Barbara Zeitler: Warum und wofür ich mich hier engagiere.

1 Wer bin ich?

Ich bin eine westdeutsche, evangelische Theologin und wohne seit 2008 in Leipzig. Als Kind war ich mehrfach zu Besuch in der DDR, weil mein Vater in Thüringen aufgewachsen ist und seine Freundschaften dorthin gepflegt hat. 1990/1991 habe ich in Rostock studiert. Seit 1991 lebe ich mit meiner ostdeutschen Partnerin, der zuliebe ich hierher gezogen bin. Seit 2012 arbeite ich als Supervisorin. Alle diese partikularen Blickwinkel schlagen sich sicher in meinen Überlegungen nieder.

 

2 Wo lebe ich?

Sachsen ist das südöstlichste der Bundesländer, die seit 1990 zur Bundesrepublik gehören. 1989, vor mehr als einem Vierteljahrhundert ging von diesem Land ein starker Impuls für die Friedliche Revolution aus: In Plauen, Dresden und vor allem in Leipzig formierte sich im Sommer und Herbst 1989 der Widerstand gegen das diktatorische Regime der DDR. Viele Kirchenmitglieder waren aktiv in diesem revolutionären Veränderungsprozess und sorgten in ihm für Gewaltlosigkeit und demokratische Kultur. Auch heute engagieren sich viele Kirchenmitglieder politisch in unterschiedlichen Parteien. Sachsen wird als Bundesland seit 1990 von der CDU teils in einer Alleinregierung, teils mit Koalitionspartnern regiert. Das Land ist nach wie vor gekennzeichnet von einer im Bundesdurchschnitt hohen Arbeitslosigkeit und Entvölkerung, besonders deutlich in ländlichen Gebieten, aber auch in den großen Städten. Was die Bevölkerungszahlen angeht, stehen Dresden als Verwaltungsmetropole und Leipzig als Handels- und Universitätsstadt gegen den Trend.

 

Neben denen, die schon seit Generationen in Sachsen leben, gibt es viele, die nach der Friedlichen Revolution hierher gekommen sind. Die meisten von ihnen haben Führungspositionen im Verwaltungs- und Bildungssektor und in der Wirtschaft inne, haben ihre Familien mitgebracht und bilden einen zahlenmäßig kleinen, aber selbstbewussten und prägenden Teil der Gesellschaft.

 

Der Großteil der sächsischen Gesellschaft ist entkirchlicht: Es gibt kein oder – nicht selten – ein deutlich ablehnendes Verhältnis zur Kirche, gleich welcher Konfession. Erstaunlich, dass dennoch die Partei mit dem „c“ im Namen seit 25 Jahren regiert. Kirche wird in der Regel als eine fremde Wirklichkeit wahrgenommen, die mit ihren ethisch-moralischen Grundhaltungen und dem seltsamen Glauben Einfluss nimmt. Sie wird als elitär wahrgenommen, insofern die, die Kirchenmitglieder sind, v.a. aus bürgerlich-gebildeten Kreisen kommen: Das trifft sowohl auf die Ostdeutschen zu, die am Ende der DDR noch Kirchenmitglieder waren, wie auf die zugewanderten Westdeutschen, die meist volkskirchlich geprägt sind. Die kirchlichen, elite- und werteprägenden Bildungsangebote von Schulen und Kindertagesstätten werden gern angenommen.

 

Seit 2014 gibt es das Pegida-Phänomen von Dresden ausgehend und dort besonders stark. Ein Blick auf die Landkarte mit den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte zeigt in Sachsen eine schockierende Dichte und Häufigkeit. Auf der anderen Seite gibt es in Sachsen wenige Menschen mit Migrationshintergrund (außer dem westdeutschen).

 

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Sachsen (EVLKS) hat sich in den letzten Jahren polarisiert. Ausgehend von der Diskussion um das Pfarrerdienstrecht und die Möglichkeit für schwule und lesbische Paare im Pfarrhaus zu leben, hat sich die Sächsische Bekenntnis-Initiative (SBI) gebildet, die massiv gegen dieses innerhalb der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) weitgehend umgesetzte Recht zu Felde gezogen ist und in der Synode zunächst einen Gesprächsprozess und anschließend den „Schutz der Gewissen“ durchgesetzt hat. Die Bekenntnis-Initiative sammelt und formiert dabei Menschen, die Sorge haben, dass das Bekenntnis und besonders die Treue zur Bibel gefährdet sein und moralisch-ethische Werte aufgeweicht werden könnten. Sie hat viele Freundinnen und Freunde im Erzgebirge, in der Lausitz und im Vogtland, aber sie findet auch Anhängerinnen und Anhänger in allen anderen Teilen der Landeskirche, auch in Leipzig. Nicht wenige Pfarrerinnen und Pfarrer sind ihr verbunden.

