Nachlesen und Diskutieren

Impuls von Pfarrer Christoph Maier auf dem Forumstag 2018 in Leipzig

Liebe Freundinnen und Freunde des Forums für Gemeinschaft und Theologie,

liebe Schwestern und Brüder,

 

ich war versucht zu sagen: „das haben wir nicht kommen sehen.“ Das hätten wir nicht gedacht, als wir vor über einem Jahr das Thema für diesen Tag heute miteinander im Initiativkreis gesucht haben. Das konnte keiner ahnen, dass die Thematik für uns in Sachsen so aktuell sein würde. Dass die Ereignisse in und um Chemnitz einmal mehr die Frage in den Raum stellen: Warum nur vertrauen so viele Mitbürgerinnen und Mitbürger den falschen und rassistischen Versprechen von AFD, Pegida und Konsorten. Warum nur ist die Angst die Sorge und die Wut so dominant.

Ich war versucht zu sagen: „Das haben wir nicht kommen sehen.“ Aber das stimmt leider nicht. Leider überrascht uns das nicht mehr. Nicht dass wir uns an Bilder, wie wir sie aus Chemnitz gerade gesehen haben gewöhnt hätten, oder jemals gewöhnen könnten. Sondern die Ahnung oder auch die Analyse dessen, was uns gesellschaftlich umtreibt und umreisst, ließ uns damals schon ahnen, dass das genauso passieren kann, wie es jetzt passiert ist. Und damit komme ich schon zur Kernthese dessen was ich heute als Impuls anreisen und vortragen möchte:

 

Nicht die Migration ist die Mutter aller Probleme.

Nicht eine fehlende oder fehlgeschlagene politische Bildungspolitik oder die Verharmlosung von Rechtsextremismus ist der tiefere Grund unserer gesellschaftlichen Probleme in Sachsen.

 

Meine These ist: Es ist die Schwäche des Religiösen in unserer Gesellschaft, die sich nun auf bittere Art und Weise rächt. Dass sich Wut in Mut, Sorge in Zuversicht und Angst in Hoffnung verwandeln lässt, ist keine Bildungsaufgabe, sondern eine zutiefst religiöse Erfahrung.

 

Wir wollten und wollen mit diesem Tag heute einen positiven Impuls für unsere sächsische Landeskirche setzen. Wir wollten und wollen mit diesem Tag herauskommen aus der Abgrenzungsrhetorik gegen Bekenntnisinitiativen und Konservative. Wir wollten und wollen mit diesem Tag für ein Bild von Kirche werben, mit dem es gelingt wahrzunehmen, welch bitter notwendige Aufgabe und Auftrag wir an und für unsere Gesellschaft haben und was wir tun können, dass die Schwäche des Religiösen, die Harmlosigkeit der Kirche überwunden werden kann. Es ist unsere Aufgabe das biblische „fürchtet euch nicht“ zum Klingen zu bringen in unserer Zeit.

 

1. Das Religiöse beansprucht ein eigenes Feld gesellschaftlicher Interaktion

Ich gehe nach dem Ansatz des evangelischen Ethikers Eilert Herms davon aus, dass das Religiöse ein eigenes Feld gesellschaftlicher Interaktion beansprucht. Insgesamt vier nicht ineinander reduzierbare Felder scheint es dauerhaft in einer Gesellschaft zu geben, um die gute Ordnung unserer Welt abzubilden: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion. Herms entwickelt diesen Gedanken aus einem evolutionären Gesellschaftsbild und begründet damit gleichzeitig seinen Ansatz einer Schöpfungsordnung. Kern dieser evolutionären Entwicklung, ist die Familie, die Sippe, das Haus. Dort wurden alle 4 Leistungen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion gleichursprünglich für die Gemeinschaft erbracht. Politik ordnet das Zusammenleben und sorgt für Sicherheit, Wirtschaft ist für die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs zuständig, die Wissenschaft gibt technisch orientierendes Wissen weiter, Fertigkeiten, Techniken, die Religion gibt ethisch orientierende Gewissheit weiter, Vertrauen, Haltungen, die keine Letztbegründung erfahren können, weil sie im unverfügbaren oder im Heiligen begründet sind. Ich kann diesen Ansatz hier nur sehr knapp andeuten. Unseren modernen Gesellschaften zeichnen sich nun dadurch aus, dass sich die Regeln, nach denen diese 4 Bereiche der Gesellschaft funktionieren immer weiter ausdifferenziert haben. Sie sind hoch entwickelt, voneinander klar abgegrenzt und unabhängig. Aber sie bleiben aufeinander bezogen und unterliegen auch immer der Gefahr, dass ein Feld das Andere beherrschen will. Zum Beispiel wenn sich die Wirtschaft das Bildungssystem verzwecken möchte um möglichst gut funktionierende Arbeitnehmer zu erhalten. Oder wenn die Politik meint mit bestimmten Ideologien die Welterklärung, gleich mitliefern zu können. Wir sprechen dann auch von Zivilreligion und haben da so unsere Erfahrungen in diesem Teil Deutschlands.

