Gedanken einer Physikerin (1) und einer Theologin (2) zur Coronakrise

(1)

Eigentlich ist es ein ganz normaler Vorgang der Evolution – hat vermutlich Milliarden Male schon so stattgefunden. Da wird eine Spezies von einem Virus getroffen, das sehr ansteckend ist und gegen das keinerlei Immunität besteht, und es stirbt ein Teil der Individuen an den Folgen der Infektion.

Forschende könnten in ein paar Hundert Jahren wahrscheinlich gar nicht feststellen, dass sich die Anzahl der Individuen in der Population überhaupt geändert hat. Und vermutlich hätten sie auch keine Ahnung davon, dass die Spezies darunter litt, dass plötzlich viele ältere und kranke Individuen starben.

Doch wir haben ein Bewusstsein. Solange wir uns erinnern können, hat uns die Frage nach Gott begleitet. Wir haben uns in Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft gebildet und wollen unser Zusammenleben nicht dem Prinzip „Survival of the Fittest“ unterwerfen. Dass derzeit alle von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Länder versuchen, die Risikogruppen in der Bevölkerung zu schützen und die Funktionstüchtigkeit ihrer Gesundheitssysteme aufrechtzuerhalten, und wir alle dafür nun erhebliche Einschränkungen unserer persönlichen Freiheit und manche von uns sogar existenzbedrohende Arbeitsbeschränkungen hinnehmen, ist für mich ein klarer Ausdruck unserer Menschlichkeit und unserer Nächstenliebe. Und deshalb weckt die tiefgreifende Krisensituation, in der wir uns alle gegenwärtig befinden, bei mir neben all der Unsicherheit und Sorge auch Hoffnungen.

 

Hoffnung darauf, dass wir als Menschheit weiser und gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, dass sie einen Wendepunkt in unserem Zusammenleben markiert. Die Spezies Mensch hat bisher unseren Planeten Erde einfach so bevölkert. Wir haben Kontinente erobert, Kriege geführt, sind Allianzen eingegangen, haben Technologien entwickelt: Wir beeinflussen das Ökosystem Erde erheblich und vielfältig, ohne uns über das „wie“ große Gedanken zu machen – erst seit Kurzem ist diese Frage überhaupt in unser Blickfeld gerückt. Dass wir dennoch nur ein Teil dieses riesigen Ökosystems sind, und nicht etwa seine Beherrscher, lässt uns die Ausbreitung des Coronavirus unmittelbar erfahren.

 

Daneben gibt es noch andere Dinge, die wir derzeit unmittelbar erfahren können. Wir erfahren, dass uns Menschen am anderen Ende der Welt via Telefon oder Internet ganz nah sein können. Wir erfahren, dass uns ein Gottesdienst auch am Bildschirm berühren kann. Wir erfahren, dass es unsere Lebensqualität kaum einschränkt, wenn nicht alle Waren ununterbrochen im Überfluss verfügbar sind. Wir erfahren, dass wir nicht immer in die Ferne fliegen müssen, um etwas Neues und Spannendes zu entdecken. Wir stellen fest, dass es ein Glücksumstand war, nicht einer Studie der Bertelsmann-Stiftung (https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/eine-bessere-versorgung-ist-nur-mit-halb-so-vielen-kliniken-moeglich) gefolgt zu sein, die erst kürzlich die drastische Reduzierung der Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland empfahl. Wir erleben, dass ökonomische Prinzipien auf Dauer nicht der (einzige) Maßstab sein können, nach dem wir unser Zusammenleben ausrichten. Wir empfinden tiefe Dankbarkeit gegenüber Ärztinnen und Ärzten, den Angehörigen aller Pflegeberufe und allen anderen Menschen, die mit ihrer Arbeit unsere Grundversorgung sicherstellen. Wir erleben Wertschätzung, Solidarität und Mitgefühl neu, weil wir solches jetzt viel stärker mit anderen teilen oder uns solches wiederfährt. So könnten sich die Globalisierung der Wirtschaft und die Globalisierung des zwischenmenschlichen Lebens einander angleichen: weniger von Gewinnmaximierung getriebene Globalisierung in der Wirtschaft, dafür aber ein gewachsenes globales Verantwortungsgefühl und Verständnis bei jedem Einzelnen.

 

Vieles, was wir jetzt erfahren, steht im Widerspruch zu dem, was wir bisher für gut und richtig hielten. Vieles von dem, was uns bisher wichtig erschien, tritt in den Hintergrund. Unser Blick schärft sich neu, ohne dass wir über den Wolken schweben oder die Erde vom Weltraum aus betrachten müssen. Hier und jetzt können wir unser Leben neu erfahren und überdenken.

 

Dass nach der überstandenen Krise nichts so sein wird wie bisher, scheint jedem klar. Es stehen viele Wege offen. Welchen Weg wir einschlagen, können wir schon jetzt durch unser Denken und Handeln mitbestimmen. Wird es ein Weg der Nächstenliebe sein, auf dem wir tatsächlich anfangen, uns für das Wohlergehen aller Menschen, insbesondere auch der Geflüchteten und Armen dieser Welt, einzusetzen, anstatt wegzusehen? Wird es ein Weg sein, auf dem wir uns gezielt mit unserer Rolle im Ökosystem Erde auseinandersetzen, um so unseren Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung viel bewusster wahrzunehmen? Oder wird es ein Weg sein, der von Schuldzuweisungen, noch stärkerem Nationalismus und innerer Feindseligkeit geprägt ist? Bis vor einigen Wochen konnten wir nur abstrakt über Alternativen diskutieren. Häufig wurden sie verworfen mit dem Argument, dass ein alternativer Weg nur eine unrealisierbare Utopie sei. Das Coronavirus hat diese Behauptung widerlegt. Es geht vieles anders. Das erfahren wir jetzt.

 

Gott hat uns das Coronavirus nicht als Plage oder als Besserungsmaßnahme geschickt. Ich glaube nicht an einen strafenden Gott. Genauso wenig wird aber Gott das Virus einfach so auslöschen oder es anders für uns aus dem Weg räumen, um uns die Verantwortung für unseren Weg abzunehmen. Medikamente, Impfstoffe und Pandemiepläne müssen wir selbst finden, Kranke versorgen und heilen, Verstorbene betrauern. Auch die Bibel kann kein Heilmittel gegen das Virus sein. Doch was sie uns von Gott und Jesus erzählt, hilft uns Wege zu finden, wie wir mit dieser extremen Situation umgehen können. Im Gebet und im Vertrauen auf ihn können wir in unserer Unsicherheit Stärkung erfahren. So kann uns Gott in den notwendigen Entscheidungen beistehen und unsere Hoffnung auf ihn kann uns über die besonders schweren Stunden sogar hinwegtragen. Gott lässt uns nicht allein, wenn wir wach bleiben, seine Spuren in unserem Leben auch in der Krise zu entdecken.

 

Micaela Krieger-Hauwede

 

(2)

Wir sind gerade dazwischen: zwischen „normal vor Corona“ und „normal nach Corona“, also wieder in ruhigen, normalen Bahnen lebend. Dieses „Dazwischen“ ist verunsichernd, weckt Angst und belebt Hoffnung, beschäftigt uns alle als eine kollektive Erfahrung, weltweit – wenn auch sehr unterschiedlich.

 

Ich bringe zwei Erfahrungen aus diesem „Dazwischen-Sein“ mit Gott in Verbindung und frage, was das für uns als Kirche in Sachsen bedeuten kann.

 

1. Eine Erfahrung, die wir gerade machen: „Weniger“ ist schmerzhaft, aber möglich. An manchen Stellen ist es sogar wohltuend und macht bewusst, wie wichtig manches scheinbar Selbstverständliche ist. Es verändert das eigene Leben, macht wacher, bewusster, vielleicht dankbarer. Und es verändert die Erde, z. B. den Smog, den CO2-Ausstoß, den Himmel.

 

„Weniger“ bedeutet für viele aber auch Angst um die Existenz: Wie lange wird das Einkommen gekürzt oder wegfallen? Woher kommt Hilfe? Genug? Wie geht es weiter?

 

Wenn ich diese Erfahrung mit Gott in Verbindung bringe, dann denke ich an Jesus, der bei der Einsetzung des Abendmahls am Gründonnerstag zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sagte: „Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“ (Mt 26, 29). Jesus verzichtet auf den geteilten Kelch. Er ist anders gegenwärtig in Brot und Wein – aber nicht sichtbar. Wie anders ist es, jemanden leibhaftig zu erleben als in einer geistlichen Gemeinschaft, auf Abstand und Entfernung. Wir anders und wie notwendig ist es, wirklich zu essen und zu trinken und zu teilen – und nicht nur im Geist oder virtuell. Und trotzdem: Wie wirksam, wie stark, wie gut ist auch diese Erfahrung! Wie gut und wichtig ist es, eine Aussicht, eine Hoffnung, ein Vertrauen zu haben, dass das – in einer anderen Wirklichkeit – wieder anders wird.

 

Für uns als Kirche in Sachsen bin ich froh über die ruhige Klarheit, mit der wir auch in dieser Zeit auf Gott hören und mit ihm und miteinander im Gespräch sind – auch wenn persönliche Begegnungen drastisch reduziert und öffentliche Gottesdienste verboten sind. Alltagsfrömmigkeit bleibt und wächst sogar, und neue Ideen entstehen. Der Gottesdienst mit Landesbischof Bilz am 15.3. war ein schönes Beispiel dafür. Mittags um 12 Uhr den Psalm 121 beten, wie eine Freundin es mir von einem Hauskreis erzählt hat – tut gut. Inzwischen entwickeln viele Gemeinden Ideen und Möglichkeiten.

 

Das „Weniger“ im materiellen Sinn, die Sorge und die Ungerechtigkeit, die dadurch entstehen, lässt mich fragen: Wie wäre es, wenn wir in Deutschland das „bedingungslose Grundeinkommen“ hätten? Sind wir als Kirche „dran“, im Sinne der Gerechtigkeit als Gemeinschaftstreue dafür einzutreten, dass wir so teilen, dass genug für alle da ist?

 

Können wir noch viel deutlicher dafür eintreten, dass sich etwas wandelt in der Einschätzung und Bezahlung „lebensnotwendiger“ Dienste?

 

2. Angst, Trauer, Wut – das sind die Gefühle, die in der aktuellen Veränderung immer wieder auftauchen. Micaelas erster Absatz hat mich beschäftigt: „Es stirbt ein Teil der Individuen.“ Ja, so ist es schon und so wird es in den nächsten Wochen und Monaten vermehrt sein. Dabei werden auch Menschen sein, die ich kenne und liebe. Sie werden fehlen. Und auch ich selbst bin sterblich – das wird mir in so einer Zeit bewusst. Der Gedanke tut weh und macht Angst. Die Ohnmacht gegenüber einer unkontrollierbaren Situation macht wütend.

 

Wenn ich das mit Gott in Verbindung bringe, denke ich an die Feiertage, die wir vor uns haben: Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag. Dann Ostern.

 

Erinnern an das Leiden und Sterben von Jesus: Die Angst vor dem, was kommt, im Garten Gethsemane (Mt 26, 36ff), das inständige Gebet von Jesus, dass das vorüber gehen möge, ihm nicht geschehen möge, und die Zuwendung zu Gott hin im Vertrauen; Schmerz, Leid, Ungerechtigkeit und der Ruf „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27, 46). Tiefste Anklage an Gott, auch Wut? und tiefer Schmerz mit den Worten des 22. Psalms.

 

Karsamstag: Stille und Gottferne. Zeit für Trauer. Aushalten. Zweifeln. Verzweifeln.

 

Wir sind oft so schnell bei Ostern, bei der Auferstehung – auch jetzt sehen wir ganz rasch das Gute darin und das Gute danach… Dürfen auch der Schmerz, die Angst, die Ohnmacht, die Trauer da sein und ihre Zeiten haben?

 

Auch „Ostern“ ist ja kein „Auf-einmal-ist-alles-gut“-Moment. Es ist die Begegnung mit dem, was vorher nicht zu denken oder zu glauben war: Mit Christus, dem Auferstandenen. Vorher waren die Jüngerinnen und Jünger zeitweise begeistert, in Sorge, in Angst, voller Fragen, manche auch selbstsicher und überheblich, wie Petrus. Hinterher waren sie erschrocken, bewegt, voll Hoffnung, noch unsicher, was das jetzt bedeutet, wie es weitergeht. Von Jesus, dem Auferstandenen, hören sie: „Verkündigt meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen.“ (Mt 28, 10). Galiläa, das ist die Landschaft westlich des Sees Genezareth. Dort war für die Jüngerinnen und Jünger der Alltag, das normale Leben. Aber etwas wird nach Ostern anders: „Dort werden sie mich sehen.“ sagt Jesus, der Lebendige. Es gibt im „Nachher“ wieder ein „normales“ Leben, aber mit einem veränderten Weltbild, mit einer neuen Erfahrung. Die Ostererfahrung öffnet Menschen die Augen für die Gegenwart des Auferstandenen, des lebendigen Gottes. Mit dieser Erfahrung wird – Schritt für Schritt – etwas Neues möglich und das sollen wir weitersagen.

 

Ich möchte nicht nur zuversichtlich von Ostern reden, ich will auch wahrnehmen, was Menschen gerade (23. März 2020) erleben und fühlen: Hier bei uns, allein zuhause; mit Besuchsverbot in Heimen; in Sorge im Gesundheitswesen; in Unsicherheit und Angst um das eigene Auskommen. Auch in Italien. Auch in Ländern mit einer viel schlechteren Gesundheitsversorgung, wie z. B. Albanien. Auch in den Flüchtlingslagern in Griechenland, in der Türkei, in Syrien… Überall kann ich gar nicht hinschauen. Ich glaube, dass Gott in Christus überall dort mitleidet, mit bangt, mit schreit – und Hilfe braucht, auch meine: In der Fürbitte, in einem Anruf oder einem Brief, mit einer Spende, einer Blutspende, mit politischem und kirchlichem Engagement…

 

Ich möchte meiner eigenen Angst, meiner Trauer, meinen Fragen Raum geben und sie nicht wegdrücken. Sie brauchen Zeit und meine Kraft und Liebe. Sie gehören zu mir – und das dürfen sie auch. Ich bin ein Mensch – und Menschen fühlen. Trauer, Angst, Wut werden mich nicht festhalten und verhärten. Sie sind Teil meines Lebens und dürfen es sein, weil ich sie nicht allein aushalten muss. Gottes Geistkraft, der „Tröster“ (Joh 14, 15ff), ist da und trägt im Glauben und im Fragen.

