war aber aus meiner Sicht richtig und notwendig, dass kirchliche Kritik auch öffentlich hörbar wurde: Wir stehen nicht kritiklos als Kirche hinter der Selbstverständlichkeit, mit der der damalige Bischof die bleibende Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung und dem zugehörigen Männerbund rechtfertigte. Dass im Anschluss daran der damalige Autor und Redakteur Carsten Rentzing öffentlich wurde, war eine schockierende Überraschung für die Landeskirche, die Kirchenleitung, die Öffentlichkeit. Mit der Einordnung der Verantwortung für die Fragmente-Texte beschäftigt sichausführlich Andreas Mertin.

 

Ich bin der Kirchenleitung dankbar, die den Rücktritt an- und ernstgenommen hat und für diese Entscheidung vielen Anfeindungen und Beschimpfungen ausgesetzt war. Sie hat sich dem gestellt und den Weg für die Bischofswahl geklärt und frei gemacht. Ich habe Vertrauen, dass die Synode mit Gottes Geistkraft eine Bischöfin, einen Bischof suchen und finden wird.

 

Gemeinsam sind wir als Kirche weiter unterwegs. Wir sind noch lange nicht fertig mit den Ereignissen der letzten Wochen. Ob es uns gelingt, miteinander zu reden?

 

Die Synode hat angeregt, zwischen wertkonservativem Christsein und Rechtsextremismus zu unterscheiden und das Gespräch dazu in den Gemeinden zu führen. Wo passiert das? Was sind die Erfahrungen? Wo beziehen wir als Einzelne, als Kirche, als Gemeinden Position? Was feiern wir gemeinsam?

 

Ich habe mich im Januar mit meinem Gemeindepfarrer verabredet. Wir sind theologisch nicht einer Meinung und vermutlich auch nicht über den Rücktritt und seine Geschichte. Ich will mit ihm reden und mehr von ihm wissen.

 

Gesegneten Advent

Barbara Zeitler.

 

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Carsten Rentzing stellt das Bischofsamt zur Verfügung

Der angekündigte Rücktritt des Bischofs beschäftigt mich – mehr als ich selbst erwartet habe. Warum ist das so? Es sind die Hintergründe, dieses Rücktritts, die mich nicht zur Ruhe kommen lassen:

 

Der Bischof tritt nicht zurück, weil er konservativ ist oder weil er wegen seiner Haltung zur Homosexualität kritisiert wurde. Damit hatten wir – auch als anders positionierte Christinnen und Christen in dieser Landeskirche – zu leben. Das ist Demokratie und Meinungsvielfalt, auch in der Kirche.

 

Der Bischof tritt zurück, weil er Schaden von der Kirche abwenden will. So sagt er es und tatsächlich tut er das mit seinem Rücktritt.

 

Warum hat er seine früheren Positionen nicht nach dem Öffentlich-Werden seiner Verbindungszugehörigkeit und dem Kontakt zur Bibliothek des Konservativismus eingestanden und widerrufen?

 

Dass er entweder nicht die Kraft, den Mut oder aber weiter die alte Überzeugung hatte, macht den Rücktritt jetzt notwendig.

 

Wenn er nicht die Kraft und den Mut hatte, seine früheren Positionen einzugestehen, dann kann ich das verstehen: Frühere Fehler zu einem – sehr späten Zeitpunkt – öffentlich zu machen, ist schmerzhaft und er hätte hier scharfen Gegenwind bekommen. Vielleiht wäre aber auch die Erfahrung möglich gewesen, dass Veränderung und Vergebung und ein gemeinsames Weitergehen möglich ist. Ich hätte mich – trotz deutlichem inhaltlichen Abstand – für einen Bischof eingesetzt, der seinen alten Weg verlassen hat und alte Fehler benennt – um Schaden von seiner Kirche abzuwenden.

 

Wenn der Bischof seine Überzeugungen nicht wesentlich geändert hat – und das legt sich leider für mich nahe, weil er sich in den letzten Wochen einfach nicht erklärt und distanziert hat – dann war er eine Art U-Boot. Er hat so getan, als wäre er Repräsentant einer Kirche, deren Synode und Kirchenleitung sich von rechtsnationalen Positionen deutlich distanzieren und in der viele Menschen arbeiten und leben, die sich für Menschenrechte, für Demokratie und für eine von Liebe geprägte Haltung gegenüber allen Menschen einsetzen. Das trifft und verunsichert mich sehr. Und dass es möglich ist, dass jemand mit dieser Haltung Bischof wird, ist ein Schaden für unsere Kirche.

 

Ich bin denen dankbar, die dieses Versteckspiel aufgedeckt haben und ich bin traurig, dass es nicht der Bischof war, der für Klarheit und Wahrheit gesorgt hat.

 

Ich bin froh, dass die Kirchenleitung und das Kollegium reagieren und dass die jetzige Synode noch einen neuen Bischof oder eine neue Bischöfin wählen wird.

 

Es ist ein schweres Amt, das Bischof Rentzing hinterlässt, weil er es durch sein Verschweigen beschädigt hat.

 

Unsere Kirche wird ihren Weg weiter finden. Wir können als Christinnen und Christen die Wahrheit sagen und nicht verleugnen: Ja, wir brauchen einen Neuanfang. Gott helfe uns dazu.

 

Leipzig, 13.10.2019

 

Dr. Barbara Zeitler.

 

 

 

https://www.tagesschau.de/investigativ/bischof-rentzing-101.html

 

https://www.evlks.de/aktuelles/alle-nachrichten/nachricht/news/detail/News/erklaerung-der-landeskirche/

 

https://eulemagazin.de/das-missverstaendnis/

 

Bitte begleitet alle Debatten, die nun geführt werden müssen, mit Eurem Gebet.

Betet für uns und unsere Arbeit.

Betet für die Menschen, die zu unserer Kirche gehören, aber nun voller Befremden und Misstrauen sind. Betet für die Kirche die wir als „unsere“ bezeichnen, für unser Land - und auch für den Menschen Carsten Rentzing und seine Familie.

 
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Neue Wege gehn

Jesus hat den Seinen einen klaren Auftrag hinterlassen. Einen zeitlosen. Denn der Auftrag, der seinen Jüngern damals galt, gilt den Christen und Christinnen noch heute. „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe“. Manche verstehen diese Äußerung als Ankündigung des Weltendes und die Phantasie malt sich aus, wie die Welt am schauerlichsten untergehen könnte. Doch das ist nicht der Sinn der Worte Jesu. „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe“ – das bedeutet nicht weniger, als in Jesu Fußstapfen zu treten.

Es Jesus nachzutun. Denn die Ansage des nahen Himmelreiches war zugleich Jesu erste Predigt (vgl. Mt 4,17). Sie war verbunden mit der Aufforderung zur Buße, zur Umkehr, d.h. mit einer Aufforderung dazu, andere Wege zu gehen. Gerade nicht dem bisherigen Weg zu folgen, weil es schon immer so war. Sondern im Angesicht des nahen Himmelreiches umzudenken, umzukehren zu Gott, der den Menschen in Jesus Christus nahe gekommen ist.

Jesus forderte die Menschen dazu auf, neue Wege zu gehen: Wege der Liebe, sogar der Liebe zu Feinden, Wege des Friedens und der Barmherzigkeit, Wege der Gerechtigkeit. Diese neuen Wege eröffnen sich, weil mit Jesus der Himmel auf die Erde gekommen ist, das Himmelreich nahe ist. In unzähligen Gleichnissen hat Jesus vom Himmelreich erzählt, wie klein und unscheinbar es zu wachsen beginnt. Wie ein Senfkorn, aus dem ein großer Baum wird. Wie kostbar und wertvoll es ist. Wie eine Perle, für die ein Kaufmann seinen ganzen Besitz aufgibt. Ja, das Himmelreich ist kostbar und beginnt im Kleinen. Unscheinbar und unspektakulär. Dort wo Menschen barmherzig miteinander umgehen, sich um Gerechtigkeit und Frieden bemühen. Aus Liebe zu Gott und aus Liebe zum Nächsten. Sogar aus Liebe zum Feind. Weil nur auf diesem Weg Hass überwunden wird. Weil nur auf diesem Weg die Erde himmlisch wird. Es ist ein neuer Weg. Ungewohnt. Doch Jesus hat diesen Weg gezeigt. Er ist diesen Weg gegangen. Und er rief die Seinen dazu auf, es ihm nachzutun. Den Weg des Himmelreichs zu gehen und andere zu ermutigen, diesen Weg ebenfalls zu wählen: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.“

Als Christinnen und Christen sollen wir Menschen auf das Himmelreich aufmerksam machen, so wie Jesus: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“ setzte Jesus seine Beauftragung fort. Welche Krankheiten können wir heilen, welche Toten lebendig machen, welchen Aussatz reinigen, welche Dämonen austreiben? Die Umgangssprache und ihre Bilder haben sich gewandelt, doch der Inhalt bleibt: Heilt die Brüche, die Menschen krank machen. Die Brüche zwischen Menschen, die Brüche in den verschiedensten Biographien. Tragt zur Versöhnung bei, zur Versöhnung von Menschen untereinander und zur Versöhnung mit sich selbst. Kümmert euch um die, denen es nicht gut geht. Gebt niemanden auf. Führt Menschen zu neuem Leben. Weist niemanden von euch, wie fremd er euch auch scheint. Lasst euch nichts vormachen und lauft den Verleumdern nicht nach. Treibt das Böse von euch, aus euren Gedanken, aus eurem Wortschatz („Das wird man doch noch sagen dürfen…“), aus euren Taten.

Jesus ermutigt dazu, neue Wege der Liebe zu suchen und zu gehen, denn auf solchen Wegen bezeugen wir das Himmelreich.

 

Mandy Rabe

 

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Gottes Spielgefährtin

Wer der Kirche begegnet, trifft oft zuerst auf die Institution.

Der Kirchgeldbescheid ist schneller zugestellt als ein Willkommensgruß der Gemeinde vor Ort.

Beim Taufgespräch muss ein Formular ausgefüllt werden, damit alles seine Ordnung hat. Wer Patin werden möchte, braucht eine entsprechende Bescheinigung. Wer sich außerhalb der zuständigen Ortsgemeinde trauen lassen möchte, braucht ein Dimissoriale und das Wort „Dimissoriale“ eine ausführliche Erklärung. Damit alles seine Ordnung hat.

Kirche als Institution erscheint wie ein mächtiger Tanker, träge beim Navigieren und schwer zu steuern. Das spüren im Moment alle, die sich mit der Strukturreform und allen damit zusammenhängenden rechtlichen und institutionellen Fragen beschäftigen (müssen). Die institutionelle Seite überwuchert alles andere. Das macht die Mitarbeitenden müde und die Außenwirkung katastrophal.

Aber: Kirche ist mehr als eine Institution. Sie ist Gottes Spielgefährtin.

Einer die Fantasie beflügelnden und zugleich rätselhaften Texte hatte am Sonntag Jubilate seinen ersten Auftritt als Predigttext in der neuen Predigtreihe I. „Die Weisheit spricht: Der Herr hat ich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. … ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.“ (Sprüche 8, 22.30b.31)

Wer oder was die Weisheit ist, die diese Worte spricht, ist ein Rätsel. Ist es „Frau Weisheit“ als die weibliche Seite Gottes? Ist es eine Art weibliche Schöpfungsmittlerin und / oder Gottes erstes Geschöpf? Oder ist die Weisheit mit dem logos aus dem Johannesprolog (Joh 1, 1ff) zusammenzudenken und weist bereits auf Christus?

Wer oder was sie auch ist: Die Weisheit steht in enger Beziehung zu Gott. Sie ist sein Gegenüber, vielleicht sogar seine (Spiel-)Gefährtin, und zugleich diffus, von Gott durchdrungen und ihn durchdringend, geboren und doch schon immer da.

Auch wenn der folgende Gedanke exegetisch dünnes Eis bedeutet, aber:

Kann Kirche nicht auch verstanden werden als eine Spielart dieser Weisheit? In enger Beziehung zu Gott, sein Gegenüber und zugleich von Gott durchdrungen, geworden und doch schon immer da.

Wie wohltuend könnte eine Kirche sein, die „Gottes Lust“ ist? Eine Kirche, die vor Gott spielt – für und mit Gottes Menschenkindern! (Das Spielen eine ernste Sache ist, dürfte hinlänglich bekannt sein.)

Wieviel Freiraum und Leichtigkeit könnte eine Kirche ausstrahlen, die sich als Gottes Spielgefährtin versteht, die fröhlich ihrem Gott und seinen Menschenkindern dient!

Wie hilfreich könnte einen Kirche sein, die Menschenkindern bei ihrem „Spiel des Lebens“ beisteht; die ihre Türen aufmacht für die, die andernorts rausgekegelt werden?

 

Wie könnte ein „Spiel ohne Verlierer“ aussehen, das in so einer Kirche gespielt wird?

 

Welche Spiele fallen Ihnen ein?

 

Kirche als Institution ist für viele ein Segen. Sie bietet weitgehend verlässliche Anstellungsverhältnisse und sichere Gehälter. Sie trägt für viel Gut und Güter Verantwortung und hat diese zu verwalten. Sie ist ein weltlich Ding und braucht weltliche Ordnungs- bzw. Organisationsmechanismen. Aber mit jeder Veröffentlichung über neue Zahlen zur Kirchenmitgliedschaft scheint das Verfallsdatum der Institution näher zu rücken.

 

Kirche als Spielgefährtin Gottes, als eine Spielart der Weisheit Gottes trägt in sich den Atem der Ewigkeit.

 

Pfarrerin Christiane Dohrn, Leipzig   

 

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Hoffnung am Horizont, Alder!

„Wir nennen unsere Partei HAHA – Hoffnung am Horizont, Alder!“ Drei Schülerinnen grinsen mich an. Sie haben eine eigene Partei mit Namen, Slogan und Plakat für die Europawahl erfunden, das war ein Auftrag im Morgenkreis. Sie wissen nicht, wie sehr sie mich innerlich treffen mit ihrer Partei HAHA – heute, am Montagmorgen nach dieser Wahl. Über die Angst habe ich nachgedacht, die so viele Menschen den nationalistischen Parteien in die Arme treibt. Über die Angst vor dem immer rauher werdenden Wind, vor dem sozialen Abstieg, der unsicheren Rente, den Flüchtlingsbooten, dem Meeresspiegel. Die Angst hinten runter zu fallen in all den globalen Krisen, Erschütterungen, Verwicklungen. Über das ängstliche Lavieren der Politik habe ich nachgedacht, zwischen all den Ungleichheiten und Unwuchten kapitalistischer Märkte, zwischen unvorstellbarem Reichtum und schreiender Armut. Über Angst habe ich nachgedacht. „Hoffnung“ war heute früh nicht in meinem Wortschatz. Die Schülerinnen verlesen unbeirrt ihre Slogans, es geht um Umwelt- und Klimaschutz, um's Weltretten, wenn nicht jetzt, wann dann, gegen Plastik und: Wir wollen Meer!

Der ungebrochene Optimismus, den meine Schüler/innen produzieren, bei allem vorher schon zur Sprache gekommenen Entsetzen über das Wahlergebnis, rührt etwas in mir an. Hoffnung am Horizont, Alder! HAHA! Ich muss tatsächlich lachen. Und ich denke daran, wie mir neulich jemand die Geschichte von der Sturmstillung Jesu in eigenen Worten wiedergegeben hat:

Jesus träumt süß hinten im Boot auf einem Kissen – bestimmt so'n großes, rotes, superweiches Samtdings. Aber die Besatzung vorn im Boot is voll in Panik, überall is schon Wasser im Boot, es is Sturm und Gewitter und das Boot schwankt und kippt und die sind echt total in Todesangst. Die schippen hektisch das Wasser raus und laufen hin und her und versuchen zu steuern und nix wirkt. Wird nur alles immer schlimmer. Und Jesus pennt und schnarcht gemütlich auf seinem Samtkissen. Als sie dann endlich mal dran denken, dass sie ja Gott an Bord haben und dass der ja mal helfen könnte, da räkelt der sich erst genüsslich und stellt sich dann aufrecht hin und stellt dann einfach den Sturm ab, sagt: Schweig! Schluss jetzt, Sturm! Das war's! Dann dreht er sich um zu seinen Leuten und grinst sie an: Alder, habt ihr immer noch nicht Glauben gelernt? Ihr wisst schon, dass ihr das auch selbst könntet, he?

 

Hoffnung am Horizont, Alder. Ich denke, der Unterschied zwischen Jesus und den ängstlichen Jüngern (so wie der zwischen meinen Schülerinnen und mir) ist, dass die mit dem Glauben und die mit der Hoffnung die Probleme bei der Wurzel packen und keine Scheu haben, sich den echten Ursachen zuzuwenden. Jesus gebietet dem Sturm. Er schaufelt nicht Wasser, er kurbelt nicht am Steuer, er beruhigt auch nicht die Leute. Er macht nicht die Schotten dicht gegen das Elend der Welt, er zieht keine Mauern hoch gegen Flüchtlingsströme, er verschreibt keine Tabletten gegen Depressionen. Er steht auf und nimmt es mit den Ursachen auf: mit den großen Mächten der Welt. Er gebietet dem Sturm.

 

Und ich? Immer noch nicht Glauben gelernt? Nehme ich es mit den großen Mächten auf? Es scheint unmöglich, das zu tun. Unmöglich, den Klimawandel noch aufzuhalten, CO2-Ausstoß auf Null reduzieren bis 2050. Unmöglich den globalen Kapitalismus noch einzudämmen. Unmöglich gegen die Macht der Autolobby anzukommen, unmöglich das Handeln der Banken zu bestrafen. Unmöglich, die Kriege auf der Welt einzudämmen. Unmöglich, die Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen. Unmöglich, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das sind alles viel zu große Mächte. Denke ich. Und fürchte ich. Und so sitze ich mit Angst in diesem Boot. Die Welt schlingert. Das Wasser steigt. Und ich - schaufle hektisch Wasser aus dem Boot und schreie nach Gott.

 

Wenn Gott aufsteht, werden wir sehen, dass er den Wind bedroht und dem Meer Einhalt gebietet. Wir werden sehen, dass er, der Mensch ist wie wir, es aufnehmen kann mit den großen Mächten.

 

Wenn er aufsteht, der Mensch ist wie wir, wird sich zeigen, dass möglich ist, was wir für unmöglich gehalten haben, gegen die großen Mächte: Schweig!

 

Wenn er aufsteht und wir aufstehen, wird es möglich. Gegen die wirklichen Ursachen, gegen die großen Mächte: Schweig! Verstumme!

 

Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Hoffnung am Horizont, Alder!

Anne Veit

 

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Was gilt die Bibel noch?

Eine Reaktion auf den Leitartikel aus "Der Sonntag" von Heiko Reinhold

 

Lieber Herr Seidel,
Ihr Beitrag "Was gilt die Bibel noch?" macht es sich mit der undifferenzierten Polarisierung zwischen Bekenntnisinitiative und Forum für Gemeinschaft und Theologie aus meiner Sicht zu einfach. Die Geltung der Bibel stellt doch wohl niemand in Frage.

Ist es nicht eigenartig, dass es viele verschiedene Gemeinschaften und Kirchen gibt, die sich strikt an die Bibel halten wollen, ein wörtliches Verständnis pflegen, aber dennoch zu ganz verschiedenen Glaubensüberzeugungen kommen?
So einfach und eindeutig ist es eben nicht - selbst für Fundamentalisten.
Sie zitieren (auch auf Seite 3) ausschließlich Theologen, die außerhalb Sachsens leben. Dabei gäbe es in unserer Landeskirche einerseits genügend Expertise, andererseits genügend Fragestellungen zum Thema, beispielsweise:
- Akzeptiere ich eine Entwicklung des biblischen Textes von der mündlichen Weitergabe über die Verschriftlichung bis zu den Übersetzungen? (Was heißt dann "wörtliches Verständnis"?)
- Lese ich die jüdische Bibel ausschließlich mit christlichem Vorzeichen - mit Bezug auf Jesus Christus?
- Achte ich auf orts- und zeitbezogene Aussagen?
- Selektiere ich für mich wichtige und unwichtige Verse?
- Wie gehe ich mit Widersprüchen und unterschiedlichen Kontexten um?
- Lasse ich mich von biblischen Texten überraschen, oder ordne ich sie in meine Schubladen ein?
- Wie verhalten sich "Glauben" und "Handeln" zueinander?
Die Antworten auf diese Fragen werden unterschiedlich ausfallen. Wesentlich ist dabei, ob ich MEINE Antworten als allein richtig ansehe oder eine Vielfalt möglicher Antworten akzeptiere. Für mich bietet schon die Bibel eine Vielfalt an Überzeugungen und Glaubenspraxis. Deshalb halte ich die Rede von "Polen" für nicht korrekt.
Die Bibel bleibt mir ein wertvoller Schatz und ist noch lange nicht "entzaubert".

Viele Grüße

Heiko Reinhold

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Worte zu den Wahlen

von Landesbischof Pfarrer Dr. Carsten Rentzing

Gehet hin in Frieden

Mit diesem Gruß gehen wir aus dem Gottesdienst. Es ist kein Gruß, der zum Rückzug auffordert. Es ist ein Gruß, der uns auf den Segen vorbereitet. Gesegnet gehen wir aus dem Gottesdienst. Wir gehen getrost auf das zu, was uns erwartet. Wir gehen auf die zu, die uns erwarten. Wir gehen gestärkt durch Gottes Wort, das wir gehört haben. Gestärkt durch Jesus Christus selbst, der uns im Abendmahl begegnet ist, nehmen wir unsere Verantwortung wahr. An 26. Mai sind wir dazu aufgefordert,

das bei den Wahlen für unsere unmittelbare Heimat und in Europa zu tun.

 

Wegweisung erhalten

Am Anfang des gesellschaftlichen Aufbruchs 1989 steht der konziliare Prozess – eine ökumenische Bewegung für

  • Gerechtigkeit
  • Frieden
  • Bewahrung der Schöpfung

Die Aufgaben und Ziele sind genannt:

• Unser Einsatz für Gerechtigkeit; für den Ausgleich dort, wo wir Ungerechtigkeit sehen, Benachteiligung wahrnehmen, wo andere übersehen werden.

• Unser Einsatz für den Frieden in uns selbst und den Frieden in der Welt.

• Unser Einsatz für Gottes gute Schöpfung. Damit ist die Zukunft unserer Kinder und Enkel im Blick – die Welt, in der sie leben werden.

