Salz der Erde. Ein Text von Frank Martin

Der folgende Text war für eine Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung bestimmt, wurde aber dort nicht abgedruckt. Über die Gründe gab es einen Austausch, der für mich in der Frage endete, ob denn das Magnifikat abgedruckt werden würde, welches in der Befreiungstheologie ja eine große Rolle spiele. Dies wurde bejaht – was mich erstaunte. Ich stelle diesen Text am Ende ein - in der Übersetzung von Martin Luther.


Seid ihr noch das Salz der Erde? Diese Frage wurde den VertreterInnen der Katholischen und der Evangelischen Studierendengemeinde gestellt beim 3. Belter Dialog.

Herbert Belter ist als christlicher Student für seine Überzeugungen nach Moskau gebracht und dort ermordet worden. Vergleichbare Erfahrungen machen Studentinnen und Studenten heute in Deutschland nicht.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Ich habe die Frage so verstanden, daß wir uns verantworten sollen – vor der Geschichte und den Zeitzeugen und natürlich vor der Gegenwart.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Eine subtile Fragestellung. Denn diese Frage impliziert einen Imperativ. Seid ihr es noch? Ihr sollt es sein! Oder etwas abgeschwächt: Ihr solltet es doch sein!

Subtil leuchtet aber auch die Vermutung auf: Ihr seid es doch nicht mehr. Seid ihr es noch? Wenn so gefragt wird, ist die Antwort schon nicht mehr selbstverständlich. Vielleicht seid ihr es noch. Vielleicht auch nicht. Sagt es uns, denn wir merken es nicht.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Eine subtile Frage, auf die ich eine subjektive Antwort gebe. Es ist meine Antwort auf diese Frage. Und ich weiß, daß andere - auch aus meiner Gemeinde - wohl anders antworten würden.

Ihr seid das Salz der Erde - als Matthäus Jesus diesen Satz in den Mund legte, richtete es sich an eine Gruppe in der Gemeinschaft des Volkes Gottes. In der Gemeinschaft derer, die alle zu Gott gehörten - des Volkes Israel - sollten die, die Jesus nachfolgten, den entscheidenten Akzent setzen. So, wie das Salz aus einem nahrhaften und zum Leben ausreichenden Eintopf eine schmackhafte Suppe macht, so sollen die Jesusnachfolger*innen die Gemeinschaft Gottes vollenden. Barmherzigkeit geht vor Recht und Gesetz; Liebe vor Ordnung; Mitgefühl vor Interesse.

Diese Gemeinschaft gibt es nicht mehr. Das können wir beklagen oder begrüßen, aber es ist so. Wir leben nicht mehr in dieser konkreten (Gottes-Volks-) Gemeinschaft. Damit hat aber das Wort vom Salz der Erde seinen Sitz im Leben verloren.

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der viele verschiedene Gruppen mit vielen verschiedenen Interessen ihre Interessen einbringen und durchzusetzen versuchen (Es gibt nicht mehr nur einen Topf, alle kochen ihr eignes Süppchen.). Wir leben in einer Gesellschaft, in der die vielen verschiedenen Gruppen sehr unterschiedliche Möglichkeiten haben, ihre Interessen einzubringen und durchzusetzen. Wir reden natürlich von Demokratie. Aber die wird begrenzt durch die Alternativlosigkeit systemrelevanter Bestimmungen. Diese Bestimmungen werden von denen definiert, die im hohen Maße davon profitieren. Und das sind in der Regel die Gruppen, die ihre Interessen in der gesellschaftlichen Praxis durchsetzen.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Diese Frage wurde den VertreterInnen der Katholischen und der Evangelischen Studierendengemeinde gestellt beim 3. Belter Dialog.

Herbert Belter ist als christlicher Student für seine Überzeugungen nach Moskau gebracht und dort ermordet worden. Vergleichbare Erfahrungen machen Studentinnen und Studenten heute in Deutschland nicht.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Ich habe die Frage so verstanden, daß wir uns verantworten sollen – vor der Geschichte und den Zeitzeugen und natürlich vor der Gegenwart.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Eine subtile Fragestellung. Denn diese Frage impliziert einen Imperativ. Seid ihr es noch? Ihr sollt es sein! Oder etwas abgeschwächt: Ihr solltet es doch sein!

Subtil leuchtet aber auch die Vermutung auf: Ihr seid es doch nicht mehr. Seid ihr es noch? Wenn so gefragt wird, ist die Antwort schon nicht mehr selbstverständlich. Vielleicht seid ihr es noch. Vielleicht auch nicht. Sagt es uns, denn wir merken es nicht.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Eine subtile Frage, auf die ich eine subjektive Antwort gebe. Es ist meine Antwort auf diese Frage. Und ich weiß, daß andere - auch aus meiner Gemeinde - wohl anders antworten würden.

Ihr seid das Salz der Erde - als Matthäus Jesus diesen Satz in den Mund legte, richtete es sich an eine Gruppe in der Gemeinschaft des Volkes Gottes. In der Gemeinschaft derer, die alle zu Gott gehörten - des Volkes Israel - sollten die, die Jesus nachfolgten, den entscheidenten Akzent setzen. So, wie das Salz aus einem nahrhaften und zum Leben ausreichenden Eintopf eine schmackhafte Suppe macht, so sollen die Jesusnachfolger*innen die Gemeinschaft Gottes vollenden. Barmherzigkeit geht vor Recht und Gesetz; Liebe vor Ordnung; Mitgefühl vor Interesse.