 

Für uns als Kirche in Sachsen wünsche ich mir,

  • … dass wir in der Gesellschaft dafür eintreten, dass Sterben und Tod vorkommen dürfen, begleitet und betrauert werden.
  • … dass wir unsere Feste und den Wechsel von Woche und Alltag, von Beten und Arbeiten offen leben und teilen. Darin lässt sich das „vorher – dazwischen – danach“ erleben und tröstlich einüben.

 Teilen Sie mit uns Erfahrungen aus dem „dazwischen“ und beschreiben Sie Ihre Hoffnungen, Ihre Visionen für das „danach“.

 

1. Zur Erfahrung:

a. Wie geht es Ihnen mit dem „Weniger“ im „Dazwischen“?

 

b. Wie erleben und bewältigen Sie Angst, Trauer, Wut?

 

c. Was bedeutet Ihr Glauben oder Nicht-Glauben in dieser Zeit? Als Christin? Als Gemeinde und Landeskirche?

 

2. Was ist Ihre Vision für das „Danach“? Wohin könnte, wohin sollte es für Sie persönlich, für uns miteinander gehen?

a. Bedingungsloses Grundeinkommen?

 

b. Glauben teilen?

 

c. …

 

Barbara Zeitler

 

Kommentare: 129 (Diskussion geschlossen)
  • #129

    Kathrin Mette (Donnerstag, 09 April 2020 18:54)

    Vielen Dank an alle, die sich in dieser Diskussion engagiert haben! Und Dank besonders auch an die beiden Impulsgeberinnen.
    Gutes und Segen für die kommenden Tage wünsche ich!

  • #128

    Micaela Krieger-Hauwede (Donnerstag, 09 April 2020 18:51)

    Die ersten Nächte im April 2020 waren für mich durchdachte und durchwachte Nächte. Ich habe sehr viel über die unterschiedlichen Argumente der Diskussionsteilnehmer*innen nachgedacht. Mich hat zum Schluss vor allem schmerzlich bewegt, dass es mir scheinbar nicht so gut gelungen ist, in diesem Gespräch das zu transportieren, worum es mir eigentlich ging. Vielleicht lag es auch daran, dass ich üblicherweise nicht an längeren Debatten im Internet teilnehme und mir daher die Souveränität fehlte, bestimmte Diskussionstaktiken von mir zu weisen. Ich habe tatsächlich unter diesen Taktiken gelitten und bin denen dankbar, die das wahrgenommen haben.

    Juliane Keitel hat in ihrem Beitrag #99 Hiob erwähnt. Das hat mich zum Nachdenken angeregt. Ich frage mich nämlich, in wie weit wir uns mit Hiob identifizieren können oder dürfen. Ich finde: Zum einen ja, denn das Virus ist einfach so über uns hereingebrochen. Alles, was mit dem Virus zusammenhängt, ist etwas, das wir erleiden. Das gilt, wie Juliane Keitel und Gerhard Lindemann betonten, besonders für die Menschen, die ohnehin schon die Leidtragenden unserer Zivilisation sind. Zum andern nein, denn der Zustand unserer Gesellschaft, der jetzt plötzlich noch stärker offenbar wird als sonst, ist nicht Gott oder Teufel gegeben, sondern wir haben ihn selbst mitzuverantworten. Schlimmer noch, wir bringen durch ihn selbst Leid über andere Menschen, uns selbst und die Natur. Daraus ergibt sich für mich ein eindeutiger Handlungsbedarf von meiner Seite aus, der sowohl in der akuten Hilfe als auch in der Abänderung der grundlegenden Zustände besteht.

    Ich möchte explizit Anne Veit danken, die für mich mit ihrer wohltuenden, besonnenen Art einen Ankerpunkt in diesem Forum bildete und aus meiner Sicht die Worte gefunden hat, die mir fehlten. Mit ihrem klugen Beitrag #117 hat sie all unsere Gedanken irgendwie doch vereint und zurechtgelegt. Auch Sascha Wildenhain hat mich mit seiner Herzlichkeit berührt. Sinn und Zweck dieser Debatte war gewiss nicht, jemandem die Hoffnung auszutreiben. Für mich heißt es immer noch: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Danke für die vielen Empfehlungen, Herr Wildenhain. Ich höre seit einigen Tagen „Die Brüder Karamasow“. Hier drei Empfehlungen von mir an Sie: Interstellar (Film), Hossa Talk, Worthaus Mediathek.

    Es heißt: Aus Erfahrung wird man klug. Es ist ein Unterschied, ob mir jemand von einer Erfahrung berichtet oder ob ich selbst in ihr drinstecke. Gegenwärtig mache ich Erfahrungen aufgrund von Umständen, denen ich einfach so ausgesetzt bin. Das ist zum Beispiel die Erfahrung der Isolation. An solchen Erfahrungen kann ich nichts ändern, sondern ich kann mich nur zu ihnen verhalten. Dann gibt es Erfahrungen, die sich daraus ergeben, dass ich die Welt jetzt bewusster wahrnehme. Die machen mich insgesamt wacher und sensibilisieren mich dafür, was um mich eigentlich passiert. Und dann gibt es die Erfahrungen, die andere mit MIR machen. Und die kann ich aktiv beeinflussen.

  • #127

    Sascha Wildenhain (Donnerstag, 09 April 2020)

    Ich möchte mich ebenfalls bei ALLEN für die Diskussionen hier bedanken, sie haben mein Denken und Sprechen bereichert!
    Ein kleiner Wermutstropfen ist mir aber auch die teilweise sehr harte Auseinandersetzung, wobei das eben aber ja wieder relativ ist, denn ich selbst teile ja auch manchmal ganz schön aus.
    Als Ausklang von mir auch noch ein kleines Gedicht für uns alle, verbunden mit dem Wunsch, dass wir unseren Humor nicht verlieren:

    (1931)
    Kurt Tucholsky

    An das Baby

    Alle stehn um dich herum:
    Fotograf und Mutti
    und ein Kasten, schwarz und stumm,
    Felix, Tante Putti ...
    Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
    fröhlich quietscht ein Gummihund.
    »Baby, lach mal!« ruft Mama.
    »Guck«, ruft Tante, »eiala!«
    Aber du, mein kleiner Mann,
    siehst dir die Gesellschaft an ...
    Na, und dann – was meinste?
    Weinste.

    Später stehn um dich herum
    Vaterland und Fahnen;
    Kirche, Ministerium,
    Welsche und Germanen.
    Jeder stiert nur unverwandt
    auf das eigne kleine Land.
    Jeder kräht auf seinem Mist,
    weiß genau, was Wahrheit ist.
    Aber du, mein guter Mann,
    siehst dir die Gesellschaft an ...
    Na, und dann – was machste?
    Lachste.

  • #126

    Gerhard Lindemann (Donnerstag, 09 April 2020 10:35)

    Die Hinweise auf die Facebook-Seite von Herrn Flessing sind erschreckend. Da wäre ich für eine Erklärung seinerseits sehr dankbar. Diese Erkenntnisse rücken seine Diffamierung von dem Postulat, das Schicksal derjenigen zu berücksichtigen, die an der Krise leiden, als "Kriegsnebel" und die Diskreditierung dieses Anliegens als ideologisch motiviert noch einmal in ein klareres Licht. Vor allem letzteres haben wir in den Quellen, die er öffentlich schätzt, zuhauf, dass der Blick auf Ausgegrenzte als ideologisches Denken diffamiert bzw. den Vertretern dieser Positionen mangelnde "Nüchternheit" vorgehalten wird. Dass zunächst nur Juliane Keitel dem widersprach, sollte eine Mahnung sein .- es zeigt, wie schnell rechtes Denken auch in liberalen Kreisen auf Akzeptanz stößt, wenn es nur geschickt konnotiert wird (Juliane Keitel macht darauf in #102 aufmerksam) .
    Auch ohne die Kenntnis von G. Flessings Facebook-Seite empfand ich es als äußerst irritierend, dass Anne Veit kurz nach seinem Beitrag #89 auf die berechtigte Kritik, die Juliane Keitel dankenswerter Weise vorbrachte, reagierte mit, "sie habe das Bedürfnis, ihn [G. Flessing] als Gesprächsteilnehmer zu schützen", ohne auf die Grenzüberschreitungen im Ton und Stil und die persönlichen Angriffe von #89 einzugehen - auch nicht auf den Vergleich von Juliane Keitel und mir mit SED- und FDJ-Agitatoren, den er in #111 vornahm. Da ginge es doch zumindest gleichermaßen darum, die in solcher Weise Angegriffenen zu schützen. Dass Kathrin Mette in der Folge als Administratorin schreibt (#114), sie sei "sehr froh" über den Beitrag von Frau Veit, empfinde ich als sehr problematisch, auch angesichts dessen, was Juliane Keitel in #124 festgestellt hat.
    Umso dankbarer war ich dafür, dass Barbara Zeitler im Anschluss ein alle Perspektiven würdigendes (Anne Veit nahm vor allem die Perspektive von Micaela Krieger-Hauwede ein, indem sie konstatierte, dass sie unter der Kritik an Partien ihrer Beiträge litt) Votum abgab und in #120 sich von der Form von Herrn Flessings Text #89 deutlich distanzierte.
    Ergänzen ließe sich vielleicht noch, dass die Berücksichtigunbg der Perspektive der Leidenden (auch bei mir nicht die einzige Perspektive) nicht nur eine persönliche "Sondermeinung" ist, sondern eine in der Theoklogie verbreitete Einsicht und historisch tief verwurzelt ist. Luther z. B. begründete das Gewaltmonopol des Staates mit dem Schutzbedürfnis der Schwachen, das wurzelte ijn seiner Kreuzestheologie.
    Auch möchte ich persönlich anfügen, dass ich mich an den seit dem Bischofsrücktritt geführten Blog-Gesprächen nicht beteilige, um mich persönlich zu profilieren (so suggeriert es G. Flessing in #89), sondern weil mir von verschiedenen Mitgliedern des Initiativkreises signalisiert wurde, dass ihnen Kompetenz von außen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation hilfreich und wichtig sei.

    Ich finde es übrigens auch schade, dass der Blog - auch ohne eine Begründung zu geben (es wird hier ja noch munter diskutiert) - einfach geschlossen wird. Die Krise geht weiter, und es gibt Themen, die es wert wären, aufgegriffen zu werden.

  • #125

    Juliane Keitel (Donnerstag, 09 April 2020 03:48)

    Hier noch das Gedicht:

    ihr fragt
    wie ist die auferstehung der toten?
    ich weiß es nicht

    ihr fragt
    wann ist die auferstehung der toten?
    ich weiß es nicht

    ihr fragt
    gibt’s
    eine auferstehung der toten?
    ich weiß es nicht

    ihr fragt
    gibt’s
    keine auferstehung der toten?
    ich weiß es nicht

    ich weiß
    nur
    wonach ihr nicht fragt:
    die auferstehung derer die leben

    ich weiß
    nur
    wozu Er uns ruft:
    zur auferstehung heute und jetzt

    aus: Kurt Marti, Leichenreden, Frankfurt a.M. 1976, S. 25

    Ich bedanke mich herzlich für die Gelegenheit, hier zu diesem Thema mitzudiskutieren. Vielleicht 'sehen' wird uns ja wieder auf einem anderen Blog. Ich wünsche allen noch eine gute Karwoche.

  • #124

    Juliane Keitel (Donnerstag, 09 April 2020 03:44)

    Ich finde es schade, dass der Blog heute geschlossen wird, denn die Corona-Krise wird uns noch länger beschäftigen. Mir wird dieser Blog zum Austauschen, Ideenfinden, Streiten um gute Haltungen und verantwortungsvolles Handeln fehlen. Gern würde ich ein kleines Resümee und noch ein paar aktuelle Beobachtungen/Gedanken teilen.

    1. Zum letzten Mal muss ich in die Metaebene gehen und bitte, dies zu entschuldigen. Leider erfuhr ich hier erst spät, dass das Mitschreibenden und evtl. auch Mitlesenden unangenehm ist. Das tut mir leid. Um auch für mich einen guten Abschluss zu finden, muss ich aber auf das von einigen Schreibenden und den Admins als gestört empfundene Gesprächsklima eingehen:
    Die kollektive, unkonkrete Ermahnung von Kathrin Mette (#114) finde ich - auch als Pädagogin - problematisch. Sie schafft ein moralisches Vakuum, in dem sich alle schuldig fühlen sollen. Kollektives Ermahnen spielt mit der prinzipiellen Schuldhaftigkeit von allen. Diese Wahrheit zur Disziplinierung zu nutzen, ist unfair; zum einen gegenüber denen, die der Vorwurf nicht betrifft, zum anderen denen gegenüber, die er vielleicht betrifft, die aber nicht wissen, was wer als falsch empfand und die somit keine Chance haben, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, sich ggf. aufrichtig zu entschuldigen etc.
    Ich ertrage Unklarheit schwerer, als wenn sich Admins, Initiatorenkreis, Mitschreibende an der Stelle, an der sie sich über mich ärgerten, konkret positioniert hätten. So aber habe ich weder Klarheit darüber, in welchem Maße ich (mit-)gemeint war, an welchen Äußerungen sich Ärger entzündet hat, noch habe ich die Möglichkeit, mich ggf. bei jemandem zu entschuldigen. Einen wie in #114 benannten Unterschied zwischen analoger und digitaler Kommunikation zu machen, gehört nicht zu meiner Praxis. Nächstenliebe verlangt Klarheit, und diese Klarheit enthalte ich meinem Gegenüber weder vor, denn es hat ein Recht darauf, zu wissen, wer ich bin/was mir wichtig ist, noch kann und will ich sie um meiner selbst willen verstecken.

