Impulse zur Schriftauslegung von unserem zukünftigen Bundespräsidenten

Im Jahr 2008, kurz vor Weihnachten, las ich in der ZEIT einen Artikel von Navid Kermani über die Bootsflüchtlinge von Lampedusa. Lange vor der sog. "Flüchtlingskrise" - oder sagen wir es genauer: zu einem Zeitpunkt als man sich in Mitteleuropa nicht weiter um die Flüchtlinge kümmerte, sondern die Sache gern Italien überließ, schrieb Kermani bewegend und aufrüttelnd über die Situation auf der kleinen italienischen Insel, über Frontex, ein überfülltes Lager,...

... über Touristen, die das alles nicht scherte und ein Schiff mit 65 Geretteten im Bauch. Der Artikel trug den Titel "Und an Bord sind Maria und Josef" und war auch sonst reich an christlichen Anspielungen. Dass dieser deutsch-iranische Intellektuelle muslimischen Glaubens sich in der Welt des Christentums auskennt und seine Überlegungen und Texte auch für christliche Gläubige immer wieder interessante Einsichten bereit halten, hat sein Buch "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum"  jüngst wieder bestätigt.

Das gilt sogar da, wo es Kermani selbst nicht darauf ankommt, sich auf christliche Gehalte und Symbole zu beziehen. So ging es mir vor wenigen Tagen bei der Lektüre seines Buches "Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime". Dort fand ich einen bemerkenswerten Absatz über den Koran, der ja - vergleichbar der teilweise im Christentums vertretenen Lehre von der Verbalinspiration der Bibel - als reines göttliches Wort gilt.

Dennoch ist es in der muslimischen Welt offenbar weithin common sense, dass dieses reine göttliche Wort auslegungsbedürftig ist, wobei diese Auslegungen als menschlich verantwortetes und insofern immer auch strittiges Unternehmen verstanden wird. (Ähnliches gilt übrigens auch für das Judentum.)

Kermani schreibt: "Ein klassischer Korankommentar enthält stets mehr als nur eine Deutung. Erst nachdem der Exeget die möglichen Interpretationen aufgezählt hat, stellt er seine eigene vor, um mit der Floskel  wa-llâhu a'lam abzuschließen, <<Und Gott weiß es besser>>. Eben weil der Koran als das reine göttliche Wort gilt, ist nach traditioneller islamischer Auffassung jede Auslegung menschlich und daher notwendig relativ. Dass niemand über die absolute Deutung verfügt, mehr noch: es diese eine Deutung gar nicht geben dürfte, gehört zu den Grundannahmen der klassischen muslimischen Exegese".

Ich wünschte mir, dass diese Einsicht auch Standard für den Umgang mit den biblischen Texten werden würde, nicht nur in der Exegese, sondern auch im Glaubensleben, egal ob in Leipzig oder Pockau. Denn das gilt ja wohl auch für uns:  Gott weiß es immer besser.

 

Kathrin Mette

 

Quelle: Das zitierte Textstück stammt aus: Kermani, N.: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2009, S. 109.

Das von Kermani beschriebene Verfahren der Korandeutung begegnet auch immer wieder in der jeden Freitag gesendeten Serie des Deutschlandfunk: Koran erklärt

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Milagros Stokely (Donnerstag, 02 Februar 2017 10:48)


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