Warum musste Jesus sterben?

I. Warum man so fragen darf und worum es eigentlich geht.

Dieter Schütz / pixelio.de
Dieter Schütz / pixelio.de

Welchen Sinn hat Jesu Tod am Kreuz?

Diese Frage kommt manchen sicher komisch vor, weil der christliche Glaube so durch und durch davon geprägt ist, dass dieser Tod einen Sinn hat. Dies zeigt sich beispielsweise an der Allgegenwärtigkeit des "Kreuzes". Eigentlich ist das Kreuz ja ein besonders grausames antikes Hinrichtungsmittel (dazu:  http://worthaus.org/mediathek/2-1-1/) und so verwundert es nicht, dass es in den ersten Jahrhunderten ikonographisch keine Rolle im Christentum spielte. Das änderte sich erst ab dem 4. / 5. Jahrhundert mit dem Erfolg, dass es mittlerweile - überall zu finden ist. Das Kreuz bildet den Grundriss vieler Kirchen. Es steht auf jedem Altar und beim aaronitischen Segen am Ende des Gottesdienstes ist es als Geste präsent.

Die Deutung des Kreuzestodes Jesu als eines sinnvollen Geschehens gehört offenbar zum Grundbestand des christlichen Glaubens, fassbar etwa auch in vielen unserer Lieder (vom reformatorischen Choral bis zum Lobpreislied) und in der Abendmahlsliturgie. Trotzdem ist es auch nicht dumm  nach dem Sinn von Jesu Tod zu fragen. Denn dass wir überall dem Kreuz begegnen, heißt ja noch lange nicht, dass wir seine Bedeutung auch verstehen  können.

 

Wenn man nach dem Sinn von Jesu Tod fragt, muss man zunächst zwischen einer juristischen und einer theologischen Fragerichtung unterscheiden.

Juristisch gestellt meint diese Frage: Welches waren die Gründe der römischen Besatzungsmacht (und nur die hatte damals das Recht, Personen hinzurichten auch wenn dies offenbar im Falle Jesu auf Initiative bestimmter jüdischer Kreise in Jerusalem geschah), Jesus zu verhaften und hinzurichten? Die Antwort auf diese Frage lautet, dass die Römer Jesus als jemanden verurteilten, der die politische Macht an sich reißen wollte, als Königsprätendent. (Zum Weiterlesen: Theißen, G. / Merz, A.: Der historische Jesus, Göttingen 1997, S. 387ff).

Der juristische Grund für das Todesurteil der Römer lässt sich also relativ leicht ausmachen.

Religiös betrachtet, ist es viel schwerer, sich den Sinn dieses Todes zu erschließen. Aber das ist gut so. Um dem Geheimnis des christlichen Glaubens auf die Spur zu kommen, ist es wichtig, sich der Grausamkeit dieses Ereignisses und der damit zunächst gegebenen Sinnlosigkeit auszusetzen und vor ihnen zu erschrecken.

Nicht anders ging es schon den allerersten Anhängerinnen und Anhängern Jesu . Für sie war Jesu Ersticken am Kreuz eine Katastrophe. 

 

Woher weiß man das oder besser gefragt, warum vermutet man das? Dafür gibt ein zum einen einen Anhalt in der Ereignisgeschichte: Das Verhalten der Jünger Jesu lässt darauf schließen, dass sie keinesfalls damit gerechnet hatten, Jesus könnte verhaftet und hingerichtet werden oder zumindest bis zum Ende hofften, dieses Ende würde nicht eintreten. Die Jünger ergriffen nämlich alle bei der Verhaftung die Flucht (vgl. Mk 14,50 und man geht davon aus, dass dieses Detail historisch zuverlässig ist, gerade weil es trotz seiner Anstößigkeit berichtet wird.) und kehrten nach Jesu  Tod wieder in ihre Heimat nach Galiläa zurück (dafür spricht Mk 16,7; aber auch Mt 28, 16-20 und Joh 21,1-14). Für sie war mit dem Tod Jesu wohl alles vorbei: Jesu Mission gescheitert, seine Botschaft ins Unrecht gesetzt. An die Möglichkeit einer Auferweckung des Gekreuzigten dachten sie schon gar nicht.

 

Nun kann man natürlich fragen: Warum haben die Jünger so gar nicht mit diesen Ereignissen gerechnet?

Zweifellos verbanden Jesu engste Vertraute mit ihm bestimmte Hoffnungen und Erwartungen. Sie lassen sich wohl am besten als messianische Erwartungen beschreiben. Im Judentum der damaligen Zeit war die Hoffnung weit verbreitet, dass eine gottgesandte Rettergestalt auftauchen und die Gottesherrschaft aufrichten werde. Allerdings: Dass der Messias eines gewaltsamen Todes sterben könnte, war ein unmöglicher Gedanke.

