C. Maier: Warum braucht es das Forum?

Es ist ein eigenartiges Gefühl, das mich in letzter Zeit immer öfter einmal beschleicht. Ich fühle mich fremd; fremd in der Diskussionsrunde unter Kollegen, befremdlich und peinlich erscheinen mir die Gespräche am Tisch bei der Familienfeier, in meiner eigenen Kirche werden Dinge gesagt, die mich erschrecken. Was hat sich nur so plötzlich verändert, warum sortiert sich auf einmal alles neu? Bis hinein in den eigenen Freundeskreis, alles scheint in Bewegung. Befremden, Unverständnis, tiefe Gräben, Polarisierung. Wo kommt das her, und warum können sich nicht einfach alle wieder vertragen?

 

Auf einen Begriff gebracht, kann man dieses Fremdheitsgefühl als Paradigmenwechsel beschreiben. Wer schon einmal längere Zeit im Ausland gelebt hat, kann dieses Gefühl der Fremdheit vielleicht nachvollziehen. In der Fremde galt ein anderer Konsens, ein anderes Paradigma, bezogen auf Wertvorstellungen, Anforderungen an die Lebensführung oder Problemlösungsstrategien. Dieses neue Paradigma habe ich in der Fremde übernommen. Ich habe mich mit Neugier, Willen und Mut eingelassen und viel Neues für mich entdeckt. Nun komme ich damit zurück in die alte Heimat – und verstehe die Welt nicht mehr. Nein, die Sonne versinkt nicht im Meer, es ist die Erde, die sich unter der Sonne dreht.

 

So wie heliozentrisches und geozentrisches Weltbild völlig unvereinbar sind, so fremd können sich Menschen einander sein, die die Welt unter anderen Paradigmen betrachten, also unter anderen Wertvorstellungen und Anforderungen an die Lebensführung und mithilfe anderer Problemlösungsstrategien leben.

 

Werte wie Ordnung und Gehorsam gehören in eine Welt, in der es Heilige und Märtyrer gibt, in der sich Sünde als schlechtes Gewissen zeigt, in der Gesetzestreue und Hierarchie geschätzt, und die Bibel als heiliges Buch verehrt wird. Das ist eine ganz andere Welt als die, in der Eigenverantwortung und Pluralität hohe Werte sind. Dort kann Widersprüchliches gut ausgehalten werden, muss nicht in Gut und Böse unterschieden werden, um sich orientieren zu können, dort liegt in Poesie und Erzählungen mehr Wahrheit, als in der rechten Lehre, dort wird nicht das Buch als heilig verehrt, sondern der dynamische Prozess der Offenbarung, der in, mit und unter diesem Wort geschieht.

 

Auf der persönlichen Ebene ist das Phänomen des Paradigmenwechsels auch als Entwicklungsstufe bekannt. In der Entwicklungspsychologie wurden Phasen der Moralentwicklung in Modellen diskutiert, die von einer stufenförmigen Weiterentwicklung ausgehen. Die Pubertät ist der bekannteste Paradigmenwechsel in diesem Prozess.

 

 

Paradigmenwechsel vollziehen sich von Zeit zu Zeit auch auf gesellschaftlicher Ebene. Die politischen Entwicklungen der letzten eineinhalb Jahre lassen sich, meiner Meinung nach, gut mit dem Phänomen des Paradigmenwechsels beschreiben. So stellt sich anhand einer gesellschaftlichen Krisensituation, also in einer Phase der Veränderung, für mich nicht die Frage, ob die Gesellschaft nach links oder rechts driftet, sondern ob die Lösungswege in der Verwirrung um das geltende Paradigma in einer regressiven oder progressiven Bewegung gesucht werden. Regression wäre das Zurückkehren zum Altbewährtem, zum alten Paradigma und Verständnis, z. B. von Nationalstaatlichkeit und politischer Machtstrategie. Progressiv wäre es, zu erkennen, dass die Krise nicht notwendigerweise durch die Korrektur einer Fehlentwicklung zu beheben ist, sondern vielleicht auch im vertrauensvollen Durchschreiten mit Blick auf das neue Paradigma.

 

Im theologischen Gespräch zeigen sich diese Paradigmenwechsel als scheinbar unversöhnliche Widersprüche im Verständnis der biblischen Heilsgeschichte. Hier in Sachsen wurde das in besonderer Weise im Streit um das Schriftverständnis beim Thema Homosexualität deutlich. Dass es dabei nicht nur um die rechte Auslegung einzelner Bibelstellen geht, sondern um einen grundlegenden Paradigmenwechsel, ist durch die Heftigkeit, mit der die Debatte geführt wird, gut nachvollziehbar. Die Krise, in die unsere Landeskirche dadurch geraten ist, führt zu Stillstand und Lähmung.

 

Im Moment scheint es so, dass die regressiven Reaktionen auf diese Krise unserer Landeskirche dominieren. Demgegenüber möchten sich aber auch die progressiven Kräfte nun deutlich wahrnehmbar Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen. Dies geschieht derzeit in einem „Forum für Gemeinschaft und Theologie“ (www.frei-und-fromm.de), in dem die Menschen bestärkt werden sollen, die ihren Glauben auf das neue Paradigma ausrichten (wollen).

 

Das ist zunächst ein seelsorgerliches Anliegen: Diejenigen, die im Widerstreit der Paradigmen ihren Glauben oder ihre Zugehörigkeit zur Kirche in Gefahr sehen, sollen Gemeinschaft erleben, die ermutigt, durch die Krise vertrauensvoll hindurchzugehen.

 

Dazu wird aber auch der Gegensatz zum alten Paradigma stärker hervorgehoben werden müssen. Somit verfolgt das Forum auch ein theologisches Anliegen: nämlich die klassischen Lehrsätze mit Blick auf das neue Paradigma zu reformulieren und Orientierung zu bieten. Das Forum will eine Frömmigkeit ermöglichen, die nicht als etwas Fremdes aus einer anderen Welt erlebt wird, sondern die einlädt, frei und fromm zu sein.

 

Ich möchte Sie herzlich einladen, sich zu beteiligen an der Diskussion im Internet oder beim Forumstag am 27. August 2016 ab 10.00 Uhr in der Peterskirche.