    2. Ich nehme an, dass Anne Veit (#113) die Kommunikation zwischen mir und Gert Flessing kritisch im Blick hatte. Aber ich nehme nichts von meinen Posts zurück. Ich habe gestern per Zufall über den Facebook-Account eines Freundes gesehen, welche Seiten Sie, Herr Flessing, geliked haben. Auch auf die Gefahr hin, das sei jetzt ‚zu persönlich‘: ich bin geschockt, wie viele Seiten aus dem rechtsextremen Spektrum Sie dort - öffentlich sichtbar - geliked haben! Seiten, auf denen zur Situation in Griechenland menschenverachtende Videos („Powerknopf“) gezeigt oder zum Thema Corona zutiefst rassistische Kommentare gepostet werden („Freunde der Wahrheit“). Nach wie vor achte ich Ihr sozial-diakonisches Engagement in Ihrem Umfeld, aber dazu muss ich NEIN sagen. Ich habe mich sehr bemüht, die Perspektive der Schwachen in unseren Diskussionen zu stärken, um dann kurz vor Schließung des Blogs auf diese Seiten über Ihr Facebook-Profil zu stoßen. Das ist hart.

    3. Auf der Suche nach Trost und Hoffnung habe ich den Osterbrief des Landesbischofs gelesen. Enttäuschend. Unkonkrete Allgemeinplätze/Floskeln: „Grenzen sollen überschritten und Neues gewagt werden.“ oder „Manches wird uns gerade genommen, anderes lernen wir neu schätzen. Es gibt viel Unsicherheit und manche Sorge“ (S. 3). Sätze aus dem Dunstkreis populistischen Denkens: „Kann man den Medien vertrauen, über die alle ihre Informationen beziehen oder werden wir planmäßig hinters Licht geführt?“ (S. 1) Und am Ende Überforderung: „Jetzt kommt es mehr denn je darauf an, ob wir in Jesus Christus selbst gegründet sind“ (S. 3). Diejenigen, die sich gerade nicht als „fest in Christus gegründet“ - was immer das auch genau ist - empfinden, haben dann wohl Pech, denn nur darauf kommt’s ja an.
    Aus solchen theologischen Plattheiten wie auch aus „Krise als Chance“ kann ich persönlich keine Kraft schöpfen. Dankbar war ich Micaela Krieger-Hauwede (#82), die Bibel nochmal zu Rate zu ziehen. Mein Fazit: Wenn Menschen ihre Zukunft stärker als ihre Gegenwart im Blick haben, dann scheitern sie, wie z.B. der reiche Kornbauer. Reich Gottes und Auferstehung müssen sich irgendwie heute ereignen, sonst haben wir keine Zukunft. Das lerne ich aus der Bibel, und auch aus einem Gedicht von Kurt Marti (1921-2017): Auferstehen heute (!) für die Menschen in Moria, für die Wanderarbeiter, für die Isolierten in Heimen, für die, die nicht mehr können.

  • #123

    Sascha Wildenhain (Mittwoch, 08 April 2020 16:08)

    Sorry,
    die Verlinkung funktioniert auch nicht mehr, wie ich soeben feststellen musste.
    Also wen es interessiert, der Film heißt: "Hasenjagd" Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen. Ein sehr gefühlvoll in Szene gesetzter Film über die Rettung von 2 Menschen. Kann man auf YouTube in Voller Länge ohne Einschränkungen ansehen.
    Aufgrund der Tatsache, dass die lieben Mitmenschen heute wieder vollkommen durchgedreht sind und eingekauft haben, als wären die nächsten Wochen die Einkaufstempel geschlossen, bleibt mein Pessimismus wie er ist.
    Kurt Tucholsky hat einmal ein feines Buch geschrieben, es trägt den Titel: "Wir Negativen".

  • #122

    Sascha Wildenhain (Mittwoch, 08 April 2020 14:50)

    Danke für #121!
    Leider habe ich im Laufe der Zeit die Hoffnung oder die Sehnsucht nach einer besseren Welt, einer menschenfreundlicheren Gestaltung "der Gesellschaft" nach und nach aufgegeben. Momentan bin ich so unterwegs, daß ich denke, dass schon viel erreicht ist, wenn der einzelne Mensch von sich aus gegenüber anderen Liebe übt, ohne Strukturen, die ihn dazu nötigen.
    Es gibt einen Spielfilm der mich sehr bewegt und berührt hat: "Hasenjagd", der Film basiert auf Tatsachen. In diesem Film wird unser menschliches Verhalten in Bezug auf den Umgang mit Herausforderung, Mitgefühl, Gefahr etc. wunderbar unaufgeregt in Szene gesetzt.
    https://www.youtube.com/watch?v=HKoQzsoS0TU&t=5s
    sw

  • #121

    Gert Flessing (Mittwoch, 08 April 2020 14:31)

    Morgen ist Gründonnerstag. Noch einmal möchte ich versuchen, Frau Zeitlers fragende Gedanken aufzugreifen. Meine Gedanken dazu äußern.
    Wie es mir geht, mit dem "weniger"?
    Nun, ich bin pensioniert. Da gab es schon ein "weniger". Weniger bedeutet auch, sich zurück zu nehmen. Ja, wir schreiben hier öffentlich. Ich war lange genug eine Person der (begrenzten) Öffentlichkeit. Was ich hier von mir "preisgebe" würde ich auch sonst tun.
    Weniger Verkündigung "draußen" bedeutet, für mich, mehr Verkündigung "drinnen", durch Karten oder ähnliche Möglichkeiten.
    Weniger Bewegungsspielraum bedeutet für mich, inne zu halten und meine nähere Umgebung genauer zu betrachten. Ich spare Sprit.
    Angst, Trauer, Wut?
    Ich kenne Ängste gut genug. Sie sitzen in meiner Seele, wie in der anderer Menschen. Trauer ist ein Teil dessen, was wir bei Verlusten empfinden. Aber sie ist etwas sehr intimes. Sie zu artikulieren fällt mir schwer. Eine meiner ersten Beerdigungen war mein Vater. Es war sein Wunsch gewesen. Meine Trauer waren die neun Monate seines Sterbens. Sie endete eigentlich, als wir gemeinsam das Abendmahl nahmen, kurz vor seinem Ende. Auch meine Mutter haben ich beerdigt. Manche Menschen haben mich für kalt gehalten. Es stimmt mich traurig, das es so viel größere Not gibt, als das, was ich vielleicht habe und wenig Hilfe.
    Wut ist mir eigentlich fremd. Wut hilft nicht. Auf wen sollte ich wütend sein? Auf den Virus? Auf Politiker, die auch jetzt reden, ohne wirklich etwas zu helfen? Auf Menschen, die anders denken, als ich? Das wäre alles sinnlose Vergeudung von Energie.
    Glauben bedeutet mit in dieser Zeit, wie in anderen, Gott zu vertrauen. Mich Gott anzuvertrauen und mit ihm im Gespräch zu bleiben. Es bedeutet, ihm zu danken, wenn ein guter Tag an sein Ziel kam, ihn für meine Familie, meine Freunde und mich um eine ruhige Nacht zu bitten. Ihm am Morgen zu danken, das er mich einen neuen Tag erleben lässt und Losung und Lehrtext zu lesen.
    Ich weiß mich verbunden mit vielen Menschen in meiner Gemeinde, in der ich war und mit der Gemeinde, in der ich jetzt lebe. Das tut mir gut.
    Visionen habe ich nicht. Hatte ich nie. Helmut Schmidt soll gesagt haben: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen." Das halte ich, als Christ, für überzogen. Aber der Herr hat mir, bisher, keine zukommen lassen.
    Die "menschlichen" Visionen sind ja ganz nett. Aber ob sie tragen, weiß ich nicht. Der Glaube trägt. Das ist mir genug. Ihn anderen mitzuteilen, ist weiter meine Aufgabe. Ob ich ihn wirklich teilen kann? Ich weiß es nicht. Aber das ist auch etwas, was in Gottes Hand ist.
    Morgen ist Gründonnerstag. Jesus saß auch mit dem, der ihn verriet am Tisch, tauche den Brocken Brot mit ihm in eine Schüssel Sauce und teilte sich, in Brot und Wein mit ihm, wie mit den anderen.
    Er erinnert uns damit, wie nah er uns sein will und auch, das seine Maßstäbe andere sind, als unsere.
    Gert Flessing

  • #120

    Barbara Zeitler (Dienstag, 07 April 2020 19:23)

    Entgegen dem Wunsch aus #113 schreibe ich doch nochmal was zu den Gesprächstaktiken oder Gesprächsperspektiven, die ich wahrnehme.

    Meine „normale“ ;o) Arbeitsmethode ist das persönliche Gespräch. Zurzeit finden viele Gespräche per Telefon oder schriftlich statt. Dabei entfällt die Wahrnehmung von Mimik und Gestik, beim Schreiben auch die Klangfarbe der Stimme. Oft muss ich deshalb nachfragen oder mich ausführlich erklären: „Ich bin jetzt gerade still, weil ich erstmal verdauen muss, was ich gehört habe…“ Oder: „Ich weiß jetzt nicht, wie Sie meine Antwort empfinden…?“

    Wir tauschen uns hier über ein sehr persönliches Thema „Wie erlebe und verstehe ich die Corona-Krise?“ aus und nehmen dabei immer nur einen kleinen Bruchteil unseres Gegenübers wahr.
    Wir sind sieben Personen (mit Administratorin 8).
    Wir schreiben öffentlich – da überlegt sich auch jede und jeder: Was zeige ich von mir? Was teile ich aus meinem Leben mit? Wie zeige ich mich?

    Dies bedenkend, wundert mich nicht, dass es hier im Blog zu Missverständnissen,
    Reibungspunkten und Verletzungen kommt. Ich hoffe, dass das zeitweise Ausbrechen der einen oder des anderen – ins Schweigen oder in den Angriff – keine nachhaltigen Schäden anzeigt.

    Aus meiner Sicht geschah hier unter anderem Folgendes:

    Herrn Flessings Beiträge bringen das Gespräch weiter, weil er Themen und Thesen aufwirft, die oft Widerspruch hervorrufen. Er reagiert auch mal heftig, emotional und manchmal – mit Verlaub – poltrig. In #89 ist er da aus meiner Sicht gegenüber Herrn Lindemann über das Ziel hinaus geschossen, wenn er ihm vorwirft, Herr Lindemann würde – womöglich absichtlich – Frau Krieger-Hauwede „aus der Diskussion schießen“ oder mit seinem Verweis auf „Marginalisierte“ oder Emotionalität das vernebeln, worum es eigentlich geht.

    Viele von Herrn Lindemanns Beiträgen greifen pointiert auf, was er an Fehlstellen und Gefahren wahrnimmt. Dabei nimmt er sehr bewusst die Perspektive derer auf, die leiden (z.B. #68 und #69). Er benennt auch die positiven Seiten der Beiträge anderer (z.B. #80). Eine Stärke seiner Beiträge sehe ich im kritischen Hinterfragen. Wie mit einem Textmarker unterstreicht er, wo er Defizite wahrnimmt und insistiert darauf (z.B. #33). Ich schätze daran, dass ich selbst wach werde, weil ich an manchen Stellen weniger sensibel bin. (Das wäre wahrscheinlich anders, wenn beharrlich v.a. ich und meine Worte kritisiert würden. Ich habe bisher aber ja nicht viel geschrieben ;o) Ich nehme auch wahr, dass Herr Lindemann getroffen ist (#87), wenn er sich nicht oder falsch verstanden oder zitiert sieht.

    So nehme ich einen Punkt wahr, an dem das Gespräch hier etwas eskaliert ist. Von da ausgehend wünsche ich mir - wie Frau Veit in #113 - eine Gesprächskultur, die dem Inhalt "Gedanken zur Coronakrise" dient, die eigene und andere Sichtweisen wahrnimmt, zulässt und mehr fragt als zuweist.

  • #119

    Sascha Wildenhain (Montag, 06 April 2020 15:02)

    zu # 116 Danke für die Antwort. Ich denke auch, dass
    es in der Diskussion hier eine große Rolle spielt, dass wir alle aus unterschiedlichen Lebenswrklichkeiten heraus miteinander kommunizieren.
    sw

  • #118

    Gert Flessing (Montag, 06 April 2020 13:48)

    Die "Störung", die Frau Veit diagnostiziert, kann damit zusammen hängen, das wir alle Menschen sind, die eine unterschiedliche Basis, für ihr Denken und Leben haben, von dieser Basis her argumentieren und ebenso andere GesprächspartnerInnen lesen. Das kann zu Wertungen führen, die den jeweiligen Schreiber verstören oder ihm das Gefühl vermitteln, missverstanden worden zu sein.
    Beispiel: "Ich kenne Stimmen, die meinen, das man auch die Deutschen, die irgendwo im Ausland gestrandet sind, dort lassen sollte. Gewiss der Angst geschuldet. Dennoch da.
    Vielleicht sträuben sich die Regierungen, die Flüchtlinge zu holen, weil sie Angst haben, damit der AfD noch mehr Menschen in die Arme zu treiben?" (#111)
    Es war eine Feststellung, die deutlich macht, wie manche Menschen ticken. Sie mündet in eine Frage, die ganz sicher nicht die AfD rechtfertigt, sondern eine Möglichkeit zur Debatte stellt.
    Die Reaktion: "Ihnen sind also einige "Stimmen" aus "unserer Bevölkerung" tatsächlich mehr Wert als das tausendfache Leid und möglicherweise der tausendfache Tod von Geflüchteten? Gehts noch? Ist mein Widerspruch jetzt etwa eine der "linken Solidaritätsfloskeln", die Sie aus Ihrer DDR-Zeit kennen?? Herr Flessing, das ist menschenverachtend, was Sie da gerade posten. Und die AfD hätte gewonnen, hätte Deutschland erpressbar gemacht. Ihrer Meinung nach sollte man sich also nicht an seinen Werten und Prinzipien orientieren, sondern man richtet sich nach der AfD." (#112)
    Ich wundere mich über die Reaktion, denn weder mein Hinweis auf die Meinung mancher Leute, noch die Frage haben irgend eine Nähe zur AfD deutlich gemacht und waren gewiss nicht "menschenverachtend". Eine Antwort auf meine Frage, ob es möglich wäre, das Regierungen so reagieren, in der Frage von Moria, wie sie es tun, ist es schon gar nicht.
    Ich hatte das, was hier geschieht, für ein vernünftiges Gespräch von vernünftigen Menschen über ein brandaktuelles und uns alle beschäftigendes Thema gehalten.
    Wir sind in der Passionswoche. Im Leiden Jesu begegnet mir Gott, wie er mit uns Menschen mit leidet. Ja, auch mit den Menschen in Moria, deshalb habe ich auch Frau Keitels Gebet so bewegend und richtig und wohltuend gefunden.
    Aber auch mit all den Menschen, die in Italien oder Spanien oder auch hier, mit dieser Krankheit ringen.
    Mit denen, die einsam sind, die ihr Zimmer im Altenheim nicht verlassen dürfen oder ihre kleine Wohnung irgendwo in einem Hochhaus.
    Ja, das, was auch nur ansatzweise normal war, ist unterbrochen.
    Das heißt nicht, das wir nicht mittrauern dürfen oder das wir nicht da, wo wir können, mittrösten sollten.
    Bleiben Sie alle in dieser Zeit behütet
    Gert Flessing

  • #117

    Anne Veit (Montag, 06 April 2020 13:34)

    „Ich fühle mich bei der Verharmlosung der Gegenwart ohnmächtig!“ (#99) Ja, das verstehe ich gut. So fühle ich mich auch. Ich kann hier schreiend durch meine Wohnung laufen (wenn ich mich trotz der Nachbarn traue). Genau genommen ging mir das allerdings auch schon ohne Corona und ohne die derzeitigen Beschränkungen oft so. Weil ich (wie schonmal beschrieben) ein schlechtes Gewissen habe, ein Gefühl für das Leiden meiner Mitgeschöpfe, wenn ich in die Welt um mich herum gucke (nah und fern), treibt es mich wirklich um, dass ich so wenig tun kann. Und es beunruhigt mich massiv, dass derzeit einfach noch weniger zu bewegen ist als sonst schon.