Die Jahreslosung dieses Jahres »Suche Frieden und jage ihm nach!« ermuntert uns, darin nicht nachzulassen.

 

Die Stimme abgeben

Die Stimme abgeben: Das heißt heute alles andere als sprachlos zu sein. Wir nehmen Verantwortung wahr und bringen unsere Stimmen ein, wenn wir wählen. Die Jahreslosung beschreibt eines der wesentlichen Ziele, das wir dabei im christlichen Glauben vor Augen haben. »Suche Frieden und jage ihm nach!«

Das gilt in unserer Nachbarschaft - das gilt für Europa, in dessen Herz Deutschland liegt: Trotz der Schuld des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs hat die europäische Staatengemeinschaft unser Land in seine Mitte genommen und am Aufbau eines friedlichen Europas beteiligt. Die  Wiedervereinigung ist eine Frucht dieser Gemeinschaft. Heute sind wir auch hier zur Wahl

aufgerufen und dazu, den Frieden in Europa weiter zu stärken.

Die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ruft ausdrücklich dazu auf, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen und die Zukunft unseres Landes in freien Wahlen mitzubestimmen.

 

Dr. Carsten Rentzing,

Landesbischof und Vorsitzender der Kirchenleitung

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Die Europawahl

Warum sie für Christen wichtig ist
Die Staaten Europas führten über Jahrhunderte hinweg immer wieder Krieg gegeneinander.
Die Menschen pflegten Abneigungen und sprachen von "Erbfeinden". Staaten vergrößerten ihre Terretorien und erweiterten ihren Einflussbereiche jeweils auf Kosten der anderen. Und die Kirchen? "Gott mit uns" stand auf den Gürteln deutscher Soldaten.

Nach zwei mörderischen Weltkriegen reifte die Einsicht, dass Miteinander besser ist als Gegeneinander. Die europäische Union entstand mit dem Ziel, alte Feindschaften zu überwinden. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) versuchte während des Kalten Krieges, in ganz Europa eine gemeinsame Basis für Verständigung über den Eisernen Vorhang hinweg zu schaffen. Es wurden gemeinsame Interessen formuliert, Vertrauen aufgebaut und gegenseitig Sicherheit garantiert. Nach den friedlichen Revolutionen in Osteuropa integrierte die Europäische Union viele der neuen jungen Demokratien.

HEIL IN DER NATION?
Heute ist Frustration über die europäische Bürokratie weit verbreitet. Viele Menschen sind empört über ungleiche Entwicklungen - Reichtum hier, Armut dort. Dabei wird oft übersehen, dass für die Zähigkeit politischer Entscheidungsprozesse in Europa das Handeln der Regierungen in den Mitgliedsstaaten der EU verantwortlich ist.
Manche Menschen glauben nun, das Heil ließe sich in nationaler Abschottung finden. Der Traum von in sich homogenen Vaterländern greift um sich.
Natürlich gibt es noch vieles an der EU zu verbessern. Wie in jeder Demokratie gibt es Veränderungsbedarf, aber auch Potential. Dies gilt es zu stärken - und nicht das einzige Instrument demokratischer Selbstbestimmung, das europäische Parlament, abzuschaffen.
In den letzten siebzig Jahren profitierten wir alle stark von der Europäischen Union: Wir konnten ohne Ausweiskontrollen reisen und dabei bezahlen ohne Geld wechseln zu müssen. Wir können überall auf dem Kontinent wohnen, studieren oder arbeiten. Deutschland als Exportnation profitiert ökonomisch stark von Euro und der Freizügigkeit.
Das gilt es, mit der nächsten Europawahl zu erhalten. Als Christinnen sind wir nicht auf die Nation fixiert. Unser Vaterland ist im Himmel und doch sind wir in diese Welt gewiesen.
Deshalb wäre eine christlich geprägte Nation anders als in der Geschichte eine, die sich nicht auf ihre sogenannten nationalen Interessen fixiert, sondern Frieden und Gerechtigkeit in der Welt anstrebt. Das geht nicht isoliert und ohne die Nachbarn.

 

Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus

Dieser Text kann gern für kirchliche Publikationen (z.B. im Gemeindebrief) verwendet werden.

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Lebendig durch Einmischung und offenen Diskurs

"Herz statt Hetze“ – unter diesem Motto haben sich deutschlandweit in den letzten Monaten viele Menschen zusammengetan, um zu demonstrieren, zu diskutieren, um Zeichen zu setzen für eine offene und tolerante Gesellschaft. So verschieden die einzelnen Initiativen und Veranstaltungen im Einzelnen sind, so scheint mir ihnen die Einsicht gemeinsam zu sein:

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. …“ Und „Jeder Mensch hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 1 und 2)

 

„Herz statt Hetze“ so steht es weithin sichtbar auf Bannern, die immer häufiger an Kirchen oder Gemeindehäusern zu sehen sind. Leuchtend rot über den Worten „Herz statt Hetze“ ein Herz, links daneben ein Kreuz, darunter die Worte „Glaube statt Misstrauen“ und rechts ein Anker mit den Worten „Hoffnung statt Angst“. Leicht erkennbar darin die christliche Trias: Glaube, Liebe Hoffnung.

 

Das Banner ist Teil einer Initiative der Evangelischen Jugend in Sachsen. Die Verantwortlichen sehen darin einen Beitrag zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs und rufen dazu auf, sich in diesem Diskurs zu Wort zu melden, Begegnungen und Gespräche zu initiieren und zu ermöglichen. „Frieden, materiellen Reichtum und das Leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat betrachten wir als Privileg und Segen Gottes. Segen will sich ausbreiten (1 Mose 12,2). Deshalb halten wir nicht egoistisch fest, was uns gegeben ist, sondern sind zum Teilen bereit (Lk 6, 38). Wir ermutigen uns gegenseitig zum Gebet für unser Land und diese Welt. Zugleich setzen wir mit Worten und Taten um, was wir als richtig erkannt haben. Deshalb rufen wir Christen in Sachsen dazu auf, sich im gesellschaftlichen Diskurs zu Wort zu melden, Begegnungen und Gespräche zu initiieren sowie achtsam, offen und klar Konflikten nicht auszuweichen.“ (Die Stellungnahme der Evangelischen Jugend in Sachsen zur aktuellen gesellschaftlichen Situation ist abrufbar unter www.evjusa.de)

 

Sich sichtbar und hörbar in diesen Diskurs einzumischen ist ein genuin kirchlicher Auftrag denn das Evangelium verkündigt sich nicht im sterilen Raum, sondern immer nur in konkreten Situationen und in einem konkreten Umfeld.

 

Bereits im Vorwort zur EKD-Denkschrift „Das rechte Wort zur rechten Zeit“ aus dem Jahre 2008 heißt es: „Kirchliches Handeln geschieht grundsätzlich in der Öffentlichkeit. Es folgt dem Öffentlichkeitsauftrag Jesu an seine Jünger: »Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen« (Matthäus 10,7). Und dem korrespondiert das Sendungswort des auferstandenen Christus: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende« (Matthäus 28,18–20). Aber im Rahmen des Öffentlichkeitsauftrags, der mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche selbst gegeben ist, besteht eine besondere Aufgabe darin, in die Öffentlichkeit hinein zu Grundfragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens Stellung zu nehmen.“

 

Grundfragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens erscheinen derzeit einerseits drängender und sich laut bemerkbar machend. Die zahlreichen Demonstrationen und öffentlichen Aufrufe sind dafür ein deutliches Zeichen. Andererseits sind Fragen und Probleme komplex und einfache Antworten eher gefährlich als hilfreich. So stößt beispielsweise die berechtigte Forderung nach mehr Personal in Pflegeeinrichtungen an die Grenzen eines Arbeitsmarktes, auf dem Fachkräftemangel ein ständig wachsendes Thema ist. Daran zeigt sich, wie wichtig es ist, miteinander zu reden, miteinander nach Antworten und guten Lösungen zu suchen und mit dafür Sorge zu tragen, dass gute Lösungen auch umgesetzt werden.

 

Wenn wir als Christinnen und Christen und als Kirchgemeinden dazu beitragen, tun wir das mit dem Auftrag Jesu im Rücken und mit der inneren Haltung, die in der Trias Glaube – Liebe – Hoffnung zum Ausdruck kommt.

 

Der Glaube im Zeichen des Kreuzes weist uns an Jesus Christus, an seine bedingungslos liebende Hingabe an das Leben, an seine Zuwendung zu den Ausgegrenzten. Mit den liebenden Augen Gottes ist Jesus den Menschen begegnet und lässt etwas ahnen, von der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt. Getragen ist christliches Handeln von der Hoffnung auf das Reich Gottes, das schon jetzt dort aufscheint, wo Menschen sich für andere einsetzen und in ihrem Gegenüber einen Bruder oder eine Schwester Jesu sehen.

Mit einer inneren Haltung, die sich daran ausrichtet, verbietet es sich, herabwürdigend und ausgrenzend zu diskutieren und zu argumentieren. Menschen sind nicht Inländer oder Ausländer, Wohnungsbesitzer oder Wohnungslos, Gebildet oder ungebildet. Menschen sind zu allererst Menschen.

 

Die in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen (26.Mai: Wahlen zum Stadtrat und zum Europaparlament; 1. September: Wahlen zum sächsischen Landtag) sind uns Anlass, in diesem Sinne zu Gesprächen untereinander anzuregen und mit denen, die politische Verantwortung in unserer Stadt, in unserem Land und in Europa übernehmen wollen, in Dialog zu treten. Dabei soll zur Sprache kommen, was wir aus christlicher Perspektive von Politiker*innen erwarten und was wir als Christ*innen einbringen können, um unser Gemeinwesen so zu gestalten, dass ein Leben in Würde für ALLE Menschen möglich ist.

 

Die Demokratie in unserem Land ist so stark, wie sie lebendig ist. Sie wird lebendig durch Einmischung und offenen Diskurs.

 

Anregungen für Fragestellungen und Gesprächsforen finden Sie dem demnächst auf dieser Seite.

 

Pfarrerin Christiane Dohrn

 

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Ein heilsamer Schock

Lesbentagung 2018 – Bad Boller Bitte um Vergebung

 

Es war am 3. Advent 2018 in Bad Boll, sonntags in der evangelischen Akademie während der 33. Lesbentagung. Sie hatte das Thema „*Feminismus – viel erreicht, noch viel zu tun. Lesbische / queere* Frauen aller Generationen im Gespräch.“* Etwa hundert lesbische / queere* Frauen feierten zusammen Gottesdienst, als folgendes geschah:

Frau Prälatin Gabriele Arnold, offizielle Amtsträgerin der württembergischen Landeskirche, bekennende Hetera und Schirmfrau des Stuttgarter CSD 2018, entschuldigte sich bei den lesbischen / queeren* Frauen dafür, dass die(se) Kirche der gesamten LSBTTIQ-Bewegung soviel Leid, Grauen und Schmerzen zufügt(e). Sie bat die versammelte Gottesdienstgemeinde um Vergebung. Das tat sie als Regionalbischöfin der Württembergischen Landeskirche, die lesbische und schwule Paare bis heute nicht segnet (sie ist damit eine der beiden letzten der EKD). Die *Bad Boller Bitte um Vergebung* war ein Bestandteil im Gottesdienst und Teilgefüge des liturgischen Handelns, wie etwa die mit in eigenen Worten ausgesprochenen Glaubensbekenntnissen. Der Effekt war raumfüllend. Das gesprochene Wort verdichtete alles, was da war und wurde energetisch spürbar. Nicht nur die versammelten Emotionen, auch die weitergehenden und tiefer gelegenen Seelenschichten wurden bewegt und rührten an. Rote Köpfe, Atemstillstand, Tränen und Anderes brachten leibhaftig zum Ausduck, wie überraschend das Ganze war, ja wie unbegreifbar diese Handlung war, indem sie in das Gesetzte eingriff und dadurch veränderte. Es war ein historischer Moment, denn die tradierte Ordnung, in der lesbische / queere Frauen diskrimiert, geschändet und gemordet wurden, wurde verrückt: Die lesbische / queere* Gemeinde ist von einer offiziellen Vertreterin der Mehrheitsgesellschaft, speziell von dieser Kirche, als Gegenüber anerkannt, bemächtigt und darum gebeten worden, zu Vergeben. Bleibt zu hoffen, dass aus diesem solidarischen Akt viele weitere und andere mehr folgen mögen, stets für Humanismus, Frieden und Gerechtigkeit.

 

Kurzbericht der Historikerin Ilona Scheidle

 
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Meinen Frieden geb ich euch - für ein friedliches 2019

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

2019 wird ein Jahr der Wahlen in Sachsen. Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen stehen in diesem Jahr an. Entscheidungen über unser Land werden getroffen. Und diese Entscheidungen werden auch unser Leben beeinflussen. In den letzten Jahren wurden die Medien, vor allem die sozialen, missbraucht, um schlechte Stimmung zu machen, Angst zu verbreiten und falsche Meldungen in Umlauf zu setzen.

Wir als Kirchgemeinden, freie Gemeinden und Beauftragte möchten Ihnen gerne ein paar Hilfestellungen für 2019 geben. Paulus sagt folgendes in 1. Thessalonicher 5,21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. Bitte prüfen Sie alle Aussagen und Angstmacherei durch politische Kräfte. Vieles kann anhand von Statistiken und seriösen Berichten bestätigt, aber auch als Falschmeldung enttarnt werden. Suchen Sie sich seriöse Ansprechpartner, um darüber zu diskutieren, aber auch um Hilfe zu bekommen, wir als Kirchen- und Gemeindeleiter stehen gerne zur Verfügung. Psalm 50,14 Opfere Gott Dank und erfülle dem Höchsten deine Gelübde! Wir leben in einem Land, in dem niemand Hunger leiden muss, ein gesetzlichen Anspruch auf ein Dach über dem Kopf besteht, jeder sozialversichert sein kann und jedes Kind ein Recht auf Schule und mehr hat. Sind wir eigentlich dankbar dafür? Dankbar, dass wir in einem demokratischen Land leben, mit Pressefreiheit, Grundgesetz und in Sicherheit? Sicherlich gibt es noch viel zu tun und vielleicht sollten so manche

Politiker auch Ihre gegebenen Versprechen halten. Die Verantwortung über ihr Tun übernehmen die meisten Politiker mit dem Worten: „So wahr mir Gott helfe“. Matthäus 22,39 »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. In unsere

Gesellschaft ist eine Kultur des Hasses und der Hetze gekommen. Beschimpfungen, Drohungen, Ängste schüren, sind gang und gäbe. Nächstenliebe, Menschlichkeit und Gastfreundschaft werden ignoriert. Christliche Werte werden verleugnet. Wir vergessen aus der Geschichte zu lernen, wohin Hass führen kann? Antisemitismus wächst wieder in unserem Land. Wer ist

 zuspricht. Ein Zusammenleben, dass Meinungsfreiheit, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Presse- und Religionsfreiheit achtet und die Demokratie liebt. Wir treten ein für kulturelle Vielfalt, eine offene Gesellschaft, ein geeintes Europa, ein respektvolles Miteinander und wenden uns entschieden gegen einen neuen Nationalismus, einer Ausgrenzung anderer Kulturen, gegen Hass und Hetze.

 

Ein gesegnetes und friedliches 2019 wünschen Ihnen Michael Beyerlein, Kirchenbeauftragter für Asyl- und Integrationsfragen

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Flagge zeigen

Als Postkarte oder Banner bestellbar bei der Evangelischen Jugend in Sachsen.

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Nachlesen und Diskutieren

Impuls von Pfarrer Christoph Maier auf dem Forumstag 2018 in Leipzig

Liebe Freundinnen und Freunde des Forums für Gemeinschaft und Theologie,

liebe Schwestern und Brüder,

 

ich war versucht zu sagen: „das haben wir nicht kommen sehen.“ Das hätten wir nicht gedacht, als wir vor über einem Jahr das Thema für diesen Tag heute miteinander im Initiativkreis gesucht haben. Das konnte keiner ahnen, dass die Thematik für uns in Sachsen so aktuell sein würde. Dass die Ereignisse in und um Chemnitz einmal mehr die Frage in den Raum stellen: Warum nur vertrauen so viele Mitbürgerinnen und Mitbürger den falschen und rassistischen Versprechen von AFD, Pegida und Konsorten. Warum nur ist die Angst die Sorge und die Wut so dominant.

Ich war versucht zu sagen: „Das haben wir nicht kommen sehen.“ Aber das stimmt leider nicht. Leider überrascht uns das nicht mehr. Nicht dass wir uns an Bilder, wie wir sie aus Chemnitz gerade gesehen haben gewöhnt hätten, oder jemals gewöhnen könnten. Sondern die Ahnung oder auch die Analyse dessen, was uns gesellschaftlich umtreibt und umreisst, ließ uns damals schon ahnen, dass das genauso passieren kann, wie es jetzt passiert ist. Und damit komme ich schon zur Kernthese dessen was ich heute als Impuls anreisen und vortragen möchte:

 

Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme.

Nicht eine fehlende oder fehlgeschlagene politische Bildungspolitik oder die Verharmlosung von Rechtsextremismus ist der tiefere Grund unserer gesellschaftlichen Probleme in Sachsen.

 

Meine These ist: Es ist die Schwäche des Religiösen in unserer Gesellschaft, die sich nun auf bittere Art und Weise rächt. Dass sich Wut in Mut, Sorge in Zuversicht und Angst in Hoffnung verwandeln lässt, ist keine Bildungsaufgabe, sondern eine zutiefst religiöse Erfahrung.

 

Wir wollten und wollen mit diesem Tag heute einen positiven Impuls für unsere sächsische Landeskirche setzen. Wir wollten und wollen mit diesem Tag herauskommen aus der Abgrenzungsrhetorik gegen Bekenntnisinitiativen und Konservative. Wir wollten und wollen mit diesem Tag für ein Bild von Kirche werben, mit dem es gelingt wahrzunehmen, welch bitter notwendige Aufgabe und Auftrag wir an und für unsere Gesellschaft haben und was wir tun können, dass die Schwäche des Religiösen, die Harmlosigkeit der Kirche überwunden werden kann. Es ist unsere Aufgabe das biblische „fürchtet euch nicht“ zum Klingen zu bringen in unserer Zeit.

 

1. Das Religiöse beansprucht ein eigenes Feld gesellschaftlicher Interaktion

Ich gehe nach dem Ansatz des evangelischen Ethikers Eilert Herms davon aus, dass das Religiöse ein eigenes Feld gesellschaftlicher Interaktion beansprucht. Insgesamt vier nicht ineinander reduzierbare Felder scheint es dauerhaft in einer Gesellschaft zu geben, um die gute Ordnung unserer Welt abzubilden: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion. Herms entwickelt diesen Gedanken aus einem evolutionären Gesellschaftsbild und begründet damit gleichzeitig seinen Ansatz einer Schöpfungsordnung. Kern dieser evolutionären Entwicklung, ist die Familie, die Sippe, das Haus. Dort wurden alle 4 Leistungen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion gleichursprünglich für die Gemeinschaft erbracht. Politik ordnet das Zusammenleben und sorgt für Sicherheit, Wirtschaft ist für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs zuständig, die Wissenschaft gibt technisch orientierendes Wissen weiter, Fertigkeiten, Techniken, die Religion gibt ethisch orientierende Gewissheit weiter, Vertrauen, Haltungen, die keine Letztbegründung erfahren können, weil sie im unverfügbaren oder im Heiligen begründet sind. Ich kann diesen Ansatz hier nur sehr knapp andeuten. Unseren modernen Gesellschaften zeichnen sich nun dadurch aus, dass sich die Regeln, nach denen diese 4 Bereiche der Gesellschaft funktionieren immer weiter ausdifferenziert haben. Sie sind hoch entwickelt, voneinander klar abgegrenzt und unabhängig. Aber sie bleiben aufeinander bezogen und unterliegen auch immer der Gefahr, dass ein Feld das Andere beherrschen will. Zum Beispiel wenn sich die Wirtschaft das Bildungssystem verzwecken möchte um möglichst gut funktionierende Arbeitnehmer zu erhalten. Oder wenn die Politik meint mit bestimmten Ideologien die Welterklärung, gleich mitliefern zu können. Wir sprechen dann auch von Zivilreligion und haben da so unsere Erfahrungen in diesem Teil Deutschlands.

 

2. Es gibt ein Vakuum des Religiösen.

Meine zweite These ist. Es gibt ein Vakuum des Religiösen. Präzisier müsste ich sagen in der Vermittlung von ethisch orientierender Gewissheit. Denn nach dieser Theorie ist das religiöse ja immer auch da, es scheint im Moment nur auf einer gesellschaftlichen Ebene sehr schwach. Das Feld des Religiösen erscheint unbestellt.

 

Die Gesellschaft scheint sich augenblicklich nicht bewusst, dass es sich um ein unverzichtbares Feld für eine gute Gesellschaftsordnung handelt. Aus dem politischen Feld hört man immer wieder einmal, dass Politik von Voraussetzungen lebt, die sie sich selbst nicht schaffen kann. Politikverdrossenheit kann auch als Vertrauenskrise verstanden werden. Warum gelingt es der Politik seit Jahren nicht, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurück zu gewinnen? Weil Politik dafür nicht zuständig ist. Das „fürchtet euch nicht“ muss aus dem Religiösen in den Menschen verankert sein. Politik schafft kein Vertrauen, weil sie dafür nicht zuständig ist. Auf dem religiösen Feld aber herrscht weitestgehend öffentliches Vakuum. Deshalb Vertrauen einige Menschen hier ja auch lieber den wildesten Verschwörungstheorien. Die erscheinen denen dann völlig plausibel. Argumente zwecklos. Dabei klingen diese eigenartigen Welterklärungsmuster in unseren Ohren vielleicht so, wie es für die klingen muss, wenn wir in der Bibel lesen, dass Jesus übers Wasser läuft.

 

Aber – und das ist eben der Unterschied. Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, dann kommt Jesus genau über dieses zu uns. Setzt sich zu den seinen ins Boot und sagt nicht „das Boot ist voll“ sondern „fürchtete euch nicht“. Und dann geschieht die Verwandlung. Der Sturm legt sich, Angst darf sich in Hoffnung verwandeln, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht.

