Gerade fühle ich mich in einer doppelten Zwischenzeit:
- Zeit nach einem Bischofsrücktritt, vor einer Bischofswahl
- Zeit nach dem Ende des Kirchenjahres, vor Weihnachten.
Das zweite ist einfach und tröstlich. Das kommt „alle Jahre wieder“ – Gott sei Dank – unabhängig von den Details kirchlichen und persönlichen Lebens. Dafür bin ich dankbar. Das trägt und stärkt mich – und wahrscheinlich viele, auch wenn wir auf Punkt „1.“ unterschiedlich schauen. Wir warten auf Christus, der kommt – ein Gerechter und ein Helfer. Das verbindet uns.
Das erste ist… wichtig und für mich nicht mit zwei Worten zu fassen. Der Rücktritt von Dr. Carsten Rentzing als Landesbischof liegt hinter uns. Auf diesen Rücktritt gibt es sehr unterschiedliche Sichtweisen. Es ist wie nach einem Schock-Ereignis: Es scheint, jede und jeder hat etwas anderes erlebt und gesehen – obwohl eigentlich alle das Gleiche erlebt haben. So werden wir uns noch viel erzählen und zuhören müssen, um das, was passiert ist, zu verstehen und damit zu leben.
Ich bin froh und Dr. Rentzing dankbar, dass er zurück getreten ist, weil ich denke, dass er mit dem Bischofsamt in der aktuellen Situation überfordert war. Als im September Zeitungen bei ihm nachfragten, hatte er Zeit, sich im Kollegium oder bei den Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit Rat zu holen und mit ihnen über seine Studienzeit, die damaligen Veröffentlichungen und seine Sicht auf die Dinge jetzt, zu sprechen. Das hat er nicht getan. Er wollte oder konnte nicht über seine Vergangenheit reden, sich dazu erklären oder öffentlich um eine Zeit zum Nachdenken bitten. Es wäre ein schwerer Weg gewesen, aber ein möglicher. Eine fruchtbringende Auseinandersetzung ist er damit uns als Kirche und der Öffentlichkeit, in der er als Bischof auch stand, schuldig geblieben. Damit hat er dem Amt und der Kirche geschadet. Er selbst sieht das anders, wenn ich ihn recht verstehe. Die Einsicht in diesen eigenen Fehler vermisse ich schmerzlich in seiner Rede. Was er erlebt hat, hat ihn sehr verletzt – das ist in seinen Worten im zweiten Teil deutIich zu spüren. So erkläre ich mir die Anschuldigung, dass Menschen in der Kirche illoyal mit ihm umgegangen sind und sich damit exkommuniziert hätten. Beides trifft aus meiner Sicht nicht zu.
Ich bin froh, dass Frank Martin hier auf der Seite nochmal aufzeigt, wie die Petition zu Stande kam. Es gehört zum kirchlichen Miteinander, einander auch kritisch zu begleiten. Der Ton der Petition „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ ist scharf. Ich habe sie deshalb nicht unterzeichnet. Es war aber aus meiner Sicht richtig und notwendig, dass kirchliche Kritik auch öffentlich hörbar wurde: Wir stehen nicht kritiklos als Kirche hinter der Selbstverständlichkeit, mit der der damalige Bischof die bleibende Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung und dem zugehörigen Männerbund rechtfertigte. Dass im Anschluss daran der damalige Autor und Redakteur Carsten Rentzing öffentlich wurde, war eine schockierende Überraschung für die Landeskirche, die Kirchenleitung, die Öffentlichkeit. Mit der Einordnung der Verantwortung für die Fragmente-Texte beschäftigt sichausführlich Andreas Mertin.
Ich bin der Kirchenleitung dankbar, die den Rücktritt an- und ernstgenommen hat und für diese Entscheidung vielen Anfeindungen und Beschimpfungen ausgesetzt war. Sie hat sich dem gestellt und den Weg für die Bischofswahl geklärt und frei gemacht. Ich habe Vertrauen, dass die Synode mit Gottes Geistkraft eine Bischöfin, einen Bischof suchen und finden wird.