 

Pfr. Christoph Maier

 


Kommentare: 24
  • #24

    Sascha Wildenhain (Samstag, 15 Oktober 2016 22:09)

    Sehr geehrter Herr Rau,

    soeben habe ich mir die Mühe gemacht, den Dialog zwischen Ihnen und Frank Martin hier zu lesen.
    Entsetzlich, einfach nur entsetzlich, wie verhärtet, lieblos und spitzfindig Sie hier über den Glauben anderer Menschen schwadronieren. Meine Behauptung: Sensible Menschen, die im Alltag Nächstenliebe vorleben und auch auf sich selbst achten und nichts von "Kirche und Glaube" wissen, erfüllen das Evangelium unbewusst mit Leben und lächeln leicht, wenn sie sich die Frage stellen, ob es Sinn macht, sich auf Auseinandersetzungen einzulassen, die dieses Niveau haben. Ich schreibe es Ihnen hiermit deutlich ins Gesicht: Nicht nur, aber zu einem großen Teil ist es das lieblose, rechthaberische, unreflektierte und unsensible Gerede und Geschreibe von Menschen wie Ihnen, die denken, die Wahrheit gepachtet zu haben, welches in erheblichem Maße dazu beiträgt, dass Menschen, die auf der Suche nach Gott sind, sich abgestoßen fühlen, wenn sie so dürftig agitiert werden.
    Aber was hat das Evangelium mit Jesus Christus zu tun? Wenn ich Sie richtig verstehe, nicht viel, oder was meinen Sie genau mit Ihrem Satz aus #21: "3. Sie lesen „in den Evangelien, wie die Autoren Jesus darstellen“. Folglich ist Ihr Jesus ein abgeleiteter Jesus; d. h. die Evangelien sind primär, Jesus ist sekundär. Das ist mein Jesus auch. Dennoch schreiben Sie in Nr. 17: „Natürlich berufe ich mich auf Jesus. Auf wen sollte ich mich denn sonst berufen?“ Diese Aussage ist falsch! Sie berufen sich auf die Evangelien oder genauer: auf deren Verfasser." Was soll denn das bedeuten? Was sollen denn überhaupt diese ganzen persönlichen Anwürfe an Frank Martin? Jesus Christus ist die Mitte der Schrift, ist Ihnen das nicht eindeutig genug?
    Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie, sowohl im Staat als auch in
    unserer Kirche.

    Mit freundlichen Grüßen!
    Sascha Wildenhain

  • #23

    Frank Martin (Sonntag, 25 September 2016 07:36)

    Lieber Herr Rau,
    Sie schreiben an einen Spiegel. Nur die Namen verwechseln Sie.
    Ein paar kurze Anmerkungen:
    Die Funktion der Texte ist bei mir eine andere als bei Ihnen.

    Zu meinen Bewertungen stehe ich. Aber diese haben ja keine Auswirkungen für Sie - nur dort, wo Sie
    Ihre Vorstellungen absolut setzen.

    Wir haben kein belastbares Wissen zu Jesu Leben. Sie können die Evangelien gern als Biographien lesen. Aber dann lesen Sie bitte alle Evangelien einzeln und vergessen Sie, was Sie in dem einen gelesen haben, wenn Sie ein anderes lesen.

    Meine mangelnde Präzision bitte ich nachzusehen. Es war natürlich der Petrusbrief. Daß der Autor des Johannesbriefes aber Jesus gesehen hat, ist sehr unwahrscheinlich.

    Die Jungfrau ist eine Aussage über Jesus und nicht über Maria.

    Mein Jesus ist keine Waffe, vielmehr ein Schutzschild gegen Ihren Jesus.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #22

    A.Rau (Samstag, 24 September 2016 11:04)

    Sehr geehrter Herr Martin,

    Sie gestehen, dass Ihnen meine „Denkwelt sehr fremd ist“. Deshalb hier der Versuch, sie Ihnen verständlich zu machen. Erlauben Sie mir bitte, dass ich zu diesem Zweck das Spiel in umgekehrter Richtung spiele. Bislang haben Sie mich bewertet, jetzt bewerte ich Sie bzw. Ihre Ausführungen hier.

    Sie schreiben in Nr. 19: „ Ich lese in den Evangelien, wie die Autoren Jesus darstellen. Ich lese, wie die Leute dargestellt werden, die mit Jesus Probleme hatten. Dann vergleiche ich das mit dem, was ich heute erlebe.“ Das tue ich auch. Das dürfte jeder Christ und insbesondere jeder Theologe so halten. Insofern sind wir uns in diesem Punkt völlig einig. Deshalb beziehen sich alle folgenden Anmerkungen auf diese Ihre Worte: “Ich lese in den Evangelien, wie die Autoren Jesus darstellen. Ich lese, wie die Leute dargestellt werden, die mit Jesus Probleme hatten. Dann vergleiche ich das mit dem, was ich heute erlebe.“

    1. Nur am Rande, zum Aufwärmen: Sie werfen mir vor in Nr. 17: „Ja, Sie stellen ein altes Buch und alte Texte … über Menschen und über Gott.“ Aha, und worin unterscheidet sich mein Verhalten von dem Ihren? Genau das tun Sie doch selber: Sie nehmen alte Texte, die Evangelien, und benutzen Sie als Maßstab, mit dem Sie andere Christen und unsere Kirche bewerten? Wenn Sie das tun, ist es in Ordnung? Wenn ich das Gleiche tue, ist es verwerflich?

    2. Zur Sache: Wie gesagt, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Allerdings haben Sie unten unter Nr. 3 geschrieben: „Basis im Sinne des Fundaments oder Grundes meines Glaubens ist die Bibel natürlich nicht, das ist Jesus Christus.“ Ja, was stimmt denn nun? Gehören die Evangelien nicht zur Bibel? Ihre Argumentation ist in sich widersprüchlich

    Fortsetzung s. Nr. 21 und 22

  • #21

    A.Rau (Samstag, 24 September 2016 11:01)

    3. Sie lesen „in den Evangelien, wie die Autoren Jesus darstellen“. Folglich ist Ihr Jesus ein abgeleiteter Jesus; d. h. die Evangelien sind primär, Jesus ist sekundär. Das ist mein Jesus auch. Dennoch schreiben Sie in Nr. 17: „Natürlich berufe ich mich auf Jesus. Auf wen sollte ich mich denn sonst berufen?“ Diese Aussage ist falsch! Sie berufen sich auf die Evangelien oder genauer: auf deren Verfasser.