    Die derzeitige Situation schärft an manchen Stellen meinen Blick: beispielsweise hätte ich früher immer gesagt, dass in meiner Schule die meisten Kinder eine ganz gute häusliche Situation haben, ein paar Ausnahmen kannte ich, die Statistiken zu häuslicher Gewalt kannte ich. Jetzt – wo ich sie alle so lange und dauerhaft zu Hause weiß – spüre ich recht deutlich, bei wem ich da Sorgen entwickle, obwohl es Kinder sind, die mir im schulischen Feld unbefangen und fröhlich vorkommen. Ich werde künftig wacher sein, denke ich.

    Das ist ein kleines Beispiel. Ich sage keineswegs, dass die Welt hinterher besser sein wird als vorher. Für mich bewirkt diese Krise bisher vor allem einen klareren Blick auf Probleme, die es vorher gab und hinterher geben wird. Es ist mir sehr unangenehm, was ich da sehe an Strukturen im Staat und auch in den Menschen und es beschämt mich, wie viel mir erst jetzt so plastisch aufgeht. Die Tafeln zum Beispiel und wie arm es eigentlich ist, dass ein Land die Versorgung auf solche privaten Initiativen abschiebt. Ähnlich bei der Seenotrettung. Beides war mir vorher bekannt – aber doch nicht so plastisch in all seinen Folgen bewusst, wie jetzt. Und es gibt etliche ähnliche Dinge. Ich kann jetzt darunter leiden und noch öfter schreiend durch meine Wohnung laufen, ich kann aber auch versuchen, mit dieser Erkenntnis etwas zu tun.

    Wir haben die Formel „Krise als Chance“ aus guten Gründen mehrheitlich abgelehnt. Ich denke dennoch darüber nach. Es ist vielleicht so ähnlich, wie mit anderen Sätzen auch, die man niemals jemand anderem sagen kann und die für die betreffende Person selbst dennoch möglich sind. So etwas wie „Mach das Beste draus!“. Das kann man niemals jemandem sagen, es ist immer anmaßend, verfehlt und verachtend (vgl. Hiob). Und doch: Als ich vor einigen Jahren eine hässliche medizinische Diagnose bekam, habe ich nach einiger Zeit angefangen, auch Positives daraus abzuleiten. Ich habe auch damals unter neuer Perspektive schärfer gesehen, was wichtig ist, was ich vernachlässige usw. und ich würde sagen, es überwiegen (zugegebenermaßen auch dank bislang gnädigem Verlauf der Erkrankung) für mich derzeit bei Weitem die positiven Veränderungen. Dennoch verbietet sich so etwas als Ratschlag völlig, wenn es nicht um meine eigene Haut geht. Und es ändert übrigens auch nichts daran, dass es auch Zeiten gibt, in denen ich heulend und angstvoll im Bett liege.

    Und wie ist es nun für eine Gesellschaft oder gar die Weltgemeinschaft? Sie besteht aus Individuen, die sich gegenseitig nicht sagen können „Mach das Beste draus!“, weil sie nicht in der Haut und im Leben des/der anderen stecken. Und doch ist eine Gesellschaft und ist die Erde ja auch irgendwie EIN Organismus. Kann dieser positive Veränderungen aus einer Krise ableiten und wie könnte das respektvoll verlaufen? Ich denke: Menschen lernen immer. Alle Organismen lernen. Die Frage ist, was wir lernen und ob sich das beeinflussen lässt.

  • #116

    Barbara Zeitler (Sonntag, 05 April 2020 21:16)

    Mehr als 2 Stunden habe ich heute nachgelesen und nachgedacht, wohin das Schreibgespräch in dieser Woche gewandert ist.
    Es ist beachtlich, was inhaltlich hier diskutiert und erörtert wird – dicht und viel. Ich bin im Alltag meiner Wochen davon überfordert, in diesem Tempo mitzulesen, mitzudenken, geschweige denn zu kommentieren.
    Zu dem, was Micaela Krieger-Hauwede und ich in unserem Impulstext geschrieben haben, sind viele und wichtige Gedanken, Fragen und Antworten ergänzt worden: Wahrnehmungen aus dem eigenen Alltag; die bleibend angespannte Situation im Blick auf die AfD und Rechtspopulismus - auch in Sachsen; Rassismus, der in der Krise noch stärker wirkt als im Alltag; wie dringend nötig die Hilfe für die Menschen in den Flüchtlingslagern ist; wie wichtig es ist, in der Krise nicht nur „die Luft anzuhalten“, sondern auch zu „atmen“ und Gefühle und Gedanken zu teilen und zu reflektieren.
    Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Es ist das, was mir wichtig ist.

    Ich schreibe nochmal auf die Rückfragen von #11 und #12, was ich mit „normal“ meinte:
    „Normal“ heißt nicht „gut“ in irgendeinem umfassenden Sinn – aber gewohnt, vertraut und so auch lebbar. „Ruhig“ habe ich als Adjektiv gewählt, weil mir mein Alltag vorher im Verhältnis zu vielen Fragen zum Zeitpunkt des Schreibens so vorkam. Es passt nicht wirklich, wenn ich einen weiteren Kreis der Erfahrung beschreiben will.
    Die Pandemie hat das „Normale“ unterbrochen, wie jede drastische Veränderung im persönlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Bereich das gewohnte Leben unterbricht.
    Die Pandemie bewirkt meines Erachtens eine kollektive Erfahrung der Unterbrechung. Was vorher war, was jetzt ist und was sich irgendwann wieder einpendeln wird, ist dabei keineswegs kollektiv, sondern sehr unterschiedlich, je nach Mensch, je nach Lebenswirklichkeit.

    Jetzt hat die Karwoche begonnen.
    Mir ist eher nach still werden. Ich will trotzdem bis Donnerstag Abend mitlesen und mitdenken und wenn ich etwas zu sagen habe, auch schreiben.

  • #115

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 21:01)

    #114: Sehr gut, vielen Dank!

  • #114

    Kathrin Mette (Administratorin) (Sonntag, 05 April 2020 20:45)

    Ich bin sehr froh über Anne Veits Beitrag und unterstütze ihr Anliegen. Auch mir ist in der Diskussion aufgefallen, dass es mehrfach Beiträge und auch von verschiedener Seite gibt, die meinem Empfinden nach die Grenzen des respektvollen Tons überschreiten. Im Sinn eines konstruktiven Gesprächs bitte ich alle Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmer, sich an dieser Stelle redlich zu mühen und sich immer vorzustellen, man würde mit dem anderen von Angesicht zu Angesicht reden. Mir hilft diese Suggestion jedenfalls sehr, wenn ich mich in digitalen Foren äußere. Bitte bedenken Sie auch, dass dies tatsächlich eine öffentliche Diskussion ist, die von sehr vielen stillen Beobachterinnen und Beobachtern mitverfolgt wird.
    Und nun noch ein Letztes: Die Möglichkeit, hier zu diskutieren wird noch bis Gründonnerstagabend bestehen. Danach schließe ich die Kommentarfunktion.

  • #113

    Anne Veit (Sonntag, 05 April 2020 19:28)

    Wir haben hier die Möglichkeit eröffnet bekommen, uns zum Thema Coronakrise auszutauschen, auf den Seiten des Forums für Gemeinschaft und Theologie. Dazu gibt es den Impulstext – schon der hat eine unglaubliche Breite. Und auch hier, in den Kommentaren, zeigt sich, dass es offenbar viele verschiedene Bedürfnisse gibt im Umgang mit der Krise. Das Modell #83 ist grob - halt nur ein Modell - aber es macht bereits darauf aufmerksam, dass Menschen verschieden reagieren und Verschiedenes brauchen.

    Für mich gehört zu einem guten Gespräch, dass man seine eigenen Bedürfnisse äußert, aber auch die der anderen wahrnimmt. Ich teile die Meinung von Herrn Flessing selten (das ist, glaube ich so ein ganz klassisches rechts-links-Ding), wir fetzen uns manchmal auch deutlich und dennoch kennen wir uns jetzt hier aus vielen Diskussionen und ich habe das Bedürfnis, ihn als Gesprächsteilnehmer zu schützen (wohlwissend, dass er da ein sehr dickes Fell hat). Ähnlich geht es mir mit M. Krieger-Hauwede – sie nähert sich dem Thema aus einer Richtung, die für mich absolut nicht naheliegt, aber sie hat das Gespräch hier ermöglicht, ich sehe, dass sie Zeit und Emotion investiert, ich möchte ihr einen Platz in der Diskussion ermöglichen.

    Vielleicht ist es verfehlt, in einem Blog von einer Beziehungsebene des Gesprächs zu schreiben, die sich von der inhaltlichen unterscheidet, aber ich nehme eine solche wahr. Mag auch daran liegen, dass der Teilnehmendenkreis ja recht klein ist. Dass M. Krieger-Hauwede an der Art des Umgangs mit ihren Texten leidet, habe ich wahrgenommen, bereits bevor sie es hier schrieb. Die Tatsache, dass wir hier häufig auf die Meta-Ebene gehen und darüber schreiben, wie wir die Herangehensweise des anderen empfinden, signalisiert vielleicht, dass wir in unserem Gespräch eine Störung haben. Ich nehme das jedenfalls so wahr, ich empfinde das Gesprächsklima als recht giftig.

    Das tut mir tatsächlich ein bisschen weh, weil ich diesen Raum hier trotz der Öffentlichkeit als einen besonderen wahrnehme. Ich treffe mich hier nicht zu einem Streit. Ich suche hier Menschen, die gemeinsam mit mir Gedanken bewegen – auch in Widersprüchen natürlich, aber ich setze irgendwie voraus, dass wir etwas gemeinsam haben. Vielleicht ist das falsch oder blauäugig, aber ich betrachte die Gesprächsteilnehmer*innen hier nicht als Gegner. Aber der allgemeine Klang ist doch recht kämpferisch. Und, nein, ich kann und will das nicht konkret festmachen, denn es ist tatsächlich ein aus der Summe entstehender persönlicher Eindruck von mir – vielleicht ist er auch unberechtigt.

    Was in meinen Augen zu einer Verschärfung des Gesprächstons beiträgt, ist das häufige Kritisieren von Gesprächstaktiken beim Gegenüber. Ich empfinde das als schwierig, weil das dann keine rein inhaltliche Auseinandersetzung ist, sondern in einen Grenzbereich zur Auseinandersetzung mit der Person tritt. Es ist ein Angriff, der ins Persönliche geht. WIE ich etwas sage, ist durchaus Teil meines Wesens. Solches zu reflektieren, dafür ist mir der Kreis hier dann wiederum doch zu öffentlich und zu fremd, da brauchte ich intimere Konstellationen.

    Ich weiß, dass es manchmal nötig ist, Gesprächsstrategien zu benennen, um nicht Kommunikationsmuster zu bedienen, die auch schädlich sind und dass Populismus dank solcher Strategien funktioniert. Dennoch macht es das Gespräch für mich nicht nur anstrengend, sondern auch unangenehm, wenn Angriffe und Rechtfertigungen auf dieser Ebene laufen. Ich bin hier nicht, um gutes Gesprächsverhalten zu lernen (das würde ich auch gern mal tun, im Rahmen einer Fortbildung vielleicht), sondern weil ich an den inhaltlichen Fragen interessiert bin. Und die gehen m.E. wenig voran bzw. unter, so wie wir dieses Gespräch hier gerade führen.

    Vielleicht hat es auch mit meiner fehlenden Sozialisation in diesen Medien zu tun: ich bin kaum noch in der Lage, die inhaltliche Diskussion aus dem anderen herauszufiltern.

