Die Heilige Schrift als Buch der Kirche

Am 9. Mai 2016 hielt der sächsische Landesbischof Pfarrer Dr. C. Rentzing vor dem Förderverein der Theologischen Fakultät Leipzig einen Vortrag, den man hier nachlesen kann (VELKD-Information 151).


Pfarrer Dr. R. Junghans, Studieninspektor am Evangelischen Studienhaus in Leipzig unterzieht den Vortrag einer kritischen Würdigung.

 

Der überfüllte Hörsaal machte das große Interesse an diesem Thema und auch an der Person des Vortragenden deutlich, da es zum Bibelverständnis in der Sächsischen Landeskirche immer wieder spannungsreiche Diskussionen gibt. Dr. Rentzing wollte keinen akademischen Vortrag halten - was sein gutes Recht ist, Wahrheiten auch anders zu erschließen -, aber zumindest der Einstieg mit den Voraussetzungen und der Reflexion über die historisch-kritische Methode folgte doch eher einer entsprechenden Arbeitsweise. Die historisch-kritische Methode erhält eine eigene Kapitelüberschrift und auch eine deutliche Würdigung für die Erschließung der historischen Zusammenhänge. Der subjektive Zugang zur Heiligen Schrift kommt schlechter weg, weil es so erscheint, als würde mit ihm der kirchliche Konsens über die Heilige Schrift zerbrechen. Jedoch ist dieser Zugang der verbreitetste in unseren Kirchgemeinden. Die Pfarrer geben bestenfalls einen historischen Einstieg und dann spielen subjektive Erfahrungen, die mit dem Bibeltext assoziiert werden, und Gegenwartsbezüge aus gutem Grunde die entscheidende Rolle. Auch die Zitate des Alten Testaments im Neuen Testament werden nicht vorrangig im historischen Sinne gebraucht, sondern in einen bestimmten vergegenwärtigen Kontext hineingestellt. Dadurch erhalten sie ihre Dynamik und bewegen die Menschenherzen.

 

Im 3. Abschnitt „Die heilige Schrift als Buch der Kirche!?“ entwickelt Dr. Rentzing die Vorstellung von einem Konsens in der Schriftauslegung, der durch die Gemeinschaft erzielt wird, wenn sich diese über bestimmte Regeln verständigen kann. Dazu führt er die lutherischen Bekenntnisschriften an und betont, darauf sind alle Verkündigerinnen und Verkünder der Landeskirche ordiniert. Jedoch sind die Bekenntnisschriften selbst das Ergebnis von einer Schriftauslegung in einem konkreten historischen Kontext und bieten deshalb keinesfalls automatisch einen allgemeingültigen Maßstab an, die Heilige Schrift zu deuten und womöglich sogar über ihr zu stehen. Viel wichtiger ist, zu schauen, wie die Heilige Schrift mit sich selbst umgeht, wie sie für uns die „alleinige Lehrmeisterin“ ist, wie es dann Dr. Rentzing nach Luther zitiert.

 

 

Der Vortragende fordert zu Recht eine „kirchliche, eine gemeinschaftliche Auslegung der Heiligen Schrift“. Dafür zählt er vier Aspekte auf, die für ihn wichtig sind: „sola sacra scriptura iudex, norma et regula“ (Konkordienformel 1580, Epitome articolorum, III., Abs. 4), Gesetz und Evangelium, „kanonische Auslegung“, „magnus consensus“.

 

Zum Schluss hält Dr. Rentzing drei „Eckpfeiler“ fest: „Ad fontes (zurück zu den Quellen), communio sanctorum (Gemeinschaft der Heiligen) und magnus consensus (kirchlicher Konsens über Raum und Zeit hinweg)“. Diese drei Eckpfeiler sieht er als Eckpfeiler einer Suchbewegung, die der Kirche zu wünschen ist. Dem ist nur beizupflichten. Aber wo findet da der suchende Mensch seinen Platz, dessen Glaubenserfahrungen in die Sichtweise der Quellen, der Gemeinschaft und des Konsenses hineinpassen sollen? Da wird es eine große Rolle spielen, wie weit diese Eckpfeiler auch auseinanderstehen können und welches Gewölbe sie zu überspannen vermögen, oder anders ausgedrückt, inwieweit die Gemeinschaft auch subjektive Erfahrungen als christliche Glaubensäußerung integrieren kann, die nicht vordergründig zu den traditionellen und verbreitetsten Ansichten in der Gemeinschaft zählen. Das Bild mit den Eckpfeilern hat etwas Statisches und wird der Dynamik der Glaubensentwicklung in der Heiligen Schrift und in der Kirche nur bedingt gerecht. Solche Entwicklungen wie die Frauenordination sollten in der Kirche immer wieder möglich sein. So bleibt unserer Landeskirche nur zu wünschen, dass sich die verschiedenen Zugänge zur Wahrheit der Heiligen Schrift mit Licht und Schatten auch gegenseitig würdigen können. Dadurch kann sich eine gemeinschaftliche Auslegung der Heiligen Schrift entwickeln, die sich wie ein wunderbarer Klang eines Konzerts von vielen profilierten Stimmen anhört.