    4. In Nr. 17 schreiben Sie auch: „Natürlich sind die Zeugnisse in den Evangelien nicht alle so passiert. Das sind Verkündigungstexte, keine Biographien“. Dies bedeutet zwangsläufig, dass wir – Ihrer Meinung nach! - kaum gesichertes bzw. historisch belastbares Wissen über Jesus haben. Wie also können Sie sich direkt auf Jesus berufen, wenn Sie kaum etwas von ihm wissen. Sie berufen sich allenfalls auf „Verkündigungstexte“.

    5. Doch selbst das tun Sie nicht wirklich. Denn der Absolutheitsanspruch, mit dem Sie Jesus neben oder gar gegen die Bibel stellen, zeigt deutlich: Ihr Jesus ist ein autonomer Jesus und eben kein abgeleiteter. D. h., sie lesen Ihren Jesus nicht aus den Evangelien heraus, sondern Sie tragen einen vorgefertigten Jesus in die Evangelien bzw. in die Bibel hinein. Dort suchen Sie sich dann paar passende Zitate, mit dem Sie den dann dekorieren. Ihr Jesus dürfte kaum mehr sein als die Summe Ihrer Wünsche, die Sie in christliche Formeln einwickeln.

    6. Diese These unter 4. wird u. a. gestützt durch die „Präzision“ mit der Sie die Bibel zitieren. So schreiben Sie unter 17: „Der kerygmatische Christus ist der verkündigte Jesus. Dazu paßt auch, was im Johannesbrief steht – ihn, den wir nicht gesehen haben, der uns verkündet wurden, glauben und lieben wir.“ Ich habe diese Stelle tatsächlich gefunden – im 1. Petrusbrief 1,8! Dort allerdings steht „IHR habt ihn nicht gesehen …“ Johannes dagegen schreibt; 1Joh 1,1ff: „… das WIR gehört haben, das wir gesehen haben mit unseren Augen, das wir beschaut haben und unsere Hände betastet haben … was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch.“ Sie schaffen es tatsächlich, biblische Aussagen in ihr genaues Gegenteil zu verkehren. Es tut mir leid, aber wenn Sie so mit der Bibel umspringen, dann ist auch Ihr Jesus alles andere als überzeugend. (Sollten Sie eine andere Stelle gemeint haben, lasse ich mich gerne korrigieren!)

  • #20

    A.Rau (Samstag, 24 September 2016 10:58)

    7. Auch eher am Rande; Ihr letzter Absatz: „Und zur letzten Frage: Wer ist dieser Jesus? Da – so finde ich – kann man nicht besser antworten als der Evangelist Johannes: Der Logos Gottes – seine Selbstoffenbarung in all der Mehrdeutigkeit der Erscheinungen“. Wow, das ist typischer Theologensprech: wunderbar fromm - und absolut nichts sagend! Und genau diesen Eindruck habe ich leider öfters bei Ihnen und Ihren theologischen Fraktionskollegen: Es führen ständig Jesus im Munde, um Jesu willen, im Geiste Jesu, im Sinne Jesu … Sie versprühen Unmengen von frommen Nebel, aber inhaltliche Substanz, sprich: eine belastbare Theologie, kann ich dahinter nicht entdecken.

    Bilanz: In unserer Kirche wimmelt es von Theologen, die „Jungfrau“ sagen, aber nicht Jungfrau meinen sondern etwas völlig anderes (s. „Ich glaube … geboren von der Jungfrau Maria). Und so verfahren sie nicht nur mit der Jungfrau sondern mit vielen anderen Grundworten des christlichen Glaubens: Gott, allmächtig, Schöpfer, Auferstehung, ewiges Leben, Vergebung der Sünden, Heiliger Geist usw. usw.

    Deshalb gehe ich jetzt (zumindest versuche ich das) mit dem Eindruck: Ihr Jesus wirkt auf mich wie ein Synonym für „Frank Martin“. Sie sagen nicht „Frank Martin“, sondern Sie sagen „Jesus“. Sie sagen nicht „Ich meine …“ sondern Sie sagen „Im Geiste Jesu …“ usw. Kurz: Sie benutzen Jesus, um sich selbst bzw. Ihre Argumente fromm aufzublasen und theologisch zu überhöhen. (Im Rahmen dieses Musters werden die anderen, die mit den Ihnen nicht genehmen Meinungen dann zu Pharisäern, Fundamentalisten und was nicht alles.)

    Falls Sie tatsächlich Brücken bauen wollen, sollten Sie 1. aufhören, Ihren kerygmatischen Jesus als rhetorische Waffe zu benutzen, 2. sich um eine aufrichtige Sprache bemühen und 3. ein Gespräch anstoßen zur Frage „ Wen oder was genau meinen wir, meint unsere Kirche, wenn wir von Jesus sprechen?“ Damit könnte sich Ihr Forum große Verdienste um unsere Kirche erwerben!

    Mit herzlichen Grüßen
    A.Rau

  • #19

    Frank Martin (Sonntag, 18 September 2016 07:10)

    Sehr geehrter Herr Rau,
    ich muß gestehen, daß mir Ihre Denkwelt sehr fremd ist.
    Ich gebe weder Ihnen eine 6 noch mir eine 1, aber ich bin überzeugt, daß Ihre Vorstellungen falsch sind – sonst würde ich sie ja teilen. Ich kann nur vermuten, daß Sie meine Vorstellungen auch falsch finden. Nun könnte ich zurückfragen, ob Sie denn sicher sind. Das wäre ein endloses und sicher nicht sehr sinnvolles Spiel.
    Vielleicht so viel: Ich lese in den Evangelien, wie die Autoren Jesus darstellen. Ich lese, wie die Leute dargestellt werden, die mit Jesus Probleme hatten. Dann vergleiche ich das mit dem, was ich heute erlebe. Ein Analogieschluß ist nie unproblematisch – dessen bin ich mir bewußt. Aber es zeigt sich mir eben doch etwas. Daß Jesus den Kopf über mich schüttelt, schließe ich überhaupt nicht aus. Aber ich sehe dafür andere Gründe. Sollten es die Gründe sein, die auch Sie haben, hätte ich mich in Jesus getäuscht. Dann wäre das ohnehin keine glückliche Beziehung. Dazu lesen Sie bitte, was ich an Herrn Tommy geschrieben habe.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #18

    A.Rau (Samstag, 17 September 2016 16:36)


    Lieber Herr Martin,

    leider habe ich ungeschickt formuliert. Gestatten Sie mir einen neuen Anlauf?

