Oma Else und das Singen

Jerzy Sawluk / pixelio.de
Jerzy Sawluk / pixelio.de

Ja, Oma Else singt gern, immer noch, trotz ihrer zittrigen Stimme. Früher war das natürlich etwas anderes. Als junges Mädchen hatte sie eine helle Sopranstimme und im Chor musste sie immer in der Mitte stehen, weil sie so sicher und klar gesungen hat. Sie mochte es, wenn ihre Stimme mit den anderen zusammenklang. Wie viele Lieder und Chorsätze hat sie in den fast 50 Jahren kennengelernt. Ein ganzer Schatz. Aber als sie merkte, wie sie die hohen Töne nicht mehr traf und wie die Luft immer knapper wurde, hat sie sich schweren Herzens aus dem Chor verabschiedet.

 

Heute singt sie eigentlich nur noch, wenn sie sich mit ihren beiden alten Freundinnen zum Kaffeekränzchen trifft. Zwei oder drei Choräle singen sie fast immer, wenn sie zusammenkommen, einfach so, am Kaffeetisch. Am liebsten die alten, die sie damals im Konfirmandenunterricht auswendig lernen mussten. Was haben sie als Kinder über diese Lernerei geschimpft! Zwölf Verse ‚Befiehl du deine Wege‘! Allerdings: Paul Gerhardt hat eine gute Lernhilfe eingebaut: Liest man jeweils das erste Wort einer jeden Strophe, ergibt sich das Bibelwort: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird’s wohl machen.

 

Und wie oft war sie schon froh, diese Notration an Worten in ihrem Gedächtnis zu haben.  Denn es gab Zeiten in ihrem Leben, in denen sie vor lauter Schmerz und Verzweiflung keine eigenen Worte finden konnte. Im Gottesdienst singt sie natürlich auch mit. Die Lieder helfen ihr, sich in der Zeit zurechtzufinden. Passionslieder gehören in die Wochen vor Ostern und wenn am Ostersonntag das ‚Christ ist erstanden‘ erklingt, weiß sie: Jetzt ist wieder Ostern.

 

„Wusstest du“, hat ihr neulich ihr Enkel erklärt, der seit kurzem in den Konfirmandenunterricht geht, „dass es im Gottesdienst immer ein ‚Wochenlied‘ gibt?“ Dieses Wort hatte sie zwar schon gehört, aber ließ es sich gern von ihrem Enkel erklären: „Es ist das Lied zwischen den beiden Lesungen. Wenn man den Text genau liest, ist er wie ein roter Faden zwischen den einzelnen Lesungen und der Predigt.“ Das hätte der Pfarrer ihnen erklärt. Er hätte aber auch gesagt, dass der rote Faden manchmal ziemlich sehr versteckt sei. Nun sollen sie jedes Mal, wenn sie in den Gottesdienst gehen, den roten Faden suchen. „Kannst du mir dabei helfen, Omi?“ Na klar kann Oma Else helfen, obwohl ihr selbst der rote Faden nicht so wichtig ist. Sie freut sich einfach, wenn sie, so gut es geht, noch mitsingen kann. Sie freut sich an den alten Melodien, die so viele Erinnerungen wecken. Wenn von Zeit zu Zeit ihr Lieblingslied angeschlagen ist, die Nummer 329, denkt sie dankbar: Ja, so ist es. Bis hierher hat mich Gott gebracht.

Christiane Dohrn

 


Die Wochenlieder

Birgit Winter / pixelio.de
Birgit Winter / pixelio.de

Das Wochenlied ist bei der Vorbereitung des Gottesdienstes schnell ausgesucht, denke ich oft, es ist ja vorgegeben und steht im Liturgischen Kalender. Aber dann kommen die Fragen: Wie viele und welche Strophen lasse ich singen? Und manchmal frage ich mich auch: Werden wir es mit unserer kleinen Gottesdienstgemeinde überhaupt gut singen können? Der Text ist gar so sperrig und die Melodie ganz ungewohnt...

 

Fragen wir einmal grundsätzlich: Woher kommt eigentlich die Tradition unserer Wochenlieder? Warum heißen sie so? Wer hat sie nach welchen Gesichtspunkten festgelegt? Und wie können wir das Wochenlied im Gottesdienst gut ausgestalten?

Das Wochenlied wird auch als „Graduallied“ bezeichnet. Dieser „Stufengesang“ (lateinisch gradus = Stufe) stammt bereits aus dem mittelalterlichen Gottesdienst: Auf den Stufen zum Lesepult (Ambo) wurde zwischen der alttestamentlichen Lesung und der Epistellesung ein Gesang angestimmt. Zunächst war dies ein kurzer Psalmgesang, dann entwickelte sich dies zu einer immer ausführlicheren Form kunstvollen Gesangs im Gottesdienst.