Der zweite Grund, warum man annehmen kann, dass die Hinrichtung Jesu zunächst lediglich als katastrophales und sinnloses Geschehen bewertet wurde, ist daher religionsgeschichtlicher Natur. Ein verhafteter, gefolterter und hingerichteter Messias war im jüdischen Glauben einfach nicht vorgesehen (vgl. dazu die Emmausgeschichte Lk 24,25ff), genausowenig wie sich die hellenistische Umwelt des Judentums vorstellen konnte, dass ein "Gottgesandter" hier auf Erden irgendwelche Leiden auszustehen haben könnte.

 

Spottcrucifix aus dem alten Rom, das die Anstößigkeit der Verehrung eines Hingerichteten illustriert
Spottcrucifix aus dem alten Rom, das die Anstößigkeit der Verehrung eines Hingerichteten illustriert

Es waren die Osterereignisse, Begegnungen der Jüngerinnen und Jünger mit dem Auferstandenen, die diese zwangen, Jesu Tod nicht nur als Katastrophe zu verstehen, sondern ihm irgendeinen Sinn abzugewinnen.

Entsprechende Versuche führten in der ersten und zweiten Christengeneration zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die neutestamentlichen Geschichten und Briefe enthalten eine Fülle von Deutungen des Todes Jesu. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass sich bereits die allerersten Christinnen und Christen mit der Frage nach dem Sinn dieses Ereignisses befassten. Offenbar rang man in den ersten Jahren und Jahrzehnten regelrecht mit dieser Frage, nahm immer wieder neu Anlauf, eine Antwort darauf zu finden und ließ die unterschiedlichen Antworten auch nebeneinander stehen.

Nun mag diese Auskunft, dass es im Neuen Testament eine Vielzahl an Deutungen des Todes Jesu gibt, den einen oder die andere durchaus überraschen. Denn vielen erscheint das, was im Gottesdienst, in den Gebeten, in den meisten christlichen Liedern und zentralen biblischen Lesungen über Jesu Tod und seine heilvolle Bedeutung gesagt wird, doch die Wiederholung der immer gleichen Aussage zu sein, nämlich dass Jesus für uns gestorben ist, zur Vergebung unserer Sünden.

Allerdings eröffnet schon diese äußerst knappe Aussage mehrere Deutungsmöglichkeiten. Was zum Beispiel bedeutet das "für uns"? Meint es "an unserer Stelle"? Meint es "uns zugute"? Und was genau hat Jesu Tod mit unseren Sünden zu tun? Vermutlich kämen viele hier schon ins Stocken. Sicher fielen den meisten noch Begriffe wie "Opfer" und "Sühne" ein. Welche Vorstellungen damit aber eigentlich genau gemeint sind ... das könnten wohl nur noch wenige beantworten. Noch komplizierter wird es, wenn man sich klarmacht, dass der Begriff "Sühne" im Neuen Testament gar nicht zur Deutung der Todes Jesu verwendet wird oder dass nicht jede Formulierung, die vom "Sterben Jesu für uns" spricht, automatisch auf die Sündenthematik zielt. Das nehmen wir nur an, deswegen ergänzen wir es im Geiste und verfestigen so gleichzeitig unsere Überzeugung, dass es nur die eine Deutung des Todes Jesu in der Bibel gibt.

Es lohnt sich also, genau hinzusehen, zunächst auf die neutestamentlichen Texte selber, dann aber auch auf die weitere Entwicklung der Kreuzestheologie in der Christentumsgeschichte. Natürlich kann dies hier nur exemplarisch geschehen. Zudem ist es leider so, dass  Interpretation der einzelnen Stellen im Neuen Testament oft umstritten ist. Aber so ist das mit der Bibelwissenschaft: Sie fragt nach, streitet um die richtige Auslegung, gibt sich nicht vorschnell zufrieden und das alles, weil sie möchte, dass die Bibel sagen darf, was sie sagen will.

 

II. Aus dem Fundus des Neuen Testaments: Beispiele für die Deutungen des Todes Jesu

a. 1 Kor, 5,7: Christus als Passalamm

An einer Stelle im Korintherbrief bezeichnet Paulus Jesus als "unser Passaopfer". Was meint er damit? Zunächst soll an dieser Stelle der Vers in seinem Kontext zitiert werden (nach der Lutherbibel 2017):

 

1 Überhaupt hört man, dass Unzucht unter euch ist, und zwar eine solche Unzucht, wie es sie nicht einmal unter den Heiden gibt: dass einer die Frau seines Vaters hat. 2 Und ihr seid aufgeblasen und seid nicht vielmehr traurig geworden, sodass ihr den aus eurer Mitte verstoßen hättet, der diese Tat begangen hat? 3 Denn ich, der ich zwar nicht leiblich bei euch bin, doch mit dem Geist, habe schon, als wäre ich bei euch, den verurteilt, der solches getan hat: 4 Wenn ihr im Namen unseres Herrn Jesus versammelt seid und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus bei euch ist, 5 sollt ihr diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn. 6 Es ist nicht gut, wessen ihr euch rühmt. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? 7 Darum schafft den alten Sauerteig weg, auf dass ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid. Denn auch unser Passalamm ist geopfert, das ist Christus. 8 Darum lasst uns das Fest feiern nicht mit dem alten Sauerteig, auch nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit dem ungesäuerten Teig der Lauterkeit und Wahrheit.