    Sie werten Ihr Denken und Ihren Glauben und Sie werten mein Denken und meinen Glauben. Diese Wertungen werden diplomatisch formuliert, sind aber eindeutig: A.Rau wird in einen Zusammenhang gestellt mit dem Geist der Pharisäer, die Jesus töten ließen usw.; F. Martin dagegen handelt im Geiste Jesu usw. Kurz: A.Rau bekommt eine 6 und F. Martin eine 1.

    So weit, so gut. Nun schreiben Sie weiter (sinngemäß): A.Rau handelt in bester Absicht, aber er verwechselt die Geister. F. Martin handelt in bester Absicht, aber er verwechselt die Geister nicht. Mag ja sein; dennoch frage ich Sie: Was macht Sie da so sicher? Woher wissen sie denn, was der Geist Jesu will?

    Die gleiche Frage etwas anders formuliert. Sie schreiben: „Natürlich berufe ich mich auf Jesus“. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass Sie das zu Recht tun? Könnte es nicht sein, dass Jesus traurig den Kopf schüttelt: „Ach mein lieber Frank, du machst mir großen Kummer.“ Also, woher wissen Sie, was Jesus will?

    A.Rau

  • #17

    Frank Martin (Freitag, 16 September 2016 21:50)

    Sehr geehrter Herr Rau,
    ich bin überzeugt, daß Sie das, was Sie tun, in bester Absicht tun – das taten die Pharisäer allerdings auch. Sie dienen nicht diesem Geist, aber Sie verwechseln ihn. Ja, Sie stellen ein altes Buch und alte Texte, die in einem bestimmten Kontext geschrieben worden sind und Antworten auf Fragen dieser Zeit versucht haben, über Menschen und über Gott. Dagegen gibt es zwei gewichtige Zeugen. Der eine ist Jesus – die Beispiele hatten wir. Der zweite ist Paulus, der feststellt, daß der Buchstabe töte, der Geist aber lebendig mache. Und ein Blick in die Geschichte lehrt, daß dies eine bestätigte Aussage ist – gleichgeschlechtlich liebende Menschen können Ihnen davon erzählen.
    Natürlich berufe ich mich auf Jesus. Auf wen sollte ich mich denn sonst berufen? Ich glaube allerdings nicht, daß er 100% auf meiner Seite ist, weiß dafür aber, daß ich 100% auf der seinen sein möchte. Und was ich in dem Sinne sage, sage ich in dieser Überzeugung.
    Ihr Wort "bezeugt" kann ich gerne übernehmen. Auch das Wort "kerygmatisch" finde ich angemessen. Das ist ja das Wort, welches Paulus gebraucht, als er schrieb, daß er Gottes Weisheit, den Griechen und den Juden Torheit und Skandalon – uns aber, die wir errettet werden, eben Gottes Weisheit – verkünde. Der kerygmatische Christus ist der verkündigte Jesus. Dazu paßt auch, was im Johannesbrief steht – ihn, den wir nicht gesehen haben, der uns verkündet wurden, glauben und lieben wir.
    Natürlich sind die Zeugnisse in den Evangelien nicht alle so passiert. Das sind Verkündigungstexte, keine Biographien. Aber in der Zeit, in der die Texte entstanden, hatte man noch nicht so ein plattes Wahrheitsverständnis wie heute.
    Da die Sicherheit für Sie so wichtig scheint: Ich bin nicht sicher, sondern gewiß. Wäre ich sicher, wäre ich nicht zur Selbstrelativierung bereit. Da würde ich wie Elia den Streit auf die Spitze treiben.
    Sind Sie denn sicher?
    Und zur letzten Frage: Wer ist dieser Jesus? Da – so finde ich – kann man nicht besser antworten als der Evangelist Johannes: Der Logos Gottes – seine Selbstoffenbarung in all der Mehrdeutigkeit der Erscheinungen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #16

    A.Rau (Freitag, 16 September 2016 19:24)

    Sehr geehrter Herr Martin,

    unter „Salz der Erde“ Nr. 5 haben Sie eine klare Rollenverteilung vorgenommen; sinngemäß: Ich, A.Rau, diene dem Geist, „welcher die Pharisäer dazu brachte, Jesus auszuliefern und töten zu lassen“; d. h. sei ich ein Fundamentalist, der das Gesetz über den Menschen stellt. Sie wiederum halten dagegen im Geiste Jesu. Gut, meinetwegen.

    Eine Frage habe ich dennoch: Sie berufen sich sehr gerne und sehr oft auf diesen Jesus (oder Christus). Dabei sind Sie sich offenbar zu 100 Prozent sicher, dass der stets auf Ihrer Seite ist und Ihre Meinung teilt. Diesbezügliche Selbstzweifel kann ich – zumindest bisher – nicht erkennen. Doch woher rührt Ihre Sicherheit? Oder wohl richtiger: Wer genau ist denn dieser Jesus, der so uneingeschränkt alle Ihre theologischen Positionen unterstützt?

    Ich glaube an den Jesus von Nazareth, der vor ca. 2000 Jahren in Israel gelebt hat; dessen Leben, seine Taten und Worte im NT bezeugt sind. Ich glaube, dass dort historisch zuverlässige Zeugenaussagen niedergeschrieben sind. Sie dagegen (bzw. zumindest Ihre theologische Fraktion) halten diese Zeugenaussagen für (weitestgehend) gefälscht. Sie seien letztlich frei erfunden, um den Glauben der ersten Christen gewissermaßen zu illustrieren. Folglich glauben Sie an einen „kerygmatischen Christus. D. h., Sie glauben an einen Jesus, der so, wie Sie ihn darstellen, niemals existiert hat. Dieser kerygmatische Christus, d. h. Ihr Jesus, erinnert mich sehr an Sagengestalten wie Siegfried, Achilles oder König Artus. (Deren Geister werden ja auch immer wieder mal beschworen).

