Die Frage nach der Allmacht und Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leids in der Welt

A. Begriff Theodizee

NicoLeHe / pixelio.de
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In dem Wort Theodizee stecken die altgriechischen Wörter für Gott (theós) und Gerechtigkeit (díkē). Es ließe sich daher übersetzen mit „Gerechtigkeit Gottes“ oder „Rechtfertigung Gottes“. Unter dem Begriff versammeln sich verschiedene Antwortversuche auf die Frage, wie das Leiden in der Welt vor dem Hintergrund zu erklären sein könnte, dass Gott einerseits als allmächtig, andererseits als gut bestimmt ist. Konkret geht es um die Frage, warum Gott das Leiden zulässt, wenn er doch die Macht (eben Allmacht) und den Willen (Güte) besitzen müsste, das Leiden zu verhindern.


B. Zitate

"Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er mißgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl mißgünstig als auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?"

Epikur

 

"Daß Gott - wenn er denn ist - allmächtig sein muß, erscheint uns als selbstverständlich. Ist er dies aber wirklich, dann muß er auch für die vielfältige Unvollkommenheit der Welt verantwortlich gemacht werden. Dann nimmt sein Antlitz harte, dunkle Züge an. Auf der anderen Seite vermissen wir oft genug und allzu schmerzlich Zeichen seiner Allmacht, erscheint Gott als untätig, gar als ohnmächtig. Ist er das wirklich, dann mag man ihm manches nachsehen - aber kaum mehr etwas von ihm erhoffen. Wieder verdunkelt sich sein Antlitz."

Dietrich/ Link

 



C. Der biblische Befund

Dieter Schütz / pixelio.de
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Allmacht im Alten Testament

Das Alte Testament hat keine Vorstellung von einen ‘allmächtigen Gott’ etwa im Sinne des griechischen Pantokrator (All- oder Weltenherrscher) entwickelt. Es gibt keinen Begriff für Allmächtiger o.ä. Gleichwohl wird Gott als Mächtiger erfahren. Seine Macht und Kraft wird gelobt, auch eingefordert - mitunter sogar beklagt (etwa Hiob 9). Macht ist kein Wesensmerkmal Gottes im ontologischen Sinne (Ontologie ist die philosophische Lehre vom Sein), sie ist vielmehr eine Relationsaussage, d.h. in ihr wird eine Beziehung zum Ausdruck gebracht. Gott handelt mächtig in der Geschichte seines Volkes.

 

Die griechische Übersetzung des Alten Testaments – die Septuaginta (LXX) – übersetzt bevorzugt "Jahwe Zebaoth" und "El Schaddai" mit Pantokrator. Ob diese Übersetzung den jeweiligen ursprünglichen Wortsinn trifft, ist zu bezweifeln.

 

Die Frage nach der Theodizee im Alten Testament

Im Alten Testament wird die Theodizee-Frage vor allem im Gebet gestellt. Die Beter drohen zu zerbrechen angesichts der Ungerechtigkeit, die sie erleben. Sie fordern Gott heraus, seine Gerechtigkeit zu erweisen - sich endlich als der Gerechte zu zeigen.

Im Zuge der Entwicklung zum Monotheismus wird Gott allzuständig, da es neben ihm keine Macht gibt, die helfen (oder verderben) könnte. Dadurch wird er auch mit allen Erfahrungen in Verbindung gebracht (Vgl. Jes 45,6; JAHWEH schafft Licht und Finsternis, Heil und Unheil). Er ist also für das Unheil verantwortlich. Die Frage der Theodizee wird aber wieder im Bezug auf die Beziehung resp. Gottes (Nicht-) Handeln gestellt. Gerechtigkeit Gottes wird nicht abstrakt als eine Eigenschaft Gottes gedacht. Es gibt keine Antworten auf die Theodizee-Frage. Man erhofft, daß Gott sich als gerecht erweist.