 

Historisch betrachtet, kann ich gut nachvollziehen, warum das Feld des religiösen so stiefmütterlich betrachtet wird. Über viele Jahrhunderte hielten sich die Akteure des religiösen Feldes für die alleinigen Machthaber in der Gesellschaft. Sie bestimmten über Fragen der Wissenschaft und ließen Bücher und Menschen verbrennen, die die Welt anders sehen wollten. Jahrhunderte war der Streit zwischen Thron und Altar zwischen Politik und Religion eine Frage von Krieg oder Frieden.

Keine Frage, das Religionssystem muss selbst einen Beitrag leisten, seinen Anspruch zu begrenzen. Wir dürfen uns aus religiösen Gründen nicht die Köpfe einschlagen. Der Gesprächsprozess in unserer Landeskirche rund um das Thema Homosexualität ist für mich da ein schönes Beispiel, die Schwierigkeiten dieser Selbstbegrenzung zu sehen, aber auch um Gelungenes zu entdecken.

 

Selbstbegrenzung ist aber nicht Selbstabschaffung.

Deutlich wird das schnell, wenn wir die Frage der Selbstbegrenzung mal an einem anderen Feld - dem gesellschaftlichen Handeln durchspielen. Global entfesselter Kapitalismus ist Mist. Und doch würde keiner auf die Idee kommen, das Wirtschaftssystem abzuschaffen.

 

Die Diktatorischen Systeme vom Nationalsozialismus über Stasi-Staat waren genauso todbringend und verheerend wie die Kreuzzüge oder die Inquisition aber keiner kommt auf die Idee deshalb die Politik abzuschaffen.

 

Andererseits ist die Forderung nach der Abschaffung der Religion durchaus tief in unserer Kultur verankert. Zumindest die Abschiebung oder Zurückdrängung der Religion ins private scheint fast so etwas wie common sense zu sein.

 

Die Funktion von Religion für die Gesellschaft Angst in Hoffnung, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht zu verwandeln bleibt dabei auf der Strecke. Das „fürchte dich nicht“ bleibt ungehört.

 

Zwei Thesen noch mit denen ich schließen möchte

3. Zersplitterung schwächt

4. Ignoranz der Kirche für Ihren gesellschaftlichen Auftrag

 

3. Zersplitterung

Die Zurückdrängung des Religiösen hat auf dem Feld der Religion eine Zersplitterung und Pluralisierung der Formen bewirkt. Die Selbstbegrenzung des Religiösen heißt für uns als Kirche auch anzuerkennen und wahrzunehmen: Wir sind nicht alleine auf diesem Feld unterwegs. Wir haben kein Monopol auf das Religiöse und das ist o.k. so. Es gibt die modernen Medizinmänner und Frauen, die Druiden und Barden organisierte und individuelle Formen die Menschen helfen eine Verwandlung der Angst in Hoffnung zu erleben. Die Künste spielen seit jeher eine große Rolle in der Wahrnehmung dieser Funktion für Gesellschaft, aber auch Ärzte, Psychologen oder andere Berufsgruppen, die es verstehen Menschen nicht nur funktional zu betrachten sondern wirklich zu berühren, zu heilen, zu verwandeln erbringen diese gesellschaftlich so wichtige Funktion.

 

Vielleicht wäre es gut, wenn wir Anstrengungen unternehmen, die Zersplitterung auf diesem gesellschaftlichen Feld zu überwinden, indem wir uns gegenseitig wahrnehmen und wertschätzen, dass wir uns bewusst werden: Alle die Bedingungen schaffen können, damit sich Angst in Hoffnung, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht verwandelt sind wichtige Mitspieler auf dem Feld der Religion. Die Entdeckung der gemeinsamen Aufgabe könnte uns alle stärker machen und für die Zukunft unserer Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sein. Grundlegend im wahrsten Sinn des Wortes. Denn weder Geld noch Politik noch der Gebrauch der Vernunft schafft Vertrauen. Vertrauen aber ist die Grundlage aller gesellschaftlichen Begegnung.

 

4. Ignoranz der Kirche für Ihren gesellschaftlichen Auftrag

Deshalb meine letzte These oder vielmehr eine Frage. Eine Frage an uns als Kirche: Wollen wir das?

Wollen wir uns einlassen auf einen solch weiten Religionsbegriff, auf die Selbstbeschränkung des Religiösen, auf die funktionale Bestimmung unseres Auftrags in der Welt? Können wir zu einer Sprache und Theologie finden, die die Menschen heute verstehen, einleuchtend, frei-und-fromm?

 

Ich erlebe leider immer noch ein tiefes Misstrauen in unseren Reihen gegenüber einen solchen liberalen Position. Ich erlebe, dass Abgrenzungsrhetorik und die Behauptung der alten Alleinvertretungsansprüche immer noch als unverzichtbare Identitätsmerkmale betrachtet werden. Die Besinnung auf das Alte, Bewährte in Bekenntnissen und Formeln stärker wiegt, wie die Suche nach neuen Wegen.

 

Dabei hängt es auch an uns, ob das „fürchte dich nicht“ gehört werden kann. Die Sprachen die wir dafür finden, dürfen vielfältig sein. Der Auftrag aber das zu verkündigen sollte um Gottes willen klar sein!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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Hoffnung und Angst

Hoffnung entsteht da, wo wir uns in unserer Angst nicht allein gelassen fühlen.

Hoffnung entsteht da, wo wir gemeinsam herausfinden, welche Hinweise unsere Ängste auf notwendigen Veränderungen in unserem Leben geben.

Angst gehört zu unseren grundlegenden Emotionen. Und sie hat viele Gesichter. Sie begegnet uns bei sehr kleinen Kinder, wenn sie sich verlassen und überfordert fühlen. Mit Weinen und dem Bedürfnis nach Körperkontakt zeigen sie ihren Eltern, dass sie Angst haben und zur Beruhigung und Ermutigung ihre Mutter oder ihren Vater brauchen. Wenn sie ausreichend Erfahrungen machen können, dass Eltern oder andere vertraute Personen sie wahrnehmen und trösten, dann wächst ihre Zuversicht und Sicherheit, weitere schwierige Situationen zu meistern.

 

Angst im Sinne eines plötzlichen Erschreckens ist eine sehr wertvolle Fähigkeit, weil sie Schutzre-aktionen bei lebensbedrohlichen Situationen wie Weglaufen, Verteidigung oder bewegungsloses Innehalten ermöglichen. Diese Reaktionen unseres Nervensystems sind extrem schnell. Unser Verstand wäre zu langsam, um erfolgreich lebensbedrohlichen Situation entgehen zu können.

 

Angst kann sich in konkreten Situationen wie z.B. die Begegnung mit einem Hund, Fahrstuhlfahren oder vor vielen Menschen zu sprechen, zeigen. Sie kann auch als allgemeine Ängstlichkeit und Mutlosigkeit auftreten. Aufgrund früherer schwerwiegender Erfahrungen kann unser inneres Alarmsystem so reagieren, als ob die frühere evtl. überwältigende bzw. lebensbedrohliche Situation noch bestehen würde. Um nicht wieder diese hochunangenehme Erfahrung von großer Angst und Hilflosigkeit machen zu müssen, reagiert der Bereich unseres Gehirns, in dem auch unsere Emotionen reguliert und gespeichert werden, möglicherweise mit bizarren Reaktionen. Weder die Betroffenen selbst noch ihre Umwelt können häufig diese Reaktionen verstehen, weil doch die aktuelle Situation eigentlich harmlos ist.

 

Angst kann auch als ein diffuses allgemeines Lebensgefühl als Zukunftsangst auftreten. Sie steht dann eher im Zusammenhang mit einer allgemeinen Verunsicherung und Überforderung in Bezug auf Situationen, die wir nicht kennen bzw., die schnell wechseln. Um uns sicher zu fühlen, brauchen wir ein Minimum an Kontrolle und Vorhersagbarkeit von Ereignissen. In komplexen und unübersichtlichen Situationen sind wir eher empfänglich für scheinbar einfache Lösungen, die uns vehement vorgetragen werden.

 

Hoffnung entsteht da,

wo es uns gelingt, Kinder ernst zu nehmen und feinfühlig zu begleiten,

wo wir die Bewältigung unserer Ängste als ein gemeinsames Anliegen in Familien, im Freundeskreis, in der Zivilgesellschaft betrachten.

Wo wir die Mechanismen der Angst und Angstbewältigung kennen und Menschen im Alltag und therapeutisch zu begleiten, deren Angst ihre Lebensqualität deutlich einschränkt.

Hoffnung entsteht auch dort,

wo wir uns gemeinsam den Zukunftsängsten stellen und im Dialog herausfinden, was wir an Wissen und Beteiligung benötigen, um ausreichend Zuversicht und Sicherheit zu entwickeln.

 

Dr. Mauri Fries ist Dipl.Psychologin und arbeitet im Bereich der systemischen Familienberatung und Supervision

 

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Angst und Mut bei Seelsorgerinnen

Interview mit Yvette Schwarze

B. Zeitler: Liebe Yvette, Du berätst Menschen aus dem kirchlichen Arbeitsfeld. Ist "Angst"
ein Thema in Deiner Arbeit?
Y. Schwarze: In erster Linie begegnen mir in meiner Arbeit Menschen, die sich mit dem Thema Seelsorge beschäftigen und Seelsorge erlernen und reflektieren möchten. Das ist immer verbunden mit den eigenen Gefühlen und Erlebnissen. Und daher spielt auch die Angst immer wieder eine große Rolle. Die Angst vor dem eigenen Können oder Versagen. Die Angst, die „richtigen“ Worte zu finden. Die Sorge, dem oder der anderen hilfreich (genug) zu sein.

...

Dazu erleben Seelsorger*innen starke Gefühle bei den Ratsuchenden. Auch das will ausgehalten und eingeordnet sein. Gerade am Anfang des Seelsorge-Lernweges erlebe ich manchmal großen Widerstand gegen die Begegnung mit den eigenen biografischen (Schatten-)Seiten. Dieser Widerstand ist oft auch mit Angst verbunden.

In der Supervision möchte ich der Angst behutsam begegnen, denn Angst hat eine wichtige Schutzfunktion. Viele Menschen wissen sehr genau, was für sie gut ist und schützen sich, um Schmerzhaftes zu vermeiden. Das gilt es zu respektieren und daher den Ängsten mit viel Feingefühl auf die Spur zu kommen.

Dabei erlebe ich Menschen, die dann durchaus dankbar sind, wenn sie begleitet auch mal hinter ihre Fassade schauen können. Dann kann vielleicht auch wieder etwas heil werden, dann lösen sich vielleicht Ängste und die Supervisand*innen können befreiter die nächsten Schritte in ihrer Arbeit gehen.

Wie ist es möglich, dass sich im Beratungsprozess Angst in Hoffnung verwandelt? Was ist dazu nötig?
Aus dem vorhin Gesagten meine ich, dass die Begegnung mit der Angst immer ein doppeldeutiges „Geschäft“ ist – Angst vor zu viel „Arbeit an der eigenen Person“ und gleichzeitig der Mut, die Ängste der eigenen Person anzuschauen und gegebenenfalls zu bearbeiten.
Für den Beratungsprozess braucht es daher eine vertrauensvolle und stabile Beziehung von mir zu den Menschen, die ich begleite. Ein wertschätzender Rahmen und eine entspannte Atmosphäre sind sicherlich förderlich.
Wenn es uns gelingt, in der Supervision auch Ängste zur Sprache zu bringen, sie auszusprechen, sie zu bedenken und bearbeiten, dann denke ich, kann aus Angst Mut werden. Dann erlebe ich erleichterte und gestärkte Menschen. Und dann stellt sich Hoffnungsvolles ein. Die Seelsorger*innen sind mehr im Kontakt mit sich selbst. Sie kennen sich selbst besser und können so offener und authentischere Seelsorger*innen sein. Und vielleicht wandelt sich dann die Hoffnung der Seelsorger*innen in die Hoffnung bei den Ratsuchenden. Das würde ich jedenfalls allen Beteiligten wünschen. Und dann merken die Menschen hier in den Seelsorgekursen und in der Supervision, dass es gut ist sich mit seinen eigenen Gefühlen – nicht nur der Angst – zu beschäftigen.

Darf ich nochmal nachfragen? Wie kommt es denn dahin, dass jemand Mut findet, die eigenen Ängste anzuschauen und zu bearbeiten?
Ich glaube, die Teilnehmer*innen und Supervisand*innen müssen zunächst das Gefühl bekommen, dass es sich für sie lohnt, sich mit den eigenen Gefühlen zu beschäftigen. Vielleicht geht es hier vor allem um den Mehrwert der Seelsorgeausbildung, der meiner Ansicht darin besteht, zu merken: das wichtigste Handwerkszeug ist meine eigene Person. Und mit dieser Person, mit diesem Selbst, sollte ich gut im Kontakt sein. Ich sollte mich gut kennen als Seelsorgerin, um anderen Menschen hilfreich zu begegnen. Ähnliches erlebe ich mit Supervisanden, die auch aus anderen Kontexten kommen.
Wenn die Supervisandin oder der Kursteilnehmer also erfährt, das hilft mir, da löst sich etwas, wenn ich meinen Ängsten begegne, dann wandelt sich das oft in Hoffnung und Mut. Und gleichzeitig erlebe ich immer wieder, ob dieser Weg gelingt, bleibt auch ein Stück offen, unverfügbar, bleibt Geschenk.
Und das wiederum macht mir Hoffnung für meine Arbeit: Menschliche Entwicklung ist immer individuell, immer neu spannend und ich kann nur einen kleinen Teil dazu beitragen. Den Weg hin zur Hoffnung gehen die Kursteilnehmer*innen und Supervisanden selbst. Und wer weiß, was in einem Beratungsprozess noch alles passiert – zwischen Himmel und Erde – als wir auf den ersten Blick sehen. Deshalb bin ich gern Supervisorin mit pastoralpsychologischem Hintergrund, weil ich die geistliche Dimension meiner Arbeit sehr schätze und als entlastend wahrnehme. Ich sorge gern für den Rahmen, den wertschätzenden Umgang, eine gute und förderliche Gesprächsstruktur - den „Rest“ habe ich nicht in der Hand – und das ist gut so.

 

Yvette Schwarze ist Studienleiterin am Leipziger Institut für Seelsorge und Gemeindeaufbau und Supervisorin

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Angstmacher biblische Apokalyptik?

Interview mit Heiko Reinhold

K. Mette: Der nächste Forumstag steht unter dem Motto "Angst in Hoffnung verwandeln". Du lieber Heiko, hast Dich gerade näher mit einem Thema beschäftigt, das meinem Eindruck nach etwas mit diesem Motto zu tun hat, nämlich mit der Apokalyptik. Was ist "Apokalyptik" und wo siehst du Verbindungslinien zum Motto "Angst in Hoffnung verwandeln"?

 

H. Reinhold: Die Apokalyptik wird oftmals mit Weltuntergangsszenarien in Verbindung gebracht. Bekannt sind vor allem "Die vier apokalyptischen Reiter" von Albrecht Dürer. Dieses Motiv stammt aus der Bibel, aus dem Buch der Offenbarung. Und damit ist schon ein wesentlicher Aspekt angesprochen, denn das griechische Wort "Apokalypse" heißt "Enthüllung" oder "Offenbarung".

Die Apokalyptik will nicht Angst machen, sondern liefert eine Deutung der Gegenwart, verbunden mit einem hoffnungsvollen Ausblick. Sie entstand in Zeiten der Unsicherheit, Verfolgung und Unterdrückung und verweist auf andere, von Gott gesetzte Realitäten.

 

Wenn die Apokalyptik keine Angst machen will, wozu bietet sie dann solche Schreckensgestalten wie die "apokalyptischen Reiter" oder Bilder von kosmischen Katastrophen auf?

...

Dafür kann es aus meiner Sicht ganz unterschiedliche Begründungen geben:

Die Apokalyptik arbeitet grundsätzlich mit dualistischen Motiven - also dem Widerspruch zwischen gut und böse, gerecht und ungerecht, Himmel und Hölle. Dass dafür in Wort und Bild sehr drastische Ausdrucksformen verwendet werden, ist schon in der Bibel erkennbar. Schließlich geht es darin um Leben und Tod. Bei Künstlern wie Hieronymus Bosch, einem Zeitgenossen Dürers, ist gut erkennbar, dass auch die Fantasie enorm angeregt wurde. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass die Erfahrungen vergangener Jahrhunderte wie Christenverfolgung, Folter, Naturkatastrophen, Pest und Kriege für viele Menschen die grausame Lebenswirklichkeit darstellten. Dazu kamen unerklärliche Phänomene, "himmlische Zeichen" wie zum Beispiel Kometen. Und nicht zuletzt musste manches in Bildern verschlüsselt werden, was nicht offen gesagt werden durfte. Leider fehlt uns an manchen Stellen der Code, um diese Bilder zu entschlüsseln.

 

Könnte man also sagen, dass die Apokalyptik den Menschen gar nicht in erster Linie Angst machen will, sondern eher die vorhandene Angst aufgreift und in drastischen Bildern verdichtet, um dann innerhalb der von ihr aufgebauten Vorstellungswelt ein starkes Hoffnungsbild gegen die Angst setzen zu können? Kannst Du dafür ein Beispiel geben?

 

Ich vermute, dass die bedrohlichen Bilder immer stärker wirkten - wohl auch, weil diese eher vorstellbar waren als himmlische oder paradiesische Zustände. Dennoch ist es manchmal gerade die Unvorstellbarkeit, die kraftvolle Bilder produziert - etwa wenn davon die Rede ist, dass sich die Gräber öffnen und die Toten auferstehen. Die Christenheit nimmt das auf und interpretiert stellenweise neu: "Seid fröhlich in Hoffnung" - Paulus schreibt mehrfach von der Hoffnung, um den Gemeinden nicht nur eine bessere Zukunft zu verheißen, sondern auch klarzustellen, wer (jetzt und ewig) der Herr der Geschichte ist. Was wäre unser Bekenntnis wert, wenn Glaube, Hoffnung, Liebe nur Floskeln wären? Es gibt aber auch noch eine andere Bedeutung: Apokalypse wird auch mit "Erleuchtung" gleichgesetzt und kann in diesem Fall heißen "Wir haben verstanden". Frei übertragen auf die Neuzeit und die Debatten um Kriege, Klimawandel und Naturkatastrohen könnte sich die Schlussfolgerung ergeben "Wir haben verstanden, was wir jetzt tun müssen, damit wir nicht selbst für den Weltuntergang verantwortlich sind." Für mich hat auch das viel mit Glaube, Hoffnung, Liebe zu tun.

 

Vielen Dank!

 

Übrigens:  "Sie können Heiko Reinhold mit dem Vortrag 'Apocalypse now?' gern in Ihre Gemeinde einladen.

 

 

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Angst in Hoffnung verwandeln

... darum geht es beim Forumstag am 15. September 2018 in Leipzig. Um sich diesem Thema anzunähern, werden an dieser Stelle in den nächsten Wochen kurze oder auch lange Interviews mit Menschen zu finden sein, die beruflich mit Angst&Hoffnung zu tun haben oder sich in einem bestimmten Gebiet, in dem diesem fundamentalen Emotionen berührt werden, gut auskennen.

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frei&fromm 2018

Anfang Mai hat die Initativgruppe des Forums zusammengesessen und sich Gedanken über den nächsten Forumstag am 15. September in Leipzig gemacht. Sein Motto: frei&fromm 2018. angst in hoffnung verwandeln. Mehr gibt es in Kürze hier auf dieser Seite zu lesen.

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Give peace a chance

Jesus Christus spricht: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ (Joh 20,21)

„Friede sei mit euch!“ „Salam alaikum!“ „Schalom!“ „Peace!“

Ein Gruß, der um die Welt und durch die Zeit geht. Peace als Gruß unter Jugendlichen, Schalom die hebräische, Salam die arabische Grußformel für „Guten Tag“, wörtlich „Friede (mit dir)“ – bei jeder Begegnung. Frieden – ein Menschheitstraum.

„I have a dream“, „Ich habe einen Traum“ – unter diesem Titel ging die Rede von Martin Luther King  in Washington 1963 in die Geschichte ein. Der Baptistenpastor und Bürgerrechtler setzte sich für die Rechte der schwarzen Amerikaner ein. Seine Grundüberzeugung: Alle Menschen sind gleich erschaffen – unabhängig von ihrer Hautfarbe. Seine Methode: Gandhi und die Bergpredigt Jesu.

Das hieß absolute Gewaltlosigkeit. Es ging ihm um das gleichberechtigte Miteinander von Schwarzen und Weißen, nicht etwa um eine völlige Umkehrung der Machtverhältnisse im Sinne einer Vorherrschaft der Schwarzen.  Gleichberechtigung, gleiches Recht für alle! Und für dieses Recht setzte Martin Luther King sich ein. Für sein sozialpolitisches Engagement, ein gleichberechtigtes Zusammenleben der Menschen auf friedlichem Weg zu erreichen, erhielt King 1964 den Friedensnobelpreis. Im gleichen Jahr wurde die Rassentrennung in den USA gesetzlich aufgehoben. Dass Frieden keine Selbstverständlichkeit, sondern stets angefochten ist, war Martin Luther King sein Leben lang vor Augen. Mehrere Bombenangriffe und Attentate hatte er erlebt. Das Attentat auf ihn am 4. April 1968 überlebte er nicht. Vor 50 Jahren wurde Martin Luther King in Memphis von einem Rassisten erschossen.

Jesus Christus spricht: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Nach seiner Auferstehung zeigt sich Jesus den Seinen und beauftragt sie neu. Wie er selbst von Gott gesandt war, so schickt er sie nun los in die Welt. Er ruft sie neu in seine Nachfolge. Und seine Botschaft ist klar wie eh und je: „Friede sei mit euch!“ Der Friede, der das Wohl des Nächsten im Blick hat. Der Friede, der versöhnt – untereinander und mit Gott. Der Friede, der Heilung schenkt – geistlich und konkret. „Friede sei mit euch“, überall, wo ihr seid. Überall, wohin ich euch sende.

Also werft die Waffen weg! Leben in der Nachfolge Jesu braucht keinen Waffenschein, sondern Liebe. Begegnet einander – friedlich, ohne Gewalt. „Friede sei mit euch“, wem auch immer ihr begegnet, denn alle Menschen sind gleich geschaffen, unabhängig von ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität, ihres Glaubens, ihrer religiösen oder politischen Anschauungen und ihres Gesundheitszustandes.