    Meine Frage lautet also: Wer genau ist dieser Jesus, dessen Geist Sie mit so absoluter Sicherheit dienen?

    A.Rau

  • #15

    Frank Martin (Dienstag, 13 September 2016 23:50)

    Lieber Herr Rau, Ihre Entschuldigung nehme ich gern an. Vielleicht eröffnen Sie auch ein Forum, wo dann Ihre Regeln gelten. Wir sind nicht die EVLKS, sondern wir sind eine Gruppe, die für eine bestimmte Theologie steht. Gern in kritischer Auseinandersetzung, aber nicht so, daß wir uns hier beschimpfen lassen.
    Wenn Sie diese Regeln auch akzeptieren können, steht dem Austausch nichts im Weg. Ich will gerne anerkennen, daß Sie sich um Christi Willen um diese Fragen bemühen. Es wäre hilfreich, wenn Sie zur Kenntnis nähmen, daß auch wir in dieser Überzeugung reden und handeln - daß wir dies um Christi Willen tun.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #14

    A.Rau (Dienstag, 13 September 2016 21:58)

    Sehr geehrter Herr Martin,
    "Das ist kein Ton, in welchem sich das Gespräch führen läßt." Nun ja, ich bin gerne bereit, für meinen unpassenden Ton um Entschuldigung zu bitten. Allerdings bitte ich auch um mildernde Umstände. Ich falle bedauerlicherweise unter die "Barbarei des Fundamentalismus" (s. Workshop: Anders vom Glauben reden. Mein letzter Versuch mit Kirche). Und fundamentalistischen Barbaren fällt es halt schwer, einen historisch-kritisch kultivierten Ton zu treffen.

    Mit herzlichen Grüßen!
    A.Rau

  • #13

    Frank Martin (Montag, 12 September 2016 05:02)

    Sehr geehrter Herr Rau,
    wir bieten hier eine Austauschmöglichkeit an. Sie sind als Gast willkommen. Aber bitte achten Sie darauf, daß Sie hier zu Gast sind. Ich finde Ihre Anschuldigungen unangemessen. Das ist kein Ton, in welchem sich das Gespräch führen läßt. Da suchen Sie sich besser ein anderes Forum.
    Zu Ihren Überlegungen: Bringen Sie Ihren Jesus doch einfach zum nächsten Forumstag mit und zeigen Sie ihn uns.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #12

    A.Rau (Sonntag, 11 September 2016 15:51)

    Lieber Dirk S.,

    Sie haben den Nagel mitten auf den Kopf getroffen: "Es wäre sehr wünschenwert, wenn das Forum nicht in indirekten Formulierungen, sondern in klaren Aussagesätzen formulierte ..."

    Das Forum bzw. die Theologie bzw. der Glaube dahinter definiert sich ausschließlich über ethische Positionen ("Wir sind die Guten, weil wir für die richtige Ethik eintreten".) Eine wirkliche THEO-Logie hat man dort gar nicht.

    Folglich läuft die ganze Argumentation des Forums letzlich auf zwei Grundmuster hinaus: 1. Es wendet sich GEGEN alles, woFÜR wir stehen (Bibel, Bekenntnis). 2. Es sucht dieses GEGEN bzw. die eigene Nicht-Theologie mit nebulösen Allgemeinplätzen schönzureden.

    Dazu nur ein Beispiel. Sie schreiben: "Für mich ist ganz einfach die Frage, ob das, was Sie in Ihrer Eigenschaft als kirchliche Autoritäten verbreiten (dann eben nicht "propagieren"), noch auf Jesus gegründet ist oder nicht." Das Forum wird sicherlich antworten: "Selbstverständlich, alles, was wir verbreiten, ist auf Jesus gegründet!!!" (Herr Martin z. B. schreibt diesen Namen gleich vier Mal.) Die Frage ist bloß, wen oder was meint diese Theologie,wenn sie "Jesus" sagt? Dort glaubt man nämlich an einen "kerygmatischen Christus" - und der ist nichts weiter als eine Sammlung von erfundenen Geschichten; sprich: ein Jesus, der niemals wirklich existiert hat.

    D. h., wir reden von Jesus und das Forum redet von Jesus. Aber beide Seiten verstehen dieses Wort völlig anders. Letztlich glaubt man in unserer Kirche an zwei völlig unterschiedliche Christusse.

    Doch diese Problematik dürfte niemals klar, deutlich und für alle verständlich offengelegt werden können. Denn nach meiner Erfahrung ist es praktisch unmöglich, die Gegenseite dazu zu bringen, hier "in klaren Aussagesätzen zu formulieren."

    Halten Sie durch!
    A.Rau

  • #11

    Frank Martin (Freitag, 10 Juni 2016 23:33)

    Sehr geehrter Herr S.,
    herzlichen Dank für die Klarstellung! Unser Bemühen geht in die Richtung, Menschen "trotz" Dr. Rentzing dazu zu bewegen, in der Kirche zu bleiben. Das "trotz" finde ich persönlich falsch und unangemessen. Aber ich nehme zur Kenntnis, daß es anderen da anders geht. Und angesichts mancher Äußerungen zumindest der Richtung, die die Ansichten Dr. Rentzings für sich in Anspruch nehmen, kann ich es ihnen nicht verdenken.
    Aktiv-Werden ist ausgesprochen erwünscht! Ich halte meine Überzeugung für richtig im Sinne Jesu – sonst würde ich sie nicht haben. Obwohl ich den Ausdruck etwas schwül finde – ich kenne mich ein bißchen mit der Brautmystik und den wunderlichen Äußerungen aus – kann ich viel mit dem Gedanken der Liebe zu Jesus anfangen. Die Gottesliebe ist für mich der Grund meines Lebens. Und ich will das, was ich unter der Rubrik Kirchenpolitik zur Toleranz geschrieben habe, selbst ernst nehmen.
    Im übrigen sehe ich mich persönlich nicht als kirchliche Autorität. Ich bin von meiner Gemeinde ordiniert, bestimmte Aufgaben wahrzunehmen – für die Gemeinde. Darin bin ich Dienstleister für meine Gemeinde. Ansonsten bringe ich als Christ meine Gaben ein – so, wie die anderen in der Gemeinde ihre Gaben einbringen.
    In der Vorstellung, wie ich sie bei Ihnen wahrnehme, höre ich persönlich in ihrer Kritik an uns Pfarrer*innen immer die Kritik Jesu an den Schriftgelehrten. Dazu sollte man aber wissen, daß sich Jesus mit den Sadduzäern und den Schriftgelehrten und Pharisäern auseinandersetzt. Während in neutestamentlicher Sprache die Sadduzäer sozusagen die bestallten Diener Gottes waren, waren die Schriftgelehrten und Pharisäer die sogenannten einfach Frommen. Wenn, dann säßen wir also im selben Boot. Und man sollte wissen, daß manchmal Menschen aus Liebe zu Gott Pfarrer*in werden wollen und werden – und dann argwöhnisch beäugt werden von denen, die es nicht sind. Damit müssen wir halt leben.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #10

