Das eine: Herz; das andre heißt: Vernunft.

Ein Freund wies mich neulich auf ein Glaubensbekenntnis von Ignaz Heinrich von Wessenberg hin, verfasst im Jahre 1799.

Darin heißt es zum Beispiel:

 

"Ich glaube an der Geister Auferstehung, daß, wenn dereinst das müde Auge bricht, geläuterter wir dort uns wiedersehen. Ich hoff und glaub es, doch - ich weiß es nicht."

Und etwas später heißt es:
"Und tret ich einstens aus des Grabes Tiefen hin vor des Weltenmeisters Angesicht,
so wird er alle meine Taten prüfen, doch meinen Glauben - nein, das glaub ich nicht.“

 

Sicher möchte man mit dem Verfasser über manche seiner Aussagen streiten. Aber das ist ja gerade das Beeindruckende: Da bekennt einer Farbe.

Da traut sich einer, publik zu machen, was er persönlich glaubt und was nicht. Da macht sich einer angreifbar. Ich wünsche mir, dass wir Christinnen und Christen uns viel öfter ganz offen und ohne Angst vor Verurteilung darüber austauschen würden, was wir eigentlich glauben oder auch nur, was wir meinen, wenn wir Jesus als den "Sohn Gottes" bekennen oder die "Auferstehung  der Toten". Denn alles Einstimmen in die tradierten Glaubensbekenntnisse entbindet uns ja nicht, Rechenschaft darüber zu geben, was wir unter und hinter den Worten verstehen ... Und das kann mitunter ziemlich verschieden sein. Spannend nicht?

 

Kathrin Mette

 

„Mein Glaube
Ich glaub, daß, der die schöne Welt regiert,
ein weiser, nie begriffner Geist.
Ich glaube, daß Anbetung ihm gebührt,
doch weiß ich nicht, wie man ihn würdig preist.
Nicht glaub ich, daß der Dogmen blinder Glaube
dem Höchsten würdige Verehrung sei.

Er bildete ja das Geschöpf aus Staube
von Irrtum nicht und nicht von Fehlern frei.
Ich glaube nicht, daß vor dem Geist, der Welten
erschuf, des Talmud und des Alkoran
Bekenner weniger als Christen gelten;
verschieden zwar, doch alle beten an.
Ich glaub es nicht, wenn wir von Priestern hören,
der Christenglaube mache nur allein
uns selig, wenn die Finsterlinge lehren,
verdammt muß jeder Andersdenker sein.
Das hat der Weise, der einst seine Lehre
mit seinem Tod besiegelt, nie gelehrt;
das hat fürwahr - dem Herrlichen zur Ehre -
kein Jünger je aus seinem Mund gehört.
Er lehrte Sanftmut, Demut, Duldung üben.
Verfolgung war der hohen Lehre fern.
Er lehrt' ohn Unterschied die Menschen lieben,
verzieh den Schwachen, ja dem Feinde gern.
Ich glaube an der Geister Auferstehung,
daß, wenn dereinst das müde Auge bricht,
geläuterter wir dort uns wiedersehen.
Ich hoff und glaub es, doch - ich weiß es nicht.
Dort, glaube ich, wird sich die Sehnsucht stillen,
die hier das Herz oft foltert und verzehrt.
Die Zukunft, glaube ich, wird sich enthüllen
dem Auge dort, dem hier ein Schleier wehrt.
Ich glaube, daß für dieses Erdenleben -
glaub's zuversichtlich trotz der dunklen Zunft -
zwei schöne Güter mir der Herr gegeben;
das eine: Herz, das andre heißt: Vernunft.
Das zweite läßt mich prüfen und entscheiden,
was ich für Recht und Pflicht erkennen soll.
Laut schlägt das erste bei des Bruders Freuden,
nicht minder, wenn er leidet, warm und voll.
So will ich denn mit regem Eifer üben,
was ich für Recht, was ich für Pflicht erkannt,
will brüderlich die Menschen alle lieben
am Belt, am Hudson und am Gangesstrand.
Ihr Leid zu mildern und ihr Wohl zu mehren,
sei jederzeit mein eifrigster Beruf.
Durch Taten glaub ich würdig zu verehren
den hohen Geist, der mich wie sie erschuf.
Und tret ich einstens aus des Grabes Tiefen
hin vor des Weltenmeisters Angesicht,
so wird er alle meine Taten prüfen,
doch meinen Glauben - nein, das glaub ich nicht.“

 

Abgedruckt in: Werner und Dorothea Zager, Albert Schweitzer – Impulse für ein wahrhaftiges
Christentum, Neukirchen-Vluyn 1997, S. 32f.

 

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