  • #112

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 19:16)

    Es wird irgendwie nicht besser. Ihnen sind also einige "Stimmen" aus "unserer Bevölkerung" tatsächlich mehr Wert als das tausendfache Leid und möglicherweise der tausendfache Tod von Geflüchteten? Gehts noch? Ist mein Widerspruch jetzt etwa eine der "linken Solidaritätsfloskeln", die Sie aus Ihrer DDR-Zeit kennen?? Herr Flessing, das ist menschenverachtend, was Sie da gerade posten. Und die AfD hätte gewonnen, hätte Deutschland erpressbar gemacht. Ihrer Meinung nach sollte man sich also nicht an seinen Werten und Prinzipien orientieren, sondern man richtet sich nach der AfD. Super. Ähnliches Spiel wie mit den Atemschutzmasken. Eigentlich kann sich die AfD über solche Plusmänner wie Sie nur freuen. Ich nehme Ihnen Ihre angebliche Distanz zu dieser Partei aber nicht mehr ab.
    Ich kann nur hoffen, dass Sie laut protesiert haben, wenn Ihnen jemand sagt, dass die Deutschen im Ausland bleiben sollen, weil sie ja - wenn sie aus dem 'Ausland' kommen, noch dazu vielleicht aus dem asiatischen, wo es viel mehr Viren gibt als hier - alles mit reinschleppen. Also lieber draußen lassen, weg damit, sind ja nur Menschen. Soviel eben zur angeblichen Verbesserung unseres Sozialverhaltens durch die Krise (Micaela Krieger-Hauwede). Im Gegenteil, es wird erst recht eingeteilt in Menschen, die gerade noch so genehm sind und reinkommen dürfen (Leute mit deutschem Pass, soviel zu Privilegien (!), und 'Erntehelfer'/Sklaven), und anderen (u.a. natürlich Geflüchtete), die jetzt auf keinen Fall rein dürfen. Auf solche menschenverachtenden Einordnungen von Menschen kann man nur antworten: Es ist ein Segen für jeden Menschen, egal ob deutscher oder irgendeiner x-beliebigen Nationalität, der in diesen Zeiten in einem Land sein darf, in dem es eine offene Gesellschaft, um deren Erhalt wir zwar ringen müssen, und ein gutes Gesundheitssystem, das auch seine Probleme schon lange vor Corona hatte, aber trotzdem gibt. Aber ich kann es mir mittlerweile sehr gut vorstellen, dass Sie dieser Ansicht eher zugestimmt haben, Herr Flessing, oder vielleicht gesagt haben, dass Deutsche, weil sie eben 'Deutsche' sind und einen deutschen Pass haben, Anspruch auf Rückkehr hätten. Beide Argumentationen gingen am konkreten Menschen komplett vorbei.

  • #111

    Gert Flessing (Sonntag, 05 April 2020 18:08)

    Nun, wer sagt denn, das ich, aus Ihrer Sicht, völlig "normal" bin, Frau Keitel?
    Ich habe mich, mein Leben lang, nicht darum geschert, ob meine Meinung und meine Diktion anderen Menschen gefällt. Ja. Ich habe dafür auch genügend "Breitseiten" bekommen.
    Vielleicht ist meine "Kriegsmetaphorik" der Tatsache geschuldet, dass ich mich unter anderem auch immer für Militärgeschichte und das, was damit zusammen hängt, beschäftigt habe. Aber ich gebe zu, das "Kriegsnebel" das, was ich empfunden habe, nur unzureichend beschreibt. Es ist das Gefühl, das Herr Lindemann und auch Sie, oft, verzeihen Sie, wenn ich es wieder nicht in die richtigen Worte fassen kann, in eine Rhetorik fallen, die mich an linke Floskeln der Solidarität erinnert. Ich habe in meiner Jugend an unzähligen "Delegiertenkonferenzen" teilgenommen. Es war eine Möglichkeit, sein Pensum an "gesellschaftlicher Arbeit" zu erfüllen, ohne irgend etwas zu tun, das mir manches bekannt erscheint. Ihr Gebet, das ist völlig authentisch und schön und es spricht mir durchaus aus dem Herzen. Aber manchmal erschrecke ich nicht weniger, als Sie.
    In Deutschland fließen Milch und Honig nicht. Jedenfalls ist es mir noch nicht aufgefallen. ABER, wenn ich jetzt, als Flüchtling, auf einer griechischen Insel vegetieren würde, würde ich es für möglich halten, weil alles besser wäre, als dieser Zustand dort.
    Was nun die "Chinaschelte" der Medien anbelangt, so war es wirklich nicht nur die Bildzeitung. Schon seit Jahren werden die Chinesen zwar als Handelspartner betrachtet. Aber man misstraut ihnen. Chinesen kopieren. Chinesen spionieren. Chinesen hacken sich in Systeme der Wirtschaft. …
    Das mag alles nicht einmal erfunden sein, aber ist durchaus eine giftige Saat.
    Ich hatte in meiner letzten Gemeinde zwei junge Paare, die je einen chinesischen Partner hatten. Es waren nette, gebildete und hoch kultivierte Menschen. Ich weiß, das werden Sie jetzt wieder als positiven Rassismus werten. Aber ich mochte sie und wir haben uns gut verstanden.
    Deutschland ist ein reiches Land. Nein, Milch und Honig fließen nicht. Aber sind (Honig noch) erschwinglich. Natürlich wäre es möglich, mit einigem logistischen Aufwand, die Menschen von den Inseln, hier her zu holen. Was mir aber durch den Kopf geht, ist die Frage, wie unsere Bevölkerung darauf reagiert. Ich kenne Stimmen, die meinen, das man auch die Deutschen, die irgendwo im Ausland gestrandet sind, dort lassen sollte. Gewiss der Angst geschuldet. Dennoch da.
    Vielleicht sträuben sich die Regierungen, die Flüchtlinge zu holen, weil sie Angst haben, damit der AfD noch mehr Menschen in die Arme zu treiben?
    Gert Flessing

  • #110

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 16:56)

    Vielen Dank. Ich war inzwischen selber fündig geworden: https://www.diakonie-sachsen.de/pressemitteilungen_wir_stehen_zur_aufnahme_von_unbegleiteten_minderjaehrigen_bereit_de.html.

    Ich freue mich sehr über den Satz "Es kann nicht sein, dass es in diesem reichen Land nur noch so wenig Barmherzigkeit gibt, dass selbst über die Aufnahme von ein paar tausend frierender und schwer kranker Kinder noch nächtelang verhandelt werden muss." und hoffe, dass er Ihnen, Herr Flessing, die Schamesröte ins Gesicht getrieben hat angesichts Ihrer in #106 zurückgewiesenen Charakterisierung von Deutschland als einem Land, in dem Milch und Honig fließen.
    In meinen Augen 'schaffen' Sie es leider immer wieder, eine populistische Perspektive einzunehmen. Das fängt bei Ihrer Pauschalisierung "der Medien/der Politik" an, die beim Rassismus gegen asiatische Menschen (#103) mitmachen würden (ich habe frühere Blogbeiträge von Ihnen in Erinnerung, in denen Sie, als Privatperson, solche rassistischen Einordnungen vornahmen), geht weiter über die Meinung, Deutschland sei kein reiches Land, daran schließt sich dann logischerweise sehr leicht die Vorstellung an, dass man auch nicht für noch mehr Menschen Platz haben könne, und daher rührt dann vielleicht auch Ihre, für mich unchristliche, Abwehr von ernsthafter Hoffnung für die Leidenden.
    Auch wenn Sie viel teilweise Interessantes aus Ihrem Leben auf dem Blog hier mit uns teilen und auch Ihr persönlicher Einsatz in dakonischen Belangen sehr wichtig ist, ist doch die Nähe zum populistischen Denken bei Ihnen stets gegenwärtig, auch Ihre bisherige Nicht-Reaktion auf die in #102 eingeforderte Rücknahme Ihrer Kriegsmetaphorik fällt für mich in diese Kategorie. Ich muss da einfach noch einmal nachfassen, weil es mich schon heute Morgen sehr gewurmt hatte, dass Sie mit keiner Silbe darauf eingingen. Das ist ein absolut unangemessener Begriff für eine Sache, die sich für Sie so darstellen mag (also dass Sie Gerhard Lindemanns Beiträge - ja, welche eigentlich ganz genau? - nicht verstanden haben). Das aber kann und muss man anders ausdrücken. Eine solche Drohgebärde hat im Streit um Meinungen, Haltungen, Konzepte einfach mal nichts zu suchen, ist populistisch und darf hier einfach nicht so völlig 'normal' stehenbleiben werden.

  • #109

    Gert Flessing (Sonntag, 05 April 2020 14:42)

    Hatte es ursprünglich als epd Meldung gefunden, jetzt aus mdr kopiert:
    "Diakonie beklagt mangelnde Barmherzigkeit
    Die sächsische Diakonie hat die geplante Aufnahme unbegleiteter Flüchtlingskinder von den griechischen Inseln in Deutschland ebenfalls begrüßt. Man unterstütze die Aktion nachdrücklich, sie aus den überfüllten Lagern etwa auf der griechischen Insel Lesbos nach Deutschland zu holen. Damit könnte "ihre unerträgliche Situation" endlich beendet werden, erklärte der evangelische Sozialträger.
    Es kann nicht sein, dass es in diesem reichen Land nur noch so wenig Barmherzigkeit gibt, dass selbst über die Aufnahme von ein paar tausend frierender und schwer kranker Kinder noch nächtelang verhandelt werden muss.
    Dietrich Bauer, Diakonie"
    Gert Flessing

  • #108

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 13:33)

    Als Christ*innen haben wir eine Hoffnung geschenkt bekommen, die über Tatsachen hinausgeht, Herr Flessing. Und daraus wächst auch eine Verantwortung, in Gebet und Tat.
    Darf ich fragen wo Sie die Worte von Herrn Bauer gefunden? Können Sie diese nochmal genauer mitteilen? Würde mich sehr interessieren, um meine auch noch nicht versiegte Hoffnung zu beflügeln, die sächsische Kirche würde sich an solchen klaren Vorschlägen beteiligen...

    Danke, Sascha Wildehain (#107). Falls Sie diese Aktionen noch nicht kennen: https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2020/03/17/pm-evakuierung-jetzt-lage-in-griechenland-spitzt-sich-zu/. Hier findet man auch Beteiligungsideen, wenn man eben leider nicht direkt vor Ort helfen kann. Am Ende der Seite gibt es Adressen und vorformuliete Texte, um sich zu positionieren und den Druck auf Landes- und Bundesregierung zu erhöhen. Wenigstens das sollten wir tun und solche Ideen über unsere jeweiligen privaten und kirchlichen Kanäle weiterverbreiten, falls das nicht auch schon geschieht. Und wer kann sollte natürlich auch spenden.

  • #107

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 13:06)

    Gott, himmlischer Vater, sieh an die Not deiner Kinder in Moria. Hole sie in unser Land, in dem Milch und Honig fließen. Sende aus deine Engel, schicke Menschen dort hin, die Kraft und Macht haben, sie zu retten."

    Was für ein kraftvolles Gebet.
    DANKE!
    Wenn ich keine Familie mit kleinen Kindern hätte , für die ich Verantwortung habe, würde ich richtig aktiv was unternehmen.

  • #106

    Gert Flessing (Sonntag, 05 April 2020 13:01)

    Frau Keitel, ich benenne eine Realität. Das mag fatalistisch klingen, aber es ändert nichts an der Tatsache, die ich momentan sehe.
    Danke für Ihre engagierte Fürbitte, auch wenn in unserem Land gewiss nicht Milch und Honig fließen. Natürlich liegt es am Wollen.
    Das Können wäre schon da. Selbst unter den Bedingungen, die notwendig wären und auf die ich weiter oben hinwies.
    Bruder Bauer, von der Diakonie, hat sich recht deutlich geäußert.
    Ansonsten ist die Kirche in ihren eigenen Problemen, wie es scheint, gefangen.
    Gert Flessing

  • #105

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 12:53)

    Ich bin ziemlich entsetzt, Herr Flessing, über Ihre fatalistische Position: "Niemand wird die Flüchtlinge von Moria abholen. Jedenfalls jetzt nicht, obwohl es später auch zu spät sein kann." (#103). Sie scheinen sich mit der akuten Lebensgefahr Tausender abgefunden zu haben. Das finde ich schlimm. Genau hier wäre für mich der Moment, die biblische, grenzenlose Hoffnung ernstzunehmen, an den Glauben zu erinnern, der Berge versetzen kann.
    "Gott, himmlischer Vater, sieh an die Not deiner Kinder in Moria. Hole sie in unser Land, in dem Milch und Honig fließen. Sende aus deine Engel, schicke Menschen dort hin, die Kraft und Macht haben, sie zu retten." - das ist eine meiner täglichen, aufrichtigen, hoffnungsvollen Fürbitten. Und ich schäme mich, nicht selbst eine von diesen kraft- und machtvollen Menschen zu sein (sein zu können...). Aber ich hoffe, hoffe, hoffe trotzdem weiter, auch wenn es vielleicht ausweglos erscheint, dass ganz real Wirklichkeit wird, dass sich ein Land wie Deutschland dann eben alleine dafür verantwortlich fühlt. Es liegt doch nur am Wollen, und nicht am Können. Die Sätze aber, die Sie ausgesprochen haben, sind meiner Meinung nach das Ende von Hoffnung und absolut bitter für all jene, die in diesen Lagern dahinvegetieren. Die gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen, die immer wieder die Regierungen darauf hinweisen, dass das endlich geschehen muss, haben meine volle Unterstützung. Leider sind es kaum die Kirchen, die an die Politik solche konkreten Vorschläge herantragen würden, oder mindestens bekomme ich davon nichts mit.