    Dirk S. (Freitag, 10 Juni 2016 18:48)

    Lieber Hr. Maier und Hr. Martin,
    nur zur Erwiderung der meinem Beitrag unterstellten "Drohung" oder des "Kirchenaustrittes" möchte ich sagen, dass ich mich seit Bischhof Rentzing und mit Superintendent Henker (bei beiden letztlich aus Respekt zu deren fest gegründetem, unterschiedlich geprägtem, aber jeweils toleranten Glauben) der Landeskirche stärker verbunden fühle, als zu anderen Zeiten. Nein, ein Austritt hätte vor Rentzing wohl sehr viel eher auf der Hand gelegen, als jetzt. Mit "Entscheidungen als Kirchenmitglied" meinte ich tatsächlich im Wortsinne "Entscheidungen als Kirchenmitglied", nicht als Ex-Mitglied oder als austretendes Mitglied. Was für eine Drohung sollte ein einzelner Austritt bei Tausenden Austritten denn sein? Nein: Entscheidungen des Aktiv-Werdens meinte ich. Eben, um nicht gegen etwas zu argumentieren, was ich nur falsch verstanden habe.
    Auch ist nicht die Frage, ob Sie etwas "falsch" glauben. Für mich ist ganz einfach die Frage, ob das, was Sie in Ihrer Eigenschaft als kirchliche Autoritäten verbreiten (dann eben nicht "propagieren"), noch auf Jesus gegründet ist oder nicht. Und da geht es mir ganz sicher nicht um ein Nebenthema wie Homosexualität.

  • #9

    Frank Martin (Freitag, 03 Juni 2016 20:42)

    Sehr geehrter Herr Tommy,
    in der Bibel steht doch wohl, daß man seine Söhne mit der Rute züchtigen solle, wenn man sie liebe. Da ist nicht von einem Klaps die Rede. Die Zwölf Stämme machen das unter Berufung auf die Bibel. Sie scheinen davor zurückzuschrecken? Ungehorsame Söhne sollen die Eltern sogar steinigen lassen. Glauben Sie wirklich, daß Gott das wollte? Von all den Regeln zu schweigen, die an das erinnern, was der IS heute macht – auch das wollte Gott? Das Abschlachten von Frauen, Kindern – ja, Säuglingen? Ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, daß der Gott, der sich in Jesus offenbart hat, so eine Art IS-Gott ist.
    Niemand von uns sagt übrigens, daß alles in Ordnung sei. Menschen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Herkunft oder ihrer Religion oder ihres Geschlechts zu diskriminieren ist zum Beispiel nicht in Ordnung. Menschen zum Mittel für eigene Zwecke zu machen ist nicht in Ordnung. Es gibt noch einiges, was nicht in Ordnung ist. Manches, was laut Bibel Gott erlaubt haben solle, ist nicht in Ordnung. Um Gottes und Jesu Willen müssen wir vieles in der Bibel relativieren oder sogar ablehnen. Und Sie – so bin ich überzeugt – machen das auch. So skrupel- und herzlos sind Sie sicher nicht.
    Mit freundlichen Grüßen zu einem freundlichen Wochenende
    Frank Martin

  • #8

    Tommy (Freitag, 03 Juni 2016 20:05)

    Ich sehe nicht, wo ich etwas weglasse, weil es mir nicht paßt. Jesus selbst hat, z.B. das Steinigen relativiert, hat aber nie gesagt, daß jetzt alles in Ordnung ist.
    Tommy

  • #7

    Frank Martin (Freitag, 03 Juni 2016 08:36)

    Sehr geehrter Herr Tommy,
    dann sind wir ja gar nicht so weit auseinander. Schön. Auch Sie lassen weg, was nicht paßt und relativieren – wie Jesus es gemacht hat und wie wir es auch machen.
    Bei Ihren Erziehungsvorstellungen – die ja immerhin auch schon mißachten, was in der Bibel steht, sollten Sie aufpassen, daß Sie nicht mit dem Gesetzgeber in Konflikt geraten, der etwa den "Klaps" nicht gestattet – zumal nach aller Erfahrung die Übergänge zu biblischen Anweisungen fließend sind.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #6

    Tommy (Donnerstag, 02 Juni 2016 21:17)

    Meiner Meinung nach hat Gott sich verschiedenen Menschen offenbart, die dann dieses erst weitererzählt und später dann aufgeschrieben haben. Die Alttestamentlichen "Vorschriften" zum Steinigen hat Jesus "relativiert", für mich widersprechen sie auch dem Gebot "Du sollst nicht Töten", "Züchtigungen", nicht brutal, sondern als erzieherische Maßnahmen, Strafen, Verbote - Handyentzug, Hausarrest, auch festhalten, evtl auch mal ein Klaps halte ich für angemessen und akzeptabel. Was die antiautoritäre Erziehung uns eingebracht hat, sehen wir ja in unserem Umfeld nur allzuoft.