„Friede sei mit euch“ – auf allen Wegen, bei jeder Begegnung. „Friede sei mit euch!“ „Schalom!“ „Salam alaikum!“ „Peace!“

 

Mandy Rabe

 

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Durch die Gegend mit Juli Zeh

die eine provokante, aber bedenkenswerte Beobachtung zum Thema Kirche macht

 

Christian Möller: "Hier ist ne alte Kirche"
Juli Zeh: "Hat jedes Dorf, ist aber eigentlich sozusagen Deko."
Christian Möller: "Ja"
Juli Zeh: "Ja. Ist Ostdeutschland, ne? Also wenig. Auch 'ne Struktur, die nicht da ist und die Gemeinschaft erzeugen würde, wenn es sie gäbe, die es für manche sicherlich auch noch tut, aber es ist hier sicher anders als es vielleicht zum Teil noch im Rheinland oder in Bayern ist. Aber hier spielt es einfach nicht die Rolle." [...]
Kirche ist einfach nicht so der Mittelpunkt des Lebens. Eher die Feuerwehr, wie gesagt. Die haben wir hier. Das ist sozusagen die wahre Kirche. Hat auch nen Turm, wo es laut wird obendrauf, nur eben nicht sonntags um zehn, sondern dann wenn was passiert ist und ist vielleicht als Symbol dafür was die Leute brauchen richtiger als die Kirche, weil ... die kommen halt und helfen, eben sehr konkret und sehr gegenständlich. Und die Form von Seelsorge, die die Kirche bietet, ist eben -- glaub ich -- nicht das, was die Menschen wirklich möchten, viele."

 

Das gesamte Gespräch zwischen Juli Zeh und Christian Möller, aufgenommen auf einem Spaziergang der beiden durch Wald und Flur und ein Dorf in Brandenburg gibt es beim Podcast-Label Viertausendhertz.

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Nächstenliebe verlangt Klarheit

von Anna-Maria Busch, Pfarrerin in Kühren-Burkartshain und Wurzen
Gerne hätte ich heute etwas „Erbauliches“ geschrieben – von meinem Glauben an einen Gott, der trägt und hält und liebt. Doch ich bin herausgefordert durch meinen Glauben, von meinem Gott, Stellung zu beziehen.
Wurzen hat es mal wieder in die überregionalen Nachrichten und Printmedien geschafft, womit alle Klischees erfüllt wären: Wurzen, das sind Kekse, Ringelnatz und eben Rechtsradikale.

Dass und wie ich mich als Christin den Rassisten gegenüber positioniere ist eindeutig, denn:

Klar ist für mich, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft, als Ebenbild Gottes geschaffen wurde.

Klar ist für mich, dass ich als Christin mit Juden und Jüdinnen unlöslich verbunden bin.

Klar ist für mich, dass mich Jesus herausfordert: „ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). Die Kirche Jesu Christi kennt keine nationalen und ethnischen Grenzen.

Klar ist für mich, dass pluralistisch-demokratische Prozesse grundlegend für unser Miteinander sind. Sie sind die angemessene Form auf alle theologischen Erkenntnisse.

Klar ist auch, dass ich mich solidarisiere mit allen, die in dieser Zeit mitmenschlich handeln: die politisch Verantwortlichen dieser Stadt, das Netzwerk für demokratische Kultur und die vielen Ehrenamtlichen.

Also ziemlich eindeutig alles: wir als die christlich-sozialen Humanisten und die anderen.

Mitnichten! Denn rechtsnationale und rechtsradikale Gedanken und Aussagen finden sich auch in unserer Mitte, in unseren Kirchgemeinden, bei Menschen, die ich mag. Wie oft werden rassistische, juden- und fremdenfeindliche Aussagen überhört und in kirchgemeindlichen Zusammenkünften übergangen – um des faulen Friedens willen. Wir sind ja nur noch so wenige Christen im Leipziger Land, dann lieber nicht streiten.

Nächstenliebe, unser Glaube verlangt Klarheit und offensichtlich auch Konfrontation. Von uns allen. Immer wieder. Das ist anstrengend, erfordert Mut und Kraft. Kraft, die wir im Gebet finden:

„Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; dass ich verbinde, wo Streit ist; dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist...“ Amen.

 

Dieser Text wurde auch in der LVZ und auf der Website des Kirchenbezirks abgedruckt.

Wir danken der Autorin für die Genehmigung zum Abdruck.

 

 

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Lebensschreie

Vor sechzig Jahren erzählte ein Zeuge aus Litauen vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg seine schier unglaubliche  Geschichte. In Vilnius habe er über den Winter im Grab eines jüdischen Friedhofs gelebt. Es sei ihm gelungen, aus  dem Todeslager zu entfliehen, das die Deutschen und ihre  litauischen Helfer errichtet hatten. Und hier habe er sich verstecken können. Noch anderen sei das so gelungen: Männern und Frauen, alten und jungen. Eines Tages, ganz in seiner Nähe, habe eine Frau ein Kind zur Welt gebracht. So  gut er konnte, habe ein 80-jähriger Mann, Totengräber von  Beruf, der Frau geholfen.

Und weil sie keine Windeln hatten,  nahmen sie Leichentücher. Und als er die Lebensschreie des Neugeborenen gehört habe, habe der Alte Gott gerufen und  ihn, außer sich vor Freude, nur immer dasselbe gefragt: »Hast  du ihn endlich geschickt, Gott, deinen Messias? Wer anders, sag, könnte unter den Toten zur Welt kommen und sich, weil  es nichts anderes gibt, von den Tränen seiner Mutter ernähren!?«
Von da an habe er angefangen, an das Leben zu glauben.

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Zur Friedensdekade

Ehrlicher machen (Gedanken zu Joh 14,27 von Anne Veit)

 

Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Wir sollten uns ehrlich machen – so der Bundespräsident in seiner Rede zum Tag der Deutsche Einheit. Ehrlich im Blick auf Migration, Fluchtgründe und Zuwanderung. „Ehrlich machen“ sollte wohl heißen, hinter dem moralischen Gutmenschentum der grenzenlosen Willkommenskultur den besorgten Bürger zu entdecken. Ist das so? Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch alle Angst um unsere Heimat und Sicherheit?

 

Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Tatsächlich scheint die Politik die Sorgen der Menschen entdeckt zu haben. Man kümmert sich. Es wird darüber gestritten, wer was kriegen und wer was abgeben muss. Wer Hilfe braucht und wer Hilfe kriegt. Was mein Problem ist und worum sich andere kümmern oder worum sich keiner kümmert. Das ist, wie die Welt gibt.

 

Es wird versprochen, dass Zuwanderung begrenzt wird, der öffentliche Raum videoüberwacht, dass wir nicht auf Wohlstand verzichten müssen, dass die klassische Familie gestärkt wird und die Leitkultur gefördert, dass zuerst dem eigenen Volk geholfen wird. Das ist, wie die Welt gibt.

 

Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Mein Wunsch nach Frieden und das, was die Welt als Antwort gibt: Was ich will, geht immer auf Kosten anderer. Verteilungskämpfe. Das Ziehen an einer Decke, die immer zu kurz scheint. Mehr für diese bedeutet weniger für jene. Mehr Möglichkeiten hier bedeutet Überforderung dort. Man verspricht mir, dass ich nicht zu kurz komme und dass ich meine Ruhe habe. Ist es das, was ich will?  Ist das meine ehrliche Sehnsucht? Hilft das gegen meine Angst?

 

Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Ich glaube, „ehrlich machen“ reicht nicht. Ich muss mich noch ehrlicher machen. Eigentlicher. Frieden bedeutet eigentlich eben nicht einfach nur, dass ich persönlich meine Ruhe habe. Eigentlich habe ich ein tiefes Bedürfnis danach, mit Menschen zusammen leben zu können, ohne immer an der Decke zu ziehen. Ich habe Sehnsucht nach der Utopie; danach, dass für jede und jeden genug da ist; danach, dass es solidarisch geht. Hab ich bloß schon aufgegeben. Trau mich nicht mehr, das zu sagen. Hab mir abgewöhnt, das zu spüren. Ist zu utopisch und naiv. Jede/r zieht doch an der Decke.

 

Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Meine politischen Forderungen sind nicht das ehrlichste an mir, sie sind ein Kompromiss mit der Welt und dem, was ich für ihre Möglichkeiten halte. Wie so oft bringt mich Gottes Blick mir selbst näher: Das Brot des Lebens ist etwas anderes als das Abendbrot im engsten Familienkreis und das Licht der Welt ist etwas anderes als ein Energieverbraucher in meiner Stube. Der Friede Gottes fragt nach sehr viel mehr als nach meinem ruhigen Leben. Und doch fragt er nach mir – nur sehr viel ehrlicher. Er fragt nach dem Eigentlichen, nach dem, was in mir im tiefsten Sinne menschlich und göttlich ist. Nach dem, was Gott war, als er Mensch wurde. Das eigentlich und ehrlicher Menschliche ist Durst und Hunger nach einer Gerechtigkeit, die alle einschließt, nach dem Leben in Fülle für alle.

 

Meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

Tatsächlich und ehrlicher schafft mir jedes Geben der Welt, das meine oberflächlichen Forderungen befriedigt, doch nur immer mehr Unruhe, weil ich in der Tiefe das Unsolidarische darin spüre. Ich weiß, dass am anderen Ende jemand friert, wenn ich hier an der Decke ziehe. Und, ehrlicher gesagt, weiß ich, dass ich unruhig sein werde, solange auch nur ein Mensch auf der Welt friert oder hungert. Ehrlicher und eigentlicher Frieden ist ein Frieden für alle. Die Antwort der Welt ist nicht die Antwort auf meine eigentliche Sehnsucht. Sieger sein im Verteilungskampf, die Decke nach Europa, nach Deutschland, in mein Haus, in mein Bett zu ziehen – das entspricht nicht dem, was ich als Mensch ehrlicher will.

 

Ehrlicher ist es, den Wunsch nach solidarischem Leben nicht mit dem zuzuschütten, was die Welt gibt. Die Sehnsucht nach Gottes großem Frieden ist ehrlicher als die kleinliche Antwort der Welt. Ehrlicher ist es, die Angst auszuhalten, als den wahren Frieden aufzugeben.

 

Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

 

 

 

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Ein Wort hat unsere Welt verändert

Gedanken zu Micha 4, 1 - 4 von Christiane Dohrn (aus Anlass der Friedensdekade)

 

Ein Wort kann die Welt verändern – ein Wort hat unsere Welt verändert.

Ein Wort ist eben nicht nur eine Sammlung von Buchstaben oder eine Aneinanderreihung von Lauten. Ein Wort ist Kraft, Mut, Lebendigkeit, Hoffnung – oder auch Gefahr und Bedrohung,

 

Das Wort von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden, ist ein solches Wort. Mitten im Kalten Krieg bekam eine Hoffnung Füße, wurde tausendfach umhergetragen und machte den Mächtigen Angst.

Das friedliche Hoffnungsbild, das der Prophet Micha in seiner Vision schildert, lässt tief aufatmen und denken: ach ja, das wäre schön, aber... Aber dann brechen die schönen Bilder weg. Die Realität schiebt sich davor.

War Micha ein Träumer und Geschichtenerzähler?

 

Für mich ist er ein realistischer Visionär.

Micha hat sehr klar die Schwachpunkte seiner Gesellschaft aufgezeigt. Scharfzüngig klagt er Unrecht und Ungerechtigkeit an. Überdeutlich droht er Unheil und Zerstörung für die, die sich nicht an Gottes Weisung halten.

 

Aber mit Drohungen wird nichts besser. Wohl aber mit Hoffnung und Sehnsucht.

 Micha pflanzt mit seinen Worten Hoffnungsblumen und Sehnsuchtsbäume, die nicht kleinzukriegen sind – bis heute.

 

Das Besondere: Er schwärmt nicht einfach nur von einer besseren schönen und friedlichen Welt in irgendeiner Zukunft. Seine Vision beschreibt nicht nur, wie es einmal sein wird. Er zeigt die Schritte auf, die nötig sind, um dahin zu gelangen.

 

Und so sieht dieser Weg aus:

Am Ende der Tage werden die Völker zusammenkommen. Sie werden sich in Gottes Gegenwart versammeln und Gottes Weisung empfangen. Gott wird richten und für einen gerechten Ausgleich unter den Völkern sorgen.

Daraufhin werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln umschmieden. Kriegführung wird verlernt.

 

Das Realistische an diesem Szenario ist:

Zum einen: Es gibt keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit. Die Krisenherde unserer Zeit bestätigen das auf beschämende Weise.

Zum anderen: Hinter der Frage nach Krieg oder Frieden steht die Frage, wofür die Ressourcen unserer Erde genutzt werden.

Für Micha hieß das: Wird das mühsam gewonnene Eisen eingesetzt zum Töten und Erobern oder zum Ernähren und um die Feldarbeit etwas leichter zu machen.

Beachtenswert auch die Reihenfolge bei Micha:

Nicht: Friede entsteht durch Abrüstung – sondern Abrüstung kann geschehen, weil Friede herrscht und Friede herrscht weil Gerechtigkeit und ausgleichenden Schlichtung geschehen ist.

 

Seit fast 3000 Jahren ist diese Hoffnung von den umgeschmiedeten Schwertern unter den Menschen. Immer wieder mit Füßen getreten und niedergeschossen und trotzdem nicht aus der Welt zu kriegen. Gott sei Dank!

 

 

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Klarheit und Ermutigung

Eine Bitte des Initiativkreises an die 27. Landessynode

 

Als Christinnen und Christen in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat uns in den letzten Wochen der Ausgang der Bundestagswahl beschäftigt.

Wir sehen in diesem Herbst 2017 für unsere Kirche eine dreifache Aufgabe:

  • Beziehungs- und Gesprächsräume schaffen
  • Orientierung geben
  • Quellen der Hoffnung erschließen

 1) Beziehungs- und Gesprächsräume schaffen

Wir stimmen dem Bischof zu, der in seinem Wort nach der Wahl darauf hingewiesen hat, dass es für uns als sächsische Christinnen und Christen eine besondere Herausforderung ist, „die gesellschaftliche Debatte aufzugreifen, für Begegnungen offen zu sein“ und diesen Austausch in gegenseitigem Respekt zu führen, „um Diffamierungen jedweder Art zu vermeiden“.

 

Was er für seine Person betont, gilt unserer Auffassung nach für uns alle, nämlich dass es dabei notwendig ist, sich „von Äußerungen“ abzugrenzen, „die die Würde des Menschen verletzen“. Diese Verletzung geschieht nach unserem Eindruck leicht, wenn bestimmte Menschengruppen mit bestimmten Attributen belegt werden, wie „kriminell“, „gefährlich“ und „dumm“. Gemeinden und Christinnen und Christen können im privaten und seelsorglichen Raum, aber auch in Gruppen und Kreisen und im öffentlichen Raum ein respektvolles und aufmerksames Gespräch fördern und fordern. Viele tun dies. Sie sollten sich darin auch durch die Synode ermutigt und gestärkt wissen.

 

2) Orientierung geben

Als Kirche Jesu Christi sehen wir uns dazu gerufen, für das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe einzutreten. Die Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus geschenkt ist, wendet sich besonders denen zu, die leiden, die in Armut leben und verfolgt werden. Sie sucht die, die in Angst leben und die, die in die Irre gehen und sich mit Gewalt, Neid, Verachtung und Hass gemein machen. Christus ruft uns in den Dienst am Nächsten in Wort und Tat.

 

Als evangelische Kirche in Sachsen machen wir diese Liebe über alle Frömmigkeitsstile hinweg u.a. sichtbar im Engagement für Menschen jeden Alters, die Nähe und Hilfe oder Antwort auf Lebensfragen suchen. Dazu gehören auch die Flüchtlinge, die immer wieder pauschalen Vorurteilen, Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sind.

 

Wir bitten Sie, die Gemeinden und die Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst unserer Kirche zu ermutigen zu klaren Worten, die irreführende, Angst und Neid schürende Argumente und falsche Zahlen aufdecken und kritisieren. Mitfühlen mit einzelnen Menschen, genaues Beobachten und gesunder Selbstzweifel sind notwendig, um den Hass verkümmern zu lassen, der von Pauschalisierungen, Angst und Egoismus lebt.

 

Wir bitten Sie, Gemeinden stärker über das Thema „Kirchenasyl“ zu informieren und die Gemeinden zu ermutigen, die es bereits gewähren. Es ist ein notwendiges Instrument, das den einzelnen Menschen in den Blick nimmt, der unter die Räder politischer Interessen und Verallgemeinerungen zu geraten droht.

 

Wir bitten Sie, im Gespräch mit der Politik auf die realen Gründe für Unzufriedenheit in der Gesundheits-, Wohnungs-, Sozial- und Bildungspolitik hinzuweisen, die wir als Bürgerinnen und Bürger und als kirchliche Träger für Diakonie, KiTas und Schulen kennen, und dabei vor einer kurzschlüssigen Verknüpfung mit Einwanderung und Flucht zu warnen.

 

3) Quellen der Hoffnung erschließen

In einer Gesellschaft, in der Angst und Neid zur Motivation politischen Handelns aufgegriffen und geschürt werden, sehen wir unsere Landeskirche dazu gerufen, den Glauben als Quelle der Hoffnung ernst zu nehmen. Wir laden dazu ein, aus den Quellen der Hoffnung zu schöpfen, die Gott in jedes Leben gibt: Dankbarkeit, Erkenntnis der eigenen Fehlbarkeit und Vertrauen in die unverbrüchliche Liebe und Zuwendung Gottes.

 

Darum bitten wir Sie als hohe Synode um ein Wort der Klarheit und Ermutigung für die Christinnen und Christen in unseren Gemeinden und für die Menschen, mit denen wir in diesem Teil Deutschlands gemeinsam leben.

Bitte machen Sie hörbar und sichtbar, dass wir als Evangelisch-Lutherische Kirche in Sachsen allen Menschen, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe, von Religion oder politischer Überzeugung, die Liebe Gottes in Tat und Wort bezeugen wollen.

Danken Sie und ermutigen Sie die Christinnen und Christen, die das beruflich oder im Ehrenamt tun.

Ermahnen Sie die, die sich von Angst und Neid leiten lassen.

Ermutigen Sie die Gemeinden, sich in Christus zu gründen und im Vertrauen auf sein Wort auf andere zuzugehen und mit Freimut und Liebe das Evangelium zu leben.

 

Für den Initiativkreis des Forums für Gemeinschaft und Theologie

 

Dr. Barbara Zeitler und Dr. Kathrin Mette

 

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Die 27 % für die AfD sind eine Anfrage an uns

Liebe Schwestern und Brüder, das Wahlergebnis - gerade auch in Sachsen - nötigt uns zu einem Eingeständnis „… wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ 

Es ist uns nicht gelungen, die lebensbejahende Kraft des Evangeliums, die sich in Liebe, Mitgefühl und solidarischer Haltung zeigt, so zu leben, dass sie als Alternative zu Hass, Gewalt und Ausgrenzung deutlich wurde.

Das Wahlergebnis - die 27 % für die AfD - sind eine Anfrage an uns als Kirche und Christ*innen: Was sind wir den Menschen schuldig geblieben 

  • an klaren Worten der Liebe gegen Hass
  • an geschwisterlichem Handeln
  • an überzeugtem und überzeugendem Leben?

 

Der Ruf zur Buße gilt zuerst uns, der Kirche Jesu Christi.

 

 

 

Das erspart uns aber nicht, in aller Klarheit zu sagen, dass es keine Schnittmengen zwischen dem rassistisch-nationalistischen Gedankengut der AfD und dem christlichen Glauben gibt. Im Evangelium wendet sich Gott allen Menschen in gleicher Weise zu und verbindet uns im Volk Gottes zu einer Gemeinschaft, in der die Unterschiede durch Herkunft, Geschlecht, Milieu - und was auch immer - aufgehoben sind. Und dieser Gedanke ist nicht exklusiv gedacht - als gelte er nur für Christ*innen. Denn es bleibt das Geheimnis Gottes, wer zum Volk Gottes gehört und wer nicht.

 

 

 

Aus diesem Grund kann es für uns nicht darum gehen, Verständnis zu haben. Sondern das, was wir uns zumuten, müssen wir auch den anderen zumuten. Tut Buße!

 

Der Ruf zur Buße ist der Ruf, auf dem Weg umzudrehen und zurückzugehen. Abzulassen von dem, was wir bisher getan haben. Wenn wir uns diese Zumutung ersparen - uns zur Buße zu nötigen und andere zur Buße aufzurufen - sind wir nicht mehr Kirche im Sinne Jesu.

 

Nächstenliebe verlangt Klarheit. Von uns und gegenüber anderen.

 

Frank Martin

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Wer nicht wählt, wählt die Falschen

Am 24. September findet die Wahl zum Bundestag statt. Wahlprüfsteine auf der einen, Wahlkampfveranstaltungen auf der anderen Seite sollen die Entscheidung für die richtige Partei, die richtigen Personen erleichtern.

Ein Familienvater sagte: "Ich finde, wir Christen sollten uns aus der Politik heraushalten. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist." Diese Meinung ist kein Einzelfall, jedoch beruht diese Aussage auf einem Missverständnis.

"Die Politik" regelt ganz einfach das Zusammenleben der Menschen. Und da sollten wir als Christen nichts beizutragen haben? Doch.

Außerdem wählen wir nicht Frau Merkel oder Herrn Schulz, wir wählen keine Regierung, wir wählen das Parlament, Menschen aus unserer Region (oder sogar aus unserer Gemeinde), denen wir für die nächsten Jahre das Vertrauen schenken. Wer nicht wählt, wählt die Falschen.

Deshalb unterstützen wir gern den Aufruf des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer.

 

Heiko Reinhold / Kohren-Sahlis

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Demokratie in der Kirche und Demokratie und Kirche - passt das?

Demokratie und Kirche steht notwendig in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis. Nicht das Volk herrscht oder die Volksmeinung. Denn stellen wir uns vor, 90 oder 95 % sind der Meinung, die Ehebrecherin solle gesteinigt werden - was würden wir tun? Wenn wir die Praxis Jesu ernst nehmen, gibt es nur eine Antwort - Nein, gegen des Volkes Willen! Denn die Norm für uns kann nur die Praxis Jesu sein; und seine Worte: „Das Gesetz ist für die Menschen da, nicht die Menschen für das Gesetz.“

Was wäre denn aber ein Modell für uns als Gemeinde Jesu? Faszinierend ist die Geschichte des Apostelkonzils, wie sie in der Apostelgeschichte aufgeschrieben wurde. 