 

2. Es gibt ein Vakuum des Religiösen.

Meine zweite These ist. Es gibt ein Vakuum des Religiösen. Präzisier müsste ich sagen in der Vermittlung von ethisch orientierender Gewissheit. Denn nach dieser Theorie ist das religiöse ja immer auch da, es scheint im Moment nur auf einer gesellschaftlichen Ebene sehr schwach. Das Feld des Religiösen erscheint unbestellt.

 

Die Gesellschaft scheint sich augenblicklich nicht bewusst, dass es sich um ein unverzichtbares Feld für eine gute Gesellschaftsordnung handelt. Aus dem politischen Feld hört man immer wieder einmal, dass Politik von Voraussetzungen lebt, die sie sich selbst nicht schaffen kann. Politikverdrossenheit kann auch als Vertrauenskrise verstanden werden. Warum gelingt es der Politik seit Jahren nicht, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurück zu gewinnen? Weil Politik dafür nicht zuständig ist. Das „fürchtet euch nicht“ muss aus dem Religiösen in den Menschen verankert sein. Politik schafft kein Vertrauen, weil sie dafür nicht zuständig ist. Auf dem religiösen Feld aber herrscht weitestgehend öffentliches Vakuum. Deshalb Vertrauen einige Menschen hier ja auch lieber den wildesten Verschwörungstheorien. Die erscheinen denen dann völlig plausibel. Argumente zwecklos. Dabei klingen diese eigenartigen Welterklärungsmuster in unseren Ohren vielleicht so, wie es für die klingen muss, wenn wir in der Bibel lesen, dass Jesus übers Wasser läuft.

 

Aber – und das ist eben der Unterschied. Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, dann kommt Jesus genau über dieses zu uns. Setzt sich zu den seinen ins Boot und sagt nicht „das Boot ist voll“ sondern „fürchtete euch nicht“. Und dann geschieht die Verwandlung. Der Sturm legt sich, Angst darf sich in Hoffnung verwandeln, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht.

 

Historisch betrachtet, kann ich gut nachvollziehen, warum das Feld des religiösen so stiefmütterlich betrachtet wird. Über viele Jahrhunderte hielten sich die Akteure des religiösen Feldes für die alleinigen Machthaber in der Gesellschaft. Sie bestimmten über Fragen der Wissenschaft und ließen Bücher und Menschen verbrennen, die die Welt anders sehen wollten. Jahrhunderte war der Streit zwischen Thron und Altar zwischen Politik und Religion eine Frage von Krieg oder Frieden.

Keine Frage, das Religionssystem muss selbst einen Beitrag leisten, seinen Anspruch zu begrenzen. Wir dürfen uns aus religiösen Gründen nicht die Köpfe einschlagen. Der Gesprächsprozess in unserer Landeskirche rund um das Thema Homosexualität ist für mich da ein schönes Beispiel, die Schwierigkeiten dieser Selbstbegrenzung zu sehen, aber auch um Gelungenes zu entdecken.

 

Selbstbegrenzung ist aber nicht Selbstabschaffung.