    Viele Grüße Tommy

  • #5

    Frank Martin (Donnerstag, 02 Juni 2016 09:23)

    Sehr geehrter Herr Tommy,
    ich finde den Ausdruck "Wort Gottes" im Blick auf die Bibel sehr mißverständlich. Was ist damit gemeint? Daß alles, was in der Bibel steht, von Gott so gesagt wurde? Wer das glaubt, kann von Gott nicht viel halten. Oder das alles so wahr und richtig sei? Das würde die Sache nicht besser machen. Deshalb verzichte ich persönlich darauf, die Bibel als Wort Gottes zu bezeichnen. Ich würde sagen, daß die Bibel das Wort Gottes bezeugt – nämlich dieses eine Wort, welches im Anfang bei Gott war und Gott war und dann Fleisch geworden ist in Jesus Christus. Und da haben Sie schon ein wesentliches und reformatorisches Kriterium für das, was paßt und was nicht paßt: "Was Christum treibet."
    Wenn aber manche Christ*innen meinen, daß alles, was in der Bibel stehe, Gottes Wort und Wille sei, muß man sie in ihren Umsetzungsmöglichkeiten unbedingt einschränken um Christi willen oder an Jesu statt. Wenn also jemandem die Züchtigungsgebote besonders wichtig sind oder die Anweisungen, Menschen etwa wegen ihrer sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen zu steinigen oder sonst zu töten – und es gibt Länder, in denen Christ*innen so etwas machen – muß man ihnen als Christ*in um Christi willen oder an Jesu statt in den Arm fallen.
    Es ist übrigens eine interessante Beobachtung in den Evangelien, daß Jesus die meisten Diskussionen mit denen führen mußte, die strikt auf die Beachtung der Bibel pochten. Und damit meine ich nicht den Versucher in der Wüste, sondern die, die im Sprachgebrauch als die "Frommen" gelten. Eine Antwort Jesu: "Der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat." Wissen Sie, was die "Frommen" taten, nachdem Jesus am Sabbat einen Menschen geheilt hatte? Sie suchten nach Möglichkeiten, daß zu tun, was nach Numeri 15, 32 ff geboten war.
    Wenn Sie fragen, wer ein Recht dazu hat, etwas als unpassend beiseite zu tun, würde ich sagen: Diejenigen, die sich dieses Wort als Richtschnur gegeben haben, haben auch das Recht, im Lichte neuerer Erkenntnisse manche Vorstellungen als überholt zu betrachten. Die Bibel ist das Buch der Kirche. Also kann die Kirche – Sie und ich und noch viele andere – im Diskurs überlegen, wie wir mit bestimmten Aussagen umgehen. Dafür finden Sie übrigens schon ein Beispiel in der Apostelgeschichte. Ich meine das Apostelkonzil in Jerusalem. Die eigentliche Frage ist dann: Was, wenn wir uns nicht einigen?
    Nun habe ich Ihnen meine Sicht dargelegt – wohl wissend, daß andere das anders sehen. Erklären Sie doch mal, was Sie meinen, wenn Sie die Bibel als Wort Gottes bezeichnen? Vielleicht ist es ja nur eine Frage der Begrifflichkeit.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #4

    Tommy (Mittwoch, 01 Juni 2016 22:06)

    Sehr geehrter Herr Martin, ich lese hier gerade in Ihrer Antwort : "Die Bibel ist ein Buch, welches uns die 'Geschichte des Gottesvolkes mit Gott erzählt. Vieles, was nicht passt, muß weggelassen werden." Wer entscheidet, was nicht passt? Was Ihnen oder mir nicht passt, kann einem anderen ganz besonders wichtig sein - für viele Gläubige ist die Bibel nicht bloß eine Geschichte von einem Volk und seinem Gott, sondern Gottes Wort an sein Volk. Hat irgendwer heute das Recht, Teile Gottes Wortes als nicht passend zu degradieren?
    Viele Grüße Tommy

  • #3

    Frank Martin (Montag, 30 Mai 2016 15:35)

    Sehr geehrter Herr S.,
    da Sie uns alle angesprochen haben, erlaube ich mir, noch eine Antwort neben die von Herrn Maier zu stellen. Wenn das Forum ein Anliegen hat, dann das, nicht für andere zu sprechen oder anderen zu sagen, was sie zu glauben haben. Wenn Sie also etwas wissen möchten, müßten Sie jedes Mitglied des Forums konkret fragen – Sie werden wahrscheinlich sehr unterschiedliche Antworten bekommen. Aber das sehen Sie ja schon.
    Manches, was Sie als alternativ darstellen, ist nicht alternativ. Persönlich finde ich Anarchie evangelisch – einer ist unser Meister, wir alle sind Geschwister. Niemand herrscht über andere – wer groß sein will, soll sich ganz klein und zur/m Diener*in aller machen. Aber vielleicht ist das eine Frage des Begriffsverständnisses. Den christlichen Anarchismus kennen Sie vielleicht? Oder insgesamt die Theorie des Anarchismus?
    Den Gedanken der Rebellion gegen den Bischof verstehe ich nicht. Welchen Grund sollte es denn dazu geben?
    Viele "Sünden" sind tradierte Vorstellungen. Die Sünde selbst nicht. Nur sitzt sie manchmal verborgen an den Stellen, wo wir sie bei uns selbst gar nicht bemerken. Dazu kann ich Ihnen neben den Evangelien Evagrios Pontikos empfehlen und seine Acht-Laster-Lehre. Wenn Sie das lesen, werden Sie vielleicht sehen, daß die tradierten Sünden relativ lächerlich sind im Vergleich zu dem, was Sünde im Ursprung meint.
    Die Bibel ist ein Buch, welches uns die Geschichte des Gottesvolkes mit Gott erzählt. Vieles, was nicht paßt, muß weggelassen werden – etwa all die Ideen zur Kindererziehung oder zum Umgang mit Kriegsgefangenen und Sklavinnen. Es gibt noch mehr – etwa in der Sexualethik. Alles dagegen muß verstanden werden. Das ist nicht immer einfach. Deshalb ist es ein Anliegen unseres Forums, über solche Fragen zu sprechen.
    Ich glaube, daß Jesus gelebt hat und Gottes Sohn ist; sich Gott also in Jesus Christus selbst offenbart hat – in all der Mehrdeutigkeit, die der Welt der Erscheinungen innewohnt. "Objektive Sünden" finde ich eine schwierige Formulierung. Was ist denn "objektiv" und wie stellen wir das fest? Dazu brauchten wir ja einen allen gemeinsamen Maßstab – einen objektiven Maßstab sozusagen. Den gibt es aber nicht. Das mit der Seele ist schwierig, weil da viel griechisches – nicht biblisches – Denken dahinter steckt. Aber ich finde den Gedanken zumindest sehr schön. Die Bibel ist ein Stück Literatur – ein sehr wichtiges dazu. Basis im Sinne des Fundaments oder Grundes meines Glaubens ist die Bibel natürlich nicht, das ist Jesus Christus.
    Zum Paradigmenwechsel: Da würde ich Ihnen empfehlen, mal etwas von Thomas S. Kuhn zu lesen. Da wird der Begriff vielleicht für Sie deutlicher. Und ja, es geht weit über Homosexualität hinaus. Aber wir propagieren das nicht. Wir stellen das zum Diskurs.
    Eine letzte Bitte und Empfehlung: Machen Sie Ihre Entscheidungen nicht von dem abhängig, was andere denken, sagen, glauben. Aber das machen Sie ja ohnehin nicht, da Sie ja vor allem feststellen wollen, was wir falsch glauben. Daß Sie Ihren Namen nicht nennen wollen, finde ich schade, kann es aber verstehen und akzeptieren. Nur die latente Drohung, daß Sie als Kirchenmitglied eine Entscheidung treffen wollen, weil andere Kirchenmitglieder – denn nichts anderes sind wir – nicht das machen, denken, glauben, was Sie für richtig halten, befremdet mich sehr.
    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Martin