 

Der jetzige Bischof, Dr. Rentzing, ist einer ihrer theologischen Väter. Seine Texte, die in der „Wir-Form“ geschrieben und von ihm unterzeichnet sind, stehen nach wie vor auf der Internetseite der BI (http://www.bekenntnisinitiative.de/ueber-uns.html und http://www.bekenntnisinitiative.de/gespraechsprozess/beitraege-der-bekenntnis-initiative.html; 15.08.2016). Das steht aus meiner Sicht in deutlichem Widerspruch zu seiner Selbstwahrnehmung, denn in seiner Bewerbung in der Peterskirche in Leipzig hat er 2015 mitgeteilt, er sei nicht Mitglied der SBI.

 

Die Bischofswahl 2015 ist kennzeichnend dafür, wie der „Rest“ der EVLKS die BI bis dahin wahrgenommen hat: Alle, mit denen ich gesprochen habe, waren vorher überzeugt, dass Dr. Rentzing auf keinen Fall eine Mehrheit bekommen könnte. Aus dieser Selbstsicherheit heraus wurden vier Kandidierende benannt, die ein teils ähnliches theologisches Profil hatten. Die Synodalen, die sich Dr. Rentzing nicht als Bischof vorstellen konnten, waren auch nach den ersten Wahlgängen nicht in der Lage, sich zu einer gemeinsamen Haltung durchzuringen.

 

Mit der Wahl von Dr. Rentzing zum Landesbischof auf 12 Jahre hat die Synode für die Landeskirche eine Situation geschaffen, in der sich evangelikale und der SBI-verbundene Kräfte gestärkt sehen. Sichtbar wird das u.a. durch den Ausschluss vom Dienst durch Kirchengemeinden bei einem ehrenamtlichen Kantor und einem hauptamtlichen Jugendwart im Herbst 2015. Beide hatten sich als schwul geoutet. Ein anderes Beispiel für diese selbstbewusster werdenden Positionen ist die Äußerung eines Pfarrers, der Anfang 2016, 50 Jahre nach Einführung der Frauenordination in Sachsen, zwar „nicht den Zeitpunkt gekommen sieht die Diskussion um Pfarrerinnen neu aufzumachen“ für sich aber in Anspruch nimmt, nicht zum Abendmahl zu gehen, wenn eine Frau dieses austeilt und sich in „ernste Konflikte“ gestürzt sähe, wenn er zur Ordination einer Frau eingeladen würde (Der Sonntag, 71. Jg. /Nr. 1, S. 3). Andere sehen für sich keine Zukunft in der Landeskirche mehr: Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen verlassen diese Kirche, besonders sichtbar ist das für mich im Blick auf schwule und lesbische Pfarrerinnen und Pfarrer.

 

Es gibt viele, für die Kirche nicht dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einer Schriftauslegung folgt, die im Blick auf die Rechte von Schwulen und Lesben oder von Frauen die maximal diskriminierenden Bibelstellen zitiert. Es gibt kleine Gruppen, die sich in ihrem Christsein und ihrer Bibelauslegung stärken. Es gibt aber auch viele, die sich mit ihrer theologischen Position allein und verloren fühlen.

 

Die Petition zur Amtseinführung von Dr. Rentzing hat diese Gruppe sichtbar gemacht. Verbindend waren in der Petition drei Punkte: Kirche ist eine Gemeinschaft, die 1. die Heilige Schrift von der Rechtfertigung aus Gnade im Glauben her liest und nicht beim strafenden Gott ansetzt; die 2. sich für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzt und so Zeugnis in der Welt gibt und die 3. bereit ist, allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung Verantwortung zu übertragen.

Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, die Verbindung und das Gespräch unter all denen zu fördern, die sich hier wiederfinden – bei aller Unterschiedlichkeit. Diese Menschen, ob kirchlich gebunden, bei Kirche arbeitend oder nicht, sind für mich die Zielgruppe des Forums. Ich möchte keinen TheologInnen-Zirkel und ich möchte keine außerkirchliche Opposition: Ich möchte Menschen, die sich von diesen Positionen angesprochen fühlen, zusammenbringen und dazu helfen, dass sie innerhalb der Kirche und auch außerhalb in der Gesellschaft spürbarer werden.

 

3 Was möchte ich erreichen?

Das Ziel des Forums ist es für mich, Menschen aus der gefühlten Vereinzelung in eine bewusste Gemeinschaft und in ein Gespräch mit anderen zu bringen und sich aus dieser Gemeinschaft heraus als Teil der EVLKS (kirchen-)politisch zu engagieren.

 

Grundlage dieses gemeinsamen Engagements ist dabei eine spirituelle und theologische Gemeinschaft, die sich bildet, wenn Menschen sich zusammen- und auseinandersetzen. Im Folgenden entfalte ich das Ziel und seine Grundlagen unter den drei Stichworten spirituell, theologisch und kirchenpolitisch genauer.

 

3.1 Spiritualität

Das Forum muss aus meiner Sicht Raum bieten für die Entwicklung und Praxis gemeinsamer spiritueller Formen. Christin- und Christ-Sein lebt von der Glaubenspraxis, von der Erfahrung, angenommen und geliebt zu sein, von der Möglichkeit, aktiv und verantwortlich zu sein und von der Gemeinschaft, in der das erfahrbar ist und die individuelle Sicht ergänzt und auch korrigiert wird. Wer in Zeiten der Verunsicherung auf erprobte Übung und gemeinschaftliches Getragensein zurückgreifen kann, kann Glauben auch in Widerständen leben, Unterschiede aushalten und sich und andere lieben.