Bei der Erneuerung des Gottesdienstes in der Reformationszeit hielt Martin Luther liturgisch an der Form der Messe selbstverständlich fest. Aber er gab viele Gesänge, die bislang den Priestern vorbehalten waren, der ganzen Gemeinde: Sie sollte – als mündige Gemeinde – im Gottesdienst auch selbst den Mund auftun! So wurde auch der Stufengesang des Klerus zum „Stufenlied“ der Gemeinde. Stufenlied, Graduallied, Wochenlied: drei Worte für dieselbe Sache.

Das Wochenlied steht im Gottesdienst nicht nur äußerlich zwischen den Lesungen, sondern auch in einem inneren Zusammenhang zum Evangelium. Die Botschaft des Evangeliums wird im Wochenlied aufgenommen, vorweggenommen, erläutert, weitergeführt. Das Evangelium prägt den Sonntag und mit ihm die ganze Woche, die mit dem Sonntag beginnt.

Mit dem Wochenlied nimmt die Gemeinde das Evangelium des Sonntags auf: Wochenlieder sind Verkündigungslieder! Deshalb ist es auch angemessen, nicht nur zwei oder drei Strophen des Wochenliedes zu singen, sondern wenn möglich einen größeren Bogen zu spannen. Natürlich soll das Singen mehrerer Strophen aber auch nicht ermüdend sein. Eine traditionelle Weise, das Wochenlied auszugestalten, besteht darin, die Strophen abwechselnd („alternatim“) zu singen: Chor und Gemeinde wechseln einander ab. Und wenn kein Chor oder Posaunenchor dabei ist, können zwischen den Gemeindestrophen auch schlichte Orgelstrophen solo erklingen. Vielleicht ist das zunächst ungewohnt. Aber wer es ausprobiert, wird merken, wie reizvoll das sein kann.

Und was mache ich, wenn mir das Wochenlied, sein Text oder seine Melodie, gar zu sperrig erscheinen? Die schönsten Traditionen nützen ja nichts, wenn sie im Gottesdienst nicht wirklich lebendig werden können. Zunächst kennt der Liturgische Kalender für viele Sonntage einen alternativen Liedvorschlag. Auf jeden Fall sollte das Lied einen Bezug zum Evangelium oder Thema des Gottesdienstes haben. Eine gute Möglichkeit besteht auch darin, zwischen Epistel und Evangelium – anstelle von Halleluja und Wochenlied – ein bekanntes Hallelujalied zu singen, etwa ein Osterlied oder „Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt“ (EG 182). Dadurch kommt zugleich das Halleluja in seiner ursprünglichen Bedeutung zum Klingen: Es ist dann nicht Antwort auf die Epistel, sondern Vorbereitung des Evangeliums: Wir begrüßen mit dem Halleluja den auferstandenen Jesus Christus, der im Evangelium zur Sprache kommt.

Schließlich wird die Reihe der Wochenlieder gegenwärtig grundsätzlich überarbeitet: Zu der geplanten „Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte“ gehört auch die Neuordnung der Wochenlieder. Der „Entwurf zur Neuordnung“ wurde im vergangenen Kirchenjahr erprobt. Die Rückmeldungen aus den Gemeinden werden dann für die endgültige Fassung der erneuerten Ordnung berücksichtigt. (siehe dazu unter: www.ekd.de/EKD-Texte/84112.html) Sie soll 2017/18 eingeführt werden.

Im Blick auf die Wochenlieder sieht die Neuordnung nicht nur andere Lieder vor, sondern überhaupt eine neue Konzeption: Zum Zuge kommen vor allem bekannte und gern gesungene, also weniger „sperrige“ Lieder.

Die Lieder stammen ausgewogen aus allen Epochen (im Blick auf Musik und Frömmigkeit), haben also keinen Schwerpunkt mehr im Liedgut der Reformationszeit.

Es gibt für jeden Sonntag gleichrangig zwei Wochenlieder. Idealerweise werden auch beide im Gottesdienst gesungen: eines am klassischen Ort vor dem Evangelium, das andere an einer anderen Stelle des Gottesdienstes. Zum Beispiel eignet sich „Macht hoch die Tür“ (Wochenlied für den 1. Advent) gut als Eingangslied.

Natürlich ist es gut, wenn wir auch diejenigen Lieder, die nicht so leicht und eingängig sind, weitergeben und lebendig halten. Die bisherige Reihe der Wochenlieder hatte hier ihre Stärken. Die geplante Neuordnung der Wochenlieder erleichtert es hingegen, überhaupt ein gemeinsames Repertoire an Liedern zu erhalten, das gerne gesungen wird und unsere Gottesdienste schön macht.

Christian Kollmar