 

 


Download
Pfarrer Dr. R. Junghans
Rezension zu 'Die Heilige Schrift als Bu
Adobe Acrobat Dokument 114.3 KB


Kommentare: 1
  • #1

    Gert Flessing (Samstag, 16 Mai 2020 11:00)

    Leider weiß ich nicht, ob sich jemand hier her verirren wird. Aber ich bin davon überzeugt, das hier ein sehr wichtiges Thema für uns als Kirche und für uns als Christen, angeschnitten wird.
    Die Bibel. Man möchte, in Anlehnung an eine beliebte Serie hinzufügen: "Unbekannte Weiten..."
    Genau das ist es, wie ich meine. Dieses Buch ist etwas, was uns allen bekannt ist und das dennoch den Blick in eine Weite schenkt, die wir kaum oder gar nicht ausloten können.
    Für mich ist die Bibel und damit meine ich durchaus AT und NT, Quelle meines Glaubens. Ich fühle mich ihr verbunden und finde in ihr immer wieder Gottes Ansprache an uns Menschen und damit auch an mich.
    Wie alle anderen Pfarrer bin auch ich auf die Schrift und auf die lutherischen Bekenntnisschriften ordiniert worden.
    Aber erzwingen diese Bekenntnisschriften, die ja, wie Dr. Rentzing selbst sagt, selbst ein Resultat des Umganges mit der Schrift sind, einen Konsens?
    Es mag sein, das wir das Be- und Überdenken der Bekenntnisse vernachlässigt haben. Aber ich bin davon überzeugt, das sie nicht zu einer Kette werden dürfen, die eine bestimmte Schriftauslegung erzwingt.
    Das lässt die Schrift und der, der aus ihr spricht, nicht zu.
    Ich sehe das Problem, das Dr. Rentzing vor Augen steht: " Auf diese Art und Weise hätte man in der evangelischen Kirche zwar das Papsttum eines Einzelnen abgeschafft aber zugleich das Papsttum von Millionen einzelner Subjekte eingeführt. Und ich scheue mich nicht, das unlutherisch zu nennen!"
    Natürlich wissen wir, auch von Luther her, um das "Priestertum aller Gläubigen". Schreibt nicht Luther in seiner Schrift an "christlichen Adel deutscher Nation...": "»Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben.“?
    Wenn er damit auch abschwächt, das all und jeder "das Amt" ausüben kann, so ist doch jeder, der es ausüben soll und dazu berufen wurde, in gewisser Weise, Autorität, wie der Papst.
    Jedenfalls habe ich, in der evangelischen Kirche, nicht erlebt, das nach einer geistlichen Führerschaft gerufen wurde, sondern es galt allgemein: "Selig sind die Beene, die am Altar stehn aleene."
    Aber ebenso habe ich erlebt, das alle, die da, am Altar standen, sich an die Schrift hielten und in ihr die Quelle für ihr Reden und Handeln sahen.
    Es mag dabei unterschiedliche Sichtweisen auf den Text und das, was er zu sagen hat, gegeben haben und geben. Aber der Geist weht, wo er will. Er ist es schließlich, durch den Gott seine Kirche und jeden von uns leiten möchte.
    Für mich erweist sich die Schrift nicht als etwas, was statisch ist, sondern lebendig, denn Gottes Wort, das sie birgt ist ja ein lebendiges Wort und es spricht in jede Zeit neu hinein, um uns zu helfen, mit uns und der Zeit zurecht zu kommen.
    Gewiss, das Ergebnis mag "ein wunderbarer Klang eines Konzerts von vielen profilierten Stimmen" sein, wie es Dr. Junghans beschreibt. Ja, es mögen auch weniger profilierte Stimmen darunter sein, wenn sie nur ihrer Gemeinde Kraft schenken. Vor allem aber denke ich, das diese Pluralität der Erkenntnis die Kirche in ihrer Gesamtheit nicht zerstört.
    Jedenfalls so lange nicht, wie sie an der "alleinigen Lehrmeisterin" fest hält.
    Das ist das Eine. Das andere, was Kirche ausmacht, ist ihr Vertrauen in Gott.
    Damit meine ich ein Vertrauen, das ihm mehr zutraut, als sich selbst.
    Hier stimme ich der Kritik Dr. Rentzings an Ernst Troeltsch zu: "Was heute unmöglich ist, war und ist auch zu jedem anderen Zeitpunkt unmöglich, z. B. so etwas wie Totenauferstehung. Schließlich das Prinzip der Korrelation. Alles Geschehen im Kosmos läuft in einer Kette von Ursache und Wirkung ab. Damit gibt es keine direkte Einwirkung Gottes auf innerweltliche Vorgänge und Zusammenhänge."
    Bei erstem wissen wir, das es nicht stimmt. Was heute unmöglich ist, kann morgen selbstverständlich sein. Alles ist im Fluss und entwickelt sich weiter.
    Bei zweitem muss ich ein wenig lächeln, weil und ja - das ist subjektiv - Gott sehr wohl auf innerweltliche Vorgänge und Zusammenhänge einwirken kann, wie ich erleben durfte.
    Soweit.
    Gert Flessing