 

Daher ist ein notwendiges Ziel des Forums für mich, Formen zu finden und anzubieten, die Spiritualität bewusst und gemeinsam leben lassen, ob als aktives politisches Engagement, das sich selbst deutet und versteht, ob als Tagzeitengebet oder als formloses Gebet und Segen – das liegt an der Situation und an der Gruppe. Aber möglich, gewollt und gelebt muss es sein: Mit dem biblisch bezeugten Gott unterwegs zu sein, uns offenbart in Jesus, dem Christus, durch die Heilige Geistkraft wirksam: das ist aus meiner Sicht die Grundlage des Forums, die sichtbar und hörbar sein muss und die ebenso notwendig verbunden ist und geformt wird von der Theologie. Spiritualität ohne Theologie wird schnell süßliches Gesülze, Theologie ohne Spiritualität ist eine lebensunfähige Kopfgeburt. Zur Glaubenspraxis gehört die Glaubenstheorie, zur Theorie gehört die Praxis.

 

3.2 Theologie

Das ist also das andere, ebenso notwendige Ziel des Forums: Dass es Raum bietet für die theologische Meinungsbildung und Auseinandersetzung untereinander und nach außen. Das heißt für mich: Es braucht Menschen, die Theologie im Sinn der oben genannten Positionen treiben und sie hörbar, lesbar, diskutierbar und umsetzbar machen. Davon gibt es schon eine Menge. Aber oft verpuffen die schönen und klugen Gedanken aus Artikeln, aus Predigten, aus Gesprächen. Darum braucht es Gruppen, in denen das Gehörte oder Gelesene diskutiert und kritisiert, konstruiert und umgesetzt wird. Es braucht Gelegenheiten, wo es Rückmeldungen gibt und Neuansätze und die Energie für die Entwicklung und Umsetzung von praktischen, auch politischen Konsequenzen.

 

3.3 Forum „frei und fromm“: Eine spirituelle und theologische Gemeinschaft

Aus der Verbindung von Theologie und Spiritualität rührt mein Wunsch, das Forum „frei und fromm“ zu nennen: Freies Denken und frommes Handeln gehören aus meiner Sicht unbedingt zusammen: Nur wenn die freien Gedanken auch Wirklichkeit bekommen und nützlich und umsetzbar werden, finden sie ihren Ort. Und: Alle Freiheit des Handelns ist gebunden an die frommen Gedanken – an die gemeinschaftlich geübte Theologie, die das, was ich tue und was geschieht rückbindet, relativiert und kritisiert.

 

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit – darum lasst Euch nicht das Joch der Knechtschaft auflegen.“ und „Wo der Geist des Herrrn ist, da ist Freiheit.“ sind biblische Sätze, die durchlüften, aufrütteln, was miefig ist: Sei es Theorie oder Praxis, sei es die eigene, die des Forums oder die der EVLKS oder der Politik. Und „fromm“, nützlich, passend im ursprünglichen Wortsinn, aber eben auch: geübt und verlässlich, beständig: So wünsche ich mir das Forum – als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich so verbinden und dafür eintreten, in Kirche und Gesellschaft.

 

3.4 Kirchenpolitisch und politisch

Immer wenn es gelingt, die oben genannten Positionen (Rechtfertigung aus Gnade im Glauben; Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung als Zeugnis; Aufhebung der Wertung von Unterschieden in der Person durch die Gemeinschaft in Christus) spirituell und theologisch in kleinen oder größeren Gruppen zusammenzubringen, entsteht nach meiner Überzeugung wirksames politisches und natürlich auch kirchenpolitisches Handeln. Angesichts der Situation der EVLKS als Kirche mit einer starken SBI und einem ihr theologisch eng verbundenen Bischof in säkularer, gesellschaftlich verunsicherter Umwelt ist mir das wichtig: Wir brauchen diese spürbare und sichtbare Position in der Kirche, damit die Richtung nicht einseitig bestimmt wird und wir brauchen sie als Gesellschaft, damit nicht Angst die gesellschaftlichen Debatten bestimmt und lähmt. Darum engagiere ich mich für die Entwicklung des Forums.

 

Kirchenpolitisch habe ich neben einer wachen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und Eingaben an die Synode auch die Besetzung von zentralen Personalstellen in den nächsten Jahren im Blick: Kirchenvorstände, Pfarrerinnen und Pfarrer, Superintendentinnen und Superintendenten werden gewählt. Lektoren und Prädikantinnen, theologische und juristische Oberlandeskirchenrätinnen und -räte werden benannt und berufen. Diese Funktionen prägen Kirche über Jahre und Jahrzehnte. Aus meiner Sicht ist es wichtig, solche Wahlen, Ausschreibungen und -besetzungen zu begleiten.

 

Barbara Zeitler

 

 

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