 

Da gab es Streit über den richtigen Umgang mit Leuten, die nicht so richtig zum Volk Gottes gehören sollten. Nach langen Diskussionen gab es einen Konsens, der eingeleitet wurde mit den Worten: „Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, …“

 

Nicht die Herrschaft der Einen über die Anderen, sondern das Bemühen um eine Einigung, mit der alle leben konnten, ist beispielgebend für die Gemeinde Jesu. Und auch, wenn dieser Konsens nicht gehalten hatte, weil beide Seiten am Ende dann doch nicht zufrieden waren, scheint mir das der richtige Weg zu sein.

 

Eins aber muss klar bleiben - jede Einigung muss sich an der Praxis Jesu messen lassen - bei denen zu stehen, die zu Opfern auch religiöser Überzeugungen werden.

 

Frank Martin

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Ein großer Schritt für die Menschlichkeit – aber noch nicht das Ziel!

Nachdem der Bundestag endlich die Weichen gestellt hatte, dass die Diskriminierung gleichgeschlechtlich liebender Menschen beendet werden solle, war auf Twitter folgender Tweet zu lesen:

"Dieser Tag gehört denen, die ihr Leben lang im Geheimen liebten. Die vor dem Gesetz niemals Witwer waren. Nie zusammen beerdigt. #EhefürAlle"

Was das für viele Menschen bedeutet, malt sich die heterosexuelle Mehrheit – für die das alles schon immer selbstverständlich war – wahrscheinlich gar nicht aus.

Es ist ein Grund zur Freude für viele gleichgeschlechtlich liebende Menschen, dass sie jetzt die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle Menschen auch.

 

Es ist aber auch ein Anlass, uns noch einmal an die Schuld zu erinnern, die wir als Mehrheitsgesellschaft – auch als Kirche und Christ*innen – auf uns geladen haben über Jahrhunderte und bis heute. Denn mit der rechtlichen Gleichstellung hören Beleidigungen und Übergriffe ja nicht auf – im Gegenteil: Gerade heute scheint Gewalt gegenüber Lesben und Schwulen wieder zuzunehmen.

 

Und auch in unserer Landeskirche besteht die Diskriminierung gleichgeschlechtlich liebender Menschen fort. Statt einer Trauung für alle wurde – immerhin – nur eine Segnungsagende für Lesben und Schwule beschlossen, die wieder als diskriminierend verstanden wird. Und das sollte uns klar sein: Was als diskriminierend empfunden wird, entscheiden nie die, die nicht betroffen sind.

 

So bleiben zwei Dinge: Zum ersten Glückwunsch an alle, die nach langen Jahren endlich in gleicher Weise wie heterosexuelle Paare Ja zueinander sagen können. Und wenn sie dies wollen – wir wünschen Gottes Segen dazu.

Zum zweiten aber ist das Engagement noch nicht zu ende, solange weiter Menschen diskriminiert werden – und das betrifft gleichgeschlechtlich liebende Menschen in gleicher Weise wie inter- oder transsexuelle Menschen.

 

Frank Martin

 

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Die Ordnung, der Geist und die Frage nach den Türen

Marita Hausmann kommt immer zu spät. Sie kann nichts dafür. Es muss etwas mit ihren Genen zu tun haben. Sie kommt zu spät zum Sport, sie kommt zu spät zum Elternabend. Und natürlich kommt sie auch zu spät in den Gottesdienst. Neulich war es wieder so. Die Gemeinde war schon beim ersten Lied als die Kirchentür quietschte. Kein schlechter Moment übrigens, um zu spät zu kommen – das erste Lied.

Dachte sich Marita auch und huschte schnell in Reihe drei zu ihrer Freundin. Allerdings hatte sie vergessen, die Kirchentür wieder zu schließen. Solange noch gesungen wurde, blieb das unbemerkt. Aber als der Pfarrer die Stufen zum Altar emporstieg und sich umwandte, um den Psalm anzustimmen, sah er es. Und es irritierte ihn.

 

Die Gemeinde bemerkte die offene Tür erst während des Psalmgebets. Zuerst hörte sie nur, dass der Wind vernehmlich in der Linde rauschte, die seit Jahr und Tag vor der Kirche steht. Das ging ja noch. Aber dann setzte Kindergeschrei ein! „Danket dem Herrn“ sprach die Gemeinde eben als das Baby losbrüllte. Glücklicherweise währte das Schreien aber nur einen Augenblick lang. „Denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich.“ fuhr die Gemeinde entsprechend dankbar fort. Doch war die Ruhe nur von kurzer Dauer. Denn vor der Kirche hatten sich zwei Frauen aus dem Dorf eingefunden und begannen, sich über die Legeleistung ihrer Hühner in der vergangenen Woche zu unterhalten.

Der Pfarrer hielt sich tapfer bis zum Ende des Psalm, dachte aber je länger je mehr: Kann nicht mal jemand die verdammte Tür zu machen?

 

Das Gloria Patri verlief wieder störungsarm, aber beim Kyrie passierte es dann. Der Krankenwagen fuhr vorbei und schaltete das Martinshorn an, genau beim „Herr erbarm dich über uns“. Beim Gloria fasste sich der Vorsitzende des Kirchenvorstands ein Herz, schlich zum Eingang und schloss die Tür.

 

Schade.

 

Denn das war doch wirklich einmal ein geistvoller Anfang.

Die Irritation der Anwesenden und eine gewisse Emotionalisierung des Geschehens sprechen jedenfalls dafür. Auch, dass etwas Unerwartetes geschah, etwas Ungeplantes.

Nichts Besseres kann der Liturgie passieren, als dass sie auf Alltag trifft, auf ganz normale Lebensgeräusche. Nichts Besseres kann passieren, als dass sich Kindergeschrei in den Psalm mischt und das Martinshorn beim Kyrie erklingt.

Ein geistvoller Anfang war das an diesem Sonntagmorgen in der Kirche.

 

Der Geist braucht Raum. So denke ich mir das. Wenn alles nach Plan verläuft oder strikt nach Ordnung, dann geht der Geist stiften. Aber wenn man ihn zulässt und nicht alles regelt oder zumindest nicht eingreift, wenn die Dinge anfangen aus dem Ruder zu laufen, dann nutzt er manchmal seine Chance, blitzt auf, ergreift Menschen, irritiert sie und stiftet heilige Momente.

 

So schon geschehen …

 

Einmal als der überaus fröhliche und laute Freddy in seinem Rollstuhl das Vater Unser laut und schnell juchzte und sich gar nicht um das Gebetstempo der Gemeinde scherte, die den Worten nur hinterhersehen konnte.

 

Als es den Kindern egal war, dass man in Sachsen erst ab der Grundschule, nach voriger Unterweisung und in Begleitung eines Erwachsenen am Abendmahl teilnehmen darf. Sie standen da im Altarraum und sperrten die Schnäbel auf, waren natürlich überhaupt nicht still und würdevoll, sondern hippelten und schwatzen. Kein Vater war in Sicht. Keine Mutter. Keine Patentante. Aber die anderen Erwachsenen lächelten und freuten sich an der Lebendigkeit, die auf einmal die Runde erfasste

 

Geschehen lassen, was geschehen soll. Unordnung wagen. In der Störung den Gottesgeist entdecken. Im Martinshorn das Kyrie. Im Kindergeschrei das Gotteslob. Kirche pfingstlich.

Kathrin Mette

 

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Manchmal

 

Manchmal ist mein Gebet
so wie ein Arm,
den ich nach oben recke,
um dir zu zeigen,
wo ich bin,
inmitten von Milliarden Menschen.

 

Manchmal ist mein Gebet
so wie ein Ohr,
das auf ein Echo wartet,
auf ein leises Wort,
auf einen Ruf
aus deinem Mund.

 

Manchmal ist mein Gebet
wie eine Lunge,
die sich dehnt,
um frischen Wind
in mich hineinzuholen -
deinen Hauch.

 

Manchmal ist mein Gebet
wie eine Hand,
die ich vor meine Augen lege,
um alles abzuschirmen,
was mir den Blick zu dir verstellt.

 

Manchmal ist mein Gebet
so wie ein Fuß,
der fremden Boden prüft,
ob er noch trägt,
und einen Weg sucht,
den ich gehen kann.

 

Manchmal ist mein Gebet
so wie ein Herz,
das schlägt,
weil ohne seinen Schlag
das Leben nicht mehr weitergeht.

 

Manchmal ist mein Gebet
nur ein gebeugter Kopf vor dir -
zum Zeichen meiner Not
und meines Dankes an dich.

 

Einmal wird mein Gebet
so wie ein Auge sein,
das dich erblickt,
wie eine Hand,
die du ergreifst -
das Ende aller Worte.
Paul Roth

 

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Hoffnung für das schlingernde Schiff

"Die Zivilisation ist ein Schiff, das ohne Pläne gebaut wurde und führerlos dahinschlingert. Es fehlt ihr an spiritueller Verbundenheit, mit deren Hilfe sie bewusst einen Kurs hätte wählen können, der eben nicht in die Katastrophe mündet. Stattdessen lässt man sich von den Strömungen zufälliger Entdeckungen treiben und vertraut blindlings den Angeboten, die kurzfristig größtmöglichen Profit versprechen.

Wir haben uns auf ein Spiel mit der Natur eingelassen und dabei eine Partie nach der anderen gewonnen. Aber wir lassen uns derart in die Konsequenzen unserer Siege verwickeln, dass statt einer vernünftigen Strategie nur vordergründige Taktik betrieben wird." Diese Worte stammen von dem Science-Fiction-Autor und Philosophen Stanislaw Lem, dessen Todestag sich vor einigen Tagen zum 11. Mal jährte. Ich habe ihn immer als einen klugen Denker und Visionär bewundert. Seine Worte sind bemerkenswert aktuell. Fast täglich berichten die Medien von Terroranschlägen. Immer wieder versuchen Menschen, ihre Fremdenfeindlichkeit und ihren Wunsch nach Ausgrenzung anders Denkender damit zu begründen. Parallel erreichen uns Menschen aus Krisengebieten der Welt, die bei uns und in anderen Ländern Zuflucht suchen. Auch ihnen begegnet man zum Teil mit großer Skepsis oder gar mit Hass. Dabei stellt sich doch die Frage, warum nur wir hier in den reichen Teilen Europas in den Genuss eines freien und selbstbestimmten Lebens kommen sollen? Ist es etwa unser Verdienst, in diesem Land geboren zu sein, oder nicht vielmehr ein purer Zufall, reines Glück? Sollte aber dieses Glück nicht jedem Menschen auf dieser Welt zustehen? Angesichts dessen sollten sich die Staatsoberhäupter dieser Welt doch eigentlich zusammensetzen und überlegen, welche Maßnahmen man ergreifen könnte, um die Lebensbedingungen der Menschen global zu verbessern oder anzugleichen, und welche Zeichen man setzen könnte, um den Menschen in den Krisengebieten vor Ort zu zeigen, dass sie gehört und bedacht werden. Stattdessen scheint es unter den Regierungen eine Renaissance der Rücksichtslosigkeit und des Egoismus zu geben, wenn zum Beispiel ein Land für sich beansprucht, ab jetzt das Erste zu sein, oder andere Oberhäupter den Fortbestand der Demokratie in Frage stellen, weil sie für sich selbst beanspruchen, der Einzige zu sein. Und nicht zuletzt stehen dem vielleicht auch wirtschaftliche Interessen im Wege, weil sich eben Umsatz und Gewinn nur dann wie gewünscht steigern lassen, wenn andere mit ihrem Leben dafür bezahlen. Und wir selbst? Sind Sie und ich nicht auch damit beschäftigt, unseren Wohlstand zu wahren oder gar zu mehren. Und geht es uns nicht oft darum, unser Leben noch angenehmer, gleichberechtigter oder vielfältiger zu machen? Mit gutem Recht, denn so geht Fortschritt. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, dass viele andere Menschen auf diesem Planeten von einem Leben wie dem unseren nur träumen können, und dass wir uns mit gleicher Kraft nicht nur für das unsere, sondern auch für das ihre einsetzen müssen. Ich hoffe, dass Glaube etwas sein kann, das die dafür notwendige spirituelle Verbundenheit zwischen den Menschen herstellt, und auf diese Weise hilft, den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zu vollziehen, der für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen auf der Erde notwendig ist.

 
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Gedanken zum Monatsspruch

Morgens halb Zehn in Deutschland: Dichtes Gedrängel in der Straßenbahn. Eine Schulklasse auf Exkursion. An der Haltestelle steigt eine Frau ein. Graue Schuhe, grauer Mantel, graues Haar. Sie blickt sich um: Alle Plätze besetzt. Unsicher schaut sie die Jugendlichen an. Doch die sind mit sich beschäftigt. Sie sagt nichts. Sie bleibt stehen, nahe an der Tür. „Hoffentlich bremst die Bahn nicht ruckartig“, denkt sie.

 

Morgens halb Zehn in Deutschland: Dichtes Gedrängel im Regionalexpress. Senioren in Vorfreude auf ihre Nordic-Walking-Tour durch die Sächsische Schweiz. Am Bahnhof steigt eine junge Frau mit Kinderwagen ein, ein weiteres Kind an der Hand, die Reisetasche über der Schulter. „Eine helfende Hand wäre jetzt gut“, denkt sie.

 

„Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der Herr.“ (Lev 19,32)

 

Manchmal ist die Bibel wunderbar konkret. Und doch reicht der bloße Wortlaut nicht aus. Das wäre nur die halbe Wahrheit. Am Alter liegt es nicht, ob jemand sich über Hilfe freut. Wie also die unausgesprochene Bitte hören?

 

Gott fürchten, empfiehlt die Bibel. Gott fürchten? Gott, der Despot, der mir auf die Finger schaut und Strichliste führt? Nein! Gott fürchten heißt Gott im Nächsten zu sehen.

 

Um Gott im Nächsten zu sehen, Gott im Gegenüber zu entdecken, muss man aber hinschauen, hinhören, sensibel sein für das eigene Umfeld. Gott fürchten – das ist eine Form des Bewusstseins: Das Gegenüber bewusst wahrnehmen und ernstnehmen. Dessen Not erkennen und helfen.

 

Morgens halb Zehn in Deutschland: Dichtes Gedrängel an der Supermarktkasse. „Sie haben doch nur die drei Sachen, gehen Sie vor“, sagt der schmächtige Mann mit schütterem Haar zu mir: „Ach wie schön“, denke ich und lächle ihn an: „Danke.“ – „Ach tut das gut, Freude zu schenken,“ denkt er, „ein guter Start in den Tag.“

 

Mandy Rabe

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Morgenpsalm

Jeden Morgen
gießt du
von Neuem
Sonne
Deiner Welt
ins Angesicht.
Sagst:
Du, meine Schöpfung!

Jeden Morgen
Weckst du
Von Neuem
Leben
Deinen Städten
Auf die Straßen
Sagst:
Ihr, meine Wohnung!

 

Jeden Morgen
Gibst du
Von Neuem
Stimme
Deinen Spatzen
In die Kehle
Sagst:
Ihr, meine Lieder!

 

Jeden Morgen
Streust du
Von Neuem
Hoffnung
Allen Wesen
Auf die Wege
Sagst:
Ihr, meine Schönheit!

 

Jeden Morgen
Küsst du
Von Neuem
Farbe
Deinen Blumen
In die Kelche.
Sagst:
Ihr, meine Wunder!

 

Jeden Morgen
Hauchst du
Von Neuem
Atem
Deinen Menschen
In die Herzen
Sagst:
Ihr, meine Bilder!

 

Arno Schmitt, in: Wer von der Liebe singt, der kann vom Kreuz nicht schweigen, Gütersloh 2012, S. 217f.


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Wir müssen reden

In unserer sächsischen Kirche gibt es Gesprächsbedarf. Das merken wir an vielen Stellen. In der Landessynode, in Kirchenvorständen und den verschiedenen evangelischen Medien wird immer wieder engagiert über verschiedene Themen debattiert: über die Bedeutung der Bibel, über die Strukturreform unserer Landeskirche, über die theologische Bewertung von homosexueller Liebe. Allerdings scheinen sich die verschiedenen Positionen in diesen Debatten oft nur schroff gegenüberzustehen. Es ist wenig Bemühen erkennbar, den Standpunkt des anderen nachzuvollziehen. Im Gegenteil: Wer anders denkt als man selbst, wird schnell in eine Schublade gesteckt und religiös abqualifiziert. Fruchtbar sind solche Auseinandersetzungen nicht.

Auf der Website des „Forums für Gemeinschaft und Theologie“ möchten wir regelmäßig ein moderiertes Schreibgespräch initiieren, in dem Christinnen und Christen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und unterschiedlichen theologischen Überzeugungen zusammen über ein Thema nachdenken, eventuell gemeinsame Anliegen entdecken aber natürlich auch lebhaft streiten können, klar in der Sache, respektvoll im Ton.

 

Wir erwarten uns von diesen Schreibgesprächen, dass die Standpunkte der Diskutierenden plastisch und nachvollziehbar werden. Wir wünschen uns, dass diese Gespräche zugleich einen Beitrag zur theologischen Bildung all derer leisten, die die Diskussion am Bildschirm verfolgen. Wir erhoffen uns, dass die Gespräche helfen, sich eine eigene Meinung zum Diskussionsgegenstand zu bilden.

 

Drei bis vier Leute sollen drei Wochen online nach bestimmten Spielregeln diskutieren. Die Beiträge werden der Administratorin der Website geschickt, die diese dann publiziert. Das „Forum“ stellt eine Moderatorin oder einen Moderator zur Verfügung, der das Gespräch flüssig hält, thematische Impulse setzt und dafür Sorge trägt, dass alle gleichermaßen zu Wort kommen.

 

Eine Öffnung der Diskussion für Besucherinnen und Besucher der Website ist vorgesehen.

 

Das Thema für das erste Gespräch lautet: „Mission“. Es wird voraussichtlich im Zeitraum vom 27.02. bis 19.03. 2017 diskutiert werden.

Näheres dazu in Kürze.

 

Kathrin Mette

 

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200 Millionen verfolgte Christen? „Open Doors“ schlägt wieder zu

Ein Gastbeitrag von Fabian M.

 

Einmal im Jahr veröffentlicht die christliche Hilfsorganisation „Open Doors“ ihren Weltverfolgungsindex. Der will aufzeigen, wie viele Christen weltweit verfolgt werden. Nun ist der aktuelle Report für das Jahr 2017 erschienen. Und der tritt mit einem Paukenschlag auf. War bislang immer die Rede von rund 100 Millionen verfolgten Christen, heißt es im diesjährigen Bericht: „Die Zahl der Christen, die einem hohen Maß an Verfolgung ausgesetzt sind, liegt weltweit bei über 200 Millionen.“ Aufgehorcht: Eine Verdopplung - innerhalb eines Jahres?

Die Zahl dürfte für ordentlich Diskussionsstoff sorgen, zumal sich die Großkirchen und andere evangelische Hilfswerke bereits zu der in der Vergangenheit genannten Zahl kritisch geäußert haben. Und diese Kritik ist auch diesmal angebracht. Wer sich den Bericht anschaut, wird feststellen: Open Doors versäumt es, stichhaltige und transparente Begründungen darzulegen, warum nun plötzlich die Zahl verfolgter Christen so sprunghaft ansteigt. Da ist nur die Rede von „politischen Entwicklungen“, dem „Erstarken islamistischer Organisationen“ und ein „deutlich wachsender religiöser Nationalismus in den hinduistischen, buddhistischen und islamischen Ländern Asiens“.

Entwicklungen, die alle erst im vergangenen Jahr stattgefunden haben? Wohl kaum. Es verwundert doch etwas, dass vor neun Jahren die Zahl auf rund 100 Millionen festgelegt wurde und nun einfach mal so hopplahopp verdoppelt wird. Das wirkt, vorsichtig formuliert, nicht besonders seriös. Es ist völlig schleierhaft, wie Open Doors auf diese Zahlen kommt, und in dem Bericht wird das auch nicht detailliert erläutert. Das irritiert nicht nur mich, sondern offenbar auch den Generalsekretär des evangelischen Gustav-Adolf-Werks, Enno Haaks, der dem epd gegenüber sagt, er habe die neuen Zahlen „mit Verwunderung zur Kenntnis genommen“. Und weiter: „Mir ist nicht klar, wie die Zahlen zusammenkommen.“ Die Kritik an den Open-Doors-Zahlen ist nicht neu, aber sollte angesichts der angeblichen Verdopplung der weltweit verfolgten Christen erneut betont werden.

 

Die am meisten verfolgte Glaubensgruppe?

Aber gut. Das ist nicht das einzige Problem, das „Open Doors“ mit seinem Weltverfolgungsindex hat. Beharrlich spricht die Organisation von Christen als der „am stärksten verfolgten Glaubensgruppe weltweit“. Woher man diese Erkenntnis nimmt, ist schleierhaft - schließlich erhebt die Organisation ausschließlich die Situation von Christen. Zum einen fehlen also Vergleichspunkte, zum anderen können kleinere Religionsgemeinschaften wie zum Beispiel Bahai oder Jesiden niemals auf solche Zahlen kommen, schlicht, weil sie weniger Anhänger haben. Werden sie also nur deswegen nicht so stark verfolgt, weil sie weniger sind? Absurd.

Kritisiert werden muss auch der weite Begriff von „Verfolgung“, den Open Doors für seine Erhebung anwendet:

Die WVI-Methodik folgt eher einer theologischen als einer soziologischen oder juristischen Definition. Nach diesem Ansatz ist Verfolgung definiert als „jegliche Art von erlebter Anfeindung aufgrund der Identifikation einer Person mit Christus. Dies kann feindselige Haltungen, Worte und Handlungen gegenüber Christen umfassen.“

WVI 2017- Bericht, S. 306

Erlebte Anfeindung? Feindselige Worte? Freilich, schön ist das nicht. Aber daraus gleich „Verfolgung“ zu machen, ist zumindest bedenklich und deckt sich auch nicht mit Definitionen, die etwa von der EU verwendet werden. Nach diesem Verständnis werden auch in Deutschland Hunderttausende Muslime aufgrund ihres Glaubens „verfolgt“. Ob die Organisation dem auch zustimmen würde? Oder ich werde verfolgt, wenn ich mich als Darts-Fan oute und dafür spöttische Kommentare hinnehmen muss. (Oh, ja, schießt los!) Will sagen: Der Open-Doors Begriff ist so subjektiv geprägt und damit beliebig, dass es für eine vernünftige Erhebung nicht taugt.