 

Allmacht im Neuen Testament

Der Begriff "Pantokrator" (All- bzw. Weltherrscher) kommt im Neuen Testament nur in 2 Kor 6, 18 vor und dann neun mal in der Apokalypse. Dabei erklärt sich die Verwendung des Begriffs in den meisten Fällen dadurch, dass an den fraglichen Stellen das Alte Testament in seiner griechische Übersetzung zitiert wird. Doch auch abgesehen von der Begriffsverwendung wird doch Gottes große Machtfülle an vielen Stellen des Neuen Testaments vorausgesetzt. In Röm 9, 19ff (ein Text, der auch in Blick auf die Frage nach der Theodizee interessant - und unbefriedigend - ist) wird die Fähigkeit Gottes, nach eigenem Wollen zu handeln, betont. Aber auch bei Paulus steht diese Aussage im Rahmen eines Beziehungsgeschehens bzw. im Bezug auf Gottes Handeln. Wie schon im Alten Testament ist auch im Neuen Testament der handelnde Gott im Blick und nicht Gottes Wesen an sich.

 

Die Frage nach der Theodizee im Neuen Testament

 

Die Autoren der neutestamentlichen Schriften mußten den Kreuzestod Jesu theologisch verkraften. Alle Antwortversuche auf die Frage Jesu am Kreuz (Mein Gott, warum hast du mich verlassen?) werden in einer Weise beantwortet, die Gott ins Recht und die Menschen (Pharisäer; Sadduzäer; Juden; Pilatus; alle Menschen, weil sündig) ins Unrecht setzt. Am Handeln Gottes an Jesus wird Gottes Gnade und seine Gerechtigkeit offenbar. Damit stellt sich für  die Frage nach der Theodizee für die neutestamentlichen Autoren kaum. In Röm 9, 19ff wird die Freiheit Gottes, im Bezug auf seine Geschöpfe zu handeln, wie er will, betont. Die Argumentation des Paulus vermag uns zwar nicht mehr zu befriedigen. Sie steht aber unter dem Gedanken, daß Gott seiner Schöpfung schon seine Güte zugesprochen hat.

 

 


Die Behandlung der Thematik in der weiteren Theologiegeschichte

Urs Flükiger / piexelio.de
Urs Flükiger / piexelio.de

A. Alte Kirche

Die Alte Kirche folgt der Tendenz, biblische Rede von Gott durch die Denkvorstellungen und -möglichkeiten der griechischen Philosophie zu betrachten. Dadurch wird "Allmacht" zu einem Gottesattribut. Gott ist also per definitionem allmächtig, allweise bzw. allwissend, allgütig. Dies ist er losgelöst von seinem Handeln - also jenseits aller Beziehungen. An dieser Vorstellung hat sich bis in letzte Jahrhundert wenig geändert. Erst nachdem sich die Theologie von den metaphysischen Festschreibungen, die in der griechischen Philosophie wurzeln und unbestritten waren, löste, konnten unter anderem die Begriffe Macht/ Allmacht Gottes neu gedacht und gefüllt bzw. infrage gestellt werden.

 

Einen neuen Gehalt erhält die Vorstellung des Allmächtigen noch durch die Übersetzung des griechischen Pantokrator in das lateinische omnipotens. Hier schwingt neben dem "alles beherrschen’" dann auch noch "alles können; zu allem fähig sein" mit.

 

B. Mittelalter

Die Vorstellungen des Mittelalters können in der Kürze nicht behandelt werden. Wichtig ist nur der Hinweis, dass in der Strömung des sogenannten Nominalismus, der am Ausgang des Mittelalters eine wichtige Rolle spielte, der Begriff der Allmacht Gottes mit der absoluten Freiheit Gottes zusammengebracht wurde. Gott ist frei zu tun, was er will und er ist auch in der Lage, alles durchzusetzen, was er will. Diese Vorstellung wurde von Luther aufgenommen.