  • #104

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 11:47)

    Vielen Dank für # 103.
    Hier im Forums kommt immer wieder die Frage auf, wo konkret denn nun Kirche sich politisch einmischt. Ich bin auch nicht frei von dieser Sehnsucht danach, dass "Kirche" ( sind wir ja letztlich alle) viel lauter und wirkunstvoller in der Politik erscheint. Aus historisch gewachsenen Gründen ( DC im Nazireich, Kirche im Sozialismus in der DDR...) wird das aber so deutlich nach außen hin sichtbar nicht geschehen. Ich denke, dass Kirche sehr viel lebt, um Leid zu lindern, ohne viel Wind darum zu machen. Und wenn dann schon mal eine medienwirksame Aktivität entfaltet wird, wie die Anschaffung eines Schiffes, um Menschen aus dem Meer zu retten, dann erscheinen prompt Übelkeit erregende Leserbriefe im " Sonntag".
    sw

  • #103

    Gert Flessing (Sonntag, 05 April 2020 11:12)

    Es ist wahr. Hier ist weder dieser noch jener und ich habe Frau Krieger-Hauwede nicht als "schwache Frau" verteidigt, denn das ist sie nicht, sondern als einen Menschen, der es wert ist, akzeptiert zu werden, wie er/sie, ist. Auch wenn sie nicht alle offenen Fragen bedient hat. doch das haben andere auch nicht getan.
    Doch zunächst einmal zum Thema "Corona - Rassismus". Wer sich in Geschichte auskennt, der weiß, das Krisen und gerade solche, die als schwer und nicht wirklich beherrschbar, angesehen wurden, so etwas hervor gebracht haben. Es ist aber auch deutlich, das Rassismus, in welche Form er auftritt, etwas ist, dem man entgegen treten muss.
    Ich denke an schlimmen Rassismus, wie z.B. nach Pearl Harbour. Plötzlich waren alle Japaner, mochten sie auch schon lange Staatsbürger der USA sein, verdächtig und wurden interniert. Das war sogar staatlich sanktionierter Rassismus. Von dem konstruierten Zusammenhang von Pest und Juden in Europa, im Mittelalter muss man nicht reden. Das weiß eigentlich jeder.
    Man sucht nach einem Ventil für das eigene Unvermögen mit der Situation umzugehen.
    Der momentane Rassismus, gegenüber asiatischen Menschen, hat seine Vorgeschichte. Zum einen wurden sie, sehr lange, als Muster der Integration beschrieben. Fleißig, intelligent, freundlich, angepasst.
    Zum anderen war da auch immer ein gewisses Misstrauen. "Gelbe Gefahr." China als Supermacht, die alle dominieren will, die uns hackt, die unsere Patente klaut, die uns mit gefälschter Markenware überschwemmt...
    Die Medien und die Politik haben dabei durchaus mit gemacht.
    Jetzt hat der Virus seinen Ausgang auf einem Markt von Wuhan genommen. …
    Natürlich bin ich davon überzeugt, das wir alle diese Form des Rassismus ablehnen und verachten. Ich jedenfalls mache es, weil ich ihn, wie jede Form des Rassismus, für dumm halte.
    Andere Gedanken:
    Niemand wird die Flüchtlinge von Moria abholen. Jedenfalls jetzt nicht, obwohl es später auch zu spät sein kann.
    Oh, ich denke, wir alle wünschen uns, das die Beschränkungen aufgehoben werden. Aber sind die Menschen, in der breiten Masse, fähig, "verantwortlich" mit Verantwortungsgefahr umzugehen? Siehe Wochenmarkt in Leipzig.
    Die Alten- und Pflegeheime sind ein großes Problem. Hier wäre auch die Diakonie gefragt. Ich habe lange genug als Seelsorger in solchen Heimen gearbeitet, um zu wissen, das "Alters Diskriminierung" dort nicht erst seit Corona ein Thema ist.
    In der Zeit, in der ich selbst politisch tätig war, habe ich versucht, hier etwas zu tun. Aber ich bin immer wieder am Faktor Mensch gescheitert, ja, auch an Leuten, die in den alten und manchmal dementen Menschen nur "Müll" sahen.
    Das bringt kein gutes Gefühl für den Fall, das man selbst mal hinfällig wird.
    Es wird sich aber nur ändern, wenn man Pflegekräften die Wertschätzung entgegen bringt, auch finanziell, die sie brauchen.
    Nun zu meiner Frage:
    Was tun wir, was tut Kirche, um dort, wo sie es kann, etwas zu ändern?
    Ich setze mich z.B. in den Gemeinden, die ich, als Ruheständler, erreiche, dafür ein, dass die Pflegeheime nicht ganz aus dem Blick verloren werden und man sich kümmert.
    Gert Flessing

  • #102

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 02:45)

    Ich muss noch ein Wort zu Gert Flessing loswerden: Ihre eigene Meinung zum Beitrag #84 zu haben und zur Diskussion zu stellen, ist völlig in Ordnung, aber die Art und Weise empfand ich diesmal als ausgesprochen unangenehm (#89). Ich möchte hier gerne davon ausgehen, dass wir grundsätzlich unter Gleichen diskutieren: da ist nicht Mann noch Frau, noch Grieche noch Jude etc. - also ob hier jemand etwas als Frau oder als Mann der als Professorin oder als Krankenpfleger schreibt oder wie alt wir hier sind oder welches Geschlecht wir haben etc., sollte völlig egal sein! Hier geht es um Meinungen und Argumente, die alle das Recht haben, genannt zu werden! Es hat also auch jede*r das Recht, jede*n zu kritisieren, das müssen wir uns alle ab und an mal 'gefallen' lassen. Nur so kommen wir weiter, im konstruktiven Streit, in dem wir uns gegenseitig zur Genauigkeit, zur Sensibilität anhalten. Sie aber verwenden hier ein peinliches Bild aus der partiarchalen Mottenkiste: starker Professor und beschützenswerte Frau - das nennt man auch, mit Verlaub, Sexismus.
    Außerdem unterstellen Sie Gerhard Lindemann eine "ideologische Sicht" - also da fehlen mir die Worte. "Unschärfe" ist dessen Sache ja nun wohl gerade nicht, und wenn Sie tatsächlich den vehementen und wichtigen Hinweis auf "Marginalisierte" als "Kriegsnebel" bezeichnen, dann möchte ich Sie auffordern, das sofort zurückzunehmen! Oder womit wollen Sie das denn rechtfertigen?? Und Ihr Satz "Man entzieht sich durch Nebelwände, dem nüchternen Nachdenken und durch Ablenkung, die auch als Zorn über scheinbare Nichtbeantwortung oder Nichtreaktion, auf das, was man selbst für wichtig hält, einher kommt." ist Populismus in Reinkultur, gespickt mit Metaphern, die unklar und bedrohlich wirken. Sie können sich gerne mit A. Rau im anderen Blog verbünden, da findet sich eine sehr ähnliche 'Argumentation', wenn man sie denn überhaupt als solche bezeichnen kann. Ich weiß nicht, was Sie damit wollen. Micaela Krieger-Hauwede vor allem "als Frau" verteidigen und selber sowas wie "Breitseite" zeigen? Wie gesagt - einfach nur peinlich. Warum schreiben Sie nicht sachlich, welche Verweise auf Emotionalität Ihnen genau in #84 gefallen haben und nehmen dadurch vielleicht andere Mitlesende mit? Mir erscheint es eher so, dass Sie die Klarheit nicht ertragen können. Und die "Nebelwände" - tja, wenn Sie etwas nicht verstanden haben, was Gerhard Lindemann oder jemand anderes gepostet hat, dann könnte man ja auch mal nachfragen, das machen andere hier in dem Blog ja auch, das gehört zu einem guten Gespräch dazu.

  • #101

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 02:28)

    Die ökonomische Logik hat mittlerweile fast alles durchdrungen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten kämpfe ich dafür, dass die letzten Glieder in der Nahrungskette noch etwas abbekommen.
    Ich habe kein Patentrezept und auch keine Visionen, außer, dass ich der Verantwortung für 3 Kinder gerecht werden möchte und meine Kraft dafür einsetze dass x Arbeitnehmer ihre Arbeit behalten und davon leben können.
    Nicht zuletzt: Sich für die Demokratie einsetzen und sich hier Christenmenschen widmen, die Hornhaut auf der Seele tragen.
    Und nebenbei den Humor behalten und Kabarett und Theater spielen.
    sw

  • #100

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 02:06)

    Irgendwie verstehe ich gerade nicht, was hier los ist mit der Zählung usw.? Könnten die Admins mal nachsehen?

  • #99

    Juliane Keitel (Sonntag, 05 April 2020 02:02)

    Schade, nun komme ich ein wenig zu spät mit meinem Eintrag zu #84. Eine pointierte Meinung zu posten, um dann zu sagen, dass man die Reaktionen darauf nicht verfolgen wird (#93), kann ich nicht nachvollziehen.
    Ich war davon ausgegangen, dass wir uns hier ziemlich abgearbeitet hatten an der Floskel „Krise als Chance“, und war einigermaßen erstaunt, dass es eine derartige ‚Neuauflage‘ von Micaela Krieger-Hauwede dazu gab (#84), ohne das zu reflektieren, was ansonsten hier schon geschrieben und eingebracht wurde (bspw. Corona-Rassismus #69 und die wiederholte Anmahnung von Gerhard Lindemann #87). Ich hätte es als völlig unpassend empfunden, jetzt zum 'angenehmen Teil des Abends' übergehen und mal eben ein paar schöne Zukunftsszenarien entwerfen zu sollen. Ich verspüre vielmehr eine maximale Unruhe angesichts der dringenden Aufgaben, die wir JETZT angehen müssten: Wer evakuiert wann ENDLICH Moria (https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2020/04/03/sfr-newsletter-12-2020/)?? Wer kämpft für die Rücknahme der Beschränkungen und für einen verantwortlichen Umgang mit den Ansteckungsgefahren, ohne nur auf Polizeipräsenz und Kontrolle zu setzen? Wer schaut, was in Seniorenheimen passiert? Dort geschieht Altersdiskriminierung statt Schutz! Wer ist Fürsprecher für tausende von 'Erntehelfern" (welch perfider Begriff...) aus Osteuropa, die man mit strengen Auflagen 'gnädig‘ nach Deutschland 'einlässt', um sie dann hier wie Vieh zu halten?? Da findet eine schlimmere Diskriminierung als vorher statt, und Corona bietet dafür eine akzeptierte Legitimation. Oder hat man vielleicht kirchlicherseits mal laut dagegen votiert?
    Insofern wäre für mich jetzt absolut nicht der Punkt gewesen, im seichten Plauderton Assoziationen über irgendwelche Begriffe zu posten (#85). Ich fühle mich bei der Verharmlosung der Gegenwart ohnmächtig! Ich sehe die Zukunft, selbst wenn sich sowas wie ein Grundeinkommen etablieren sollte, längst überlagert durch weitere Gefahren: u.a. eine umfassende Digitalisierung nun auch fast des gesamten Bildungsbereichs, mal eben so in Windeseile legitimiert und durchgesetzt, ohne sinnvolle, sichere Konzepte; zig bisher teilweise damit kaum in Berührung gekommene Lehrkräfte, Eltern, Schüler*innen speisen millionenfach ihre eigenen und sämtliche andere Daten in irgendwelche Netze; Firmen bieten 'hilfsbereit' kostenlose (natürlich zeitlich begrenzte) Verträge an, also die Krise hat doch schon jetzt längst das Potential zur weiteren Normierung und Spaltung der Gesellschaft!
    Mir ist sehr unwohl bei dem Gedanken, wenn ausgerechnet aus dem Raum der Kirche Vertröstungen auf eine Nach-Corona-Epoche geäußert werden. Gerade das biblische Zeugnis warnt vor der Verfügbarmachung von Zukunft: Sorget euch nicht, was ihr anziehen, essen, trinken WERDET, sondern schaut auf den Tag und seine eigene Plage, trachtet nach dem Reich Gottes, und zwar JETZT. "Krise als Chance" dagegen erinnert an Marx‘ Religionskritik: wir benebeln alle, auch die Leidenden, mit schönen Zukunftsideen, machen damit das Diesseits ertragbar und vertrösten auf eine unverfügbare, aber trotzdem in paradiesischen Farben ausgemalte Zukunft, die aber doch nur für die Reichen und Schönen Wirklichkeit werden kann. Nicht mit mir. All das erinnert mich auch an Hiob: Seine Freunde kommen mit diesen Theorien: das Leid ist eine Prüfung, es wird dich erziehen, halte nur aus, bist ja selbst Schuld. Aber Gott sagt am Ende: Nicht einer dieser Freunde hat Recht von mir geredet, sondern nur Hiob. Er hat geklagt, widersprochen, angeschrieen gegen das Leid, aber keine Zukunftsprognosen aufgestellt. Und er hat sich vor allem vehement dagegen gewehrt, in seinem Leid irgendetwas Positives zu erkennen. Das und die obigen Sätze aus der Bergpredigt sind für mich deutliche biblisch-theologische Referenzen für kirchliches Handeln, aber eben in einer anderen Richtung, als sie Micaela Krieger-Hauwede vorschlägt.
    Um noch an das treffende Zitat von Gauß anzuknüpfen (#91): Es ist nicht nur eine Verhöhnung von Leidenden, sondern es ist auch ein Trugschluss, zu glauben, dass die Pandemie unsere Sicht auf Solidarität oder auf die Notwendigkeit von Verzicht (#84) dauerhaft verändern würde. All das endet, wie schon mal geschrieben, bei der letzten Klopapierrolle. Diese Haltung, die Micaela Krieger-Hauwede gerne etablieren möchte, muss woanders verankert sein, damit sie dauerhaft trägt, nicht in der gut-gemeinten Instrumentalisierung einer bedrohlichen Krise. Die ökonomische Logik, die Gerhard Lindemann in der "Chance-Rhetorik" sieht (#74), wird sich munter fortsetzen, wenn wir nicht an ganz anderen Stellen ansetzen. Es ist doch armselig, dass erst über eine bessere Zukunft für alle nachgedacht wird, wenn für die ganze Gesellschaft eine Bedrohung da ist, denn Arme und Leidende hatten wir auch vor Corona! Dazu fällt mir dann nur noch das Gleichnis von Lazarus ein.

  • #98

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 02:00)

    Ich möchte eine Buchempfehlung mitteilen:
    "Der Großinquisitor/ Eine Phantasie".
    Ein separates Buch aus "Die Brüder Karamasow" von F. Dostojewski.
    sw

  • #97

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 01:48)

    „Ein einziger mutiger Mensch stellt eine Mehrheit dar.“
    Andrew Jackson

  • #96

    Sascha Wildenhain (Sonntag, 05 April 2020 01:31)

    Liebe Micaela Krieger-Hauwede,
    bitte bleiben Sie "im Boot".
    Jeder hat mal einen schlechten Tag, ob mit oder ohne Hochschulabschluss.
    Ihr Sascha Wildenhain

  • #95

    Micaela Krieger-Hauwede (Sonntag, 05 April 2020 01:19)

    Sascha Wildenhain
    #4
    Diese Krise wäre (ist?) DIE ultimative Chance zur Umkehr, weg vom verrückt gewordenen Konsumwahnsinn, zurück zum Leben ... zurück zu Gott. Wenn mein Pessimismus, dass diese Entwicklung einträte, enttäuscht würde, wäre ich der glücklichste Mensch, den es gibt.

    #6
    zu 2b: Habe ich hier im Forum konkret vorgelebt: Ich habe monatelang innerlich mit meinem Glaubensbruder Gert Flessing aus der Distanz heraus gehadert, dann habe ich ihn einfach mal angerufen.