In diesem Zusammenhang ist es auch mehr als irritierend, wenn, wie GAW-Generalsekretär Haaks ganz richtig feststellt, Länder wie Mexiko und Kolumbien auf dem Index auftauchen (Platz 41 und Platz 50). Mexiko ist ein katholisches Land  mit 83 Prozent Katholiken, 8 Prozent Protestanten - damit gehören formal mehr als 90 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Kirche an. Noch deutlicher ist die Lage in Kolumbien, dort gehören bis auf wenige Prozent alle einer christlichen Kirche an. Christenverfolgung? Hier muss doch ernsthaft hinterfragt werden, ob hier Christen tatsächlich wegen ihres Glaubens verfolgt werden, oder nicht vielmehr unter den kriminellen Strukturen in diesen Ländern leiden.

 

Ein Fazit in drei Punkten

  1. Ich betone: Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Christen in vielen Ländern aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Auch und gerade, wenn diese Zahl steigt. Open Doors schafft dafür eine Öffentlichkeit. Leider vertut das Hilfswerk die Chance, dabei seriös zu bleiben. Die Zahlen, die Open Doors nennt, sind alles andere als seriös, weil sie nicht nachvollziehbar und reine Schätzungen sind. Kritik daran gibt es seit Jahren. Die Organisation tut sich keinen Gefallen damit, ihre Berichte an solchen unseriösen Schätzungen aufzuhängen und diese Zahl nun sogar zu verdoppeln. Das ist einfach nicht ernstzunehmen.
  2. Superlative wie „die am meisten verfolgte Glaubensgruppe“ erweisen der guten Sache, auf Verfolgung hinzuweisen, einen Bärendienst. Zumal sie in der dargebrachten Form absurd und ebenfalls nicht nachvollziehbar sind. Was mich persönlich auch stört, ist die Fixierung auf Christen. Gut, Open Doors ist ein evangelikales Hilfswerk - geschenkt. Aber gerade dieser Superlativ impliziert doch: „Schaut her, uns Christen geht es am schlechtesten.“ Angebrachter wäre es, darauf hinzuweisen, dass weltweit hunderte Millionen Menschen (das ist eine unseriöse Schätzung meinerseits) aufgrund ihres Glaubens oder der Zugehörigkeit zu einer Minderheit verfolgt werden. Dass eine Erstarkung des Islamischen Staates etwa für Millionen Muslime eine ebenso große Verfolgung (wenn nicht größere) wie für Christen bedeutet, wird durch die einseitige Open-Doors-Sichtweise nämlich unter den Tisch gekehrt. Menschen werden verfolgt, weltweit, warum auch immer - das sollte uns Christen aufschreien lassen!
  3. Was ist „Verfolgung“? Die Definition, die Open Doors anwendet, taugt nicht dazu, von anderen Menschenrechtsverletzungen zu differenzieren. Die „theologische Definition“, die Open Doors anwendet, ist enorm subjektiv. Damit wird der Begriff diffus, weil nicht mehr klar ersichtlich ist, ob jemand tatsächlich aufgrund seines Glaubens „verfolgt“ wird. Ohne ein Experte dafür zu sein, scheint mir der Vorschlag des GAW-Generalsekretärs Haaks hier wesentlich sinnvoller. Er verweist für eine tragkräftigere Abgrenzung von „Verfolgung“ auf die Genfer Flüchtlingskonvention. (Die EU-Richtlinie 2004/83/EG, Artikel 9 stützt sich etwa darauf.) Doch dann müsste Open Doors seine Schätzungen vermutlich deutlich nach unten korrigieren.

 

 

Das "Forum" dankt Fabian Maysenhölder für die Erlaubnis, diesen Beitrag auf unserer Website zu veröffentlichen.

Mehr von diesem Autor gibt es in seinem Blog für Religion, Medien und Popkultur theopop.de zu lesen.

 

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Schönes neues Jahr

Das neue Jahr ist erst ein paar Tage alt und schon stellt sich jener liebenswerteTrott ein, in dem wir nun Woche um Woche bestreiten und aus dem wir mutmaßlich spätestens Mitte März kurz aufschrecken werden: Was schon wieder Frühlingsanfang? Dabei hat das Neue Jahr doch gerade erst begonnen.

Aber bevor es endgültig so weit ist, wollen wir noch ein paar Hoffnungen festhalten, die wir für unsere Kirche im Jahr 2017 haben.

 

Wir hoffen:

  • ... "dass in der sächsischen Kirchenlandschaft die Erlaubnis zur Segnung gleichgeschlechtlier Paare im friedlichen Miteinander realisiert wird"
  • ... "dass viele Gemeinden, in denen eine Pfarrerin arbeitet, dem Aufruf der Sächsischen Bekenntnisinitiative folgen und sich um Partnerschaften mit lettischen Gemeinden bemühen"
  • ... "dass die Sächsische Landeskirche das Jahr 2017 mit dem Reformationsgedenken nutzt, zu überlegen, wie Reformation heute neu zu denken und zu gestalten ist. Dazu gehören für mich viele fröhliche Pfarrerinnen (!) in den Gemeinden und auch in der Leitung unserer Kirche. Dazu gehört für mich eine Weiterentwicklung des Abendmahlsverständnisses, als eine Mahl der Gemeinschaft aller Glaubenden mit dem „Brot des Lebens“ und dem versöhnenden „Kelch des Heils“. Dazu gehören für mich fröhliche Feste des Glaubens zu den Kirchentagen, in den Gemeinden, und auch am 31.Oktober z.B. mitten in Dresden. Es gehört für mich eine gelebte Ökumene dazu, die aber unsere eigenes Selbstverständnis und unsere protestantische Identität nicht auf der Strecke bleiben lässt, sondern selbstbewusst mit einbringt. Es gehören viele wertschätzende Diskussionen um unseren Glauben und um unser Leben als politische Menschen in unserem Gemeinwesen dazu. Und dass wir uns dort immer wieder einbringen, mit dem, was wir gestalten wollen."
  • ... "dass in Sachsen Regionen geschaffen werden, in denen die Christinnen und Christen die Möglichkeit haben, Gemeindearbeit jenseits der alten Gleise und angepasst an die tatsächlichen Verhältnisse und Bedürfnissevor Ort zu konzipieren und auszuprobieren."
  • ... "dass Menschen in unserer Kirche in denen, die jeweils "fremd" sind, Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen hören und sehen."
  • ... "dass wir einander annehmen, wie wir sind, und uns verändern lassen vom "wir", von der Gemeinschaft der Ebenbilder Gottes zu der wir gehören, von der Geistkraft, die darin wirkt."
  • ... "dass in unserer Kirche Menschen einander zuhören, wenn jemand den eigenen Glauben beschreibt, ein Glaubensbekenntnis formuliert, um zu verstehen, was der oder die andere sieht. Das gemeinsame Bekenntnis begegnet als wärmender Mantel, nicht als abschnürendes Korsett."
  • ... "dass Freiheit in Kirche, Politik und Gesellschaft geschätzt und verantwortlich gestaltet wird."

 

In diesem Sinn wünschen die Initiatorinnen und Initiatoren des Forums für Gemeinschaft und Theologie unserer Kirche ein gutes neues Jahr!

 

 

 

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Aus der Reihe der Buchstaben heraus

Maria klettert aus der Reihe der Buchstaben des dicken Buches heraus, zieht sich das Kleid zurecht und geht wie jeden Abend in das kleine Hotel am Bahnhof. Sie wird dort zwischen zwei milchig gelben Lampen hinter der Rezeption sitzen und verliebte Paare, Betrunkene und Geschäftsleute empfangen. Bis morgens um sechs.
Es kommt ein kleiner Junge allein ins Foyer.

Der wohnte schon letzte Woche mit seiner Familie hier - Flüchtlinge aus Afghanistan. Er reicht kaum über den Tresen und spricht nicht. Bescheiden, aber bestimmt tritt er heran und legt einen Euro auf den Tisch. Maria schaut in seine tiefschwarzen Augen, und sie sieht auf einmal etwas - als schaue ein uraltes Wesen aus ihm heraus. Sie erschrickt ein wenig. Beide schauen für eine Ewigkeit ineinander hinein. "Was möchtest du?" - Der Junge zeigt am Tresen vorbei in Richtung Speiseraum. Er geht ein paar Schritte um den Tresen herum. "Willst du da hin? Hast du was vergessen?" Er stellt sich vor die verschlossene Tür. Sie öffnet, und er tritt vor ihr ein. Sie macht Licht. Er geht in die Ecke am Fenster. Dort bleibt er stehen vor einem Holzengel, der an einer schmalen Kette von der Decke hängt. Schaut ihn an. Maria bleibt in der Tür stehen. Ihr kommen Tränen. Sie weiß nicht, warum.
So steht er dort und schaut empor. Nach einer Zeit beginnt er eine Melodie zu singen. Das erste Mal, dass sie seine Stimme hört, tief kehlig. Nicht Kind, nicht Erwachsener - ein Drittes. Stille. Dann spricht er etwas. Es klingt wie eine Litanei, etwas Auswendiges. Dann ein paar Namen.
Er rückt sich einen Stuhl zurecht, steigt drauf und tippt ganz fein gegen den Engel. Der beginnt leis zu schwingen. Stellt den Stuhl zurück und geht rückwärts aus dem Raum, wendet sich an der Tür um zu Maria. Sieht sie weinen. Er geht ein paar Schritte zurück, nimmt Anlauf und wirft sich mit ausgebreiteten Armen aus vollem Lauf gegen sie, sein Kopf liegt vor ihrem Bauch. Sie hält ihn. Er sie. So stehen Sie nun bis in Ewigkeit.
Am anderen Morgen kehrt Maria zurück aus der Rezeption in ihr altes Buch. Nimmt darin Platz in ihrer Kammer, wo sie den Engel treffen wird, der ihr sagt, was Gott mit ihr vorhat.

 

Thomas Hirsch-Hüffel

 

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Kirche mit Hoffnung und Zukunft

Nach einem Jahr gemeinsamen Arbeitens, nach dem Aufbau der Website, einer ganzen Reihe von Onlinedebatten, nach Erfahrungen mit Twitter und Facebook und vor allem nach dem (im Rückblick immer noch beglückenden) ersten Forumstag haben wir uns als Initiativkreis Mitte November in Schmannewitz getroffen und uns einen Tag lang Zeit genommen, um innezuhalten und zu überlegen, wo wir momentan stehen und wie es mit dem Forum weitergehen soll.

Was haben wir gemacht?
Wir haben uns darüber ausgetauscht, aus welchen Kraftquellen wir bei unserem Engagement für das Forum schöpfen.

Wir haben uns erzählt, wie wir das „Forum“ sehen, was es für uns im Moment ist. „Ort der Zuversicht und Veränderung“, „ein Dienst an Menschen, die in unserer Kirche am Rand stehen“, „ein Raum für Verständigung“, „wirksame Öffentlichkeit“ – in diesem Spektrum bewegten sich die Antworten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Schmannewitzer Treffens. Sie offenbarten zugleich, dass die Forumsarbeit durch verschiedene (und manchmal auch miteinander im Konflikt stehende) Intentionen geprägt ist. So konnten wir das Forum zwischen den Begriffen „Auseinandersetzung“, „Position“ und „Beziehung“ neu verorten. Ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit wird auf dem Beziehungsaspekt liegen. Wir wollen versuchen, „ekklesiologische Ideenwerkstatt“ zu sein.
Den größten Teil des Tages waren wir damit beschäftigt, uns darüber zu verständigen, wie es mit dem Forum weitergehen soll. Welche Impulse wollen wir setzen? Welche Menschen wollen wir zusammenbringen? Welche Themen stehen an? Und in welchem Format lassen sich diese Themen am besten aufgreifen?
Am Ende des Tages hatten wir fünf konkrete Aufgabenfelder identifiziert:

  • Forumstag: Im nächsten Jahr wird es einen weiteren Forumstag geben: am 26. August. Wo der Tag stattfinden wird, ist noch offen. Nachdem sich unsere erste Idee, den Forumstag ins Erzgebirge zu bringen, nicht realisieren lässt, halten wir im Moment in Dresden Ausschau nach einem geeigneten Veranstaltungsort.
  • r2017: Das Forum für „Gemeinschaft und Theologie“ wird beim Leipziger „Kirchentag auf dem Weg“ vom 25.-27. Mai in Leipzig präsent sein und zwar voraussichtlich in der Kongresshalle am Leipziger Zoo unter der Überschrift: „Streitfragen 2017“.
  • Quartalsthemen: Künftig wollen wir je Quartal ein ganz bestimmtes Thema setzen, beleuchten und diskutieren, gern auch unter Einbeziehung der evangelikalen Perspektive. Der Rhythmus der Themen wird auch die unten folgenden Aufgabenfelder durchziehen und strukturieren. Losgehen soll es im ersten Quartal 2017 mit dem Thema „Mission“.
  • Website: Unsere Website soll umgestaltet werden. Nach einer Phase, in der vor allem die Publikation von Texten im Vordergrund stand und sich auf der Website einige mal mehr mal weniger fruchtbringende Diskussionen entwickelten, soll die Seite in Kürze eine dreigeteilte Struktur haben. Das Quartalsthema wird die Seite thematisch stärker fokussieren. Zweitens möchte die Website einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen, die mit den Anliegen des Forums sympathisieren, in den einzelnen Regionen unserer Landeskirche zueinander finden. Drittens will unsere Homepage nach wie vor Positionen vorstellen und Weiterbildungsangebote machen.
  • Tischgemeinschaften: Wir wollen anregen, dass sich Christinnen und Christen in den verschiedenen Regionen unserer Landeskirche (in Anlehnung an die frühchristliche Tradition) zu Tischgemeinschaften zusammenfinden. Eine Person öffnet die Wohnungstür und lädt Gäste an den Tisch. Man isst und trinkt miteinander und kommt dabei ins Gespräch über Gott und die Welt (oder auch andere Themen). Das Quartalsthema und die auf der Webseite dazu gesammelten Materialien, bieten Impulse für das Gespräch bei Tisch.

Kurz: Es war ein intensives und weiterführendes Treffen.
Wir sind dankbar für alles Feedback, Mitdenken, Weiterdenken, Unterstützen, das uns bisher erreichte und freuen uns auf weitere Begegnungen auf dem Forum!

 

Kathrin Mette

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Feiern wir den Tag der Menschenrechte gemeinsam - wann, wenn nicht jetzt?

Am 10.12. 2016 begehen wir, wie jedes Jahr, den Tag der Menschenrechte. An diesem Tag wird der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 gedacht. In ihr heißt es: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Ein Satz der in Erinnerungen gerufen werden muss – gesellschaftlich – religiös - und besonders auch in der christlichen Kirche.

 

 

Der Vorsitzende des Rates der EKD Heinrich Bedford-Strohm gab im Zuge der Präsidentschaftswahl von Donald Trump folgendes Statement ab: „Ich glaube die Zeit des Spaltens ist nun vorbei. Wir müssen zusammenführen, wir müssen mithelfen, dass die klaren Grundorientierungen, für die wir als Christen stehen, in die öffentliche Debatte hineinkommen, im Dialog mit allen Menschen diskutiert werden können [...]. Und wir müssen dafür sorgen, gerade auch als Kirchen, dass die Rolle, die Deutschland, die Europa spielt, so ist, dass in der Welt insgesamt für die Schwachen eingestanden wird. Dass Werte wie Nächstenliebe und Empathie auch in die politischen Zusammenhänge hineinstrahlen, und dass vor allem alle Spaltertendenzen, die wir gegenwärtig erleben, alle Polarisierungen, alles Schüren von Hass, endlich ein Ende hat und auch die Politik in dieser Hinsicht endlich zur Vernunft kommt.“

 

Die klare Grundorientierung, für die wir als Christen stehen, bleibt für mich momentan freilich mancherorts etwas schleierhaft– verschiedene Gruppen kommen zu unterschiedlichen Wahrheiten, mitunter zu unterschiedlichen Werten. Die „Schwachen“ werden unterschiedlich identifiziert und zuweilen diskreditiert. Wir streiten – das ist auch nötig. Dennoch, es wäre gut und notwendig, zu zeigen, dass Kirche, die sich in der Nachfolge Christi bewegt, immer Kirche sein muss, die für andere da ist, sonst ist sie keine Kirche (Dietrich Bonhoeffer). Unsere Aufgabe ist es, über alle theologischen Unstimmigkeiten hinweg für Menschenrechte einzutreten. Unsere Nächstenliebe und Empathie gilt allen Menschen. Diskriminierung, Gewalt und das unablässige Schüren von Ängsten sind nicht vereinbar mit christlichen Werten. Christus ist unser Vorbild – allem Streit der Menschen um Auslegung der Schrift zum Trotz hat er stets für den Menschen gestritten, ist für ihn eingetreten und letztlich für ihn gestorben, für jeden Einzelnen von uns.

 

So gibt die EKD seit Jahren eine gottesdienstliche Empfehlung für den Tag der Menschenrechte heraus und befasst sich thematisch mit einem Schwerpunktthema von Menschenrechten. Dieses Jahr unter dem Thema „Hier ist nicht Mann noch Frau“ - Recht auf Gleichbehandlung ungeachtet sexueller Orientierung und Identität.

 

In ihrem Materialheft finden sich nicht nur Fakten zur gegenwärtigen Situation der Ausgrenzung und der Lebensgefahr, unter der viele Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität weltweit stehen, sondern auch Anregungen für die inhaltliche Gestaltung eines Gottesdienstes am 10.12.2016.

 

Unsere Bundeskanzlerin erinnerte heute in ihrer Rede, in der sie Donald Trump zum Wahlsieg gratulierte, an die demokratischen Werte, die die Basis unseres Lebens und Handelns bilden: Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung.“

 

Dieser Werte gilt es sich zu erinnern, gerade auch als Christen.

Eine herzliche Einladung in Ihren Gemeinden einen Gottesdienst zu veranstalten zu diesem so wichtigen Tag am 10.12.2016.

 

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28)

 

 

 

Jennifer Scherf

 

 

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Als sei die Art, wie wir lieben, für andere bedeutungsvoller als für uns selbst

Vor wenigen Tagen hat die Journalistin und Philosophin Carolin Emcke den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen. In ihrer Rede plädierte sie dafür, jeden einzelnen Menschen in seiner Einzigartigkeit zu respektieren und zu schützen, auch wenn er  in bestimmten Punkten von dem abweicht, was die meisten Menschen als "normal" empfinden. Carolin Emcke ist selber homosexuell. Sie schreibt:

Homosexualität "ist nichts, das man sich aussucht, aber es ist, hätte ich die Wahl,...

... das, was ich mir wieder aussuchte zu sein. Nicht, weil es besser wäre, sondern schlicht, weil es mich glücklich gemacht hat. Als ich mich das erste Mal in eine Frau verliebte, ahnte ich - ehrlich gesagt - nicht, dass damit eine Zugehörigkeit verbunden wäre. Ich glaubte noch, wie und wen ich liebe, sei eine individuelle Frage, eine, die vor allem mein Leben auszeichnete und für andere, Fremde oder gar den Staat, nicht von Belang.

Jemanden zu lieben und zu begehren, das schien mir vornehmlich eine Handlung oder Praxis zu sein, keine Identität. Es ist eine ausgesprochen merkwürdige Erfahrung, dass etwas so Persönliches für andere so wichtig sein soll, dass sie für sich beanspruchen, in unsere Leben einzugreifen und uns Rechte oder Würde absprechen wollen. Als sei die Art, wie wir lieben, für andere bedeutungsvoller als für uns selbst, als gehörten unsere Liebe und unsere Körper nicht uns, sondern denen, die sie ablehnen oder pathologisieren. Das birgt eine gewisse Ironie: Als definierte unsere Sexualität weniger unsere Zugehörigkeit als ihre."

 

Zur Website von Carolin Emcke geht es hier

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Segnung von Paaren in Eingetragener Lebenspartnerschaft in Sachsen möglich

DRESDEN – Die Kirchenleitung der sächsischen Landeskirche hat auf ihrer Sitzung am 17. Oktober in Dresden beschlossen, dass Segnungen von Paaren in Eingetragener Lebenspartnerschaft im Einzelfall auch im Gottesdienst möglich sind, sofern Pfarrerinnen und Pfarrer sich hierzu bereit erklären. Die Verantwortung dafür liegt bei den Pfarrerinnen und Pfarrern.

Sie haben jedoch im Vorfeld die Beratung im Kirchenvorstand zu suchen. Wird eine Segenshandlung von Pfarrerinnen und Pfarrern verantwortet, ist sie ab Anfang nächsten Jahres nach der liturgischen

Handreichung zur „Segnung von Paaren in eingetragener Lebenspartnerschaft“ zu vollziehen. Diese gottesdienstliche Segenshandlung versteht sich nicht als Trauung, sondern als Segnung von Paaren in Eingetragener Lebenspartnerschaft, die damit ihren Willen zum Ausdruck bringen, eine Partnerschaft in

Verlässlichkeit, in verbindlicher Treue und Verantwortung füreinander zu begründen. Zumindest eine der Partnerinnen oder einer der Partner muss einer der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehören. Die Segnung wird in einem eigenen Register der Kirchgemeinde aktenkundig gemacht. Die Handreichung wurde durch eine sechsköpfige Arbeitsgruppe der Kirchenleitung erarbeitet, die seit Oktober letzten Jahres die theologischen, rechtlichen und kirchenpolitischen Voraussetzungen für eine Segnung von Paaren in Eingetragener Lebenspartnerschaft zu prüfen hatte. In der Einleitung des Berichtes wird festgestellt, dass

gegenwärtig ein gesamtkirchlicher Konsens hinsichtlich der Segnung Eingetragener Partnerschaften als öffentliche Kasualhandlung nicht möglich ist. Den unterschiedlichen Auffassungen wird aber gemäß dem Ergebnis des Gesprächsprozesses zum Schriftverständnis durch die Freigabe des Gewissens Raum gegeben und Schutz

gewährt.

 

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Worte aus Dresden

Menschen, die im Christentum, im Judentum, im Islam, im Buddhismus, bei den Sikhs oder den Bahai ihr geistliches Zuhause haben, aber auch Menschen ohne Religionszugehörigkeit unterstützen das "Dresdner Wort" - entstanden aus den ...