 

C. Martin Luther

Luther hat in seiner deutschen Übersetzung der Bibel die relationale Rede von Gott mit Allmächtiger oder allmächtig wiedergegeben. Damit hat er in die Texte eine Vorstellung eingetragen, die den Intentionen der Texte nicht entspricht. Entscheidend ist zudem, daß Luther in nominalistischer Konsequenz den Begriff der Allmacht mit dem Begriff der Allkausalität verbindet. Damit wird Gott aber allwirksam in allem, was geschieht; und sei es das Schrecklichste und Abgründigste. Dieser verborgene Gott kommt nun aber neben dem sich in Christus offenbarenden Gott zu stehen. Dadurch gerät das Gottesbild in unerträgliche Spannung (etwa Rettungshandeln Gottes in Jesus Christus und zugleich die Vernichtung unschuldiger Menschen). Von Luther her zieht sich der Gedanke in der evangelischen Theologie durch, daß Gott nicht nur alles tun kann, sondern auch allwirksam ist.

 

D. Karl Barth

Karl Barth war ein bedeutender Theologe des 20. Jahrhunderts, für viele sogar der bedeutendste. aber darüber kann man streiten. Gott ist für Barth nicht allmächtig im Sinne eines abstrakten Alles-Könners. Macht an sich ist böse. „Der “Allmächtige”, das ist das Chaos, das Übel, das ist der Teufel. ... Dieser Rauschgedanke der Macht, ... das ist der Gegensatz zu Gott." (Dogmatik im Grundriß, S. 54) Wenn dennoch von Gottes Macht zu reden ist, dann unter drei Abgrenzungen: Gottes Macht  unterscheidet sich von jeder Ohnmacht, Gott ist allen Mächten überlegen (indem er eben nicht in einer Reihe mit ihnen steht) und Gott ist nicht "Macht an sich".

 

Positiv gewendet, Gottes Macht gründet im Recht, ist Ordnungsmacht, ist Macht seiner Liebe. Dies wird deutlich, wenn wir auf sein Werk schauen in Jesus Christus. Im konkreten Tun zeigt sich diese Macht und nicht im Abstrakten. (Inwieweit dies wiederum abstrakt gedacht ist - etwa für die Opfer der NS-Verbrechen - wäre zu bedenken. Außerdem: Lässt sich Gottes "All"-macht als Macht der Liebe wirklich ohne Ohnmacht denken?)

 

E. Zusammenfassung der theologiegeschichtlichen Enwicklung

Zusammenfassend für die gesamte Epoche der Kirchengeschichte ist festzustellen, dass alle Theodizeeversuche Gott entlasten sollten zu Ungunsten der Menschen. Gott galt als nicht zuständig für Übel, Schuld und Leid. Wenn Ungerechtigkeit herrsche, so sei dies Schuld der Menschen.


Allmacht als Hoffnung des Glaubens. Ein Denkversuch (Frank Martin)

Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts (ebenso im Rückblick auf die gesamte Leidgeschichte der Menschheit) läßt sich die Vorstellung von einem ‘allmächtigen Gott’, der alles kann oder könnte, nicht mehr ohne Zynismus den Opfern der Geschichte gegenüber aufrechterhalten.

 

Der Philosoph Hans Jonas hat dies in anrührender Weise dargelegt. Gottes Gut-Sein und sein Verstehbar-Sein lassen sich nur aussagen, wenn er nicht allmächtig ist. Jonas geht soweit, sogar die Macht Gottes infrage zu stellen. Gott hält seine Macht nicht nur zurück. „... denn bei dem wahrhaft und ganz einseitig Ungeheuerlichen, das ... die einen den schuldlos andern antun, dürfte man wohl erwarten, daß der gute Gott die eigene Regel selbst äußerster Zurückhaltung seiner Macht dann und wann bricht und mit dem rettenden Wunder eingreift. Doch kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott. ... Und da sage ich nun: nicht weil er nicht wollte, sondern weil er nicht konnte, griff er nicht ein.“

 

 

Jedoch: Ein ohnmächtiger, mitleidender und von der Leidgeschichte der Menschen mitbetroffener Gott ist zwar leichter zu ertragen, aber er ist nutzlos. Der katholische Theologe Karl Rahner führt dazu aus: „Um - einmal primitiv gesagt - aus meinem Dreck und Schlamassel und meiner Verzweiflung herauszukommen, nützt es mir doch nichts, wenn es Gott - um es einmal grob zu sagen - genauso dreckig geht.“  Außerdem muss man fragen, ob in der Rede von Gottes Ohnmacht und seinem Leiden (wenn dieses Leiden denn erst genommen wird und nicht nur ein Gott nicht ernsthaft bedrohendes Spiel ist) nicht „... eine quasi mythische Universalisierung des Leidens ...“ geschieht.