    #27
    Das ist eine meiner wenigen Hoffnungen, dass eben die, die nicht hingegangen sind, mal aufwachen, was hier los ist, wählen gehen und dann ein Prozentsatz x dieser Partei eben nicht ihre Stimme gibt

    #42/#43
    Dank an Sascha Wildenhain für die verschiedenen Links. Hier ein Auszug aus einem Artikel von Frank Richter.
    "Es ist verräterisch, dass die Mehrheit unserer Gesellschaft bereit ist, die aktuellen Einschränkungen der bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte widerspruchslos hinzunehmen, während sie nicht im Geringsten bereit ist, die von den Greta Thunbergs dieses Landes geforderte Veränderung ihrer Lebensgewohnheiten zu akzeptieren oder auch nur darüber nachzudenken, ob durch Konsumreduktion nicht auch ein Gewinn an Lebensqualität erzielt werden könnte."

    Gerhard Lindemann
    #80
    Auch wird darauf zu achten sein, dass von den Grundrechtseinschränkungen nichts bleibt. Von daher kann sich ein Gespräch hier nicht nur auf die Zukunft konzentrieren, sondern es ist nötig, weiterhin mindestens gleichermaßen auf Vorgänge aufmerksam zu machen, die für eine breitere Mehrheit der Bevölkerung weniger problematisch sind oder kaum Beachtung finden (wie eben das Phänomen des "Corona-Rassismus"). Auch Kritik am Bestehenden ist, sofern sie konstruktiv ist, letztlich auf Hoffnung und Ermutigung ausgerichtet - z. B. indem Marginalisierte, die davon lesen, wissen, sie werden mit ihren Sorgen nicht alleine gelassen oder Sensibilisierungen stattfinden.

    Anne Veit
    #28
    Ich sehe, dass das demokratische Leben weitgehend stillgelegt ist, dass die wichtigen Themen nach hinten rutschen, dass wir uns aufgrund von Versammlungsverboten nicht demonstrierend zu Wort melden können. Die Vereinzelung mag psychologisch ein Problem sein, ich finde, sie ist vor allem demokratisch ein Problem. Und der solidarischen Einkaufshilfe für die Oma nebenan steht ein massiv unsolidarisches Agieren der EU gegenüber Flüchtlingen in Lagern gegenüber -wogegen man jetzt nur noch per twitter oder durch einzelne aus dem Fenster gehängte Plakate seinen Protest äußern kann.

    Mir fehlen Menschen, die mit mir darüber abkotzen, dass Solidarität gerade auf stayathome verniedlicht wird.

    #76
    Ich finde es ein bisschen schwierig, wenn wir uns hier in eine Haltung schreiben, aus der heraus es sich verbietet, positive Visionen aus der Krise zu entwickeln (vielleicht ist das aber auch nur ein falscher Eindruck von mir). Ich würde differenzieren wollen: Natürlich kann man die Situation, die Erkrankten und Sterbenden, die Maßnahmen und ihre drastischen persönlichen und gesellschaftlichen Folgen nicht schönreden und auch nicht positiv färben. Trotzdem denke ich: wir dürfen nicht aufhören, daraus positive gesellschaftliche Visionen zu entwickeln (ich meine nicht: „darin finden“, sondern „daraus entwickeln“).
    Mir hat es sehr gut getan zu lesen, dass wir hier sehen, welche katastrophalen Folgen das Virus und auch die daran geknüpften staatlichen Maßnahmen für viele Menschen hier haben, dass wir des Weiteren sehen, dass es in anderen Ländern noch viel gravierender ist und dass wir nicht übersehen, dass es weiterhin überall die Probleme und Menschen in Not gibt, die es auch vor Corona gab, die wir nicht auf der Tagesordnung nach hinten schieben können, für „nach Corona“. Ich denke, das stellt uns auf eine ehrliche Basis.
    Ich sehe gesellschaftlich im Moment entweder den zweiten Schritt vor dem ersten, also einen Aktionismus, der verhindert, das wirkliche Elend überhaupt zu sehen (darunter fällt für mich auch vieles in der politischen Diskussion). Oder Stehenbleiben beim ersten Schritt: das Elend sehen und daran verzweifeln. Nach einem Weg für mehr ehrliche Schritte zu suchen, ist für mich Glauben und Christin sein - nicht nur in dieser Zeit- (um mal eine von B.Zeitlers Fragen aufzugreifen).

    #79
    Ebenso teile ich die Einschätzung, dass es bei vielen Menschen Spuren hinterlassen wird, dieses Ausmaß an Freiheitsbeschränkungen gerade zu erleben. Selbst wenn es nur kurz andauerte – und da bin ich skeptisch – hinterlässt es Spuren zu wissen, wie schnell das gehen kann, von der freien und offenen Gesellschaft zum Hausarrest.

    Und doch fehlen mir in unserer Debatte hier bislang die Schritte des Weiterdenkens. Ich finde gut, dass wir nichts schönreden. Aber ich fände es schade, wenn darüber jetzt die Visionen verstummten.

  • #94

    Micaela Krieger-Hauwede (Sonntag, 05 April 2020 01:18)

    Gert Flessing
    #37
    Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass es uns wirklich möglich ist, die Sicht von, beispielsweise, wohnungslosen Menschen anzunehmen. Ich kenne, aus meiner beruflichen Praxis solche Menschen und ihre Nöte. Sie kennen und ihre Sicht zu verstehen ist das Eine, ihre Sicht so zu verstehen, dass man sie wirklich erkennt, ist etwas ganz anderes. Ihre Perspektive könnte ich aber nur dann annehmen.

    #40
    Dass Menschen denen, die sich die momentane Situation zunutze machen wollen, auf den Leim gehen, habe ich schon etliche Male bemerkt. Selbst wenn man sich kennt und sogar schätzt, kann man sich den Mund fusselig reden und die Finger taub schreiben und dennoch lassen sich Verschwörungstheorien, aller Art und böse Gedanken, es wären die "Altparteien" oder gar "die Merkel" bei manchem nicht entkräften.

    #67
    Wir müssen ja nicht gleich die Welt retten wollen, aber eventuell die Gesellschaft, die uns hier gegeben ist, in Kirche und drum herum, ein wenig verbessern?

    #73
    Das bedeutet, was bieten wir den Menschen, die AfD wählen oder gut finden, an, damit sie auf andere, positive Gedanken und Wege kommen?
    Räsonieren allein reicht da, meiner Meinung nach, nicht.

    #82
    Was ich mir wünschen würde, wäre eine Gesellschaft von Menschen, die, durch alle Schichten hindurch, vernunftgesteuert und empathisch sind.

    Juliane Keitel
    #54
    Es schließt sich die drängende Frage an, ob wir das ändern WOLLEN (nicht "können", denn diese Zustände sind nicht sakrosankt), denn das hieße ein sehr grundsätzliches Umdenken, wie auch einige hier geschrieben haben, das mit Teilen, Abgeben, Verzichten usw. zu tun haben muss. Wäre toll, wenn uns die Corona-Krise an diesem Punkt ein Weiterdenken lehrt und wir aus dem christlich-kirchlichen Rahmen heraus tragfähige Ideen entwickeln.

    In #66 revidiert.

  • #93

    Micaela Krieger-Hauwede (Sonntag, 05 April 2020 01:15)

    Danke an Herrn Flessing für den Beitrag #89. Das hat mich berührt. Sie haben es schon richtig geahnt. Ich werde mich aus dieser Diskussion bis auf Weiteres zurückziehen und die Diskussion auch nicht mehr verfolgen.

    Ich danke den Diskussionsteilnehmer*innen für ihre anregenden Beiträge. Es war mir wichtig, den ursprünglichen Artikel zu verfassen, weil ich der Meinung bin: Nächstenliebe verlangt Klarheit, Zutrauen und Zuversicht. Ich habe mir auch sehr viel Zeit genommen, um meine längeren Beiträge in der Diskussion zu verfassen oder über Bemerkungen nachzudenken. Das gilt auch für diesen Beitrag. So habe ich in den letzten beiden Stunden noch einmal alle Beiträge gelesen und zusammengefasst, was ich daraus für mich mitnehmen werde.

    Ich möchte abschließend auf den Beitrag von Sascha Wildenhain eingehen #88. Er war eine Reaktion auf meine Frage in #85. Den Tod eines Menschen mitzuerleben, ist wohl neben der Geburt das nachhaltigste Erlebnis im Leben eines Menschen überhaupt. Ich war auch schon dort und habe gesehen, wie das Leben aus dem Körper wich und die Seele irgendwo anders hinging. Für mich war es tröstlich, in diesem Moment ganz langsam ein Vaterunser zu beten. Das war etwas, an dem ich mich in diesem Moment festhalten konnte.

    Bleibt behütet!

  • #92

    Gerhard Lindemann (Sonntag, 05 April 2020 00:21)

    Im Übrigen bin ich irritiert über den Stil der Diskussion seitens einiger Beteiligter. Nach Frau Krieger-Hauwede arbeitet nun auch Herr Flessing mit Unterstellungen: Mir geht es nicht darum, jemanden hier "herauszuschießen", egal ob Frau oder Mann. In Beitrag #80 habe ich übrigens geschrieben, dass Frau Krieger-Hauwede "bedenkenswerte Ideen" eingebracht hat, nur so nebenbei. Aber wer sich einmal ein Urteil gebildet hat, überliest solche Passagen offenbar.

  • #91

    Gerhard Lindemann (Samstag, 04 April 2020 23:27)

    Es ist natürlich nach den Diskussionen in einem anderen Blog klar, dass Herr Pfarrer Flessing Sympathien für eine Beiträgerin empfindet, die das Phänomen des Corona-Rassismus für nicht erwähnenswert hält. Eine ideologische Sicht hat derjenige, der dieses Problem nicht erkennt und durch Verschweigen kleinreden will. Wie gesagt, für diese Menschen klingt es wie ein Hohn, wenn man im Sinne betriebs- oder volkswirtschaftlicher Denkstrukturen in der Krise eine Chance sieht. Gestern schrieb der österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß: "Die Not taugt nicht zum sozialen Erweckungserlebnis". Dem ist nicht hinzuzufügen.


  • #90

    Sascha Wildenhain (Samstag, 04 April 2020 20:32)

    zu # 87
    auf mich wirkt die Reaktion zu heftig, aber ich habe ja auch schon mal in einem anderen Blog hier zu heftig reagiert.
    sw

  • #89

    Gert Flessing (Samstag, 04 April 2020)

    Ich danke Frau Krieger-Hauwede ganz explizit für ihre nüchterne und gute Analyse. Sie, Herr Professor Lindemann, sind aufgebracht darüber? Sie greifen die Frau an?
    Weil sie Ihre ideologische Sicht nicht dergestalt teilt, wie es Ihnen gut erscheint?
    DAS, was Sie verbreiten, nämlich über klar dargelegte Gedanken, eine Unschärfe zu legen, die Emotionalität einfordert, mit Hinweis auf "Marginalisierte" oder ähnliches, ist etwas, was ich unter "Kriegsnebel" verstehe. Man entzieht sich durch Nebelwände, dem nüchternen Nachdenken und durch Ablenkung, die auch als Zorn über scheinbare Nichtbeantwortung oder Nichtreaktion, auf das, was man selbst für wichtig hält, einher kommt.
    Ihre Breiseite war nicht schlecht. Aber es wäre sehr mies, wenn sie damit eine Frau, die neben nüchternem Denken auch genügend Mitgefühl deutlich gemacht hat, aus der Diskussion schießen würden.
    Gert Flessing

  • #88

    Sascha Wildenhain (Samstag, 04 April 2020 13:40)

    Bleiben Sie gesund! oder auch in der Duz-Form: Bleibt gesund... höre und lese ich seit Tagen
    Vor Corona ist es immer: Hauptsache gesund! gewesen, was mich sehr in Wallung gebracht hat. Warum? Weil es der blanke Zynismus gegenüber denjenigen ist, die eben nicht gesund waren (sind). Die blanke Diskriminierung. Was habe ich drüber aufgeregt über diese dummen Sprüche. Und wieviel habe ich fürs Leben gelernt, einem sterbenden Menschen einfach nur still die Hand zu halten und ihn zu streicheln, bis er eingeschlafen war...

  • #87

    Gerhasrd Lindemann (Samstag, 04 April 2020 13:24)

    "Mich hat das Zwischenfazit der bisherigen Diskussion, dass es sich verbiete, angesichts von Toten über die Krise als Chance nachzudenken, ziemlich erschreckt. Letztlich bedeutet das nämlich, dass man in der Klage erstarrt. Das ist passiv und bringt für niemanden eine echte Hilfe."

    Ich finde es langsam empörend, wie Sie mit meinen Texten umgehen (hier #74; da Sie die Zahl nicht genannt haben). Das grenzt an üble Nachrede. Ich habe zusätzlich geschrieben: " Es ist klar, dass man überlegen sollte, welche Lehren aus der Krise zu ziehen sind, aber man darf sie nicht als Chance begreifen, schon gar nicht in einem christlichen Forum." Das ist doch kein Erstarren in der Klage und keine Passivität. In einem weiteren Text habe ich einen klaren Vorschlag unterbreitet. Was sollen diese Unterstellungen? Wie kann uns das weiterbringen?
    Aussagen wie "Es muss deutlich werden, dass #die Nächste' kein Begriff ist, der eine physische Distanz beschreibt, sondern eine Nähe des Herzens, aus der sich Fürsorge ergibt." (#84) wirken doch wie der blanke Hohn, wenn Sie nicht bereit sind, Entsprechendes hier in einem Schreibgespräch zu praktizieren, verkürzt zitieren und unbegründete Vorwürfe erheben.

    Niemand - außer vielleicht mit Abstrichen Herr Flessing - in diesem Blog teilt Ihre Auffassung, dass man die Krise als Chance sehen muss. Vielleicht sollten Sie sich mal sachlich mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen, als mantramäßig diese Parole zu wiederholen.

    Den Gesichtspunkt, dass es in der Krise bereits Tote gibt und dass sich schon deshalb ihre Sicht als Chance verbietet, kam mir übrigens nach der Lektüre des Textes "Trost braucht nicht viele Worte" von Heinrich Bedford.-Strohm aus dem neuen "Chrismon"-Magazin: "Und eine Mutter, die ihr Kind bei einem Unfall verloren hatte, sagte mir einmal: Das Schlimmste sind die vorschnellen Trostworte. 'Alles wird wieder gut.' - 'Es hat alles seinen Sinn, auch wenn wir ihn jetzt nicht erkennen können.'
    Nein: Nichts wird gut! Und was soll das für ein Sinn sein, wenn ich meine über alles geliebte Tochter verliere?"

