Streitpunkt Frauenordination

Die evanglisch-lutherische Kirche Lettlands hat die Frauenordination abgeschafft. In ihrer Predigt zu Röm. 14, 10-13 setzt sich Pfarrerin Margrit Wegner damit auseinander.

Predigt zu Röm. 14, 10-13 am 4. Sonntag nach Trinitatis (19. Juni 2016)

Männer neigen zu Gewalt, gerade in Auseinandersetzungen. Das macht sie zu schlechten Vorbildern in Führungspositionen. Männer gehören in die Armee, nicht in die Kirche. Wenn Männer zu schön sind, lenken sie Frauen im Gottesdienst ab. Wir lesen in der Bibel, dass Je-sus von einem Mann verraten wurde. Heißt doch: Männer sind nicht zuverlässig. Sie können sich gern in der Kirche engagieren, aber bitte in ihren angestammten Rollen. Sie können Wege harken und das Dach reparieren. Sie können grillen, schwere Sachen schleppen, den Zaun streichen. Sie sollen Kinder zeugen, Duelle ausfechten und jagen gehen. Männer sollten aber nicht ordiniert werden. Männer sollten nicht als Pastoren arbeiten.

Paulus schreibt: Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deine Schwester? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben (Jes 45,23): „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“

So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder und seiner Schwester einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

Männer sollten nicht Pastoren sein! Männer mit Kindern sind durch die Doppelbelastung überfordert. Männer sind viel zu emotional für diesen Beruf, der Blick auf die Tribüne eines Fußballstadions beweist es. Männer sollen andere Berufe ergreifen, mit weniger Verantwor-tung. Da stehen ihnen genug Möglichkeiten offen. Männer geben Anstoß in der Kirche.

Was soll in der Kirche und in der Gemeinde gelten? Ist alles erlaubt? Hat jeder alle Freihei-ten, oder muss es Regeln und Beschränkungen geben, die ein Miteinander für alle möglich machen? Paulus schreibt seine Worte mitten hinein in einen Konflikt. Anstoß und Ärgernis kennt er zur Genüge: Er muss vermitteln zwischen „Gemüseessern“ (Röm 14, 2) und Allesfres-sern, zwischen Starken und Schwachen im Glauben, zwischen denen, die Opferfleisch essen, und denen, die das verweigern. Lächerliche Kleinigkeiten, mögen wir heute denken. Soll doch jeder vegan, vegetarische oder steinzeitlich mit ganz viel Fleisch selig werden. Kommt es darauf wirklich an? Natürlich stand damals mehr dahinter, ahnen wir. Und sind mit Paulus auf der richtigen Spur: Der eine hält einen Tag für höher als den andern; der andere aber hält alle Tage für gleich. Ein jeder sei in seiner Meinung gewiss, vermittelt Paulus zwischen den unterschiedlichen Richtungen. Wer auf den Tag achtet, der tut's im Blick auf den Herrn; wer isst, der isst im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott; und wer nicht isst, der isst im Blick auf den Herrn nicht und dankt Gott auch. Das ist doch gar nicht entscheidend, sagt Paulus. Darüber sollt ihr gar nicht urteilten. Ihr sollt überhaupt nicht richten, sondern euch ausrichten. Darauf kommt es an: Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig ge-worden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Ja, sie sind ärgerlich, die eingangs zitierten “reasons why men should not be ordained for ministry”. In dieser Kampagne erzählen junge Frauen, welche Gründe es gibt, Männer nicht zu ordinieren, sie vom Pfarramt, vom Dienst in der Kirche auszuschließen. Frauen richten über Männer. Frauen geben Rechenschaft, warum sie männliche Kollegen überflüssig finden. Allerdings: Die Frauen, die so forsch ihre Argumente gegen Männer im Pfarramt ins Feld füh-ren oder besser: in die Kamera sprechen, die wollen weder be- noch verurteilen. Sie nehmen in gewisser Weise wie Paulus die Rolle des Narren (1. Kor. 4, 10) an. Ihre Worte sind ein Ärger-nis? Sind paradox? Ja, natürlich. Es sind aber leider genau die Argumente, die sie selber, die wir so oft hören. Sehr oft. Zu oft. Aber hej, sagen sie, wir leben im Jahr 2016. Niemand sollte darüber richten, ob Männer oder Frauen besser predigen, besser für die Seelen sorgen oder geeigneter sind für den Konfirmandenunterricht. Das wäre ja so, als würden wir urteilen, ob Vegetarier oder Feiertagsverweigerer bessere Christen sind, oder Reiche oder Arme. Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deine Schwester? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben: So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen. Da macht Gott keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen, zwischen Gefangenen und Freien, zwischen Männern und Frauen (Gal 3, 28). Also lasst uns mit solchen Unterscheidungen gar nicht erst anfangen. Ich liebe die Formulierung von Sabine Maetzel: „So ein kleines Karo hat der liebe Gott gar nicht.“

 

Es geht nämlich nicht um das Karo, um die Norm, um richtig und falsch oder besser und schlechter. Es geht darum, das je eigene Leben auszurichten auf Gott: So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder und seiner Schwester einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