 

 

 

M.E. geht es um ein sachgemäßes Reden von Gottes Macht/ Allmacht. Allmacht kann nicht mit Allkausalität (Allverursachung) zusammengedacht werden. Gott kann nicht alles, was er will. Er wird begrenzt (oder begrenzt sich) in seiner Handlungsfreiheit durch seine Schöpfung. Aber er vermag aus sich selbst heraus immer wieder Möglichkeiten freizusetzen, die neues Leben eröffnen. Seine "Allmacht" ist nicht Attribut seines Gott-Seins, sondern Hoffnung der Glaubenden - mithin etwas, was als noch zu erweisen aussteht. Es ist der Protest des Glaubens gegen die Täter und all zu oft scheinbaren Sieger der Geschichte. Diese Hoffnung schließt alle Opfer ein. Mit Worten des Philosophen Theodor W. Adornos gesagt wäre es die Erwartung, dass „... nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre.“ Wird in diesem Sinne von Gottes Allmacht gesprochen, wird Gott in die Verantwortung genommen, seine Verantwortung - nicht für das Leid, aber - für die Leidenden, wird ernst genommen.

 

Allmacht bzw. Macht Gottes ist als unaufgebbare Hoffnung zu entschlüsseln, aber nicht als abstrakte Wesensbestimmung eines Gottes an sich. Angesichts des Leidens und der Ohnmachtserfahrungen, die Menschen machen, ist „jede situationsfreie Rede von Gott leer und blind“ (Metz, Landschaft aus Schreien, S. 81). Gottes Macht muss sich in der Geschichte/ den Geschichten der Menschen (und sei es im Horizont endzeitlicher Erwartungen) erweisen. Erfahrungen von Ohnmacht, vom Scheitern des als göttlichen Willen Geglaubten können nicht einfach negiert oder verdrängt werden. Sie gehören in die Erfahrungen, die wir Menschen mit Gott machen.

 

Die Hoffnung auf die sich zeigende Macht Gottes bewahrt vor Fatalismus und Pessimismus. Sie motiviert, nach Gottes Reich zu trachten, die größere Gerechtigkeit zu suchen, in der Nachfolge des gescheiterten Jesus zu leben. Diese Hoffnung ist bedroht, und es ist ernst zu nehmen, dass sie sich als falsche Hoffnung erweisen könnte. Dennoch gibt es zu ihr aus (meiner) christlicher Sicht keine Alternative.

 

Die Theodizee-Frage kann gar nicht beantwortet werden. Wohl geht es aber darum, eine Sprache zu finden, welche die Leidgeschiche der Menschen ernst nimmt.

 

Gott ist bei seiner Verantwortung zu belassen, ohne dabei den Menschen aus der seinen zu entlassen. Das mag besonders wichtig sein für uns als Kinder oder Enkel der Täterinnen und Täter.

 

Die Frage nach der Theodizee hatte im Alten Testament ihren Sitz im Leben im Gebet, im Ansprechen Gottes, im Einfordern seiner Verheißungen, in der Anklage für das, was Gott tut oder aber doch wenigstens zulässt. Insbesondere wir müssen unsere Gebetssprache daraufhin überprüfen, ob sie die Leiden der Anderen ernst nimmt. Oder ob wir nicht versuchen, uns auf Kosten der Leidenden mit Gott zu verbünden.

 

Außerdem ist Mut zu machen, in unsere gezähmte, formelhafte Gebetssprache Elemente der Klage und Anklage aufzunehmen - eben vor dem Hintergrund, dass wir Antwort erwarten. Dazu gehört: nicht wir können Gott gerechtsprechen, aber wir dürfen darauf hoffen, dass er für sich sprechen wird.


Der Text zum Herunterladen. Die Ausarbeitungen wurden als Impulsreferat im Rahmen der Vikarsausbildung entwickelt und dien(t)en als Gesprächsgrundlage.

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Frank Martin
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