 

Dieser Brief des Paulus ist der einzige der im Neuen Testament versammelten Schriftstücke, in dem Christus ausdrücklich als Passaopfer bezeichnet wird (auch das Johannesevangelium legt zwar nahe, Jesu Tod mit dem Tod des Passalammes zu parallelisieren, allerdings nur implizit.).

Das Passa- oder Pesachfest war eines der großen Tempel-Wallfahrtsfeste des Judentums zur Zeit Jesu.

Schon frühzeitig kamen die Pilger nach Jerusalem, um sich in Vorbereitung auf dieses Fest ausführlichen Reinigungsriten zu unterziehen. Kultische Reinheit war die Voraussetzung, um am Fest teilnehmen zu dürfen (vgl. dazu auch Joh 11,55 und Joh 18,28).

Das Fest selbst erinnert an die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. Zur Zeit Jesu wurde das Fest so begangen, dass ein vom Haushaltsvorstand im Tempel geschlachtetes Lamm am Abend des 14. Nisan im  (teilweise auch etwas erweiterten) Familienkreis gegessen wurde.

Diese Tradition des Lammschlachtens bezieht sich dabei auf die Überlieferung in 2. Mose 12, derzufolge die israelitischen Hausväter am Fluchtabend auf Gottes Geheiß ein Lamm schlachten und mit dessen Blut die Türpfosten und den Türsturz ihres Hauses bestreichen, damit Gott  - der in dieser Nacht durch Ägypten geht und die erstgeborenen Söhne tötet - die israelitischen Kinder verschont. Das Blut des Lammes hat demnach in der Logik dieses Festes eine Art magische Funktion: Es schützt die Feiernden vor einem herannahenden Unheil bzw. vor dem Bösen. Dass dies auch im Frühjudentum (das man etwa von 200 v. Chr bis 200 n. Chr. ansetzt) und damit auch für die Zeit in Geltung ist, in der Paulus wirkte und schrieb, belegen verschiedene Quellen.

Darüber hinaus kommt dem Pesachfest in der Überlieferung (vgl. z.B. Jos 5) die Funktion zu, die Israeliten immer wieder neu als Gemeinde Gottes zu konstituieren.

 

Die genannten Aspekte (ausgeklammert wird hier der ebenfalls zur Passatradition gehörende Aspekt der ungesäuerten Brote): Kultische Reinheit als Teilnahmevoraussetzung am Fest, die Schlachtung des Passalammes, um die Feiernden vor dem Bösen zu schützen und die gemeinschaftsstiftende Funktion des Festes sind hilfreich, um dem zitierten Briefauszug zu verstehen. Denn sie machen nicht nur deutlich, worauf es Paulus ankommt, wenn er von Christus als dem Passaopfer spricht, sondern erklären wahrscheinlich auch die sonderbare Empfehlung des Apostels, ein unzüchtiges Gemeindeglied an den Satan zu übergeben (1 Kor 5,4).

 

Zunächst erscheint es vor dem Hintergrund der gemeinschaftsstiftenden Funktion des Passafestes plausibel, dass Paulus an dieser Stelle seines Briefes auf diese Tradition zu sprechen kommt. Schließlich geht es in den ersten Kapiteln des Korintherbriefes um die Situation der christlichen Gemeinde in Korinth. Der Argumentation des Paulus zufolge sind nun die korinthischen Christinnen und Christen -- im Bilde gesprochen -- eine durch die Passaschlachtung Christi konstituierte Gemeinschaft. Dabei hat der Opfercharakter Christi allerdings nichts mit Sündenvergebung zu tun, was man mit Blick auf Joh 1,29 und 1,36 leicht assoziieren könnte. Beim Passaopfer geht es nicht um Sündenvergebung, sondern um die Bewahrung der Gemeinde vor dem Bösen. Für die fragliche Passage bei Paulus bedeutet dies: "Durch ihre Bezogenheit auf Christus, das geschlachtete Pesachlamm, ist die Gemeinde vor dem Bösen geschützt. Außerhalb dieser geschützten Sphäre waltet Satan, ihm wird der Übertäter durch seinen Ausschluß anheimgestellt. Dieser Ausschluß ist dringend notwendig (daher auch die Eile, mit der Paulus die Gemeinde zum Handeln ermahnt), um den Zustand der" Korinther und Korintherinnen "als reine, der Pesach-Situation angemessene Gruppe zu erhalten." (Schlund, C.: Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition, in: Frei, J. / Schröter, J.: Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 2012, S. 404f.

 

Fortsetzung folgt