Deutlich wird das schnell, wenn wir die Frage der Selbstbegrenzung mal an einem anderen Feld - dem gesellschaftlichen Handeln durchspielen. Global entfesselter Kapitalismus ist Mist. Und doch würde keiner auf die Idee kommen, das Wirtschaftssystem abzuschaffen.

 

Die Diktatorischen Systeme vom Nationalsozialismus über Stasi-Staat waren genauso todbringend und verheerend wie die Kreuzzüge oder die Inquisition aber keiner kommt auf die Idee deshalb die Politik abzuschaffen.

 

Andererseits ist die Forderung nach der Abschaffung der Religion durchaus tief in unserer Kultur verankert. Zumindest die Abschiebung oder Zurückdrängung der Religion ins private scheint fast so etwas wie common sense zu sein.

 

Die Funktion von Religion für die Gesellschaft Angst in Hoffnung, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht zu verwandeln bleibt dabei auf der Strecke. Das „fürchte dich nicht“ bleibt ungehört.

 

Zwei Thesen noch mit denen ich schließen möchte

3. Zersplitterung schwächt

4. Ignoranz der Kirche für Ihren gesellschaftlichen Auftrag

 

3. Zersplitterung

Die Zurückdrängung des Religiösen hat auf dem Feld der Religion eine Zersplitterung und Pluralisierung der Formen bewirkt. Die Selbstbegrenzung des Religiösen heißt für uns als Kirche auch anzuerkennen und wahrzunehmen: Wir sind nicht alleine auf diesem Feld unterwegs. Wir haben kein Monopol auf das Religiöse und das ist o.k. so. Es gibt die modernen Medizinmänner und Frauen, die Druiden und Barden organisierte und individuelle Formen die Menschen helfen eine Verwandlung der Angst in Hoffnung zu erleben. Die Künste spielen seit jeher eine große Rolle in der Wahrnehmung dieser Funktion für Gesellschaft, aber auch Ärzte, Psychologen oder andere Berufsgruppen, die es verstehen Menschen nicht nur funktional zu betrachten sondern wirklich zu berühren, zu heilen, zu verwandeln erbringen diese gesellschaftlich so wichtige Funktion.

 

Vielleicht wäre es gut, wenn wir Anstrengungen unternehmen, die Zersplitterung auf diesem gesellschaftlichen Feld zu überwinden, indem wir uns gegenseitig wahrnehmen und wertschätzen, dass wir uns bewusst werden: Alle die Bedingungen schaffen können, damit sich Angst in Hoffnung, Wut in Mut und Sorge in Zuversicht verwandelt sind wichtige Mitspieler auf dem Feld der Religion. Die Entdeckung der gemeinsamen Aufgabe könnte uns alle stärker machen und für die Zukunft unserer Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sein. Grundlegend im wahrsten Sinn des Wortes. Denn weder Geld noch Politik noch der Gebrauch der Vernunft schafft Vertrauen. Vertrauen aber ist die Grundlage aller gesellschaftlichen Begegnung.

 

4. Ignoranz der Kirche für Ihren gesellschaftlichen Auftrag

Deshalb meine letzte These oder vielmehr eine Frage. Eine Frage an uns als Kirche: Wollen wir das?

Wollen wir uns einlassen auf einen solch weiten Religionsbegriff, auf die Selbstbeschränkung des Religiösen, auf die funktionale Bestimmung unseres Auftrags in der Welt? Können wir zu einer Sprache und Theologie finden, die die Menschen heute verstehen, einleuchtend, frei-und-fromm?

 

Ich erlebe leider immer noch ein tiefes Misstrauen in unseren Reihen gegenüber einen solchen liberalen Position. Ich erlebe, dass Abgrenzungsrhetorik und die Behauptung der alten Alleinvertretungsansprüche immer noch als unverzichtbare Identitätsmerkmale betrachtet werden. Die Besinnung auf das Alte, Bewährte in Bekenntnissen und Formeln stärker wiegt, wie die Suche nach neuen Wegen.

 

Dabei hängt es auch an uns, ob das „fürchte dich nicht“ gehört werden kann. Die Sprachen die wir dafür finden, dürfen vielfältig sein. Der Auftrag aber das zu verkündigen sollte um Gottes willen klar sein!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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