Hoffnung am Horizont, Alder!

„Wir nennen unsere Partei HAHA – Hoffnung am Horizont, Alder!“ Drei Schülerinnen grinsen mich an. Sie haben eine eigene Partei mit Namen, Slogan und Plakat für die Europawahl erfunden, das war ein Auftrag im Morgenkreis. Sie wissen nicht, wie sehr sie mich innerlich treffen mit ihrer Partei HAHA – heute, am Montagmorgen nach dieser Wahl. Über die Angst habe ich nachgedacht, die so viele Menschen den nationalistischen Parteien in die Arme treibt. Über die Angst vor dem immer rauher werdenden Wind, vor dem sozialen Abstieg, der unsicheren Rente, den Flüchtlingsbooten, dem Meeresspiegel. Die Angst hinten runter zu fallen in all den globalen Krisen, Erschütterungen, Verwicklungen. Über das ängstliche Lavieren der Politik habe ich nachgedacht, zwischen all den Ungleichheiten und Unwuchten kapitalistischer Märkte, zwischen unvorstellbarem Reichtum und schreiender Armut. Über Angst habe ich nachgedacht. „Hoffnung“ war heute früh nicht in meinem Wortschatz. Die Schülerinnen verlesen unbeirrt ihre Slogans, es geht um Umwelt- und Klimaschutz, um's Weltretten, wenn nicht jetzt, wann dann, gegen Plastik und: Wir wollen Meer!

Der ungebrochene Optimismus, den meine Schüler/innen produzieren, bei allem vorher schon zur Sprache gekommenen Entsetzen über das Wahlergebnis, rührt etwas in mir an. Hoffnung am Horizont, Alder! HAHA! Ich muss tatsächlich lachen. Und ich denke daran, wie mir neulich jemand die Geschichte von der Sturmstillung Jesu in eigenen Worten wiedergegeben hat:

Jesus träumt süß hinten im Boot auf einem Kissen – bestimmt so'n großes, rotes, superweiches Samtdings. Aber die Besatzung vorn im Boot is voll in Panik, überall is schon Wasser im Boot, es is Sturm und Gewitter und das Boot schwankt und kippt und die sind echt total in Todesangst. Die schippen hektisch das Wasser raus und laufen hin und her und versuchen zu steuern und nix wirkt. Wird nur alles immer schlimmer. Und Jesus pennt und schnarcht gemütlich auf seinem Samtkissen. Als sie dann endlich mal dran denken, dass sie ja Gott an Bord haben und dass der ja mal helfen könnte, da räkelt der sich erst genüsslich und stellt sich dann aufrecht hin und stellt dann einfach den Sturm ab, sagt: Schweig! Schluss jetzt, Sturm! Das war's! Dann dreht er sich um zu seinen Leuten und grinst sie an: Alder, habt ihr immer noch nicht Glauben gelernt? Ihr wisst schon, dass ihr das auch selbst könntet, he?

 

Hoffnung am Horizont, Alder. Ich denke, der Unterschied zwischen Jesus und den ängstlichen Jüngern (so wie der zwischen meinen Schülerinnen und mir) ist, dass die mit dem Glauben und die mit der Hoffnung die Probleme bei der Wurzel packen und keine Scheu haben, sich den echten Ursachen zuzuwenden. Jesus gebietet dem Sturm. Er schaufelt nicht Wasser, er kurbelt nicht am Steuer, er beruhigt auch nicht die Leute. Er macht nicht die Schotten dicht gegen das Elend der Welt, er zieht keine Mauern hoch gegen Flüchtlingsströme, er verschreibt keine Tabletten gegen Depressionen. Er steht auf und nimmt es mit den Ursachen auf: mit den großen Mächten der Welt. Er gebietet dem Sturm.

 

Und ich? Immer noch nicht Glauben gelernt? Nehme ich es mit den großen Mächten auf? Es scheint unmöglich, das zu tun. Unmöglich, den Klimawandel noch aufzuhalten, CO2-Ausstoß auf Null reduzieren bis 2050. Unmöglich den globalen Kapitalismus noch einzudämmen. Unmöglich gegen die Macht der Autolobby anzukommen, unmöglich das Handeln der Banken zu bestrafen. Unmöglich, die Kriege auf der Welt einzudämmen. Unmöglich, die Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen. Unmöglich, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das sind alles viel zu große Mächte. Denke ich. Und fürchte ich. Und so sitze ich mit Angst in diesem Boot. Die Welt schlingert. Das Wasser steigt. Und ich - schaufle hektisch Wasser aus dem Boot und schreie nach Gott.

 

Wenn Gott aufsteht, werden wir sehen, dass er den Wind bedroht und dem Meer Einhalt gebietet. Wir werden sehen, dass er, der Mensch ist wie wir, es aufnehmen kann mit den großen Mächten.

 

Wenn er aufsteht, der Mensch ist wie wir, wird sich zeigen, dass möglich ist, was wir für unmöglich gehalten haben, gegen die großen Mächte: Schweig!

 

Wenn er aufsteht und wir aufstehen, wird es möglich. Gegen die wirklichen Ursachen, gegen die großen Mächte: Schweig! Verstumme!

 

Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Hoffnung am Horizont, Alder!

Anne Veit

 

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