Feindesliebe und gerechter Zorn von Nils Richber

Die Tempelreinigung: Jesus wirft alles um. Was das zu bedeuten hat, darüber streitet sich die Exegese. Aber eigentlich braucht man gar nicht bis zur Handgreiflichkeit gehen, stellt sich das postpazifistische

Unbehagen doch schon darüber ein, dass Jesus bloß zornig ist. - Paradox, predigt er doch Feindesliebe. Ist Liebe nicht das Versöhnliche, das Gegenteil von Zorn? Wollte Jesus nicht einfach nur Harmonie und eitel Sonnenschein? Noch der liberaler Salonatheist, über dessen Bigotterie schon Nietzsche sich erbitterte, spricht über Jesus mit Vorliebe als über einen braven und vorbildlichen Mann, ein schulgerechtes Exempel aus dem moralischen Streichelzoo. Dieses zynische Lob stimmt solche Christen denn auch milde, mit denen man sich auf einen gemilderten und ungefährlichen Christus einigen kann; einen Christus, der den täglichen Erwerb nicht stört. Der Kompromiss kompromittiert. Der zweideutige, kapriziöse Verweis auf die Bergpredigt, als einer Art Lieblingsexponat im Wohlstandsleichenschauhaus der allgemeinen Friedlichkeit und Niedlichkeit, spricht der Radikalität deren Vision vom Frieden Hohn. Der Pazifismus, der sich selbst nicht mehr nötig hat und sich gegen nichts mehr verweigern muss, weil er seinen eigenen kleinen Frieden schon längst mit sich selbst gemacht hat, sitzt mit aller Welt, gleichsam in prästabilisierter

Harmonie, in einem Boot und setzt sich ohne Umschweife mit jedermann an den Tisch. Dieser

Geist sitzt unverdient materiell Davongekommenen wie mir immer mal auf einer der beiden Schultern und ermutigt, durch maßvolle Güte und unterschiedsloses Sich-Abgeben mit jedem sein Los zu rechtfertigen.

Aber vielleicht stelle ich mir bestimmte Dinge hier zu einfach vor und vielleicht handelt es sich bei

diesem Geist der aufgeschlossenen Geselligkeit nicht um den heiligen. Vielleicht liebte Jesus radikaler als ich.

Denn worum geht es bei dem Gebot der Feindesliebe? Simpel genug, darum, dass ich den Feind lieben soll. Daher gilt für uns aus dem Wohlstandschristentum: Bevor wir also nächsten Sonntag all zu schnell die universale Geschwisterlichkeit aller Menschen ausrufen, müssten wir uns doch fragen: Haben wir eigentlich noch den Feind, den wir lieben sollen? Oder ruhen wir nicht schon längst in uns selbst, sind wir nicht schon viel zu ausgeglichen und mit dem Weltzustand versöhnt, der es uns doch so wohl ergehen lässt, – um noch Feinde zu haben? Stört uns denn der Unterdrückungszusammenhang, in dem wir jeden Tag leben, so richtig; wo der globale Kapitalismus für die christliche Ethik Hintergrundrauschen eines sozial (oder gar bescheidener sozial-national) auf 130km/h Richtwert gedrosselten Leistungsprinzips wird? Bescheiden wir uns nicht längst beim Waffenstillstand und der Fassade der Versöhnung, statt uns nach dem echten Friedensschluss zu sehnen, so lang wir nur in Ruhe gelassen werden? Haben wir den Zorn – und

damit meine ich nicht das in sich selbst verbogene, nichtswürdige Allerweltsgenörgel über die

alltäglichen Majestätsbeleidungen und Ruhestörungen, die uns die anderen Menschen durch ihre bloße Anwesenheit zumuten - ; haben wir nicht die Wut auf die Ungerechtigkeit und Bosheit der Welt und unserer Selbst schon verlernt? Wie können wir fortwährend Psalmen aus dem Munde des von den Gottlosen Verfolgten beten, ohne uns dabei unserer gesetzten Feierlichkeit zu schämen?

Wenn ich mich umsehe, schäme ich mich dafür, nicht wütender zu sein; dafür, dass es mir mit dem Unheil in der Welt eigentlich ganz gut geht; dafür, dass ich noch dazu in der Lage bin, gelassen und geduldig mit Menschen zu diskutieren, für die die Würde anderer nur ein Wort zu sein scheint.

Jedes Lächeln und jedes Nicken ist ein Verrat. Die Feindesliebe ist mir zu hoch, da ich schon darüber versage, meinen Feind recht zu hassen. Da gilt für mich, was Adorno über die Esoteriker/innen schrieb: Diesen, „die sich für den Gedanken der Auferstehung zu gut sind und die eigentlich Rettung gar nicht wollen“ ist „die Untrennbarkeit des Geistigen und Leiblichen“ „zu grob“; mir die Untrennbarkeit von Hass und Feindesliebe.

Eine Ahnung von der Unmöglichkeit der Forderung aus der Bergpredigt und von dem Stachel echt

christlicher Absurdität bekommt man durch die bezeugte Weigerung gepeinigter Menschen, ihre

Peiniger zu hassen. Wir dürfen sie nicht für unser Wohlbefinden in Anspruch nehmen und die Pietät

verbietet schon beinahe, das Unaussprechliche dieser Feindesliebe auszusprechen. Aber die vorab

großzügig ausgestellte Generalamnestie ist eher ein Zeichen barbarischer Unbetroffenheit; ihr

innerer Friede ist die Verhärtung gegen das Schicksal der Opfer und Unrepräsentierten. Die Liebe

zu den Feinden gibt sich heute zum Alibi der geschlossenen Gesellschaft her, die sich die

Ruhestörung verbittet. Den Feinden Gottes und den Mächten der Welt wird noch – um des lieben

Friedens willen! – ein Bier ausgegeben. Die sich das nicht leisten können, stehen im Regen vor der

Türe.

Wir verraten die unerträgliche Sehnsucht nach dem Frieden auf Erden nicht zuerst dort, wo wir ihn

nicht stiften können. Wir müssen im entscheidenden Moment schlafen, wie die Jünger in Getsemane; wir müssen verleugnen, weil wir leben wollen, wie Petrus vor dem Morgengrauen – Gott erbarme sich unser! Nichts könnte damit weniger ausgesprochen sein, als ein Aufruf zum Exzess selbstgerechter Verachtung derer, die wir für die Bösen halten: Tausendmal lieber schwach und erbarmungswürdig, als eitel heroisch oder gar stolz auf den Hass! Den Frieden selbst verraten

wir an einem Punkt aber real: dort, wo wir ihn zu haben meinen.


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