... sechs Religionsgemeinschaften, die sich während der Festttage zur Deutschen Einheit in Dresden 2016 nahe an der Kreuzkirche ein Zelt und viele Gespräche, Lachen, Tee und leckeres Essen geteilt haben. Das "Dresdner Wort" wartet auf viele weitere Menschen, die es unterzeichnen und sich da, wo sie leben, zu eigen machen. Sind Sie eine oder einer davon? Wie wohltuend ist dieses Miteinander, im Unterschied zum Hassgebrüll, das ich auf dem Weg zum Ökumenischen Gottesdienst am 3. Oktober in Dresden hören musste.

 

Barbara Zeitler

 

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Seitenblicke

Heute soll an dieser Stelle auf zwei Webseiten hingewiesen werden, die für Interessierte an der Forumsarbeit sicher auch hilfreiche Anregungen bereit halten.

Auf die erste Seite wurden wir von R. Haubold aufmerksam gemacht. Auf www.glaubensreform.de präsentiert sich die "Gesellschaft für eine Glaubensreform e. V.". Sie tritt u.a. für eine Kirche ein, ...

die dem Weg Jesu folgt und Ehrfurcht vor dem Leben aller Geschöpfe zeigt; den kritischen Umgang mit Bibel und kirchlicher Lehre fördert; Biblizismus und Fundamentalismus energisch entgegentritt; zentrale naturwissenschaftliche Erkenntnisse über das Leben im Kosmos mit dem christlichen Glauben verbindet und die Vielfalt der Gottes- und Glaubensverständnisse achtet.

 

Die zweite empfehlenswerte Webseite ist unter der Adresse worthaus.org/ zu erreichen. "Worthaus" ist ein 2010 ins Leben gerufenes Experiment. Es versteht sich als den Versuch, einen unverstellten Blick auf die biblischen Texte und den Menschen zu gewinnen, an dessen Geburt sich nicht nur unsere Zeitrechnung orientiert. In aller denkerischen Freiheit wird mit Mitteln des Verstands, der Wissenschaft und des Herzens daran gearbeitet, einen neuen, authentischen Zugang zu den christlichen Quellen zu finden. Auf dieser Webseite finden sich eine ganze Reihe sehr informativer Vorträge zu Fragen der christlichen Lebensführung ("Christliche Sexualethik"), zur Bedeutung der Bibel ("Die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben – was Christen der Bibel verdanken") und zu ganz konkreten biblischen Gestalten ("Johannes der Täufer") oder einzelnen biblischen Texten ("Das Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und vom Perlenkaufmann").

Diese Vorträge kann man anschauen oder sich als mp3 herunterladen und anhören, beim Bügeln, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder beim Joggen.

Kathrin Mette

 

 


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Die Besorgten und die Unruhestifter*innen

"Müßt Ihr diesen Streit denn so in die Öffentlichkeit tragen? Für die Medien ist das doch ein gefundenes Fressen. Das hättet Ihr doch hinter verschlossenen Türen machen können."

Diese Kommentare bekomme ich jetzt immer mal wieder zu lesen und zu hören. Dann male ich mir folgende Situation aus. Ein Schriftgelehrter sagt zu Jesus: "Deine Interpretation ist ja durchaus in Ordnung. Aber in der Öffentlichkeit kannst Du das doch nicht machen. Es gibt sowieso schon so viel Streit und Uneinigkeit. Und die Römer feiern doch, wenn wir miteinander streiten."

Und Jesus fragt dann zurück: "Während Ihr draußen schon mit Steinen auf Menschen schmeißt, soll ich im Haus mit Euch einen stillen theologischen Disput führen?"

Es ist heute eine kirchliche Wirklichkeit, daß Menschen diskriminiert werden. Es ist heute eine kirchliche Wirklichkeit, daß Leute in Verantwortung daran beteiligt sind. Es ist heute eine traurige Realität, daß Menschen aus unserer Landeskirche weggehen, weil sie hier keine Perspektive sehen.

Und wir sollen im stillen Kämmerlein theologische Scheingefechte führen? Nein, wir stellen uns zu unseren Geschwistern und ergreifen Partei für sie. Nicht aus Illoyalität, sondern aus Überzeugung.

 

Frank Martin

 

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Ein Tag

Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Eine ruhige Nacht liegt hinter mir als der Wecker klingelt. Ich öffne die Augen.

Der Himmel ist schon wieder hell.

Die Sonne scheint und nur ein paar weiße Wölkchen sind zu sehen.

Nichts hab ich dazu getan.

 

Lobe den Herrn meine Seele.

Im Badezimmer dreh ich den Wasserhahn auf. Frisches, klares, sauberes Wasser sprudelt heraus und rinnt erfrischend über Hände und Gesicht. Ich trinke einen großen Schluck.

…und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Ein Schrank voller sauberer Kleidung, Warmes und Dünnes, für kalte und für heiße Tage, gehört mir. Nicht zu vergessen das Schuhregal und die diversen Tücher und Ketten und Armreifen und …

Lobe den Herrn meine Seele.

 Bald duftet es in der Küche nach frischen Kaffee, Kakao und Toast für die Kinder. Ich greif heute lieber zum Müsli – soll ja gesund sein. Noch ein Stück frisches Obst dazu. Fertig ist der Frühstückstisch.

… und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Dann die Kinder wecken. Sie reiben sich verschlafen die Augen und murren, weil sie schon aufstehen müssen. Ach ja, Schule, lernen, Mathe und Deutsch und Sport und Musik und natürlich Freunde treffen. Was für ein Glück.

Lobe den Herrn meine Seele.

Der Tag nimmt seinen Lauf. Telefonate, Emails beantworten, diverse Gespräche vorbereiten, Mitarbeiterbesprechung. Manches macht Spaß, anderes weniger, manches geht leicht von der Hand, anderes braucht viel Zeit. Was soll’s. Ich kann in Frieden meiner Arbeit nachgehen.

Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat

Mittags eine kurze Pause, etwas essen, etwas trinken. Mehr als genug ist von allem da. Und im Briefkasten ein Urlaubsgruß von Freunden.

Lobe den Herrn meine Seele.

Am Nachmittag klingelt es an der Tür. Ein kleiner Junge hat seinen Schlüssel verloren und fragt, ob vielleicht in der Kirche jemand seinen Schlüssel abgegeben hat. Er ist enttäuscht, dass wir ihn nicht haben. Eine Stunde später ruft seine Mutter an. Der Schlüssel war im Geheimfach vom Ranzen. Wie schön. Ich freu mich mit.

Lobe den Herrn meine Seele.

Am Abend sitzen wir alle um den Tisch. Die Kinder erzählen von der Schule. Ich erzähle von dem Jungen mit dem Schlüssel.

Langsam wird es draußen wieder still.

… und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

Später, es ist schon längst dunkel, prangt hell der Mond am Himmel.

Ich bin müde und geh zu Bett. Nichts Besonderes ist heute passiert. Und doch: Was für ein Tag!

Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.

 

Christiane Dohrn

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Brief an den Zeitgeist  2016

Lieber Zeitgeist, ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zu dir; dir gegenüber bin ich hin- und

hergerissen. Manchmal möchte ich sagen: Böser Zeitgeist! Das Böse an dir beginnt für mich schon mit dem Industriezeitalter. Es geht um die Macht der Zahlen, die ich damit verbinde. Um das Schnelle. Das Immer-Mehr. Die Wirtschaft soll ständig wachsen. Kann das überhaupt gehen? Ist nicht irgendwann einmal Ende der Fahnenstange? Kann man sich nicht einfach mal zurücklehnen und versuchen, den erreichten Status Quo zu halten? Stattdessen sollen Umsatz und Aktien beständig steigen, steigen, steigen. Wohin? Wofür? Für wen? Für das Individuum?

Ja, einerseits ist es wunderschön, dass du, lieber Zeitgeist, die Bedürfnisse des Individuums würdigst – und deren Vielfalt. Andererseits, böser Zeitgeist, ist der einzelne Mensch bei dir eine Zahl, austauschbar, da – um effektiv – nein, besser noch: effizient zu sein. Er soll aus möglichst wenig Aufwand möglichst viel Ergebnis ´rausholen. Und auch da ist kein Ende abzusehen. Wann ist genug? Die Wirtschaft überprüft ständig, wo sich noch Zeit einsparen

lässt. Du, böser Zeitgeist, bist wie die grauen Herren bei „Momo“. Der Autor Michael Ende hat dich wunderbar erfasst! Ertappt! Und weil sich das so schlecht anfühlt, lediglich als rasende Zahl unterwegs zu sein, die austauschbar ist, möchte ich meinen, du bist schlecht, lieber Zeitgeist!

Lieber Zeitgeist, wir sind aufgeklärt. Wir stützen uns auf die Maximen der französischen Revolution: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Freiheit, sie wird groß geschrieben. Sogar der deutsche Bundespräsident hat sie sich groß auf seine Fahnen geschrieben. Freiheit. Ich kann tief durchatmen. Viele haben die Möglichkeit, sie selbst zu sein, ihre Einzigartigkeit zu leben und ihre Nische zu finden. Demokratie und Menschenrechte – nicht nur das Recht der Mehrheit, sondern auch der Schutz der Minderheiten.

Einst waren es Sklaven und Frondienst leistende Bauern, schließlich andere Rassen, das Proletariat und zum Schluss die Frauen, die erst unterdrückt wurden und sich dann befreiten. Zumindest in der westlichen Welt. Wie das oft beliehene Modell einer Zwiebel, die sich häutet. Und ich bin erschrocken, wenn ich von heutiger Sklaverei erfahre. Ich hätte gemeint, zumindest diese Zwiebelhaut ist für immer entfernt und gegessen. Der Umgang des IS mit jesidischen Frauen, Kinderarbeit und anderer Menschenhandel lehren mich etwas anderes. Ich habe die naive Vorstellung, irgendwann sei die Zwiebel geschält, aber unsichtbar scheinen ihre ursprünglichen Strukturen fortzubestehen, da Macht fortbesteht und alle Dynamiken, die mit ihr verbunden sind.

Ich atme tief durch und bin froh, zum Beispiel nicht in den 50er Jahren zu leben, als eine Frau ihren Ehegatten um Geld oder sein Einverständnis in ihre berufliche Tätigkeit bitten musste. Lieber Zeitgeist, du brichst Machtgefüge auf. Du schaffst die Sippenhaft ab. Auch der Stammbaum in seiner bisherigen Form wäre wohl überholt, sobald wir erkannt haben, dass Wasser genauso dick wie Blut sein kann. Durch dich kam die Emanzipation der Frau ins

Rollen. Im Zuge dessen bringst du auch das bisherige Verständnis von Ehe mächtig ins Wanken, … „und das ist auch gut so“!

Ist das gut so? Böser Zeitgeist, wo sind die Schutzräume für Menschen und Gemeinschaften geblieben? Schwindet durch dich die Achtung vor dem Leben? Individualisierung bringt Vereinzelung, und Vereinzelung bringt Einsamkeit. Was verbindet uns Menschen noch?

Nicht mal auf Knigge kann ich die anderen noch festnageln, wo es doch mit der Bibel schon lange nicht mehr geht. Mir fehlen Anstand und Höflichkeit in unserer Gesellschaft. Alle drängeln sich in Zug, Bus und Bahn. Kaum einer gibt einem anderen Vortritt. Gut, aufstehen tun wir schon noch für die Alten, Kranken, Schwangeren. Wir checken unsere Handys und haben kaum noch einen Blick für den anderen. Wir optimieren uns, trimmen uns auf Schönheit und Leistungsfähigkeit und streben das gesunde Leben an. Überprüfen dies bereits im Entstehen und stoßen es notfalls ab. Wir maßen uns an, uns einfach das Beste aus den Genen und den Ideologien herauspicken zu können, sind Marionetten der Werbung, überfüllt von Konsum und entleert von Sinn. Ich habe Angst, böser Zeitgeist, dass du manipulierte Narzissten hervorbringst, denen jeglicher Tiefgang fehlt.

Böser Zeitgeist, die Menschen haben bei dir freien Zugang zu jeglicher Art von Sexfilmen und könnten diese eindimensionale Darstellung mit Liebe verwechseln. Lieber Zeitgeist, die Menschen hinterfragen durch dich althergebrachte Ernährungsgewohnheiten und zeigen damit auch ihre Achtung vor der Schöpfung.

Böser Zeitgeist, unsere Fortbewegungsmittel verseuchen diese Schöpfung, aber…

Lieber Zeitgeist, dieselben bringen uns einander näher wie nie zuvor.

Lieber Zeitgeist, wir haben durch das Internet Zugang zu sämtlichen Wissensquellen und lassen uns nicht mehr so viel vormachen wie früher vielleicht – sondern können überprüfen und selber denken. Aber…

Böser Zeitgeist, dadurch werden wir frech und verlieren Respekt vor Autoritäten. Außerdem sind wir doch, zugegebenermaßen, viel zu faul zum Prüfen und lassen uns stattdessen lieber Halbwissen, Gerüchte oder Illusionen vorkauen, vorgaukeln und verkaufen. Wie denn nun?

Bist du böse oder lieb?

Zeitgeist, deine Freiheit ist gut. Sie sollte das Verbindende unter Menschen begünstigen und nicht das Trennende. Doch auch heute noch gibt es in dir Machtgefüge, eine Trennung zwischen Starken und Schwachen. Du stärkst das Laute, Schnelle und Kurzfristige, und du vernachlässigst das Leise, Langsame und Langfristige. Du stärkst den schnellen Genuss, das Optimum, das Geld und den Wissenserwerb; Du schwächst den Müßiggang, die Besinnung

und die Herzensbildung. Ich glaube, du brauchst eine Korrektur an den Stellen, wo wir Menschen uns voneinander und von uns selbst entfernen, ansonsten finde ich dich ganz okay.

Die nächste Haut der Zwiebel – weiter gibt es Schwache und Starke. Weiterschälen – die Schwachen stärken und die Starken in die Verantwortung nehmen.

 

Zeitgeist, du bist wie du bist. Du kommst nicht von außen und brichst nicht über uns herein; du bist immer ein Teil von uns selbst. Ich muss dich nicht vergöttern, nicht verteufeln. Du spiegelst – wie eh und je – das Menschliche wieder. Manch einer frönt dir in unkritischer Weise. Manch anderer empfindet sich dir gegenüber als Opfer. Der oder die eine mag bequem sein, der oder die andere mag sich durch seinen Kampf in einer besonderen Mission wähnen. Aber ich muss auch den Menschen weder vergöttern noch verteufeln. Ich komme weiter, wenn ich versuche, ihn zu verstehen. Dich, Zeitgeist, zu verstehen; dazu verhelfe mir Gott.

Claudia Appel

 

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Warum es kein nationales Christentum geben kann

Was hat die frühe Kirche so anziehend gemacht? Der Glaube und die Predigt? Darüber haben viele gelacht. Stärker wirkte die Einheit von Glaube und Leben. Dazu gehörte ohne Zweifel die Bereitschaft, für den eigenen Glauben zu sterben. Vor allem aber setzten die Gemeinden die Forderung Jesu um, barmherzig zu allen Menschen zu sein. Es war das diakonische Handeln der Kirche, das die Kirche so anziehend machte. Und sie bot etwas, ...

... das Rom nur sparsam verteilte: das Bürgerrecht. Wer getauft war, bekam das Bürgerrecht im Himmel. Egal, ob Mann oder Frau, frei oder versklavt, Jude, Grieche oder Barbar – alle eins in Christus Jesus. Und dies stand allen Menschen offen, weshalb niemand auszugrenzen war - wie ja auch die Barmherzigkeit allen galt.

Nun ist das Bürgerrecht im Himmel auf der Erde natürlich nicht viel wert. Und den römischen Verwaltungsapparat hat es nicht interessiert, ob sich ein Fremder auf dieses Recht berief. Dennoch: Da es neben der Familie kein soziales Netz gab, war das Bürgerrecht im Himmel eine Absicherung im Leben. Man lebte in einer Gemeinschaft, die keine Unterschiede machte. Die nicht nach politischen Überlegungen handelte, sondern nach der Überzeugung, dass vor Gott alle Menschen gleich sind.

Nicht die Nation zählt, die davon lebt, dass sie sich gegen Menschen anderer Nationen abgrenzt. Nicht die Geburt zählt, die bestimmt, wer dazugehört und wer draußen bleibt. Nein: alle eins in Christus Jesus; keine Gäste mehr bei Gott, sondern seine Familie.

Heute sterben an den Grenzen Europas täglich Menschen, die hierher wollen, um zu leben. Egal, ob sie ein Bürgerrecht im Himmel haben oder nicht – sie müssen draußen bleiben. Das Bürgerrecht im Himmel ist auf der Erde nicht viel wert; auch nicht im christlichen Abendland. Was könnte die Kirche heute
anziehend machen?

Frank Martin

 

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Was ich mir wünsche

Ich habe viele Wünsche. Viel mehr als drei. Aber von dreien will ich an dieser Stelle berichten. Ich wünsche mir, dass die Urlauber in der Dahlener Heide, die sich mit den "Asylanten" in der Nähe ihres Hotels nicht richtig erholen können (so sagen sie), nachts eine Autopanne haben (im Funkloch wohlgemerkt) und ...

... es einer von den "Asylanten" ist, der zufällig vorbeikommt und das Auto reparieren kann.

Ich wünsche mir, dass alle die ihre Vorurteile gegen "Neger" und "Fidschis" und "Zigeuner" pflegen, eines Morgens aufwachen und sich als einzige Weiße in einem afrikanischen Dorf südlich der Sahara wiederfinden ohne die Möglichkeiten dort schnell wieder zu verschwinden.

Und allen, die es falsch finden, wenn Frauen Frauen lieben oder Männer Männer begehren, wünsche ich, dass ihre Tochter eines Tages zu ihnen kommt und sagt: "Papa, Mama, ich habe mich in eine Frau verliebt. Ich war noch nie so glücklich in meinem Leben. Freut ihr euch mit mir?"

Ich wünsche mir ... oder auch nicht. Denn das sind ja gemeine Wünsche. Es ist gemein, jemandem eine Autopanne zu wünschen. Es ist gemein, sich jemanden als einzige "Weiße" in einem afrikanischen Dorf  vorzustellen  und sich auszumalen, wie sie dort schief angesehen und im schlechtesten Fall selber mit harten Vorurteilen konfrontiert werden würde. Und welchem Vater und welchem Kind wünscht man ernsthaft, sich in dieser existentiellen Konfliktlage wiederzufinden?

Aber: Ich glaube, dass sich bestimmte verkrustete Vorstellungen nur durch Erfahrungen aufbrechen lassen - Erfahrungen, die uns beispielweise zwingen die Perspektive zu wechseln und sich mit den Betroffenen zu identifizieren. Und so etwas wünsche ich mir. Weil sich nur so etwas ändern kann.

 

Kathrin Mette

 

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Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt, … – und wie wir als Kirche leben.

 

Eigentlich ein schräges Bild. Ein Weizenkorn stirbt, wenn es bei sich bleibt. Wenn es so bleibt, wie es ist – ein Korn eben. In der Erde entfaltet es seine Lebenskraft. Aber es verliert sich dabei. Aus dem einen Korn, das auf sich verzichtet, werden viele andere Körner. Das ist der Preis des Lebens.

 

Jesus deutet seinen Jüngern seinen Tod. Er ist nicht Opfer; er opfert sich. Es wird ihm nichts genommen; er schenkt sich. Vorbehaltlos und rückhaltlos gibt er sich. Nichts behält er zurück; nicht einmal seine Kleider. Wie ein Weizenkorn nicht bei sich selbst bleiben kann, wenn etwas wachsen soll, so verzichtet Jesus auf sich, damit Leben gegen den Tod wächst. Die Jünger haben damit ihre Schwierigkeiten. Wer sich wegwirft, geht doch verloren. Wer sich nicht beisammenhält, verliert sich im Zeitenlauf. Aus den Jüngern wächst die Kirche. Und je länger je mehr bewahrt und sammelt und behält die Kirche – sich selbst und was ihr anvertraut ist. Aber: Ein Weizenkorn bleibt allein, wenn es nur bei sich bleibt. Jesus schenkt sich weg, damit Leben wächst. Und er sagt zu seinen Jüngern: Wie ich, so auch ihr! Das heißt für uns: Verschenkt euch, verliert euch ganz im Vertrauen auf Gott – und ihr werdet sehen, wie daraus Frucht wächst! Heute reden wir aber von Konzentration. Heute aber bündeln wir die Kräfte. Heute aber kürzen wir die Mittel. Heute versuchen wir, die Substanz zu erhalten. Um uns selbst, um unsere Gemeinden drehen wir uns. Da bleibt keine Kraft für Neues. Aber: Ein Weizenkorn stirbt, wenn es bei sich bleibt. Wir bleiben allein, wenn wir uns nicht verschenken – das ist heute wohl unsere traurige Realität. Gemeinde in der Nachfolge Jesu muß auf sich verzichten und Gemeinde für die Anderen sein. Sonst ist sie nutzlos für alle.

 

Frank Martin

 

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Über das Zweifeln

„Meine Seele fühlt den furchtbaren Schmerz, dass Gott mich nicht will, dass Gott nicht Gott ist, dass Gott nicht wirklich existiert. Der Himmel welche Leere.“

 

Können Sie sich vorstellen, wer diesen Satz gesagt hat? Man kann es gar nicht glauben, aber der Satz stammt von ...

... Mutter Teresa.

 

„Der Himmel welche Leere.“ Man weiß von Mutter Teresa, dass sie eine „göttliche Berufung“ verspürte, den Armen zu helfen. Mutter Teresa hat einen Orden gegründet und fortan in den Slums von Kalkutta gelebt und sich um die Menschen dort gekümmert. Und sie war hoch angesehen. 1979 hat sie den Friedensnobelpreis bekommen. Im Jahr 2003 wurde sie selig gesprochen. Die Heiligsprechung soll noch in diesem Jahr erfolgen.

 

Vor einigen Jahren sind Briefe von Mutter Teresa veröffentlich worden, die zeigen, was man sich kaum vorstellen kann: Mutter Teresa hat seit der Gründung ihres Ordens in einer tiefen Glaubenskrise gelebt. „Der Himmel welche Leere.“

Mutter Teresa hat nur ihrem Beichtvater von dieser Glaubenskrise berichtet, niemandem sonst. Dazu schreibt sie in ihren Briefen: „Ich wage nicht, die Worte und Gedanken auszusprechen, die mein Herz bedrängen.“

 

Ich kann diese Frau verstehen. Als Ordensfrau; als „Engel der Armen“ wie man sie nannte; als jemand, die schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt wurde, war es ihr unmöglich, sich als die Zweiflerin ja als die Verzweifelte erkennen zu geben, die sie – wie wir nun wissen – eigentlich war.