Diese Gemeinschaft gibt es nicht mehr. Das können wir beklagen oder begrüßen, aber es ist so. Wir leben nicht mehr in dieser konkreten (Gottes-Volks-) Gemeinschaft. Damit hat aber das Wort vom Salz der Erde seinen Sitz im Leben verloren.

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der viele verschiedene Gruppen mit vielen verschiedenen Interessen ihre Interessen einbringen und durchzusetzen versuchen (Es gibt nicht mehr nur einen Topf, alle kochen ihr eignes Süppchen.). Wir leben in einer Gesellschaft, in der die vielen verschiedenen Gruppen sehr unterschiedliche Möglichkeiten haben, ihre Interessen einzubringen und durchzusetzen. Wir reden natürlich von Demokratie. Aber die wird begrenzt durch die Alternativlosigkeit systemrelevanter Bestimmungen. Diese Bestimmungen werden von denen definiert, die im hohen Maße davon profitieren. Und das sind in der Regel die Gruppen, die ihre Interessen in der gesellschaftlichen Praxis durchsetzen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung beruht – Ausbeutung von Natur und Menschen. Und die, die dafür verantwortlich sind, bestimmen im hohen Maße, was alternativlos ist. Die Rede von der Ausbeutung ist keine Metapher sondern Realität. Unser Wohlstand beruht auf Sklavenarbeit, auch auf Kindersklavenarbeit. Unsere Gesellschaft beruht auf einer Diktatur der Wachstumsideologie. Wachstum sei alternativlos für die Schaffung und Erhaltung des Wohlstands und der Arbeitsplätze. Von dieser Ideologie profitieren vor allem die, die diese Ideologie behaupten und damit die gesamte Gesellschaft beherrschen. Perfide daran ist aber, daß sie damit alle anderen zu Mittäter*innen machen, selbst die, die in diesem System benachteiligt sind. Wer wollte nicht teil haben am Wohlstand für sich und ihre/ seine Kinder? Wer wollte keinen Arbeitsplatz oder aber eine finanzielle Absicherung, die nur durch Wachstum zu gewährleisten sei? Wer wollte nicht Bedürfnisse befriedigen, die geweckt werden, damit das Wachstum wächst? Wir alle sind Konsument*innen und werden damit zu Kompliz*innen von Ausbeutung und Versklavung. Der mündige Verbraucher ist nicht der moralische Verbraucher. Der moralische Verbraucher müßte verhungern und erfrieren oder soviel Geld haben, daß der Besitz dieses Geldes schon wieder unmoralisch wäre.

Seid ihr noch das Salz der Erde? Unter dieser Fragestellung wurden wir eingeladen, uns am Belter Dialog zu beteiligen. Die Antwort – meine Antwort – bin ich noch schuldig geblieben. Ich halte aber die Fragestellung für falsch. Es müßte heißen: Wollen wir in dieser Suppe überhaupt das Salz sein? Wollen wir der Brühe Geschmack geben, die Ungenießbarkeit vertuschen? Wollen wir uns gemein machen mit dieser so ganz anders gearteten Diktatur, die mir erlaubt, zu sagen, was ich will, weil im Meinungsbrei ohnehin alles gleichgültig ist; die mir erlaubt, zwischen Nike, adidas oder Produkten garantiert ohne Kinderarbeit zu wählen, solange ich als Konsument*in meine Pflicht zur Mehrung des Wachstums erbringe, in der Macht und damit die Möglichkeit, Interessen einzubringen und durchzusetzen, von finanzieller Potenz abhängt und (Bildungs-)aufstieg von der Bereitschaft, sich korrumpieren zu lassen; in der statt der dummdreisten Propaganda die modernen Kommunikationsmedien für die Unterdrückung von Bildung sorgen?

 

Seid ihr noch das Salz der Erde?

Ja! Ich fürchte, wir sind noch Salz der Erde. Wir sind Blitzableiter für moralische Bedürfnisse. Wir eröffnen Räume des Wohlgefühls, bieten Kontingenzbewältigungshilfe. Wir verteilen Siegel des Guten, initiieren richtiges Leben im Falschen. Wir segnen nicht mehr die Waffen, nur noch die, die sie tragen – die Soldaten und Entwicklungshelfer – die unsere Freiheit verteidigen. Und: Auch wir leben vom Wachstum, von Ausbeutung und davon, daß die Prediger*innen des Alternativlosen ihre Interessen durchsetzen – obwohl wir doch wissen sollten, daß es eine Alternative gibt, die jetzt und hier und heute gegenwärtig werden kann und will – das Reich Gottes, das wir nicht schaffen oder errichten können, aber leben sollen.

Ja! Wir sind noch Salz. Indem wir die Traurigen trösten, die Entmutigten ermutigen und die Guten anhalten, ihr Gutes einzubringen, damit nicht alles den Prediger*innen des Alternativlosen überlassen bleibt.

Ja. Wir sind noch Salz, denn wir sind doch Teil der Suppe.

Ja. Auf die subtile Frage: Seid Ihr noch das Salz der Erde? lautet meine subjektive Antwort: Ja, ich fürchte ja. Aber lieber wäre es mir, wir wären die Essigfliege im Rotweinglas.

 

Der Lobgesang der Maria

Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.



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