    Menschen, die unter der Krise leiden oder gar um Hinterbliebemne trauern, vielleicht hier Trost suchen und lesen, dass man doch die Krise als Chance sehen soll, wird es genauso gehen wie dieser Mutter.

    Wie gesagt, nichts spricht gegen das Entwickeln von Perspektiven, aber man sollte sie nicht überhöhen und damit das Leid der Opfer verhöhnen, wie, ich wiederhole mich, Juliane Keitel sehr markant festgestellt hat.

  • #86

    Gerhard Lindemann (Samstag, 04 April 2020 12:19)

    " Symptom: Widererstarkender Nationalismus in vielen Ländern".

    Das ist, wenn man nur den Nationalismus erwähnt, verharmlosend. Hinzufügen wären Rassismus, Xenophobie und Demokratiefeindschaft.

    Das zeigt, dass Sie sich des Ausmaßes der gesellschaftlichen Krise nicht bewusst sind - Ihre Negierung des Corona-Rassismus ist ein weiteres Beispiel dafür.

    Jedenfalls ist es dann müßig, über Perspektiven zu diskutuieren, wenn schon die Gegenwartsanalyse unscharf ausfällt.

  • #85

    Micaela Krieger-Hauwede (Samstag, 04 April 2020 11:48)

    In einem sozialen Medium habe ich die Frage gestellt: Welche Begriffe haben für euch ihre Bedeutung durch die Coronakrise verändert oder haben Facetten hinzugewonnen? Ich habe mit dem Wort Nähe begonnen. Weitere Antworten waren: Freizeit, Gefahr, Kommunizieren, Egoismus, Stille, Verzicht, Triage, Journalismus, bedingungsloses Grundeinkommen, social media.

    Ich würde auch das Wort Normalität hinzufügen.

    Welche Begriffe haben für Sie ihre Bedeutung durch die Coronakrise verändert oder haben Facetten hinzugewonnen?

  • #84

    Micaela Krieger-Hauwede (Samstag, 04 April 2020 11:44)

    Ideenskizze

    • Gesellschaft vor der Coronakrise (Demokratie + auf Gewinnmaximierung fokussierte, globalen Wirtschaft)

    Weit entfernt von einer sich auf Nächstenliebe und Solidarität gründenden Gesellschaft. In den letzten Jahren haben sich daher viele Widersprüche in Form von Symptomen manifestiert.

    Symptom: Widererstarkender Nationalismus in vielen Ländern
    Symptom: Klimanotstand
    Symptom: Wachsende soziale Ungerechtigkeit


    Ich habe nur Schlagworte herausgegriffen. Die Liste kann man noch um viele Punkte erweitern. In den letzten Jahren haben wir schon bewusst Symptome bekämpft, uns mit den Symptomen auseinandergesetzt. Bei der Lösung waren wir bisher nur begrenzt erfolgreich, weil das bestehende Wirtschaftssystem oder lange etablierte Denkmuster immer wieder eine Lösung verhindern.

    Instabilität lag nicht im wirtschaftlichen Sinne vor. Aber der Widerspruch zwischen dem Wunsch des Menschen nach einem sich seiner Verantwortung bewussten Leben, einem Leben im Gleichgewicht mit der Natur, einem Leben in Nächstenliebe auf der einen Seite und den Regeln und Erfordernissen des Marktes auf der anderen offenbart sich in den verschiedenen Symptomen.

    • Pandemie (Viruskrise), mehr als 1 Drittel der Weltbevölkerung lebt momentan mit einer Ausgangssperre/Ausgangsbeschränkung (in 181 von 194 Ländern gibt es Infizierte)

    Das Auftreten des Virus ist ein natürliches Ereignis (Verschwörungstheoretiker sehen das anders und wollen die Krise für sich instrumentalisieren). Die Pandemie gehört NICHT zu den oben genannten Symptomen. Man könnte die Wirkung der Pandemie mit der Wirkung eines Kondensationskeims oder eines Katalysators vergleichen. Das Virus verändert unseren Erfahrungshorizont extrem und zwar weltweit! Die Pandemie WIRD deshalb gesellschaftliche Entwicklungen beschleunigen, in die eine oder die andere Richtung.

    Die Pandemie sensibilisiert uns für die Lebensrealität anderer Menschen.

    Weltweit sind bisher 58 000 Menschen an den Folgen der Viruserkrankung gestorben. An Hunger sterben weltweit noch immer 28 000 Menschen pro Tag. Vielleicht fällt es uns in Zukunft schwerer, diese Zahlen zu übersehen.

    Die Pandemie verändert unsere Wahrnehmung von Solidarität.

    Es muss deutlich werden, dass „die Nächste“ kein Begriff ist, der eine physische Distanz beschreibt, sondern eine Nähe des Herzens, aus der sich Fürsorge ergibt.
    Wie lange dauert es noch, bis wir die Leute aus Moria evakuiert haben?

    Die Pandemie verändert unsere Sicht auf die Möglichkeiten des Verzichts.



    • Gesellschaft nach der Coronakrise, Utopie, die Dystopie möchte ich mir nicht ausmalen (Demokratie + Wirtschaftssystem XY)

    Nächstenliebe und die sich daraus ergebende Verantwortung haben eine zentrale Bedeutung.

    Meine Idee wäre zusammenzutragen, was wir besser machen können, und ob, und wenn ja, welche Konzepte es schon gab, um Ziele wirtschaftlich umzusetzen. Bedingungsloses Grundeinkommen? Flugmeilen pro Jahr begrenzen? Weniger Autos zulassen? Nur noch Fleisch aus artgerechter Tierhaltung zulassen? Weniger und gleichzeitig nachhaltiger Lebensmittel produzieren? Weltweites Gremium einrichten, das sich mit der Beseitigung von Armut beschäftigt und auch die Mittel dazu zur Verfügung hat? Weltbürgerbewegung? Entwicklungshilfe? Inklusion von Geflüchteten besser koordinieren? Börsenhandel einschränken? Zugang zu einem leistungsfähigen Gesundheitssystem für alle Menschen?

    Eigentlich wissen wir schon jede Menge, was wir besser machen wollen/können. Bisher wurde nur die Umsetzung häufig mit dem Hinweis auf wirtschaftliche Zwänge bzw. Gesetzmäßigkeiten abgelehnt. Diese Ablehnung dürfte jetzt generell schwerer fallen. Die Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten zu viele Bereiche unseres Zusammenlebens gesteuert und mitbestimmt.

    Als Kirche bzw. Christen könnten wir durchaus auch Utopiengeber sein. Spontan fällt mir zum Beispiel das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ein (das war ja erst kürzlich dran), aus dem heraus man durchaus Gedanken über eine Postwachstumsgesellschaft entwickeln kann. Wer hätte gedacht, dass die Frage so schnell wieder so aktuell werden könnte? Welche Geschichten gibt es für Sie in der Bibel, die Sie mit einer Utopie in Verbindung bringen oder die Ihnen helfen, eine Krise zu meistern?

  • #83

    Micaela Krieger-Hauwede (Samstag, 04 April 2020 11:38)

    Mich hat das Zwischenfazit der bisherigen Diskussion, dass es sich verbiete, angesichts von Toten über die Krise als Chance nachzudenken, ziemlich erschreckt. Letztlich bedeutet das nämlich, dass man in der Klage erstarrt. Das ist passiv und bringt für niemanden eine echte Hilfe. Ich habe gelesen, dass inzwischen zum Beispiel Anne Veit in #76 eine andere Perspektive in die Diskussion gebracht hat, was ich als sehr wohltuend empfinde. Und auch alle anderen haben ihr zugestimmt. Bevor ich in meinem nächsten Kommentar versuche, etwas über die Vision zu schreiben, möchte ich aber kurz doch noch einmal etwas genauer hinschauen auf die Art und Weise, wie Menschen mit Krisensituationen umgehen/sie bewältigen können.

    Jeder Mensch hat je nach Lebenserfahrung, Herkunft oder auch Ausbildung eine andere Persönlichkeitsstruktur. Modelle dazu sind vermutlich jedem von uns schon einmal begegnet. Ein mögliches Koordinatensystem nennt die vier Haupttypen: Bewahrer*in, Macher*in, Kreativer Kopf, Planer*in. Wie gehen sie mit Krisensituationen um?

    Bewahrer*in: Krise als Gefahr/Bedrohung
    Macher*in: Krise als Instrument
    Kreativer Kopf: Krise als Chance
    Planer*in: Krise als Aufgabe

    Und ich finde, jede Perspektive hat ihre Berechtigung. Perspektiven schließen sich nicht gegenseitig aus und keine Perspektive ist der anderen überlegen. Ein vollständiges Bild ergibt sich, wenn die einzelnen Perspektiven interagieren und sich gegenseitig ergänzen. Meine Beiträge sind vorwiegend aus der Perspektive „Krise als Chance“ oder „Krise als Aufgabe“ verfasst, während ich bei anderen zum Beispiel deutlich den Bewahrer/die Bewahrerin herauslese. Und diese Vielfalt ist gut so!

    Dass mein Fokus hier auf der Chance liegt, bedeutet nicht, dass ich das Leid oder den Schmerz, den die Coronakrise für sehr viele Menschen mit sich bringt, nicht mitfühlen, nicht ernst nehmen oder mich nicht damit auseinandersetzen würde/mich in der Realität nicht damit auseinandersetzen müsste! Dem ist nicht so. Wir führen ein Schreibgespräch, das unheimlich viel Raum für eigene Interpretationen oder eigene Projektionen bietet und anfällig für Missverständnisse ist. Vermutlich schreibt jeder von uns seine Kommentare vom Schreibtisch aus. Dass sich das im Moment auch nur für einen von uns noch wie eine Idylle anfühlt, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr wird die Situation mit zunehmender Dauer eine Herausforderung auch für jede/jeden von uns.

  • #82

    Gert Flessing (Samstag, 04 April 2020 11:12)

    Ich muss Frau Veit Recht geben. Ups, ich wollte am nächsten Mittwoch meinen einen Sohn in Chemnitz besuchen. Das wird wohl nichts werden. Aus Leipzig hörte ich einen Bericht, dass Polizei die "Einreise" kontrolliert und sogar Fieber misst.
    Es entstehen, wie Herr Lindemann schreibt, "Unsicherheiten", eben auch bei der Polizei und damit ist natürlich eine Tür für Willkür geöffnet. (Bis hin zu rassistischen Ausfällen)
    Spuren wird das allemal hinterlassen. Bei uns allen.
    War die "offene Gesellschaft" eine Illusion? Oder war sie gar Teil des Problems, vor dem wir jetzt stehen und das derweil auch jüngeren Menschen das Leben kostet?
    Die Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitssystems ist mir, von Anfang an, ein Problem gewesen. Es musste also so kommen. Man kann ein System auch zu Tode "verschlanken". Es wäre wünschenswert, wenn da ein Umdenken stattfinden würde. Aber ob jene Herrschaften, die "Eigentümer" der großen Klinikkonzerne sind, das einsehen (wollen)? Ich denke, da müsste die Demokratie auch "wehrhaft" sein und das, was allen zu dienen hat, aus den Klauen derer reißen, die nur sich selbst bedienen wollen.
    Ich habe auch mit Menschen der Kunstszene gesprochen. Die sind oft sehr bitter dran, aber es klappt ebenso oft nicht mit wirklichen Versuchen, Netzwerke, die auch später tragen können, zu organisieren.
    Aber auch da kann ich nur raten: "Redet miteinander, denkt gemeinsam nach..."
    Ich selbst versuche mit den Problemen logisch und nicht ideologisch umzugehen.
    Was ich mir wünschen würde, wäre eine Gesellschaft von Menschen, die, durch alle Schichten hindurch, vernunftgesteuert und empathisch sind.
    Aber das dürfte eine Illusion sein.
    Gert Flessing

  • #81

    Gerhard Lindemann (Samstag, 04 April 2020 09:58)

    In Beitrag #74, erste Zeile, schrieb ich versehentlich "(Link in #90)" - gemeint ist der Link in #70.

  • #80

    Gerhard Lindemann (Freitag, 03 April 2020 17:49)

    Das eine schließt das andere nicht aus - wer Visionen entwickeln möchte, darf das doch gerne tun. Micaela Krieger-Hauwede oder Gert Flessing haben hier zum Beispiel bereits bedenkenswerte Ideen vorgebracht.
    Zu den Ausgangsbeschränkungen hat im Wesentlichen die Furcht geführt, dass die Kapazitäten des Gesundheitswesens den hohen Zahl von Erkrankungen nicht gewachsen sein würden - und diese Sorge gibt es weiterhin. Dieser erwartete "Engpass" hängt im Wesentlichen mit Privatisierungen und Einsparungen im Gesundheitswesen zusammen. Eine zentrale Ursache ist die Ökonomisierung fast aller Lebensbereiche, die sich im Zuge der Dominanz neoliberealen Denkens in den letzten Jahrzehnten vollzog. Angela Merkel prägte den Satz von der marktkonformen Demokratie. Hier hoffe ich tatsächlich auf ein Umdenken. Und es gibt weitere Bereiche.
    Aber es gibt eben keinen Grund für "Zukunftseuphorie". Da stimme ich Juliane Keitel vollkommen zu (#72).
    "Nach" der Krise wird man nicht nur nach vorne schauen dürfen, sondern auch kritisch bilanzieren und aufarbeiten müssen, was "in" der Krise geschehen ist. Auch wird darauf zu achten sein, dass von den Grundrechtseinschränkungen nichts bleibt. Von daher kann sich ein Gespräch hier nicht nur auf die Zukunft konzentrieren, sondern es ist nötig, weiterhin mindestens gleichermaßen auf Vorgänge aufmerksam zu machen, die für eine breitere Mehrheit der Bevölkerung weniger problematisch sind oder kaum Beachtung finden (wie eben das Phänomen des "Corona-Rassismus"). Auch Kritik am Bestehenden ist, sofern sie konstruktiv ist, letztlich auf Hoffnung und Ermutigung ausgerichtet - z. B. indem Marginalisierte, die davon lesen, wissen, sie werden mit ihren Sorgen nicht alleine gelassen oder Sensibilisierungen stattfinden.