 

Es macht mich traurig, mir die Seelennot dieser Frau vorzustellen und ich frage mich, was passiert wäre, wenn sie es tatsächlich gewagt und anderen Menschen an ihrer Glaubenskrise Anteil gegeben hätte.

Sicherlich wären einige entsetzt gewesen, aber ich denke, dass es den meisten eher geholfen hätte, von Mutter Teresas abgrundtiefen Zweifeln zu erfahren … „Was, sogar sie?“ Niemand sollte sich schämen müssen, wenn ihn Glaubenszweifel umtreiben, wenn er die Gottesbilder seiner Kindertage hinterfragt, wenn er die Argumente der Religionskritik plausibel findet. Das alles können Wege zu einem tieferen Verständnis des Glaubens sein. Ich bin sogar der Auffassung, dass Gott die Sucher und Zweiflerinnen ganz besonders liebt, weil sie sich leidenschaftlich um ihn mühen.

 

Vor Jahren war ich zur Christvesper in der Leipziger Nikolaikirche. Wissen Sie wie der damals noch lebende Pfarrer Führer die Gemeinde zu diesem Gottesdienst begrüßt hat? Er wählte die Worte: Liebe Gemeindemitglieder, liebe Zweifler und alle anderen guten Christen.

Es wurde mir sehr weihnachtlich zumute damals.

 

 Kathrin Mette

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Die wundervolle Frage der alten Schlange: Sollte Gott gesagt haben, …?

Gern wird von der Seite derer, die sich selbst für fromm halten, dies Argument vorgebracht, wenn jemand Bibelstellen als irrelevant für die Diskussionen betrachtet: "Tz, tz, tz! Sollte Gott gesagt haben ...?" - und damit ist klar, daß, wer so redet, nur des Teufels sein kann. Ich denke da immer an Jesus und seine Begegnung mit denen, die sich selbst für fromm hielten.

 

 

 

Es ist Sabbat.

 

Jesus ist in der Synagoge und lehrt.

 

Eine Frau kommt.

 

Verkrümmt seit 18 Jahren.

 

Jesus richtet sie auf – er, der Weltenrichter.

 

Und der Vorsteher der Synagoge?

 

Wird unwillig.

 

Kommt gefälligst an den Wochentagen!

 

Sechs Tage habt ihr Zeit, euch heilen zu lassen.

 

Jesus fragt: Tränkt ihr eure Tiere am Sabbat?

 

Aber diese Tochter Abrahams soll nicht aufgerichtet werden am Sabbat?

 

Und der Vorsteher der Synagoge?

 

Er schweigt beschämt.

 

Immerhin!

 

Er hätte zu Jesus auch sagen können: "Tz, tz, tz! Sollte Gott gesagt haben …?"

 

Aber er schweigt beschämt.

 

Andere, die sich für fromm hielten, gingen an anderem Ort aus der Synagoge.

 

Sie berieten, wie sie Jesus töten könnten. Denn: "Sollte Gott gesagt haben …?"

 

Und sie fühlten sich so wunderbar im Recht.

 

Schließlich sei der Mensch ja für das Gesetz da!

 

Oder?

 

Oder sollte Gott gesagt haben: Das Gesetz ist für den Menschen da?

Frank Martin

 

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Impulse zur Schriftauslegung von unserem zukünftigen Bundespräsidenten

Im Jahr 2008, kurz vor Weihnachten, las ich in der ZEIT einen Artikel von Navid Kermani über die Bootsflüchtlinge von Lampedusa. Lange vor der sog. "Flüchtlingskrise" - oder sagen wir es genauer: zu einem Zeitpunkt als man sich in Mitteleuropa nicht weiter um die Flüchtlinge kümmerte, sondern die Sache gern Italien überließ, schrieb Kermani bewegend und aufrüttelnd über die Situation auf der kleinen italienischen Insel, über Frontex, ein überfülltes Lager,...

... über Touristen, die das alles nicht scherte und ein Schiff mit 65 Geretteten im Bauch. Der Artikel trug den Titel "Und an Bord sind Maria und Josef" und war auch sonst reich an christlichen Anspielungen. Dass dieser deutsch-iranische Intellektuelle muslimischen Glaubens sich in der Welt des Christentums auskennt und seine Überlegungen und Texte auch für christliche Gläubige immer wieder interessante Einsichten bereit halten, hat sein Buch "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum"  jüngst wieder bestätigt.

Das gilt sogar da, wo es Kermani selbst nicht darauf ankommt, sich auf christliche Gehalte und Symbole zu beziehen. So ging es mir vor wenigen Tagen bei der Lektüre seines Buches "Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime". Dort fand ich einen bemerkenswerten Absatz über den Koran, der ja - vergleichbar der teilweise im Christentums vertretenen Lehre von der Verbalinspiration der Bibel - als reines göttliches Wort gilt.

Dennoch ist es in der muslimischen Welt offenbar weithin common sense, dass dieses reine göttliche Wort auslegungsbedürftig ist, wobei diese Auslegungen als menschlich verantwortetes und insofern immer auch strittiges Unternehmen verstanden wird. (Ähnliches gilt übrigens auch für das Judentum.)

Kermani schreibt: "Ein klassischer Korankommentar enthält stets mehr als nur eine Deutung. Erst nachdem der Exeget die möglichen Interpretationen aufgezählt hat, stellt er seine eigene vor, um mit der Floskel  wa-llâhu a'lam abzuschließen, <<Und Gott weiß es besser>>. Eben weil der Koran als das reine göttliche Wort gilt, ist nach traditioneller islamischer Auffassung jede Auslegung menschlich und daher notwendig relativ. Dass niemand über die absolute Deutung verfügt, mehr noch: es diese eine Deutung gar nicht geben dürfte, gehört zu den Grundannahmen der klassischen muslimischen Exegese".

Ich wünschte mir, dass diese Einsicht auch Standard für den Umgang mit den biblischen Texten werden würde, nicht nur in der Exegese, sondern auch im Glaubensleben, egal ob in Leipzig oder Pockau. Denn das gilt ja wohl auch für uns:  Gott weiß es immer besser.

 

Kathrin Mette

 

Quelle: Das zitierte Textstück stammt aus: Kermani, N.: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009, S. 109.

Das von Kermani beschriebene Verfahren der Korandeutung begegnet auch immer wieder in der jeden Freitag gesendeten Serie des Deutschlandfunk: Koran erklärt

 

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Ein Ende den Grabenkämpfen

 

Spaltung! Tiefe Gräben! Sich hinter Vorwürfen verschanzen! Für den rechten Glauben kämpfen! In mancher verbalen Äußerung, die uns in den letzten Wochen erreicht hat, sieht man ein regelrechtes Schlachtfeld vor sich. Ja, die Kirche (und nicht nur die Kirche) durchzieht ein großer Graben. Aber warum soll das ein Schützengraben sein? Es gibt auch andere Gräben, die deutlich machen, dass Abgründe zwischen uns liegen.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Werner Tiki Küstenmacher
Mit freundlicher Genehmigung von Werner Tiki Küstenmacher

Ich liebe Canyons – die sind auch gefährlich, aber geologisch unheimlich spannend. Eigentlich ertrage ich es kaum in die abgründige Tiefe zu blicken, weil ich nicht schwindelfrei bin. Trotzdem faszinieren mich diese Gräben. Tief eingeschnitten geben sie den Blick frei auf die Geschichte der Erde. Der Zahn der Zeit hat ganze Arbeit geleistet. Unter fachkundiger Führung lässt sich viel Interessantes entschlüsseln. Schichten bauen aufeinander auf. Eine trägt die andere und überlagert, was darunter liegt. Manches tritt an die Oberfläche, was sonst verborgen bleibt.

 

Am Graben in unserer Kirche, den die schnell dahinfließende Zeit zwischen uns aufgetan hat, ließe sich viel über das werden (und vergehen) der Kirche entdecken. Darüber in fachkundigen Expeditionen zu reden, fände ich spannend.

 

Für den Massentourismus aber müssen Gräben gut gesichert und Abgründe markiert sein, damit niemand auf der Strecke bleibt. Auch dafür tragen wir Verantwortung.

 

Und letztlich mündet jede noch so wilde Schlucht irgendwann in offenem Land, wenn man nur lange genug sorgfältig und vorsichtig am Graben entlang geht. Wollen wir miteinander gehen – jeder auf seiner Seite des Grabens?  Dann bleibt als Aufgabe, dass wir uns einigen müssen, ob wir mit dem Strom der Zeit, also flussabwärts, oder gegen den Strom, also flussaufwärts, gehen wollen.

 

Christoph Maier

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Bei einer Muslima beten lernen ...

"O Herr, wenn ich Dich aus Angst vor der Hölle liebe, verbrenne mich dort, und wenn ich Dich in der Hoffnung auf das Paradies liebe, schließe mich dort aus, ...

 

... doch wenn ich Dich aus Liebe zu Dir selbst liebe, entziehe mir nicht Deine göttliche Schönheit."

 

Dies ist eines der schönsten Gebete der reinen Gottesliebe, welches ich kenne. Es stammt aus dem 8. Jh. Dieser Gedanke findet sich auch bei vielen Mystikern des späteren Mittelalters und der Neuzeit – besonders eindrücklich etwa bei Theresa von Ávila und bei Johannes vom Kreuz. Aber auch schon Franz von Assisi und Thomas von Aquin beten in ähnlicher Weise.

 

Was macht dieses Gebet nun so besonders? Es war eine Muslima, die so betet. Rābiʿa al-ʿAdawiyya al-Qaysiyya war eine muslimische Mystikerin, die für ihre brennende Liebe zu Gott bekannt war. Auch, wenn ich nicht alle ihre Glaubensvorstellungen teile, fühle ich mich ihr nahe. Oder anders und ehrlicher: Auch ich sehne mich danach, diese reine und selbstvergessene Liebe zu Gott zu suchen.

Frank Martin

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Die Erde ist eine Scheibe – oder: Was leisten biblische Begründungen?

In Lettland soll die Frauenordination wieder abgeschafft werden. So weit, so schlimm. In der Stellungnahme der EKD-Auslandsbischöfin zu dieser absurden Entscheidung kommt ein Argument zum Tragen, welches mich befremdet. ...

... Frau Bosse Huber schreibt im Blick auf die Frauenordination: "Dafür gibt es gute biblische Gründe in Treue zum Evangelium." Müssen wir dafür biblische Gründe finden? Oder ist alles, was sich biblisch begründen läßt, damit auch schon berechtigt? Nun, es lassen sich sehr gute biblische Gründe für die Todesstrafe finden. Es lassen sich sehr gute biblische Gründe für die Polygamie finden. Für Prügelstrafen und andere schlimme Dinge auch. Erwartet irgendjemand ernsthaft, daß wir gute biblische Gründe gegen Todesstrafe, Polygamie und Prügelorgien vorbringen, um zu rechtfertigen, daß es so etwas bei uns nicht gibt? Bestimmte Sachen dürfen wir nicht rechtfertigen, als ob sie in Frage stünden – auch nicht biblisch!

Frank Martin

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Das eine: Herz; das andre heißt: Vernunft.

Ein Freund wies mich neulich auf ein Glaubensbekenntnis von Ignaz Heinrich von Wessenberg hin, verfasst im Jahre 1799.

Darin heißt es zum Beispiel:

 

"Ich glaube an der Geister Auferstehung, daß, wenn dereinst das müde Auge bricht, geläuterter wir dort uns wiedersehen. Ich hoff und glaub es, doch - ich weiß es nicht."

Und etwas später heißt es:
"Und tret ich einstens aus des Grabes Tiefen hin vor des Weltenmeisters Angesicht,
so wird er alle meine Taten prüfen, doch meinen Glauben - nein, das glaub ich nicht.“

 

Sicher möchte man mit dem Verfasser über manche seiner Aussagen streiten. Aber das ist ja gerade das Beeindruckende: Da bekennt einer Farbe.

Da traut sich einer, publik zu machen, was er persönlich glaubt und was nicht. Da macht sich einer angreifbar. Ich wünsche mir, dass wir Christinnen und Christen uns viel öfter ganz offen und ohne Angst vor Verurteilung darüber austauschen würden, was wir eigentlich glauben oder auch nur, was wir meinen, wenn wir Jesus als den "Sohn Gottes" bekennen oder die "Auferstehung  der Toten". Denn alles Einstimmen in die tradierten Glaubensbekenntnisse entbindet uns ja nicht, Rechenschaft darüber zu geben, was wir unter und hinter den Worten verstehen ... Und das kann mitunter ziemlich verschieden sein. Spannend nicht?

 

Kathrin Mette

 

„Mein Glaube
Ich glaub, daß, der die schöne Welt regiert,
ein weiser, nie begriffner Geist.
Ich glaube, daß Anbetung ihm gebührt,
doch weiß ich nicht, wie man ihn würdig preist.
Nicht glaub ich, daß der Dogmen blinder Glaube
dem Höchsten würdige Verehrung sei.

Er bildete ja das Geschöpf aus Staube
von Irrtum nicht und nicht von Fehlern frei.
Ich glaube nicht, daß vor dem Geist, der Welten
erschuf, des Talmud und des Alkoran
Bekenner weniger als Christen gelten;
verschieden zwar, doch alle beten an.
Ich glaub es nicht, wenn wir von Priestern hören,
der Christenglaube mache nur allein
uns selig, wenn die Finsterlinge lehren,
verdammt muß jeder Andersdenker sein.
Das hat der Weise, der einst seine Lehre
mit seinem Tod besiegelt, nie gelehrt;
das hat fürwahr - dem Herrlichen zur Ehre -
kein Jünger je aus seinem Mund gehört.
Er lehrte Sanftmut, Demut, Duldung üben.
Verfolgung war der hohen Lehre fern.
Er lehrt' ohn Unterschied die Menschen lieben,
verzieh den Schwachen, ja dem Feinde gern.
Ich glaube an der Geister Auferstehung,
daß, wenn dereinst das müde Auge bricht,
geläuterter wir dort uns wiedersehen.
Ich hoff und glaub es, doch - ich weiß es nicht.
Dort, glaube ich, wird sich die Sehnsucht stillen,
die hier das Herz oft foltert und verzehrt.
Die Zukunft, glaube ich, wird sich enthüllen
dem Auge dort, dem hier ein Schleier wehrt.
Ich glaube, daß für dieses Erdenleben -
glaub's zuversichtlich trotz der dunklen Zunft -
zwei schöne Güter mir der Herr gegeben;
das eine: Herz, das andre heißt: Vernunft.
Das zweite läßt mich prüfen und entscheiden,
was ich für Recht und Pflicht erkennen soll.
Laut schlägt das erste bei des Bruders Freuden,
nicht minder, wenn er leidet, warm und voll.
So will ich denn mit regem Eifer üben,
was ich für Recht, was ich für Pflicht erkannt,
will brüderlich die Menschen alle lieben
am Belt, am Hudson und am Gangesstrand.
Ihr Leid zu mildern und ihr Wohl zu mehren,
sei jederzeit mein eifrigster Beruf.
Durch Taten glaub ich würdig zu verehren
den hohen Geist, der mich wie sie erschuf.
Und tret ich einstens aus des Grabes Tiefen
hin vor des Weltenmeisters Angesicht,
so wird er alle meine Taten prüfen,
doch meinen Glauben - nein, das glaub ich nicht.“

 

Abgedruckt in: Werner und Dorothea Zager, Albert Schweitzer – Impulse für ein wahrhaftiges
Christentum, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 32f.

 

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Jesus oder die Frage: Was kümmert mich fremdes Elend?

 

Es erstaunt mich immer wieder, wenn ich lese: "Warum müssen wir uns mit Themen wie Homosexualität oder Frauenrechten beschäftigen. Gibt es nichts wichtigeres? " ...

 

und dann feststelle, daß die, die sich so äußern, in keiner Weise betroffen sind. Natürlich kann man den Hunger ignorieren, wenn man satt ist; die Kälte, wenn man es warm hat. Natürlich muß man sich nicht um die kümmern, die getreten werden, wenn man am Fenster steht. Wie heißt es doch? "Neun von zehn Schüler*innen finden Mobbing gar nicht so schlimm." Christlich geht aber anders.

Frank Martin

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Der Forumsblog: Du kannst mich mal kreuzweise

Katholikentag. Im Chill-Café der Katholischen Jugend unter den Bäumen auf dem Schulhof bei der Jugendkirche liegen Bierdeckel. Die 7 (oder 14?) Werke der Barmherzigkeit werden durchdekliniert. Ich bleibe bei dem kurzen Text hängen:

Stimmt. Beten für jemand, mit dem ich Schwierigkeiten habe, verändert viel. In mir. Innere Haltung. Äußeres Gerede. Ich bete dann nicht, dass Gott jemanden umdrehen möchte. Ich stelle die andere Person und mich selbst in Gottes Gegenwart: Segnen. Und ich warte, bis ich das wirklich sagen kann: Amen. Das dauert....... Besonders für die Christenmenschen, mit denen ich Schwierigkeiten habe. Der Kopf sagt: Der Mensch mit dem ich Schwierigkeiten habe, ist mein Bruder, meine Schwester in Christus. Unser Verhältnis ist Gottgegeben. Der "von Christus erlöste, von seiner Sünde freigesprochene, zum Glauben und ewigen Leben berufene Andere" - so sagt das auch Dietrich Bonhoeffer. Das Herz sagt: Ich finde das schwer. Und auch: Dein fressender Ärger schadet. Segen heilt. Du kannst mich mal kreuzweise. Segnen. Amen.

 

Barbara Zeitler

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Der Forumsblog: Markus und ich oder wie das Miteinander gelingen kann

Markus und ich haben uns im Studium in Leipzig kennengelernt. Wir hatten damals meiner Erinnerung nach nicht allzu viel miteinander zu tun, bewegten uns in verschiedene Glaubenswelten und Freundeskreisen. Markus gehörte dem „evangelikalen Lager“ unter den Studierenden an...

... und war in der Andreasgemeinde unterwegs. Damit hatte ich nun – schon von Haus aus – so gar nichts am Hut. Stattdessen entdeckte ich im Laufe des Studiums mehr und mehr die philosophische Theologie für mich. Ich wechselte von Leipzig nach Berlin, später dann nach Halle, las dort mit Begeisterung Kant, Schleiermacher und Tillich und hatte Markus längst vergessen.

 

Aber wie das Leben so spielt … Als ich meine erste Pfarrstelle in Schmannewitz antrat, traf ich Markus wieder. Er war der Pfarrer der südöstlichen Nachbargemeinden. Nun trafen wir naturgemäß regelmäßig aufeinander: Im Pfarrkonvent, bei regionalen Dienstbesprechungen, in Nachbarschaftsgottesdiensten. Schon bald merkten wir, dass es in unseren schrumpfenden Landgemeinden wenig Sinn macht, wenn jede und jeder  ein eigenes Süppchen rührt. Und so begannen wir irgendwann verstärkt zusammenzuarbeiten, v.a. in der Männer- und der Konfirmandenarbeit.

 

Erstaunlicherweise ging das von Anfang an besser als gedacht. Und so manches Mal hab ich zu meinem Mann gesagt hab, dass ich damit nie und nimmer gerechnet hätte und dass es doch sehr erstaunlich sei, wie zwei Menschen, die theologisch so unterschiedlich ticken wie Markus und ich, so gut zusammen arbeiten können. Natürlich sind mir unsere unterschiedlichen Ansichten sehr präsent. Ich zucke regelmäßig zusammen, wenn Markus im Konfirmandenunterricht das Vokabular der mir aus meiner Erzgebirgszeit vertrauten christlichen Bekehrungsrhetorik verwendet. Ich schüttle den Kopf, wenn er von missionarischen Großveranstaltungen träumt. Seine Fürbitten sind länger als meine Predigten und zum Thema „Homosexualität“ haben wir sehr unterschiedliche Ansichten.

 

Ich bin mir sicher, dass es ihm mit mir auch so geht.

 

Aber all das beeinträchtigt unsere Zusammenarbeit nicht. Ja mehr noch: Es gibt Dinge, die ich an meinem Kollegen bewundere. Ich merke, dass seine Art zu glauben und theologisch zu denken bestimmte Menschen anzieht und begeistert. Ich bewundere sein Können auf der Gitarre, ich staune wie gut es ihm gelingt, eine Konfirmandenstunde in einem freien Gebet abzuschließen. Ich mag an ihm, dass er bereit ist, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen. Er versucht zu verstehen, wie ich von Gott denke oder der Bibel oder Jesus (und ich tue das umgekehrt genauso) und er spricht mir nicht meinen Glauben ab, wenn ich anderer Meinung bin als er selbst.

 

Einmal hat er mir sein Leid geklagt über einige Christen, die sich nicht so in der Gemeinde engagieren, wie er es gerne hätte. Da hab ich ihm gesagt: „Markus, leidest du nicht vor allem daran, dass nicht alle so glauben wie Du?“ Am Abend bekam ich eine Email von ihm. Darin stand: „Vielen Dank für deine Worte. Ich glaube, vorhin hat Jesus durch dich gesprochen.“

 

Ich freu mich schon auf unseren nächsten gemeinsamen Männerkreis!

 

Kathrin Mette

 

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Der Forumsblog: Fundgrube

Die Diskriminierung von Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften leben, wird auch in der Ev.-Luth. Landeskirche minimiert. Zwar dürfen Pfarrer*innen nach wie vor nicht ...

... selbstverständlich mit ihren Partner*innen im Pfarrhaus leben und für Menschen, die in gleichge­schlechtlichen Lebenspartnerschaften leben, gibt es immer noch keine Möglichkeit, offizi­ell öffentlich getraut/ gesegnet zu werden. Aber gemäß dem Kirchengesetz zur Erhebung von Kir­chensteuern in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens vom 23. Oktober 1990 in der geänderten Fassung vom 31. Dezember 2015 sind nach § 4 Partner*innen in eingeschriebenen Le­benspartnerschaften bei der Erhebung der Steuern wie Ehegatten – und die Lebenspartnerschaften wie Ehen zu behandeln.

 

Das scheint mir zwar der vierte oder fünfte Schritt vor dem ersten zu sein. Aber die Richtung stimmt ja. Näheres im Amtsblatt Nr. 9 vom 13. Mai 2016: http://www.evlks.de/doc/Amtsblatt_2016_9.pdf

 

Thematisch auch passend zum Thema: Das  Wort zum Tag (19. Mai) bei MDR 1 von Mira Körlin ...


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