  • #2

    Christoph Maier (Montag, 30 Mai 2016 14:16)

    Lieber Dirk S.,
    (oder wie auch immer Sie heißen, da Sie ja Ihren Namen nicht nennen wolle. Die Sache scheint für Sie irgendwie gefährlich zu sein.)
    Sie haben natürlich recht, das worauf wir aufmerksam machen wollen (nicht propagieren/ wir wollen auch keine Rebellion– das ist alles Ihre Sprache/ Ihr Paradigma), geht über das Thema Homosexualität hinaus.

    Sie beurteilen unsere Gedanken von Ihrem Paradigma aus. Das, was wir denken, erscheint Ihnen gefährlich, verwirrend und Sie schieben vorsichtshalber sogar eine versteckte Drohung nach (wollen Sie aus der Kirche austreten, oder welche weiteren Entscheidungen meinen Sie?)

    Unser Anliegen ist es gerade diese Frontstellung (Schützengräben) aufzubrechen und den Graben in unsere Landeskirche mal von einem anderen Paradigma her zu betrachten. Nicht jeder Graben muss ein Schützengraben sein. Ich, z. B. liebe Canyons – die sind auch gefährlich – aber geologisch unheimlich interessant und betrachtenswert.

    Um ein weiteres Gespräch über die von Ihnen eingeforderten „klaren Aussagesätze“ sinnvoll führen zu können, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, uns nicht mit Verdacht, sondern mit dem Vorsatz „auch die glauben“ zu begegnen. Dann müssen Sie sich nicht in Schützengräben mit Vorwürfen verschanzten und können uns zugestehen, dass wir Menschen sind, die - wie Sie - Ihre Kirche lieben und im Glauben fest verwurzelt sind, beten, mit der Bibel, Jesus Christus, Sünde (ich würde noch Rechtfertigung ergänzen) und all den anderen wichtigen theologischen Themen etwas anfangen können.
    Was meinen Sie, könnte so ein Gespräch beginnen?
    Ihr Christoph Maier

  • #1

    Dirk S. (Sonntag, 29 Mai 2016 17:50)

    Ich bin Mitglied der Landeskirche. Für mich ist das Glaubensbekenntnis kein dahingesprochenes Gedicht, sondern tatsächlich ein Bekenntnis. Mir ist nicht klar, wohin es mit diesem Forum gehen soll. Ich zitiere von dieser Webseite:

    Werte wie Ordnung und Gehorsam gehören in eine Welt, in der es Heilige und Märtyrer gibt, in der sich Sünde als schlechtes Gewissen zeigt, in der Gesetzestreue und Hierarchie geschätzt, und die Bibel als heiliges Buch verehrt wird. Das ist eine ganz andere Welt als die, in der Eigenverantwortung und Pluralität hohe Werte sind.

    Wenn es keine Ordnung geben soll, strebt das Forum Anarchie an? Wenn es keinen Gehorsam geben soll, ist dieses Forum ein Aufruf zur Rebellion gegen den Landesbischof? Gibt es in der Denkweise des Forums keine Sünde? Ist Sünde folglich eine "tradierte" Vorstellung, von der wir uns trennen sollen? Was ist die Bibel für das Forum denn überhaupt? Ein Buch, dass man in seine eigene pluralistische Vorstellung eigenverantwortlich einbauen kann, dort wo es passt, - aber nicht muss?

    Ich muss zugeben, ich bin verwirrt. Das, was hier propagiert wird, geht weit über den Streit über Homosexualität hinaus. Es wäre sehr wünschenwert, wenn das Forum nicht in indirekten Formulierungen, sondern in klaren Aussagesätzen formulierte, ob nach deren Auffassung:
    Jesus gelebt hat, ob Jesus Gottes Sohn war, ob es objektive Sünden gibt (oder die nur eine Interpretation sind), ob der Mensch eine Seele hat, ob es ein Leben in Ewigkeit gibt, ob das Gebot Jesu die Ordnungen zu achten, gilt, ob die Bibel ein Stück Literatur oder die Basis unseres Glaubens ist.
    Das würde mir als Kirchenmitglied echt helfen, weitere Entscheidungen zu treffen. Die ganzen indirekten beliebigen Formulierungen kann ich auch bei einer politischen Partei haben, dafür brauche ich keine Kirche und keinen Glauben und keine persönliche Beziehung zu Jesus und Gott.
    Und meinen Namen möchte ich hier nicht schreiben, ehe mir nicht klar ist, was ich vielleicht falsch verstanden habe oder was das "neue Paradigma" ist.