An dieser Stelle könnte nun Schluss sein. Hier könnten wir alle Ja und Amen sagen. Versteht sich doch von selbst. Hej, wir leben 2016. Bei uns kann jeder tun und lassen, essen oder ver-zichten, singen oder glauben wie er und sie will. Die Unterschiede zwischen Judenchristen und griechischen Heidenchristen sind nur noch was für Theologie-Spezialisten. Um Knechte und Freie müssen wir uns keine Gedanken mehr machen, seit die Sklaverei abgeschafft wurde. Frauen und Männer haben längst die gleichen Chancen, sogar in der Kirche. Selbst der Papst hat neulich erklärt, dass Frauen bessere Missionare sind. Sie verstünden „die Probleme der Menschen oft besser und wissen, wie man sie auf angemessene oder manchmal neuartige Weise angehen kann.“ Frauen widmen ihre Aufmerksamkeit nämlich eher den Personen, den Einzelnen, den Menschen, nicht den Strukturen, ist dem Papst aufgegangen. Den Zugang zum Priesteramt haben sie damit noch lange nicht, aber viele hoffen, dass sich unter diesem Papst zumindest im Blick auf das Diakonat etwas tut.
Jetzt also: Amen – alles auf einem guten Weg?
Liebe Gemeinde, ich kann noch nicht Amen sagen. Ich bin zu aufgewühlt. Ich habe nicht für möglich gehalten, dass in lutherischen Kirchen noch derart gerichtet wird. Ich bin davon ausgegangen, dass nur Ewiggestrige die aussterbenden Vorurteile pflegen: Frauen gehören nicht auf die Kanzel. Frauen sollen in der Gemeinde schweigen, das könne man in der Bibel lesen. Frauen sollen die Rollen übernehmen, die ihnen aus der Geschichte zustehen. Als ich vor fast exakt sechs Jahren den Dienst hier am Dom antrat, da gab es einzelne, die sich das nicht vorstellen konnten oder wollten, die erste Frau am Altar und auf der Kanzel. Hej, das war 2010, und hier hatten schon längst Bischöfinnen gestanden! Die Vorurteile von damals sind hoffentlich widerlegt. Dachte ich. 2016 aber katapultiert sich eine gesamte lutherische Kirche „vorwärts in die Vergangenheit“ (Evangelische Zeitung). In Lettland, in einer unserer Part-nerkirchen wohlgemerkt, hat vor zwei Wochen die Synode beschlossen, die Frauenordination abzuschaffen. Ihr Erzbischof hat sich schon seit 1993, also über 20 Jahren!, persönlich und unter Berufung auf Paulus geweigert, Frauen zu ordinieren. Dem Pastorinnennachwuchs blieb nur der Weg ins Ausland und die Hoffnung, dass einmal andere Bischöfe und Bischöfinnen anders denken und handeln würden. Vor zwei Wochen aber wurden Fakten geschaffen. So gut wie niemand in unseren Gemeinden oder gar in den Medien hat es bemerkt oder
hat protestiert. Im Netz regte sich sofort kreativer Widerstand junger Theologinnen. Das Video mit den Begründungen, warum Männer als Seelsorger ungeeignet seien, wurde tausendfach geteilt. Viele Kolleginnen änderten demonstrativ ihre Profilbilder, posteten Fotos von Frauen im Talar, Frauen auf der Kanzel, von Männern und Frauen gemeinsam am Altar. Die Nordkirche erwägt nun offizielle Schritte des Protestes, eventuell sogar den Ausstieg aus der Partnerschaft. Bischöfinnen wie Bischöfe machen klar: Für uns Lutheraner gibt es in geistlicher Hinsicht keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Vorurteile und Zuschrei-bungen sind fehl am Platze. Frauen und Männer gemeinsam, Jungen und Mädchen, Pastoren und Pastorinnen sollen ihre Gemeinde nähren und pflegen, sollen den Glauben zum Blühen bringen – mit vereinten Kräften und ausgerichtet auf den einen Herrn und Gott, nicht auf ei-nen Bischof. Gott will, dass ihm sich alle Knie beugen, und alle Zungen ihn bekennen, unterschiedslos. Es gibt in unserer Welt doch wahrlich dringendere Aufgaben als die Pflege von Vorurteilen im eigenen Laden, in den eigenen Reihen, unter Männern und Frauen. Wir können nur gemeinsam mit allen, mit Alteingesessenen und Neuzugezogenen, mit Jungen und Alten, mit Fröhlichen und Traurigen am Reich Gottes bauen. Dafür wird einmal jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasst uns nicht mehr ei-ner den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder und seiner Schwester einen Anstoß oder Ärgernis bereite.
Lasst uns das zumindest gemeinsam versuchen – und die lettischen Geschwister dabei nicht vergessen und mit ihnen streiten.
Darum für nun, aber nicht für immer:
Amen

 

Margrit Wegner, Pastorin am Lübecker Dom

 


Download
Predigt von Pastorin Wegner. Röm 14,10-1
Adobe Acrobat Dokument 237.9 KB


Kommentare: 0