Gemeinsam sind wir als Kirche weiter unterwegs. Wir sind noch lange nicht fertig mit den Ereignissen der letzten Wochen. Ob es uns gelingt, miteinander zu reden?
Die Synode hat angeregt, zwischen wertkonservativem Christsein und Rechtsextremismus zu unterscheiden und das Gespräch dazu in den Gemeinden zu führen. Wo passiert das? Was sind die Erfahrungen? Wo beziehen wir als Einzelne, als Kirche, als Gemeinden Position? Was feiern wir gemeinsam?
Ich habe mich im Januar mit meinem Gemeindepfarrer verabredet. Wir sind theologisch nicht einer Meinung und vermutlich auch nicht über den Rücktritt und seine Geschichte. Ich will mit ihm reden und mehr von ihm wissen.
Gesegneten Advent
Barbara Zeitler.
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Clemens Kindermann (Freitag, 13 Dezember 2019 19:19)
Danke für diesen besonnenen und ausgewogenen Kommentar zur aktuellen Lage. Eine gesegnete Adventszeit
C. Kindermann
Gerhard Lindemann (Dienstag, 24 Dezember 2019 00:26)
Dem schließe ich mich an - der Text bietet an einigen Stellen Stoff zum Weiterdenken, auch würde ich manches vielleicht etwas anders sagen, aber ich dachte, es sei vielleicht besser, das nach Weihnachten (und Neujahr) anzugehen.
Ermutigend finde ich eine Passage aus dem Weihnachtsbrief der 4 theologischen Oberlandeskirchenrät:innen im Landeskirchenamt. Ich zitiere sie, weil nicht alle den Brief kennen werden: "Wenn wir auf das letzte Jahr zurückblicken, dann schauen wir doch auch mit Sorge auf manche Entwicklung in Sachsen. Wir werden als christliche Kirche mit unserem Christuszeugnis auch nicht einfach schweigend zusehen. Wir verzagen nicht, wir fürchten uns nicht. Natürlich leben wir von einer gemeinsamen kulturellen Identität, aber Kulturen sind immer wachsende Organismen. Sind sie es nicht mehr, verfallen sie. Der Glaube ist nicht an Nation oder Herkunft gebunden. Kulturen wachsen, sind verwoben, ändern sich und haben viele Wurzeln."
Auch die Predigt von Altbischof Bohl in der heutigen vorweihnachtlichen Vesper vor der Frauenkirche enthielt kritische Aussagen angesichts der Bedrohung von rechts: Ich zitiere einfach aus dem Bericht auf evangelisch.de: "In Deutschland hätten sich indes Gegensätze aufgetan, gepaart mit Demokratieverdrossenheit, hasserfülltem Reden und politisch motivierten Gewalttaten (die "Süddeutsche zitiert ihn direkt: ""Hasserfülltes Reden, politisch motivierte Gewalttaten, das Wiedererwachen des Antisemitismus.") "Wie konnte es nur so weit kommen", fragte der evangelische Geistliche und fügte hinzu: "Haben wir denn unsere Lektion nicht gelernt in den langen Jahren, als die Frauenkirche in Trümmern lag?"
Bohl betonte: "Wir wissen doch, wie und womit das Unheil begann." Menschen seien dem Wahn verfallen, auf andere herabzusehen und sich selbst zu erhöhen. In ihrer Verblendung hätten die Nationalsozialisten zur Gewalt griffen, erst gegen die Juden, dann die Völker Europas mit Krieg überzogen. Als die Frauenkirche 2005 nach dem Wiederaufbau geweiht wurde, hätten Christen und Juden gemeinsam gebetet und sich versprochen, unter dem Motto "Nein, nie wieder" gemeinsam gegen den Hass zu stehen, erinnerte Bohl."
An dem Gottesdienst wirkte auch, meines Wissens erstmals, ein Vertreter der Dresdner Jüdischen Gemeinde aktiv mit.
Auch Ministerpräsident Kretschmer fand deutliche Worte, sprach u. a. von "Hass und Hetze" und dass man sich beidem entgegenstellen müsse.